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Tag des …...... von Uwe Neveling
Regenwetter von Uwe Neveling
Donnerwetter von Uwe Neveling
Ich gehe spazieren von Uwe Neveling
Ich beobachte . . . . von Uwe Neveling
Herbstlaub von Uwe Neveling
Gehen wir mal zu Hagenbeck von Uwe Neveling

 

Tag des …......

von Uwe Neveling aufgeschrieben im März 2014

Ein Jahr hat 365 Tage, manchmal sogar 366 Tage. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht an irgendein Ereignis gedacht wird. Es müssen nicht immer nur Geburtstage, Namenstage und Hochzeitstage sein. So gibt es Tage des Denkmals, des Friedhofs, des Kindes, der Frauen, des Puppenspiels, des Sports, des offenen Hofes, der Tiere wie Katzen, Hunde, Pferde, Falken. Die Aufzählung ist nicht vollständig. So fehlen z. B. die größten Lebewesen der Erde, die Bäume. Und es gibt ihn, den Tag des Baums. Der Tag des Baums ist - wie der Muttertag - eine Erfindung der Amerikaner. Im nordamerikanischen Bundesstaat Nebraska fanden die Siedler eine baumarme Landschaft vor. Sie pflanzten Sträucher und Bäume und führten einen Feiertag für Baumpflanzungen ein. Das war vor 130 Jahren. Am 25.4.1951 pflanzte unser damaliger Bundespräsident Heuss einen Ahorn im Bonner Hofgarten. Seitdem feiern wir in jedem Jahr am 25. April den Tag des Baumes. Baum ist nicht gleich Baum. Man muss schon genau hinschauen, um die feinen Unterschiede zu erkennen. Die Haut der Bäume, die Rinde, kann glatt, glänzend, rau, dunkel, zerklüftet oder zerrissen sein. Unterschiedlich sind die Blätter, die Blüten, die Früchte und die Wurzeln oberhalb und unterhalb des Bodens. Ein Baum hat es mir besonders angetan. Es ist die Kopfweide. Die Kopfweide kann man in Feuchtgebieten, in Niederungen, an Gräben und Bächen sehen. Die jungen Bäume werden in drei bis vier Meter Höhe geköpft. Es entwickeln sich daraus bizarr geformte mächtige Stämme, die innen hohl sein können. In den Hohlräumen nisten Steinkäuze und Fledermäuse.Ich erinnere mich an eine Faltbootfahrt in Niedersachsen. Wir hatten unsere Boote in einem kleinen, schmalen Bach zu Wasser gelassen. Das Wasser plätscherte zunächst nur, nahm aber etwas später mehr Geschwindigkeit auf. Der Bachlauf wurde größer und entwickelte sich zu einem kleinen Fluss. Vor uns lag eine offene, grünlandreiche Landschaft, durch die sich der Fluss schlängelte. In regelmäßigen Abständen standen die Kopfweiden an beiden Ufern. Wir fuhren an ihnen vorbei. Ihre knorrigen Stämme hatten teilweise menschliche Züge. Ihre großen Augen blinzelten uns zu und schienen uns gute Fahrt zu wünschen. Gelegentlich sahen wir auch einen Steinkauz, der uns misstrauisch aus seiner Baumhöhle betrachtete. „Nein, wir tun Dir nichts"! flüsterten wir ihm zu. Wir flüsterten, um die Landschaftsgeräusche nicht zu übertönen. Schließlich waren wir Gäste und die eigentlichen Bewohner hatten das Hausrecht. Wir verhielten uns still. Unsere Paddelschläge gingen im Flussgemurmel unter. Wir waren eins mir der Natur und die Kopfweiden zeigten uns den Weg.
Können Sie verstehen, dass man sich in Bäume verlieben kann, sich mit ihnen befreunden, unter ihrer Krone Ruhe, Einkehr und Erbauung finden kann? Sie sollten an ihnen nicht achtlos vorüber gehen, sondern ihnen einmal zuhören. Sie haben uns viel zu sagen. Versuchen Sie es mal.

 

Regenwetter

Nass bis auf die Knochen 

von Uwe Neveling Finnland - 1966

Wir waren am frühen Morgen im strömenden Regen gestartet. Die Wettervorhersage war schlecht. Wir mussten losfahren, weil wir sonst unseren Treffpunkt nicht mehr rechtzeitig erreicht hätten. Wir hatten schnell unsere Zelte abgebaut, und mussten sie nass in unsere Boote verstauen. Bei mir hatten sich einige Heringe verhakt. Dadurch verzögerte sich der Abbau. Darauf schien der Regen gewartet zu haben. Es schüttete jetzt eimerweise. Alles, was nass war, wurde noch nasser. Otto und Margot saßen schon in ihrem Boot, während ich noch die letzten Gepäckstücke unter die Spritzdecke schob. Endlich war es dann so weit. Wir waren am Abend zuvor in eine Bucht gefahren. Ortskundige hatten uns gesagt, dass ein schmaler Durchstich aus der Bucht herausführen würde. Wir würden dann den See erreichen.

Otto und Margot fuhren vor mir her. Gelegentlich konnte ich nur ihre Paddelblätter erblicken. Das Boot und sie selbst waren im Schilf nicht zu erkennen. Manchmal zweifelte ich daran, ob dieser völlig verschilfte Kanal aus der Bucht herausführen würde. Wir hatten – wie konnte es anders sein – Gegenwind. Das Wasser strömte uns entgegen. Jetzt hätte ich mir diese Birne am Bug gewünscht. Ich hatte das bei den Schiffsneubauten gesehen. Dadurch wird bei Vorausfahrt die Strömung um den Schiffsrumpf herumgeführt und der Widerstand wird herabgesetzt. Ein Faltboot mit Strömungsbirne, das wäre doch was. Damit würde ich Aufsehen erregen. Ich nahm sich vor, diesen Gedanken zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal aufzugreifen.

Nach einer halben Stunde verbreiterte sich der Kanal zu einem flussartigen Strom, der nach einem Kilometer in den von uns ersehnten See mündete. Hier erfasste uns der Wind in voller Stärke. Meterhohe Wellen ergossen sich über unsere Bootdecks. Der Wind drückte auf die Paddelblätter und riss sie uns beinahe aus der Hand. Wir mussten die Zähne aufeinander beißen und da durch. Die Fahrt nahm kein Ende. Erst nach einer Stunde erreichten wir das gegenüberliegende Ufer und gönnten uns eine Pause.

Wir verließen die Boote, bauten aus Baumästen und Zeltplane einen trockenen Unterstand und zündeten den Benzinkocher an. Schnell war Kaffeewasser aufgesetzt. Margot ließ das Kaffeemehl in dem Kupferkessel mehrfach aufkochen und füllte die Becher. Das heiße Getränk tat uns gut. Die Wärme kehrte allmählich in unsere ausgekühlten Glieder zurück. Ich hatte Hunger. Aus unserem Essensvorrat griff ich mir eine Fischkonserve. Am Dosendeckel war ein Stift eingelassen. Zog man an ihm, so löste sich der Deckel vom Unterteil und rollte sich auf. Mein Hering schwamm in einer Tomatensauce. Nach der körperlichen Anstrengung war das genau das Richtige. Auch Otto und Margot füllten ihre Mägen mit den konservierten Köstlichkeiten. Wir aßen mit Genuss und waren bald wieder fit für die Weiterfahrt.

 

Donnerwetter

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Uwe Neveling

Die Sonne brennt. Wir sind 1966 mit Booten unterwegs. Wir, das sind Margot, Otto und ich. Wie in den Jahren zuvor sind wir auf Faltbootwanderfahrt in Finnland. Die Seen sind mit natürlichen und künstlichen Kanälen untereinander verbunden. Wir lieben das Leben in der Natur und die Einsamkeit. Wir sind schon seit Tagen unterwegs ohne einen Menschen zu treffen. Wir haben für zwei Wochen Verpflegung gebunkert und essen viel Fisch. Fische fangen wir selbst. Margot sammelt Pilze und Blaubeeren. Ottos Blaubeeren-Pfannkuchen sind in Kanutenkreisen berühmt. Ich bin zuständig für Navigation, Zeltplatz und Zeltbau. Vor uns liegen fünf Kilometer offenes Wasser. Die Kanaleinfahrt am anderen Ende des Sees können wir nur erahnen. Das Wasser sieht zähflüssig aus. Keine Wellen. Otto und Margot fahren ein Zweierboot und spornen sich gegenseitig an. Ich hänge mit meinem Einer an ihrem Heck und versuche mitzuhalten. Es ist eine Quälerei. Plötzlich kommt Wind auf. Er bläst uns ins Gesicht. Wir kriegen kabbeliges Wasser. Am Horizont erscheinen pechschwarze Wolken, die schnell auf uns zukommen. Es wird dunkel, es blitzt und donnert. Wir sind mitten in einem Gewittersturm. Anderthalb Meter hohe Wellen ergießen sich über unsere Boote. Ich kann meine Freunde nicht mehr sehen. Ich kämpfe gegen Wind und Wellen an und halte mein Boot in den Wind. So kann ich es wenigstens steuern. Der Wind haut mir beinahe das Paddel aus meinen Händen. Ich muss kräftig zufassen. Meine Handgelenke und meine Arme schmerzen. Zwischen mir und dem Wasser gibt es nur die dünne Bootshaut. Das Bootsgerüst biegt sich unter den heftigen Wellenschlägen. Nach langen fünfzehn Minuten ist alles vorbei. Die Natur beruhigt sich. Ich entdecke meine Freunde zweihundert Meter entfernt. Wir schließen auf. Otto grinst mich an und meint, dass er so etwas nicht noch einmal erleben möchte. Das hätte er nicht sagen sollen. Hinter uns hören wir lautes Grummeln. Ein kräftiger Windstoß erfasst uns von hinten. Das Gewitter kommt zurück und zieht mit unverminderter Mächtigkeit über uns hinweg. Bis zum Ufer sind es noch gut zwei Kilometer. Wind und Wellen treiben uns dem Ufer zu.

 

Nach dem Gewitter 

 

Abends sitzen wir am Lagerfeuer. Wir fühlen uns gut und malen uns aus, wie es hier wohl im Winter aussehen mag. Es soll vereinzelt Bären und Wölfe geben. Es wird viel Schnee geben, Flüsse und Seen werden überwiegend zugefroren sein. Wir fantasieren und stellen uns vor, hier in einer einsamen Blockhütte mit Sauna in den Wintermonaten zu leben. Und wir verknüpfen unsere Fantasien assoziativ zu einem Naturepos.

 

Ich gehe spazieren

Von Uwe Neveling
Spaziergang im Jahr 2008 in Kandern - südlicher Schwarzwald

Es geht steil bergauf. Der Weg ist gut zu laufen. Er führt durch ein großes Waldgebiet. Die Bäume haben ein prächtiges Grün angelegt. Durch die Kühle der Nacht haben sich Tautropfen an den Blättern gebildet. Entweder fallen sie herunter oder verdunsten im frühen Sonnenlicht. Ich bewege mich durch einen Mischwald. Die Bäume stehen unsortiert nebeneinander. Ich erkenne Eichen, Buchen, Erlen und die vorwitzigen Birken. Birken wachsen überall. Das erinnert mich an Skandinavien. Dort wachsen sie auf jeder sich anbietenden freien Fläche. Ich mag Birken. Beim Anzünden eines Lagerfeuers leistet ihre Rinde gute Dienste. Sie brennt auch, wenn es nass ist.

Links und rechts vom Weg lagern frisch geschlagene Baumstämme. Man hat sie transportgerecht gestapelt. Ihre Schnittflächen sind nummeriert. Die Zahlen sagen mir nichts, sie sind mir nicht verständlich. Ich erreiche eine kleine Anhöhe. Der Weg windet sich jetzt bergab. Das gefällt mir gar nicht. Wenn es bergab geht, verspüre ich immer ein Stechen im rechten Knie. Es hilft nichts. Ich muss da runter. Der Weg macht weiter unten eine Biegung nach rechts. Ich hoffe, dass es dann wieder bergauf geht. Ich bleibe stehen und sehe mir die Pflanzen am Wegesrand an.

Da ist der Waldmeister, der einen angenehmen Duft verströmt. Beim Bärenlauch riecht es aufdringlich nach Zwiebeln. Ich sehe Maiglöckchen, die sich soeben entfalten. Auch ein erster Maikäfer lässt sich blicken. Ich höre den Schrei des Bussards, den Gesang des Zilp-Zalps und des Pirols. Der Buchfink ist besonders laut. Den Specht sehe ich nicht, ich höre ihn aber. Er hämmert sich eine Baumhöhle zurecht. Eichhörnchen huschen von Baum zu Baum. Ihre Kletterkünste sind beeindruckend.

Langsam gehe ich weiter und ignoriere die Schmerzen im rechten Knie. Ich lenke mich durch weitere Beobachtungen ab. Die Natur ist ein großartiger Heiler. Der Waldboden ist nicht nackt. Auf ihm hat sich Buschwerk ausgebreitet. Die Laubbäume lassen nur wenig Licht durch. Für Büsche und Kräuter ist es immer noch genug.

Ich erreiche die Wegbiegung. Es geht immer noch bergab. In der Ferne sehe ich ein Haus. Da will ich hin. Das muss das Lokal sein, das man mir wärmstens empfohlen hat. Das Essen soll dort vorzüglich sein. Außerdem habe ich auch Durst. Ich bin heute Morgen völlig unvorbereitet aufgebrochen. Es sollte nur ein kleiner Spaziergang sein. Aus dem Kleinen wurde ein Großer. Ich bin seit Stunden unterwegs. Die Zeit verging wie im Fluge. Es gab sehr viel zu sehen und zu entdecken.

Ein letzter Blick auf den Weg. Ein Eichhörnchen fliegt förmlich über den Boden, verharrt kurz und blickt zu mir rüber. Ich rufe ihm „bis bald“ zu. Dann verschwindet es im Unterholz.

 

Ich beobachte . . . .

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Von Uwe Neveling

Ich beobachte, wie der Bug meines Bootes durch das Wasser gleitet. Ich beobachte die kleinen Bugwellen, die sich seitwärts im See verlieren. Ich beobachte einen Alk. Er schwimmt fünfzig Meter voraus auf dem Wasser. Er ist ein weißer Fleck auf dem blau gefärbten Wasser. Er hat mich gesehen und beobachtet mich. Gerade hat er noch sein Gefieder geputzt, doch jetzt blickt er zu mir herüber. Er ist neugierig und wartet ab. Ich nähere mich ihm schnell und bin nur noch dreißig Meter von ihm entfernt. Das beunruhigt ihn. Er schwimmt unruhig hin und her und blickt sich um. Es sind nur noch zwanzig Meter. Er holt tief Luft und taucht blitzschnell ab. Ich beobachte die Stelle, an der er abgetaucht ist. Keine Spritzer, keine Kreise im Wasser, nichts. Er ist spurlos verschwunden. Ich stoppe das Boot. Der See ist glatt. Der blaue Himmel spiegelt sich im Wasser. Es gibt keinen Unterschied zwischen Oben und Unten. Auf der Wasseroberfläche erkenne ich auch die weißen Wolken, die über mich hinwegziehen. Hinter mir steht die Sonne am Himmel. Mein Boot und ich werfen Schatten auf das Wasser. Ich blicke mich um. Irgendwo muß der Vogel doch wieder auftauchen. Ich beobachte angestrengt. Sind es Sekunden, sind es Minuten? Ich kann die Zeit nicht abschätzen. Ich habe kein Zeitgefühl. Ich verhalte mich ruhig. An der Wasseroberfläche bilden sich Kreise. Etwas springt aus dem Wasser. Es ist ein Fisch, der nach einem unvorsichtigen Insekt schnappt. Es ist warm und stickig. Es sieht nach einem Gewitter aus. Die Mücken fliegen tief, eine verlockende Mahlzeit für Fische. Doch wo ist der Alk? Bugvoraus in fünfzig Meter Entfernung erscheint er wieder. Er muß endlos lange unter Wasser gewesen sein. Ör und Arr klingt es zu mir herüber. Er macht sich über mich lustig. „Du kriegst mich nie“ scheint er zu sagen. Ich nehme wieder Fahrt auf. Ich beobachte, wie er tollpatschig auf dem Wasser herumschwimmt. Er läßt mich näher an sich herankommen. Ör und Arr lacht er mich aus, holt tief Luft und verschwindet erneut. Er treibt mit mir Schabernack. Und ich habe meine Freude daran.

 

Vor dem Gewitter 

 

Auf dem Wasser spiegeln sich dunkle Wolken. Ich verspüre Wind. Das Wasser kräuselt sich auf der zuvor spiegelglatten Oberfläche. Der Wind nimmt zu. Es wird kühler. Ich drehe mich um. Hinter mir hat sich eine dunkle Wolkenmauer aufgetürmt. Über mir sind die Wolken noch weiß, zum Horizont hin werden sie grau, schwarz und dann pechschwarz. Ich beobachte, wie in der Ferne Blitze am Himmel zucken, das Grollen des Donners höre ich erst viel später. Ich muß mich vor dem drohenden Unwetter in Sicherheit bringen. Am Ufer habe ich ein Bootshaus gesehen, da will ich hin. Ich erreiche das Bootshaus und fahre hinein. Ich verlasse mein Boot und blicke auf den See hinaus. Ich beobachte, wie erste schwere Regentropfen auf das Wasser fallen. Der Wind peitscht das Wasser, es bilden sich Drachenzähne, Wellen, die sofort wieder in sich zusammenfallen. Wenn es blitzt, donnert es sofort. Das Gewitter ist genau über mir. Der Regen bildet eine Wasserwand, die sich in den See ergießt. Nach fünfzehn Minuten ist alles vorbei. Zaghaft läßt sich wieder die Sonne blicken. Der See ist immer noch aufgewühlt. Er beruhigt sich erst allmählich. Ich suche den Alk. Ich höre kein Ör und kein Arr. Ich beobachte, wie sich nach und nach die Vögel aus ihren Verstecken herauswagen. Ich höre ihr Zwitschern. Mein Freund, der Alk, ist nicht dabei. Er hat wohl einen anderen gefunden, mit dem er seinen Schabernack treiben kann. Ich verlasse das Bootshaus und fahre hinaus auf den See. Heute Abend treffe ich meine Freunde. Wir werden unsere Zelte aufbauen, am abendlichen Feuer sitzen und uns erzählen, was wir am heutigen Tag alles erlebt und beobachtet haben. Dabei erkennen wir immer wieder, daß Selbsterlebtes spannend ist und unvergeßlich bleibt. Ich habe es mir daher angewöhnt, mein Umfeld genau zu beobachten und das Beobachtete in meinem Gedächtnis aufzubewahren.

 

Herbstlaub

Eine sehr poetische Schilderung, ist aber bestimmt auch schon ein paar Jährchen her!
von Uwe Neveling

Der Weg ist steil. Fünfzig Meter höher beginnt der eigentliche Wanderweg. Der Weg schlängelt sich am Berghang entlang. Der Berg ist mit Bäumen dicht bewachsen. Es ist ein Mischwald. Eiche, Kastanie, Buche, Eberesche haben zueinander gefunden. Ihre Wurzeln haben sich in den Fels gegraben. Die Baumstämme ragen abgewinkelt zum Hang steil nach oben. Durch den engen Baumbestand kann man den Berggipfel nicht sehen. Am Fuß des Berges verläuft eine Straße und dahinter liegt der See. Blickt man über den See, so kann man am gegenüberliegenden Ufer ebenfalls wieder Wald sehen.

Der Weg wird flacher. Ich habe den ebenen Teil des Weges erreicht. Ich bin außer Atem, bleibe stehen und ruhe mich etwas aus. Vor mir sehe ich meine Freunde Gerd und Erich hinter einer Wegbiegung verschwinden. „Sie werden schon auf mich warten“ sage ich mir und blicke mich um. Es ist Herbst, die Bäume verlieren ihre Blätter. Warum werfen sie ihre Blätter ab? Ich denke nach. Wenn es kalt wird, nehmen die Wurzeln weniger Wasser auf. Das Laub kann daher nicht mehr mit dem notwendigen Wasser versorgt werden. Die in den Blättern sitzenden Nährstoffe fließen in die Äste und in den Stamm zurück. Das Blattgrün zersetzt sich, gelbe und rote Farbstoffe werden frei. Die Blätter bekommen dadurch eine wunderbare Färbung, die von tief rot bis zu hell grün und gelb reicht. Die Blattwurzeln trocknen aus und die Blätter fallen von den Zweigen. Kräftige Winde und peitschender Regen beschleunigen diesen Vorgang.

Heute ist kein Wind und es regnet auch nicht. Es ist herrliches Wetter, über mir sehe ich blauen Himmel. Die Sonne steht rechts von mir und schimmert durch das schon licht gewordene Laubwerk. Der Weg vor mir ist hoch mit Blättern bedeckt. Sie sind überwiegend bräunlich gelb. Ihre Färbung verblasst allmählich. Über mir haben die Blätter eine kräftige gelbe Farbe, gelegentlich sieht man auch ein auffälliges Rot. Ich gehe wieder, trete aber nicht auf die Blätter, sondern versenke meine Schuhe in den vor mir liegenden Blätterhaufen. Dann schiebe ich den Haufen vor mir her. Er türmt sich dadurch noch höher auf. Es gibt ein laut raschelndes Geräusch. Ich höre nur dieses Geräusch, sonst ist es hier oben still. Das Knistern und das Rascheln vermitteln mir ein Machtgefühl. Es ist ein naturverbundener Lärm, den nur ich verursache und kein anderer. Ich könnte mich auch leise fortbewegen. Ob laut oder leise, ich allein entscheide, was geschieht.

Ich quere einen baumlosen Hang und lasse die Geräuschkulisse hinter mir. Vierzig Meter oberhalb des Weges sehe ich einen Steinbock. Er hat mich nicht gehört und gesehen. Ich verhalte mich ganz still, bewege mich nicht. Er blickt in eine völlig andere Richtung und zieht weiter in das Waldstück, aus dem ich gerade gekommen bin. Ich trete jetzt behutsam auf das Herbstlaub und hoffe, noch mehr Wild zu sehen. Aber außer Vogelgezwitscher ist nichts zu hören.
Ich muss wohl ziemlich schnell gegangen sein. Ich sehe meine Freunde in kurzer Entfernung vor mir. Ich hole sie ein. Auch sie haben den Steinbock gesehen und sind von dieser Beobachtung begeistert.

Von nun an bewegen wir uns lautlos. Wir können aber keine weiteren Tiere erblicken. Dennoch haben wir das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Fallende Blätter sind nicht das Ende. Die Natur sammelt Kräfte für einen Neubeginn im kommenden Jahr. Bevor die Natur im Herbst bunt wird, wird sie in jedem Frühjahr wieder neu geboren. Wir alle hoffen, dass das auch noch recht lange so bleibt.

erstellt am 11.10.2010

 

Gehen wir mal zu Hagenbeck

von Uwe Neveling

Ein Aquarium muss gehegt und gepflegt werden. Dazu zählen regelmäßiger Wasserwechsel, Temperaturregelung, Bodenreinigung, Pflanzenpflege und Algenvernichtung. Ich zähle mich zu den Aquarium-Liebhabern, die sich die notwendigen Kenntnisse im Laufe vieler Jahre angeeignet haben. Mein Wissen über Fische schätze ich aber nur als mittelmäßig ein. Das reicht völlig, um Fische am Leben zu halten. Sie vermehren sich auch bei mir, ohne dass ich ihnen das groß beibringen muss. Hierzu muss das Wasser nur sauber und sauerstoffreich sein. Für die Reinigung benötigt man einen Filter und den Sauerstoff liefern Pflanzen. Selbstverständlich müssen die Fische gefüttert werden. Als Jugendlicher habe ich Wasserflöhe aus einem Teich mit einem feinmaschigen Netz gefangen und sie meinen Fischen als Lebendfutter vorgesetzt. Ich hielt die Fische damals in einem großen Einmachglas ohne Filter-technik. Das Einmachglas stand auf dem Fensterbrett. Licht gab es durch die natürliche Sonneneinstrahlung. Die mangelhafte Technik führte dazu, dass damals meine Freunde im Einmachglas nur ein sehr kurzes Leben hatten. Viele Jahre später gönnte ich mir ein richtiges Aquarium mit der notwendigen Technik. Das Licht lieferten Leuchtstoffröhren, die den Pflanzenwuchs förderten und den Fischen tropische Tages- und Nachtzeiten vorgaukelten. Gefüttert wurde mit Trockenfutter, gelegentlich gab es auch Wasserflöhe, die ich in einem Fachgeschäft kaufte und im Eisfach einfror. Die tägliche Portion bestand aus einem Eiswürfel, den ich morgens in das Wasser gab. Das warme Wasser löste den Würfel schnell auf und die nicht mehr lebenden Wasserflöhe verteilten sich im Wasser. Die Aquariumbesatzung machte sich sofort über den so gedeckten Frühstückstisch her. Wenn ich meinen Fischen mal was Gutes gönnen wollte, erhielten sie lebendes Tubifex. Tubifex sind kleine Würmer, eine Kraftnahrung für Fische. Es gibt zwischenzeitlich sehr gutes Trockenfutter, das von den Aquarium-Bewohnern gerne an-genommen wird. Dennoch sollte man auch heute für Abwechslung bei der Fütterung sorgen. Immer nur das gleiche ist doch langweilig. Fische empfinden bei der Nahrungsaufnahme wie wir Menschen. Ein Aquarium stellt eine künstliche Biosphäre dar. Da kann natürlich auch mal etwas schief gehen. Der Druck des Wassers auf die Aquariumscheiben ist enorm. Schlimm wird es immer dann, wenn die Scheiben dem Druck nicht Stand halten. Das Wasser rauscht aus dem Behälter und verteilt sich auf dem Fußboden. Alles ist nur noch nass. Man muss dann schnell handeln und greift nach jedem beliebigen Auffangbehältnis. Das können Eimer, Töpfe oder Suppenschalen sein. Schließlich gilt es, die Wasserbewohner zu retten und sie ihrer gewohnten Umgebung möglichst schnell wieder zuzuführen. Das habe ich alles schon erlebt und über-standen. Ich bevorzuge pflegeleichte Fische. Dazu gehören Guppys, Schwertträger, Segelflosser, Black Mollys, Prachtschmerlen, Mosaikfadenfische, Neonfische, Beilbauchfische und Welse. Es gibt noch viele mehr, die ich auch schon hatte. Die Fische müssen zueinander passen, wenn man sie in einem großen Gesellschaftsaquarium hält. Sie müssen sich vertragen und nicht gegenseitig bekämpfen. Am liebsten mag ich die Welse. Für mich sind sie die Miniaturausgabe der Delphine.

Es gibt über 40 unterschiedliche Arten. Sie sind olivbraun oder graubraun und dunkel gefleckt, das Auge ist klein, die Rückenflosse hoch. Mit ihren Barteln wühlen sie gerne auf der Suche nach Essbarem den Boden auf. Ich habe sie als friedliche, schwimmlustige Fische kennen gelernt. Einer ist mir sogar schon einmal im Übereifer aus dem Aquarium auf eine heiße Herdplatte gesprungen. Ich fing ihn sofort wieder ein und tauchte ihn wieder ins Wasser. Er schien mir dankbar zu sein und ich nannte ihn fortan nach einem sportlichen Freund Horst.

Horst lebte zu meiner Freude noch einige Jahre. Immer, wenn er mich sah, kam er angeschwommen und blickte mich freundlich an. Er ließ sich sogar von mir streicheln und schien das zu genießen. Ich war sehr traurig, als er starb. Man schenkte mir dann einen dunkel gefleckten, kleinen, niedlichen Wels. Er war 3 cm groß und sollte noch größer werden, wie man mir sagte. Dass er aber so groß wurde, konnte ich nicht wissen. Später stellte sich heraus, dass es ein Harnischwels war, der bis zu 30 cm lang werden kann. Es schien fast so, als würde er das Leben im Aquarium genie-ßen, und er wuchs still vor sich hin. Er war sehr friedlich. Bei der Aquariumreinigung musste ich ihn mit der Hand in die nächste Ecke schieben. Er schien an allem interessiert zu sein, was vor seiner Scheibe passierte. Jedenfalls lag er dort immer und registrierte jede Bewegung. Als er 20 cm groß war, musste etwas geschehen. Ich alarmierte meine Zoohändlerin und schilderte ihr mein Problem. Sie wusste Rat und kam mit einem großen Eimer. Wir füllten den Eimer mit Aquarium-Wasser und sie fasste den Wels an seiner Rückenflosse. Dabei muss man wissen, dass die Rückenflosse durch einen Dorn gestützt wird. Vorsicht war also angesagt. Es gelang ihr, den Wels in den Eimer zu heben. Für den großen Fisch war der Eimer viel zu klein. Im Eimer konnte er nur mit dem Kopf voraus abgelegt werden, der Schwanz befand sich außerhalb. Mein Wels ließ alles geduldig mit sich geschehen. Den Transport bestand er ebenfalls problemlos.

Was hat diese Geschichte nun mit Hagenbeck zu tun. Im Zoogeschäft konnte der Wels auch nicht bleiben, denn er wuchs weiter seinen 30 cm entgegen. Man gab ihn zu Hagenbeck. Dort gibt es genügend große Becken und immer viel zu sehen, was vor der Scheibe alles passiert. Vielleicht sollte ich ihn mal besuchen. Ob er mich wohl wieder erkennt?
aufgeschrieben im Mai 2011