Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Das Wichtige, was mir heute/gestern passiert ist von Uwe Neveling
Mir fehlen die Kirchenglocken von Fritz Schuka
Die Lochgucker von Uwe Neveling
Alles Neue ist gut . . . . . von Uwe Neveling
Der Jägerzaun von Jürgen Hühnke
Zugemüllt von Jürgen Hühnke
Wo sollen denn die Kinder spielen? von Jürgen Hühnke
Lebenstraum von Fritz Schukat
Träume von Edith Kollecker
Das merkwürdige Schlafzimmerbild von Fritz Schukat
Der verlorene Schlüssel von Uwe Neveling
Wohnküche von Johannes Arlt
Barackenleben von Annemarie Lemster
Im Himmel muss es warm sein von Annemarie Lemster
Wasser in der Wohnung, aber nicht in der Küche von Annemarie Lemster
Das Geheimnis der Kokshalde von Bernd Schwiers
Ein Zwangsaufgebot von Jürgen Hühnke
Fahrstuhl von Ingeborg Eva Witt
Steckdosen von Fritz Schukat
Wohnungsbaupolitik der US-Streitkräfte in Berlin von Fritz Schukat
Das Fenster von Uwe Neveling
Nachbarschaft von Uwe Neveling
Zeitumstellung von Uwe Neveling
Müllbeseitigung von Fritz Schukat
Das Haus der vier Elemente von Jürgen Hühnke

 

Das Wichtige, was mir heute/gestern passiert ist.

von Uwe Neveling erstellt am 02.07.2014

Morgens aufstehen, anziehen, Tiere versorgen, frühstücken. So beginnt eigentlich jeder Tag. Die liebende Gattin hat das Haus bereits verlassen. Sie muß schließlich arbeiten. Und das ist auch gut so. Ich lese die Morgenzeitung. Die schlechten Nachrichten überwiegen. Gute Nachrichten sind „bad news“, schlechte Nachrichten verkaufen sich besser, sie sind „good news“ für die Zeitungsmacher. Im Radio versucht ein Moderator fröhliche Stimmung zu verbreiten. Es bleibt beim Versuch. Seine Späße reißen mich nicht vom Küchenstuhl.

Ich gehe ins Arbeitszimmer. Ich habe tatsächlich ein Arbeitszimmer. In diesem Zimmer verbringe ich die meiste Zeit. Es ist gut ausgestattet: Viele Bücher, ein Fernseher, ein DVD- und VHS-Player und mein Rechner-System mit umfangreicher Peripherie. Dazu gehören zwei Drucker, zwei Scanner und zwei externe Brenner-Laufwerke. Ich starte meinen Rechner. Es dauert mal wieder endlos lange bis alle Programme hochgefahren sind. Das Betriebssystem ist einfach zu langsam. Da sollte sich Bill Gates mal was einfallen lassen.

Ich starte mein Kalendersystem. Ich finde folgende Einträge: Geburtstag Günther, 8 Uhr Zahnarzt, 9.30 Uhr Schreibwerkstatt. Außerdem ist heute noch das Aquarium zu reinigen, und der wöchentliche Wasserwechsel ist auch fällig. Im Garten ist die Pumpe der Teichanlage zu reparieren. Es gibt offenbar viel zu tun für einen, der nicht mehr im aktiven Arbeitsleben steht. Die Tage sind ausgefüllt und man fragt sich unwillkürlich, wie man dieses Pensum früher so ganz nebenbei schaffen konnte. Heute wollte ich noch ein Buch zu Ende lesen. Es ist das Sachbuch des Monats: Lügen im Weltraum. In dem Buch werden die Weltraumerfolge der Amerikaner und der Russen angezweifelt, vor allen Dingen die Mondlandungen. Heute Abend gibt es im Fernsehen noch eine Fußballübertragung. Mit dem Lesen wird es daher wohl nichts.

In den nächsten Tagen muss ich noch einige Termine wahrnehmen: Flughafenbesichtigung, die von der Seniorenvereinigung angestoßen wurde, Skattermin mit Freunden, für mein Fahrzeug ist die TÜV-Untersuchung fällig, außerdem sind die Winterreifen zu montieren und der Zahnarzt will mich auch wieder sehen. Haben wir heute schon Donnerstag? Wenn ja, dann ist die wöchentliche Hausreinigung fällig. Oder haben wir heute schon wieder Mittwoch? Dann muss ich für die Schreibwerkstatt noch meine Gedanken zu Papier bringen.

Heute hatte ich viele Anrufe. Ich bin Schriftführer in der Seniorenvereinigung. Der Mitgliederbestand unseres Vereins ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die Änderungen werden mir zumeist telefonisch übermittelt. Einige nutzen auch meine E-Mail-Adresse. Jeden Morgen, wenn ich meinen E-Mail-Briefkasten öffne, erhalte ich von Lyrikmail ein Gedicht. Die Gedichte stammen von bekannten und unbekannten, lebenden und nicht mehr lebenden Größen der Dichtkunst. Lyrikmail kostet nichts. Die Gedichte sind für mich ein wunderbarer Einstieg in den Tag. Heute erhielt ich folgende Verse:

Es wundert Dich, daß ein so garstig Ding,
als eine Raupe ist, zum schönsten Schmetterling
in wenigen Wochen wird: - mich wundert´s nicht;
denn wiss´, auch manche Schöne kriecht
als Raupe Morgens aus dem Bette
und kömmt als Schmetterling von der Toilette.
Aloys Blumauer
(1755-1798)

Da kommt doch Freude auf, und ein Tag kann nicht besser beginnen. Aber was ist denn nun wichtig? Es gibt viele wichtige Ereignisse in meinem Leben. Geburt, Kindheit, Schule, Beruf, Familie, Krankheit, Freunde . . . . Was war denn gestern und heute für mich wichtig? Und auf was freue ich mich morgen? Was kann das sein? Es ist das herrliche Gefühl, wenn ich morgens erwache und feststelle: Ich existiere. Ich werde gebraucht und man erwartet etwas von mir. Kann es etwas Wichtigeres geben?

 

Mir fehlen die Kirchenglocken

von Fritz Schukat 14.04.14

Vor acht Jahren sind wir aufs platte Land gezogen, haben ein altes Haus erworben in einem Dorf, in dem es etwas mehr als 2000 Einwohner gibt. Das Dorf hat absolut ländliches Gepräge, die alte Bausubstanz stammt zum Teil noch aus den Jahren vor und nach dem ersten Weltkrieg - das sind einzeln stehende Häuser, Stein auf Stein hochgemauert, vielleicht auch nur geklinkert, großflächig verputzt, mit wärmedämmenden kleineren Fenstern und nachträglich eingebauter Zentralheizung versehen, eben nachträglich modernisiert. Irgendwo stehen auch neue Häuser nebeneinander, auf Neubauflächen, die eigentlich gar nicht zum Dorf gehören, es gibt auch ein paar 2-stöckige Wohnhäuser mit Spitzdach, richtige Fremdkörper, aber es gibt keine Kirche!

Ich bin kein Kirchgänger, aber zu einem Dorf gehört eine Kirche und ein Friedhof, das gibt es nicht bei uns. Und fragst Du Altein-gesessene, dann gibt es ein Achselzucken oder eine (fast) witzige Antwort: „...wir wollten keine“.

Im Nachbarort gibt es eine evangelische Kirche, 6 km entfernt. Der Pfarrer von dort versorgt mehrere der umliegenden Gemeinden, in denen ebenfalls die Ortskirche fehlt. Mir fallen noch drei weitere Dorfnamen ein, sie liegen abseits der Haupt- oder Durchgangsstraßen, eigentlich mitten in der Landschaft versteckt. Waren das arme Torfsiedlungen, dass sie sich keine eigene Kirche leisten konnten? Es hat den Anschein.

27 Jahre lang wohnten wir in Norderstedt in Sicht- und Hörweite einer kleinen Stadtkirche, die nur zwei Glocken hatte, aber sie schlugen zu bestimmten Zeiten an und gehörten zu den vertrauten Geräuschen unserer Nachbarschaft.

Ich vermisse dieses Glockenspiel sehr.

 

Die Lochgucker

von Uwe Neveling

Wir werden an das Glasfasernetz angeschlossen. Danach soll alles einfacher und schneller gehen. Die Vorarbeiten waren grabungsintensiv. Zuerst wurde die Straße aufgerissen und Leerrohre verlegt. Im anzuschließenden Gebäude wurde von innen nach außen ein Wanddurchbruch zur Aufnahme eines weiteren Leerrohrs gebohrt. Es wurde die allerneuste Technik eingesetzt. Man ersparte sich das Graben von der Straße zur Hauswand. Ein mit Pressluft und Öl betriebener Bohrmaulwurf (so nenne ich das Gerät) grub sich durch das Erdreich. An der Straße und am Haus wurden so genannte Kopflöcher ausgehoben. In das Kopfloch an der Straße wurde der Maulwurf eingesetzt. Ein dieselbetriebener Pressluftmotor sorgte sodann für den Vortrieb. Zuvor wurde die Richtung zum Zielloch exakt festgelegt. Den Rest besorgte dann die Technik.

Wenn alles gut geht, dauern diese Arbeitsschritte maximal zwei Stunden. Nur bei uns ging nicht alles gut. Bei der Aushebung des Straßenkopflochs wurde das Stromkabel getroffen. Wer jetzt Strom brauchte, hatte keinen. Die mit dem Aushub beschäftigten Mitarbeiter (es waren zwei) stellten die Arbeit sofort ein und alarmierten die Stadtwerke. Nach einer halben Stunde rauschten zwei mit Technik ausgestattete Fahrzeuge heran. Die fachlich versierten Stadtwerker schauten sich das Loch an. Einer von ihnen breitete die Arme aus. Ich beobachtete diesen Vorgang vom Küchenfenster aus. Später erfuhr ich, dass damit die Größe des Lochs angedeutet wurde. Die Seitenlänge sollte 1 m betragen und die Tiefe ebenfalls 1 m. Mit Stange und Schaufel rückte man dem Ungetüm zu Leibe. Ein Stadtwerker überprüfte die Maße, stieg in das Loch und schickte nach einer Weile eines der Fahrzeuge zum Werkhof.

Jetzt tat sich etwas Entscheidendes. Die vom Stromausfall betroffenen Haushalte schickten ihre Männer zum Loch. Die Nachbarschaft versammelte sich um das Loch. Man blickte in das Nichts und staunte darüber, was man alles sah bzw. was man nicht sehen konnte. Kurt Tucholsky hat das Loch beschrieben. Er sagt u.a.: „Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. . . . Loch ist der ewige Kompagnon des Nicht-Lochs. Loch allein kommt nicht vor. . . . Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand“. Und das sahen sich die Lochgucker aus der Nachbarschaft an und zogen sich danach wieder in ihre Behausungen zurück. Ob es dem Loch geholfen hat, weiß ich nicht.

Der Werkstattwagen kam zurück. Die Schadenstelle wurde ummantelt und isoliert. Wir hatten wieder Strom, und die Anschlussarbeiten konnten fortgesetzt werden. Ich glaube nicht, dass die Erdlocharbeiter bei ihrer Tätigkeit an das Lochexposee von Kurt Tucholsky gedacht haben. Dabei sind das dem Thema angemessene, tiefschürfende Gedanken: „Wenn ein Loch zugestopft wird, wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? Oder läuft es zu einem anderen Loch und klagt ihm sein Leid? Wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das – unser Wissen hat hier eines“.

 

Alles Neue ist gut . . . . .

von Uwe Neveling erstellt am 15.08.2013

„Wir müssen unser Bad renovieren“. Mit dieser Nachricht überraschte mich meine Frau im Dezember kurz vor Weihnachten. „Und wie soll das geschehen?“ fragte ich sie. Ich ahnte Fürchterliches. Dazu muss man wissen, dass ich das Bad als Bestandteil meines morgendlichen Aufstehprozesses betrachte. Danach benötige ich es nicht mehr. Der augenblickliche Zustand genügte meinen Ansprüchen vollkommen. Meine Frau murmelte irgendetwas von Wellness und täglicher Ruhephase im Nassbereich.

Wie gesagt, ich ahnte Fürchterliches. Ich versuchte, die Renovierungswut meiner Frau etwas einzudämmen. Man könnte dünne Fliesen auf die alten kleben, die Duschkabine erneuern, die Wanne reparieren und alles andere so lassen, schlug ich vor. Meine Frau würdigte mich keines Blickes, griff zum Zollstock, vermaß unser Badezimmer und zeichnete einen Grundriss. „Alles muss raus, denn nur alles Neue ist gut“ sagte sie. Meine Vorschläge wurden als unsinnig abgetan.

Anfänglich beteiligte ich mich noch an der Planungsphase. Wir besuchten einige Bädergeschäfte. Ich suchte dabei besonders teure Fliesen, Duschen und Schränke aus und hoffte, dass der hohe Preis meine Frau abschrecken würde. Weit gefehlt. Je höher der Preis, umso edler die Ausstattung. Das gefiel meiner Frau. Ich gab auf und überließ ihr die Auftragsvergabe. Im Ort fand sie einen Bäderspezialisten, der voll auf ihre Wünsche einging. Er schlug noch einige Verbesserungen vor, die sie dann auch noch akzeptierte. Die Verbesserungen trieben den Preis weiter in die Höhe. Von den Handwerkern wurde ich später als Mann von der Frau angesehen, der nichts zu sagen hatte. Das amüsierte mich, denn ich hatte ja nun wirklich nichts zu sagen. Ich übernahm die Rolle des Beobachters. Ende Januar begann die große Heimsuchung. Die Fliesen wurden von den Wänden und vom Boden abgeschlagen, Dusche und Badewanne entfernt und Strom- und Wasserleitungen verlegt. Lärm und Staub gehörten jetzt zu meinem täglichen Leben. Und ich lernte immer wieder neue Handwerker kennen. Es gab Fliesenleger, Klempner, Elektriker, Maler und Schreiner. Als die Wände aufgestemmt wurden, hatten in unserer Siedlung alle was davon. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ganz schlimm wurde es als Kabel- und Leitungs-Schächte in die Wand gefräst wurden. Erst nach einer Woche kehrte relative Ruhe ein. Es wurde gefliest.

Zwischenzeitlich lichtet sich das Chaos. Schlafzimmer und Arbeitszimmer sind wieder zugänglich. Wir leben aber immer noch im Keller. Hier können wir uns duschen und uns reinigend pflegen. Es stört uns nicht, wenn neben der Duschkabine Waschmaschine und Wäschetrockner rotieren und Gasuhr und Stromzähler summen. Damit lässt sich leben und es stellt sich die Frage: Ist alles Neue wirklich gut? Freunde haben sich bei mir nach dem Fortschritt der Arbeiten beiläufig erkundigt. Man bedauert mich und meint aber, dass mir das neue Bad später wohl auch gefallen wird. Sie sind alle neugierig und wollen unsere neue Badkultur möglichst bald besichtigen. Meine Aufgabe wird es sein, den Besichtigungstourismus zu planen und durchzuführen. Darauf freue ich mich schon.

 

Der Jägerzaun

von Jürgen Hühnke

Bauherren haben es schwer, da der deutsche Amtsschimmel, eine verfeinerte Spezies der Gattung Stubenhengst, zunehmend auf Futter aus ist. Als ich mich noch vor dem Status des Häuslebauers befand, hatte sich meine Familie in einer Reihenhaussiedlung eingemietet und traf als Nachbarn zur Linken auf das alte Ehepaar E., das da als Eigentümer lebte und den Garten genoss. Das war eine kollektive Rasenfläche von etwa 600 Quadratmetern für fünf Parteien.
Eines Tages juckte es den Herrn E., sein nur auf dem Papier sichtbares Grundstückseigentum nach deutscher Sitte einzuzäunen. Man sagt ja, die Russen hätten sich am Teutonenwort „Garten" ein Vorbild genommen und daraus ihr Wort für Stadt, gorod, gebildet, weil auch sie so eingehegt wurde wie ein deutscher Garten.
Also fuhr Herr E. in ein Holzhandelsgeschäft, erwarb dort die nötige Menge von Bauelementen für einen Jägerzaun und baute diesen handwerksgerecht um seinen Rasenanteil.
Kaum stand das Prachtstück einige Tage, schon kam ein Schrieb von der Behörde des Inhalts, er habe den Bestimmungen des B-Plans zuwider gehandelt und müsse daher wenigstens nachträglich einen Bauantrag einreichen. Das parierte mein Nachbar mit der schriftlichen Bitte, ihm seine Baumaßnahme Jägerzaun genehmigen zu wollen, und bekam zur Antwort, es fehle eine detaillierte Baubeschreibung samt Zeichnung 1:100 !
Dass Letzteres so gut wie nicht zu bewerkstelligen war, wird jeder einsehen, der sich die Darstellung eines Jägerzauns von etwa 1,50 m Höhe in nur einprozentiger Größe auszumalen wagt. Er wird feststellen, dass so etwas wie ein extrem schmaler Streifen Fliegengitter entstehen muss - den ich für Herrn E. dann auch zu Papier brachte.
Die andere Aufgabe in ihrer grenzenlosen Albernheit nahm sich aus wie eine von einem übellaunigen Studienrat gestellte Strafarbeit. In einer nicht minder grenzenlosen Albernheit formulierte ich - als reine Stilübung - eine Ein-Satz-Definition. Die sah ungefähr so aus:
„Als Jägerzaun wird eine beliebte Form der Einhegung von Grundstücken, namentlich von Gärten, bezeichnet, bei der im ersten Arbeitsschritt auf die Grenzlinie in regelmäßigem Abstand, im vorliegenden Falle von 2 Metern, hölzerne, imprägnierte Rundpfosten gesetzt werden, auf die im nächsten Arbeitsgang gleichermaßen vorbehandelte, je 10 cm unterhalb der Gesamthöhe und oberhalb des Erdbodens parallel verlaufende Fichtenholzbänder aufgenagelt werden, welche wiederum als Grundfläche zur Befestigung von stäbchenförmigen Hölzern dienen, herausgeschnitten aus vertikal halbierten, geschälten, gleichfalls imprägnationsbehandelten Fichtenstammspitzen und durch Nagelung auf die Tragekonstruktion aufgebracht, und zwar dergestalt, dass ein geschrägtes Gitterwerk entsteht, bei dem nämlich die Brettchen, die zur Zier am oberen und unteren Ende in einer 60:120-Gehrung zugespitzt sind, in relativ kleinem Abstand zueinander in einer ersten Lage um 60° nach einer und in einer zweiten Lage symmetrisch dazu in der Gegenrichtung geneigt werden, worauf die gesamte Anlage zum Schluss einen Anstrich mit Karbolineum erhält."Ob der Amtsschimmel darüber hat wiehern können, bleibt hinter seinen Dienst-raumwänden; jedenfalls kam die Baugenehmigung prompt.

 

Zugemüllt

von Jürgen Hühnke

Viele neue Wörter der Jugendsprache wie zum Beispiel der Begriff „zumüllen", in Etappen über „zuquatschen" und „zulabern" entstanden, strotzen so herrlich vor lauter Bildhaftigkeit. Die Wortschöpfer selbst aber gehören paradoxerweise zu jenem Kreis, aus dem andere Zeitgenossen bevorzugt „zugemüllt" werden - nämlich mit jedem getwitterten Rülpser oder Furz, den sie über die gesamte communify „Facebook" auskippen, wie man denn dort ja überhaupt kein face" gewinnt, sondern eher sein kleines bisschen Gesicht verliert.
Da ist es nur gut, dass der Müll solcher digitalen Daten wenigstens per mouseclick gelöscht werden kann. Beim analogen Müll dagegen muss man schon einigen Aufwand betreiben. So verbringe ich an Sonntagnachmittagen nicht wenig Zeit damit, allein die viele Reklame, die sich mit den abonnierten Zeitungen und als Beilage zu den kostenfreien Wochenschriften ansammelt, und darüber hinaus die Verpackungen für das, was sich die (erwachsenen) Kinder via zalando, e-bay oder amazon sowie über den Pizzaservice ins Haus kommen lassen, in die Tonnen zu stopfen - ja, Plural: Ich habe zwei Blaue Tonnen nötig für die Unmengen wöchentlich anfallenden Zellstoffmülls!
Früher einmal dienten ausgelesene Zeitungen noch zum Anheizen von Kachel- oder Kanonenöfen und fanden, handlich zerkleinert, Verwendung zu analhygienischen Zwecken. Vor gut sechzig Jahren hörte das auf, seit die steißschwärzenden Riesenlettern von BILD und MORGENPOST auf dem Markt sind. Zudem hat auch die Verbreitung von Plumpsklos erheblich nachgelassen. Und die Ortsstatuten verbieten das Verbrennen von Papier in den Gärten, sogar zu Ostern, weil die Piloten der vielen herumkurvenden Flieger solche Brände irritiert mit Landesignalfeuerchen verwechseln könnten. Ergo bleibt eigentlich nur das Recycling.
Et violá, wieder ist ein Textentwurf zu Papier gebracht. Das Din-A-4-Blatt kommt dann am Sonntag in eine der Blauen Tonnen.

 

Wo sollen denn die Kinder spielen?

von Jürgen Hühnke

„Grundstück direkt am Wald", hatte die Maklerin annonciert, „rd. 1050 qm à 19,- DM." Das war 1966 ein gerade noch tragbarer Preis für ein Ehepaar mit Bausparvertrag, das der großstädtischen Mietmisere zu entkommen suchte. Hier quasi draußen auf dem platten Land, in einem noch relativ weitläufig bebauten Ortsteil, auf einem alten Erdbeerfeld, über das abends manchmal noch die Rehe sprangen, wollten wir uns niederlassen. Der Weg, der zum erworbenen Areal führte, war bisher nur eingeebnet, mehr nicht, aber, wie uns B-und F-Plan vorgaben, würden wir mit dem Bau der Straße nicht lange warten müssen.
Ringsum lebten hier und da - und alsbald zunehmend - weitere Menschen, zumeist auf ähnlich großen Flächen; nicht wenige auch gab es, die sich schon vor Jahrzehnten in die seit 1806 auf Heideboden entstandenen Forsten hineingefressen hatten. Nachdem wir langsam heimisch geworden waren, brach eine Zeit an, in der all überall so genannte Bürgerinitiativen mit apodiktisch formulierten Forderungen auf den Plan traten. Hier waren es besonders Leute, die für ihr eigenes Forstgrundstück Unmengen an Bäumen weggerodet hatten, nun aber plötzlich, den Schutz der Wälder auf den Panieren, die weitere Besiedelung ihrer Nachbarschaft zu unterbinden trachteten.
Als ihnen die Politiker die Straßen hatten bauen lassen, die sie als Heimweg brauchten, forderten sie umgehend Geschwindigkeitsbegrenzungen, möglichst „Tempo 30", wenn nicht die Ausweisung als „Spielstraße".
Fuhren sie eigentlich im eigenen Auto in der eigenen Straße in angemessenem
Tempo? Naja, Papi wird wohl vor dem eigenen Haus zögernd fahren, hinter dessen Tür er den Hausdrachen mit dem Nudelholz fürchtet. Das St.-Florians-Gesetz jedoch tritt
gleich in der nächsten Straße in Kraft: Dort fährt Papi wie die anderen. Da wurde doch 1970 gerade vor der Grundschule vom Anrainer Z. lauthals „Tempo 30" verlangt, nachdem einige Tage zuvor das Käseblatt berichtet hatte, dieser Z. sei innerhalb des Ortsteils mit 90 km/h geblitzt worden.
Das Lieblingsargument all dieser Aktivisten lautete: „Wo sollen denn unsere Kinder spielen?" Wenn ich so zurückdenke: Wir früher spielten zum Beispiel in Wäldern Fangen oder „Räuber und Gendarm". Und hier hätten die Gören gleich hinter dem Haus Waldflächen in Dutzenden von Hektar! Naja, es war nicht ausgeschlossen, dass sie dort einem Jogger mit unangeleintem Pitbull, Ridgeback oder Jack Russet begegnen könnten.
Und wie wär's mit dem riesengroßen Garten? Um Himmels willen, die schöne landschaftsgärtnerische Anlage, die Rosen, der gepflegte Rasen! Bleibt doch tatsächlich die Frage: Wo nur sollen denn die Kinder spielen? Naja, natürlich auf der Straße! Ein Fußball springt doch nirgendwo sonst so gut wie auf dem Asphalt!

 

Lebenstraum

von Fritz Schukat erstellt am 07.10.2012

Klingt hochtrabend, gibt es aber heute noch, wenngleich das keiner spontan und öffentlich zugeben würde. Man möchte gern etwas mehr sein, mehr besitzen und überhaupt, aus seiner Haut irgendwie raus. Aber das geht eben nicht so ohne weiteres. Deshalb hat wohl auch jeder einen oder gar mehrere dieser Lebensträume, von denen man nur nur ahnt sondern definitiv weiß, dass sie nie in Erfüllung gehen. Aber das Streben danach sollte man nie aufgeben, dann gibt man sich nämlich auch gleich selbst mit auf.
„Mein Auto - mein Boot - mein Haus“ so trumpft in einem kindischen Video-Spot ein junger Kerl mit entsprechenden Fotos bei einem anderen auf. Wenn es doch so einfach ginge. Das ist mit anderen Worten die Zusammenfassung des uralten Spruchs „Ein Mann muss einen Baum pflanzen, einen Jungen zeugen und ein Haus bauen.“ Zwei Drittel davon kann man sich ohne große Anstrengung erfüllen. Steck' 'ne Kastanie in den Waldboden und schaue 20 Jahre lang nach. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass daraus dann ein großer Baum wird. Das mit dem Jungen ist so eine Sache, auf jeden Fall hat „Mann“ eine 50-prozentige Chance. Es müssen ja nicht gleich, wie bei meinem Frankfurter Schwager, drei Mädchen hintereinander rausgucken! Und dann die Sache mit dem Haus. Da beginnt dann schon der Lebenstraum.

Fangen wir mal an. Ich komme aus Berlin - genauer gesagt sogar aus Neukölln. Gut, damals als ich noch dort wohnte, vor rund 50 Jahren, gab es noch kein Ausländerproblem, über das sich der Bürgermeister hätte Sorgen machen müssen. Wer dort lebte, gehörte zur Arbeiterklasse, war im schlichten Sinne des Wortes „arm“. Dort wohnten überwiegend fleißige Arbeiter und kleine Angestellte, die es in ihrem Umfeld meistens zu einer netten Wohnung mit Nierentisch und Cocktailsesseln inklusive Fernsehapparat und Radiotruhe mit eingebauter Bar gebracht hatten. Starben die Eltern, erbte man ein kleines Sparbuch, dessen Guthaben dann mit den Geschwistern noch zu teilen war. Aber Reichtümer waren das nicht. Ein Haus zu bauen, war unmöglich. Man hätte Berlin verlassen müssen, denn in den 1960/70er Jahren gab es in Berlin kaum noch Bauland und wer wollte denn nach Westdeutschland ziehen, um sich „in der Walachei“ niederzulassen? Lebenstraum hin - Lebenstraum her - Häusle bauen, als Berliner Arbeiterkind? Nur „wenn ick im Lotto gewinne!“

Meine ältere Schwester heiratete einen Maurerpolier. Der baute sich mit einem Kumpel in Britz, einem Unterbezirk von Neukölln, ein Doppelhaus. Bei denen gab es bessere Voraussetzungen nach dem Motto: „...an der Quelle sitzt der Knabe!“ Sechs Kinder hatten sie, zwei Mädchen, zwei Jungen und danach dann wieder zwei Mädchen. Inzwischen residiert die Familie in Franken, wo sie auf dem vom Schwiegervater geerbten Aussiedlerhof eine Schweinemast betrieben. Das machen nun die Jungen weiter.

Die jüngere Schwester betrieb mit ihrem Mann seit Mitte der 1960er Jahre am Stadtrand von Berlin in dörflicher Umgebung eine Art Ausflugslokal mit Biergarten und einem kleinen Häuschen hinter den Hauptgebäude. Das war zwar gemietet, aber auf Lebenszeit. Bauen mussten sie also nicht unbedingt. Sie hatten keine Kinder. Der Schwager ist kurz nach der Wende verstorben. Die Schwester betrieb das Lokal dann noch rund 16 Jahre weiter. Sie starb vor zwei Jahren. Das Lokal und das Hinterhofhäuschen wurden abgerissen. An dieser Stelle steht jetzt ein Haus, das schon vor 20 Jahren geplant war, aber nicht vollendet werden konnte. Nichts erinnert mehr daran, dass einmal an dieser Stelle ein Ausflugslokal gestanden hat.

Meine Frau kommt aus Frankfurt/Main, auch nicht gerade aus einer begüterten Familie. Sie hatte drei - eigentlich vier Geschwister, eines war noch im ersten Lebensjahr gestorben. Schwiegermutter zog die Gören allein auf, der Mann war im Krieg geblieben. Zweimal ausgebombt, schaffte sie es gerade noch zu einer Notbehelfswohnung und nachdem die Kinder raus waren, mietete sie sich eine kleine Neubauwohnung in einer der vielen angrenzenden Satellitenstädte, wie sie in den späten 1950er Jahren um alle großen und mittelgroßen Städte Westdeutschlands entstanden. Ihre ältere Schwester lebte mit ihrem Mann in einer günstigen Firmenwohnung in einer Nachbarstadt. Auch diese Ehe blieb kinderlos. Die Ehe wurde schließlich geschieden. In den 1990er Jahren baute sie sich mit ihrem zweiten Mann in der Nähe von Berlin ein wunderschönes Haus. Fast 20 Jahre genoss sie ihren Lebenstraum in großzügigem Ambiente. Sie verstarb vor wenigen Monaten.

Schwester Nummer zwei heiratete einen Polizeibeamten, der sich schon deshalb kein Haus hätte leisten können, weil er möglichst dicht bei der Einsatzstelle wohnen wollte. Und das war eben auch nur in einer städtischen Siedlung möglich. Sie hatten drei Kinder - alles Mädchen! Noch vor seinem 50. Geburtstag starb er. Nachdem die Kinder ausgezogen waren, heiratete die Schwester erneut und bezog mit ihrem zweiten Mann weit weg von Frankfurt ein wunderschönes fast neues Haus im Bauernstil.

Und wir? Im Außendienst muss man flexibel sein. Ein Haus ist da schon sowas wie ein Klotz am Bein. Wer mehr erreichen will, muss beweglich sein. Ich habe mich von Celle über Mainz nach Hamburg positionsmäßig stets verbessert, aber es hätte auch noch weiter gehen können. Daher wohnten wir fast 30 Jahre in einer recht großen, gut geschnittenen Mietwohnung in einem Vorort von Hamburg.

In Hessen hatte ich meine Frau kennengelernt und in der Nähe von Mainz geheiratet. In den 1970er Jahren war mit klar, Mainz würde nicht mein finaler Einsatzort bleiben. Ich wollte noch etwas erreichen, daher kamen wir gar nicht auf die Idee, dort zu bauen oder uns einzukaufen. Als es dann aber soweit war, dass wir nach Hamburg umziehen sollten, studierten wir die Zeitungen. Ich schaute mir auch Baustellen im Hamburger Umland an. Aber ohne Eigenkapital war nichts zu machen, auch wenn mein Dienstherr eine recht gute Unterstützung bereitgestellt hätte. So blieb es bei dem Häusle-Wunsch, wenngleich meine Frau noch jahrelang die Immobilienseiten in den Sonntags-ausgaben der regionalen Presse studierte. Langsam verblasste der Wunsch nach den eigenen vier Wänden, aber er war unterschwellig noch vorhanden - jedenfalls bei meiner Frau!

Wundersame Dinge passieren immer wieder einmal. So erfuhr sie über einen persönlich bekannten Makler von einem älteren Haus in einem Dorf in der Nähe von Bad Bramstedt. Da sie auch aus beruflichen Gründen in der Materie steckte, ließ sie sich einen Finanzierungsplan erstellen, der merkwürdigerweise gut auf uns passte. Wir kauften das Haus.

Jetzt wohnen wir nun schon seit sieben Jahren in dem großen Haus, haben zwei Katzen und der ältere Sohn kommt alle 14 Tage zu uns, um hier sein Wochenende zu verleben. Wir haben uns im Dorf integriert, nehmen am dörfliche Leben teil und fühlen uns ausnehmend wohl. Wir sind nun noch weiter weg von Hamburg und können an dem dort gebotenem kulturellen Leben nicht mehr so ganz teilhaben, aber was soll's? Wir sind jetzt schon so alt, dass solche Ausflüge doch nicht mehr zu unserem täglichen Leben gehören.

Manchmal denke ich, die Wohnung, die wir 27 Jahre lang bewohnten, hätte es doch auch gemacht. In den 4 Zimmern auf knapp 100 qm haben wir uns nicht umgerannt. Aber die Wohnung lag im zweiten Stockwerk und das Haus hatte keinen Fahrstuhl. Daher bin ich froh, dass wir hier alles auf einer Ebene haben. Die Einliegerwohnung im Obergeschoss sehe ich alle Monate einmal - wenn es hoch kommt. Letztlich ist hier jetzt alles paletti, so wie wir es uns gewünscht hatten.

Ein Lebenstraum, in jungen Jahren schier unmöglich, wurde dann doch noch wahr.

 

Träume

von Edith Kollecker erstellt im März 2013

Mein Traum war ein eigenes Bett und einen eigenen Raum. Bis dahin war es aber ein weiter Weg.
Noch in Pommern hatte ich meinen Schlafplatz im Ehebett meiner Mutter. Damals 5 jährig war es für mich in Ordnung. Als meine älteste Schwester auszog, wurde mein Schlafplatz der nächsten Schwester zugeordert. Auch dort fühlte ich mich wohl, denn meine Schwester war schwanger und jeden Abend zeigte sie mir lauter kleine Sachen für das kommende Baby. Ein Kinderbettchen wurde in eine Ecke gestellt und unser Bett, durch die Schwangerschaft, wurde immer enger.
Dann war das Baby endlich da. Es brachte Unruhe in unser Bett. Oftmals schliefen wir drei zusammen in dem Bett und es war für mich auch OK, denn ich kannte ja nichts anderes. Es änderte sich erst, als wir unsere Flucht antraten. Ich war zu der Zeit 10 Jahre alt.

Nun waren wir nicht mehr 2 Personen im Zimmer, sondern mit circa 50 Personen in Schulen, Sporthallen oder auch in Kuhställen eingepfercht. Auch das habe ich gut überstanden. In der neuen Heimat angekommen, musste ich mir ein Zimmer mit der Tochter des Bauern teilen, dem ich zugeteilt wurde. Immerhin ein Fortschritt, denn ich hatte jetzt ein eigenes Bett. Als mein Vater aus dem Krieg kam, zogen meine Eltern auf ein kleines Gut. Sie bekamen
dort ein Zimmer und holten mich zu sich. Ein Zimmer in dem gekocht, gewaschen und geschlafen wurde und ich wieder mitten drin. Wenn meine Eltern sich abends noch unterhielten, zog ich mir die Decke über den Kopf, denn ich brauchte meinen Schlaf, um morgens meinen langen Schulweg anzutreten. Als mir eine Frau vom Nebenraum ein Buch schenkte, entdeckte ich die Freude am Lesen. Es war ein ziemlich dünner Roman und ich habe ihn bestimmt 5 mal gelesen.

Zurück aus der Schule, schnappte ich mir als erstes die Zeitung, um den spannenden Fortsetzungsroman zu lesen. Später bekamen wir die Lesemappe, darin waren viele Zeitschriften enthalten. Dass sie schon 4 Wochen alt waren, durch viele Hände gegangen, hat mich nicht gestört. Was interessierten mich die ausgeratenen Rätsel oder Kochrezepte die teilweise ausgerissen waren, wichtig waren nur die Fortsetzungsromane, die ich jede Woche entgegen fieberte. Als die nette Frau neben uns auszog, schenkte sie mir nicht nur ihre Bücher, sondern ich bekam auch ihr Zimmer, herrlich. Leider war es nicht so wie in meinen Träumen, es entpuppte sich als Futterkammer.

Wir schrieben das Jahr i946, jeder war froh ein Dach über dem Kopf zu haben, alles war erlaubt. Das kleine bleiverglaste Fenster war ziemlich hoch oben angebracht und lies sich auch nicht öffnen. Noch schlimmer war allerdings die Lampe oben an der Decke, die ein erbärmliches Licht spendete. Leider musste ich die auch noch von außen ausknipsen. Um nach meiner Lesestunde nicht nochmal aufzustehen, kam ich auf die ldee, einen Stuhl mit einer Kerze neben meinem Bett zu stellen. Die Freude dauerte nicht sehr lange, ich
war einmal beim Lesen eingeschlafen und die Kerze hatte den Stuhl angekokelt. Zuerst konnte ich es noch verheimlichen, doch meine Mutter hatte die Angewohnheit manchmal in meinen Sachen zu schnüffeln. Das mit der Kerze war also tabu, sie machte mir aber das Angebot mein Licht zu löschen, bevor sie ins Bett gehe. Das hatte allerdings den Nachteil, dass es mit einem Mal dunkel war, bevor ich den spannenden Absatz zu Ende gelesen hatte. Mir blieb nichts anderes übrig als weiter zu träumen und in den Schlaf zu gleiten.

Ein paar Jahre später zog ich nach Schleswig Holstein, hatte bei einer Familie mit 5 Kindern einen Schlafplatz im Wohnzimmer, mit Klappbett. Ich konnte mein Bett erst aufschlagen, wenn alle anderen das Zimmer verlassen hatten.
Jetzt hatte ich endlich die Nase voll, ich suchte mir ein Zimmer bei einem älteren Ehepaar. Arbeitete in einer Fabrik und mein Traum vom eigenen Zimmer und eigenem Bett, hatte sich erfüllt. Wir profitierten auch gegenseitig davon, ich bekam öfter mal von dem Ehepaar etwas zu Essen, dafür habe ich ihnen beim Saubermachen geholfen. Das Ehepaar war, obwohl schon 80 Jahre alt, sehr tolerant und aufgeschlossen, mein damaliger Freund und späterer Ehemann musste nicht unbedingt um 10 Uhr mein Zimmer verlassen.
Nach unserer Hochzeit bekamen wir sogar noch ein Zimmer dazu. Jetzt waren wir schon 2 Personen, die den Traum hatten, ein eigenes Haus mit eigenem Bett zu besitzen. Es dauerte allerdings noch 5 Jahre, bis dieser Traum in Erfüllung ging.

 

Das merkwürdige Schlafzimmerbild

von Fritz Schukat 2004

Mein Vater lebte in den Nachkriegsjahren in Berlin-Neukölln mit unserer Stiefmutter in einer ganz kleinen Hinterhof-Wohnung, die nur aus Küche, Wohnzimmer, Flur und einem schmalen, dunklen Raum bestand, in dem sich das Klo befand. Man konnte sich dort kaum drehen, deshalb spielt es in meiner Erinnerung auch kaum eine Rolle. Vater hatte mit handwerklichem Geschick aus dieser Behausung ein ansehnliches Zuhause gemacht, aber die Räume konnte er auch nicht größer machen.
Wir Kinder wohnten aus Platzmangel noch einige Jahre bei den Großeltern. So war das eben damals. Aber weil sich die Familien noch bis in die späten 1950er Jahre nicht weit von einander entfernten, wohnten viele Tanten, Onkel und andere Verwandte in der Nähe und man konnte sich noch zu Fuß besuchen. Und feiern konnte man damals auch recht ordentlich, selbst in den kleinsten Hütten. Meist waren es ja die Geburtstage, die man mal hier und mal dort feierte. Und es floss auch immer reichlich Alkoholisches, wenn auch nicht bis zum Abwinken, denn Schnaps war seinerzeit in Berlin fast steuerfrei und kostete deshalb auch nur wenige „Märker“.
Wieder mal war bei Vatern und Lotte Geburtstagsfeier. Man kam zum Kaffeetrinken, „Blümchen“ nannte man das braune Zeugs verächtlich, weil es so dünn war, dass man den Boden sehen konnte, aber die Buttercreme-Torte war vierstöckig und der Streuselkuchen triefte regelrecht. Zucker und Margarine waren reichlich drinnen und dann gab’s noch kalte Ente aus Leibnizkeksen und Schokoladenguss. Abschließend wurde dann für die Damen Eierlikör oder Bommi mit Pflaume serviert, für die Herren gab es natürlich die härteren Sachen, wie „Chantré“ oder so. Wir jungen Leute durften mal einen Eierlikör, aber nur ganz wenig! Anschließend gingen wir dann auf die Straße oder spielten in der Küche Karten oder sonst was, jedenfalls feierten die Jungen und die Alten eigentlich immer getrennt.
Länger als bis neun oder gar zehn Uhr wurde aber nicht gefeiert. Lotte räumte die kleine Wohnung auf und putzte noch in der Küche. Die Snapcouch war schon schlaffertig aufgeklappt, aber Vater setzte sich erst noch auf einen Stuhl, wo er dann für ein paar Minuten einschlief.
In dem Wohnzimmer, das sich also nachts in ein Schlafkabinett verwandelte, hing über dem Sofa ein Riesenbild. Ich weiß allerdings kaum noch Einzelheiten der Darstellung. Ich meine, es war ein dunkles Waldmotiv mit einem großen Tier, wohl einem Hirsch darauf. Wahrscheinlich war es doch ein Schlafzimmermotiv.
Das Bild war etwa eins-fünfzig lang und einen halben Meter hoch, an den Ecken schräg abgestumpft, hatte einen recht breiten, biederen Goldrahmen und war verglast. Das Ganze muss also schon ein recht stattliches Gewicht gehabt haben. Hinten befand sich ein dickes Hanfseil, das an den Seiten irgendwie angenagelt war. An diesem Seil war es aufgehängt und austariert worden. Dazu befand sich ein Wahnsinnshaken in der Mauer, der wohl einst mit einem Vorschlaghammer dort eingeschlagen wurde. Eigentlich war das also doch eine recht sichere Sache. Ich mochte dieses Bild nie richtig leiden, ich fand es furchtbar, vor allem, weil es nach meiner Meinung nichts in einem Wohnzimmer zu suchen hatte. Aber wo sonst hätte Lotte es denn hinhängen sollen?
Wenn sich die beiden zur Nachtruhe hinlegten, schlief mein Vater immer an der Wand, direkt unter dem Riesenbild. Wieso er sich nicht schon hinlegte, wie er es sonst eigentlich immer getan hatte, konnte er später nicht sagen. Plötzlich habe in der Tür eine schwarz vermummte Gestalt gestanden, habe reingeguckt und ihn mit einem knöchernen Finger zu sich gelockt. Mit einem Mal habe er ‚Gevatter Hein’ erkannt, konnte sich aber nicht bewegen, nur mit dem Kopf schütteln. Als sich die Figur auflöste, gab es einen dumpfen Schlag und Glas zersplitterte.
Mein Vater erwachte aus seinem Minutenschlaf und Lotte kam lamentierend in das Zimmer. Beide standen da wie angenagelt und blickten in Richtung Sofa. Das Bild war heruntergefallen, der Rahmen zerbrochen und die Glasscheibe war in Tausend kleine Scherben zerborsten.
Hätte sich mein Vater - wie er es gewohnt war - schon zum Schlafen hingelegt, das Bild hätte ihn zumindest schwer verletzen können. Das Hanfseil war an der Aufhängung durchgescheuert und deshalb gerissen. Passieren konnte dies wohl deshalb, weil damals durch die Straße noch die „Elektrische“ fuhr, sagen wir eher ‚rumpelte’ und die Mauern unbemerkt vibrierten.
Die Stelle, an der das Bild hing, konnte man auf der Tapete noch etliche Monate später ausmachen, mein Vater beeilte sich aber, das Wohnzimmer zu renovieren.
Über dem Sofa wurde jedoch nie mehr ein Bild aufgehängt.

 

Der verlorene Schlüssel

Uwe Neveling

An diesem Morgen war ich ganz früh aufgestanden. Die Nacht war mal wieder sehr kalt gewesen. Ich war in Eile. Ich musste noch schnell den Müll entsorgen, schnappte mir den Müllbeutel und öffnete die Haustür. Um zu verhindern, dass die Katzen hinter mir her liefen (was sie immer wieder gerne taten), zog ich die Haustür ins Schloss. Raus konnte jetzt keiner mehr, und rein? Ich griff in meine Hosentasche, um den Haustürschlüssel herauszuholen. Doch da war nichts. Auch an meine Autoschlüssel kam ich nicht ran. Die hingen nämlich am selben Schlüsselbund.

Die Katzen hatten sich zwischenzeitlich ins Wohnzimmer zurückgezogen und blickten mich freundlich aus einer ebenfalls verschlossenen seitlichen Glastür an. Ihre kleinen Mäuler öffneten sich, als wollten sie sich mit mir unterhalten. Für sie war die Welt in Ordnung, für mich jedoch nicht. Wo war nur der verdammte Schlüssel. Ich überlegte. Jetzt fiel es mir wieder ein. Ich hatte den Schlüssel, bevor ich zum Mülleimer, ging auf den Küchentisch gelegt. Durch die Küchentür sah ich ihn auf dem Tisch liegen. Ich hatte mich ausgesperrt.

Da half nur noch der Schlüsseldienst. Mit dem wollte ich dann auch telefonieren. Handys waren damals noch nicht in Mode. Ich ging zur nächsten Telefonzelle; es war ein Weg von ungefähr 500 Metern. Das Telefon war intakt, doch es gab kein Telefonbuch. Die Telefonauskunft anzurufen war witzlos. Ich hatte nichts zu schreiben bei mir. Und so lange Telefonnummern konnte ich mir nicht merken. Außerdem hatte ich nicht genügend Kleingeld. Ich musste mir in der Nachbarschaft meinen Wunsch nach einem Telefonanschluss erfüllen. Doch es war viel zu früh. Schließlich konnte ich nicht um halb sechs von Tür zu Tür gehen und die Nachbarn aus dem Bett klingeln.

Mir wurde kalt. Ich überprüfte meine Taschen und fand darin die Proficard des Hamburger Verkehrsverbundes. Ich hatte eine Idee. Ich musste die Zeit bis zur normalen Aufstehzeit überbrücken, und zwar in einer möglichst warmen Umgebung. Ich ging zur Bushaltestelle. Mit dem Bus fuhr ich in den nächsten Ort. Im Bus war es mollig warm. Ich fuhr bis zur Endstation. Die Rückfahrt verlief ähnlich harmonisch in angenehmer Temperatur. Die übrigen Fahrgäste wunderten sich allerdings über meine für diese Jahreszeit leichte Bekleidung. Ihre Blicke störten mich nicht. Durch die Fahrerei waren anderthalb Stunden vergangen.

An diesem Morgen hatte ich auch Glück. Als ich wieder mein Heim erreichte, kam mir eine Nachbarin entgegen. Ich schilderte ihr mein Missgeschick und wie ich die frühen Morgenstunden verbracht hatte. Meine Geschichte heiterte sie auf. Selbstverständlich durfte ich ihr Telefon benutzen. Ich kontaktierte den Schlüsseldienst, der dann so gegen neun Uhr kam und mir wieder Zutritt zu meinem Haus verschaffte. Er öffnete die Tür, hinter der mich die zwei Katzen neugierig erwarteten. Für uns drei war das ein aufregender Tagesbeginn.

Seit dieser Zeit laß ich den Schlüsselbund nicht mehr aus meinen Augen, auch nachts liegt er griffbereit in meiner Nähe. Man kann ja nie wissen, ob man unvorhergesehen zur nächtlichen Stunde das Haus verlassen muss. Und nachts fährt bei uns kein Bus, mit dem man die Wartezeit bis zum Morgen überbrücken könnte.

 

Wohnküche

von Johannes Arlt

Ich wohnte bis 1960 bei meinen Eltern in Berlin-Pankow. Nach der Hochzeit im Herbst dieses Jahres beschlossen wir, aus verschiedenen Gründen „abzuhauen“. Ob das damals schon „Republikflucht“ hieß, weiß ich nicht, wir konnten ja noch verhältnismäßig ungeschoren mit der S-Bahn nach Westberlin fahren.
Ich will jetzt nicht über unsere Odyssee durch die westdeutschen Instanzen schreiben, das müsste erst einmal wieder herausgekramt und dann sortiert werden, denn wir wurden nicht mit offenen Armen aufgenommen. Und zu schön sind diese Erinnerungen nicht, als dass man sie auf Abruf gegenwärtig hat.
Berlin-Pankow gehörte bekanntlich zum Osten. Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ kennt man noch. Er wollte damals zu „Honny“ fahren, also zum Staatsratsvorsitzenden der DDR. Als er seinen Song schrieb, war Berlin-Ost noch „Hauptstadt der DDR“ und Westberlin war nach der Diktion des Ostens eine „selbständige politische Einheit“. Aber wenn man mal von diesem temporären Zustand absieht, gab es keine Unterschiede. Der Mutterwitz blühte in Ost wie in West und am Alex wird „imma noch det reinste Berlinerisch jesprochen“, behauptete ein Freund aus Westberlin, als er nach der Wende das erste Mal in Ostberlin war. Auch baustilmäßig gab es - jedenfalls was die alte Bausubstanz betrifft - keinen Unterschied zwischen Ost und West, und so habe er sich in Prenzelberg oder in Friedrichshain sofort heimisch gefühlt, „det is ehm och Berlin!“
Meine Eltern bewohnten eine durchschnittliche Berliner Wohnung in einer 4-stöckigen „Miets-kaserne“. Zwei Zimmer, Balkon, Doppelfenster nach vorne, große Wohnküche mit Blick „uff'n Hof“. In der Küche standen zwei Büffet-Schränke, zwischen denen ein kleiner Kasten stand, in dem Holz und Kohlen gelagert wurden. Wenn Not am Mann war, konnten auf dem Deckel sogar zwei Leutchen sitzen! In der Mitte stand ein großer Tisch mit vier Stühlen, an dem geklönt und auch gegessen wurde. Aber aechs Mann hatten dort gut Platz, manchmal sogar mehr.
Am Sonntagmittag saß die Familie dort, oft mit Besuch und das Mahl begann selbstverständlich mit einer Nudelsuppe. Gekocht und gebraten wurde auf der Kochmaschine, einem gekachelten Herd, der mit Holz und Kohlen befeuert wurde. Ascheimer mit Müllschippe stand vor dem Ofenloch, das mit einer kleinen gusseisernen Tür verschlossen wurde. In der Tür zum Aschefach war ein Schieber, mit dem man die Luftzufuhr regeln konnte.
Kaltes Wasser kam aus der Wand. Der goldglänzende Wasserhahn - mit Sidol auf Hochglanz geputzt - befand sich über einem halbrunden Becken - Ausguss genannt, der innen weiß emailliert war. Über den Rand wurde eine Gummiwulst gesteckt, die mehr dekorativen als praktischen Wert hatte. Auf einem Hocker neben dem Ausguss stand eine Waschschüssel und auf einer Untertasse daneben lag ein Stück Seife. An einem Haken hing ein -meist- nasses Handtuch.
Lebensmittelvorräte, Töpfe und Pfannen wurden in der Speisekammer gelagert. Das war ein fensterloser schmaler Nebenraum, in dem rohe Regalbretter eingezogen waren, die mit blau-weiß kariertem Lackpapier abgedeckt wurden, das mit Reißzwecken fixiert war.
Im Sommer wurden verderbliche Sachen kurzfristig in einem mit Zinkblech verkleideten Eisschrank gelagert. Gekühlt wurde das Ganze mit Eisstückchen, die der Eismann direkt vor die Tür brachte. Die Eismänner fuhren noch in den 1950er Jahren mit einem Pferdegespann durch die Straßen und verkauften Stangeneis, das mit einem Pickel portioniert wurde. Ein Eimer voll reichte 2-3 Tage, wenn die Abdeckplatte nicht zu oft geöffnet wurde.
Als ich meinem Freund jetzt diese Geschichte nochmals erzählte, grinste er bei jeder Einzelheit, und als ob wir einen auswendig gelernten Text aufsagten, ergänzte jeder den anderen, denn bei uns in Pankow war es wie bei seinen Eltern in Kreuzberg – keinen Deut anders.
Ost und West waren nur für einen Wimpernschlag mal etwas anderes als Himmelsrichtungen!Johannes Arlt, März 2011



 

Barackenleben

von Annemarie Lemster

Nachdem wir in Hannover zweimal ausgebombt waren, lebten wir mit fünf Personen bei meinen Großeltern in einem 20 qm großen Raum. Anfang 1945 hatten wir das große Glück und bekamen eine Wohnung in einer Baracke, die am Ende des Ortes für Ausgebombte gebaut war. Nun hatten wir eine richtige Wohnung, eine große Wohnküche, ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und ein kleines WC in der Wohnung. Für mich war dieses das „Größte“. Nicht mehr im Dunkeln auf den Hof, keine Angst mehr, im Dunkeln nach draußen zu müssen! Das war schön. Wenn auch alles etwas eng und sehr hellhörig war, für mich war es fürstlich.
In einem Hauseingang wohnten acht Mietparteien, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es einmal Streit unter den Nachbarn gegeben hat. Durch die leichten Holzwände konnte man jeder Unterhaltung des Nachbarn beiwohnen. Als ich später mit meiner Familie campen war, habe ich mich oft an die Zeit in der Baracke erinnert. Zeltwände sind genauso hellhörig. Für die Erwachsenen war dieses bestimmt manchmal nicht sehr angenehm, aber für mich als Kind hatte das einen ganz besonderen Reiz. In der Nachbarwohnung waren auch zwei Kinder, und wenn wir am Abend im Bett lagen, haben wir uns noch recht lange unterhalten. Rolf, der Junge von nebenan, erzählte immer so schlimme Räubergeschichten, die mir Angst machten.
Mein Zimmer war etwa 4,20 m lang und 2 m breit. Hier hatten zwei Betten, ein Kleiderschrank, eine kleine Kommode, eine Nähmaschine und noch ein paar Kleinigkeiten Platz. In einem Bett schlief ich mit meiner älteren Schwester, im anderen mein großer Bruder mit seiner Frau, deren Tochter lag im Kinderwagen und dieser stand im Gang neben dem Bett. Als Kind habe ich damals diese Enge nicht so empfunden. Bei den Erwachsenen entstanden schon mal Spannungen.
Es gab in der Wohnung nur einen Wasserhahn, dieser war über dem Spülstein. Darin wuschen wir uns, darin wurde abgespült und die tägliche kleine Wäsche wurde auch darin gemacht. Daneben stand der Herd, mit Holz oder Torf zu beheizen. Dort gab es immer einen Engpass. Mutti musste Essen kochen, Papa setzte Wasser auf für seinen so geliebten Kaffee, meine Schwägerin wollte das Fläschchen heiß machen und meine Schwester brauchte etwas warmes Wasser zum Waschen. Vor dem einzigen Spiegel (recht klein) stand dann mein Bruder und brachte seine sehr schönen Haare in die richtige Lage. Wenn ich mich richtig erinnere, waren im Grunde aber alle froh, hier zu wohnen und nicht unter irgendeiner Ruine in Hannover ohne Licht und Wasser. Es war eine schöne Wohnung, wenn man davon absah, dass jeder das Familienleben des anderen mithörte, oder es von der Decke tropfte, weil über uns Kaninchen gehalten wurden und deren „Suppe“ dann zu uns durchnässte. In unserer Familie hatten alle den Krieg überlebt, was war da schon der Andrang am Herd.
Meine Geschwister zogen nach und nach aus, wir bekamen 1953 eine Wohnung in einem Steinhaus und brauchten bei irgendwelchen Familiengesprächen nicht mehr zu flüstern.
erstellt am 10.05.2004

 

Im Himmel muss es warm sein

von Annemarie Lemster

In meiner Erinnerung hingen Bilder nur bei meinen Tanten auf dem Land. Wir waren zweimal in Hannover total ausgebombt, da kauften meine Eltern Möbel, ein Bett oder einen Stuhl, wenn sie überhaupt etwas bekamen. An Bilder kann ich mich kaum erinnern. Später hing einmal ein kleiner Druck von Rembrandts „Nachtwache“ bei uns in der Wohnküche. Mir gefiel es damals nicht, es war mir zu dunkel. Bei meinen Tanten auf dem Land hingen aber - für mich - sehr schöne Bilder. Bei Tante Gertrud hing über den Ehebetten ein riesiges Bild. Eine Heerschar von Engeln schwebte vor einem strahlend blauen Himmel durch die Luft, sie saßen oder lagen auf Wolkenbergen. Alle Engel waren nackt, bis auf ein paar wehende Tücher, die irgendwie auch durch die Lüfte schwebten und dann geschickt immer zwischen den Beinen endeten. Ich, damals sieben Jahre alt, fand es gemein, auf diese Art und Weise konnte ich doch nie erkennen, welcher Engel nun ein Mädchen oder ein Junge war. Diese ganze himmlische Landschaft war von einem breiten Goldrahmen eingefasst. Es sah aus, als wolle eine sehr dicke Goldkordel dieses Bild einschnüren. Für mich hatte dieses Bild lange eine tiefe Bedeutung. Wolken und Engel waren für mich der Himmel. Wenn Engel nun so nackt da leben konnten, dann musste es im Himmel immer warm sein. Eine sehr schöne Vorstellung für mich. Wenn ich heute einmal über einen Flohmarkt gehe und dort ein solches oder ähnliches Bild sehe, bin ich in meinem Inneren gleich wieder bei Tante Gertrud im Schlafzimmer.
Ganz andere Erinnerungen habe ich an ein Bild, das bei Tante Marie über dem Sofa hing. Es war eine Wald- und Wiesenlandschaft. Im Vordergrund stand ein großer Hirsch mit einer blutenden Wunde. Der Kopf zeigte nicht in Laufrichtung, und aus der Wunde tropfte und lief das Blut zur Erde. Im Hintergrund, recht klein, sah man einen Jäger oder Förster, das weiß ich nicht mehr so genau. Dieses Bild wirkte immer recht düster auf mich, zumal der Rahmen fast schwarz war.
Als man später im Radio oft das Lied vom Förster mit seinem Hund und seinem alten Forsthaus spielte, hatte ich immer Tante Marie ihr grausliges Bild vor Augen.
erstellt am 05.01.2005

 

Wasser in der Wohnung, aber nicht in der Küche

von Annemarie Lemster

Anfang der 1940er Jahre - wir wohnten jetzt in Hannover in der Innenstadt - war das häusliche Leben schon anders als auf dem Lande, aber mit dem heutigen nicht zu vergleichen. Wir wohnten in einem Mehrfamilienhaus in der dritten Etage. Zum Wäschewaschen ging meine Mutter auf den Boden, denn dort war eine Waschküche eingerichtet.
Da ich damals noch recht klein war, konnte ich mich nicht mehr erinnern, dass es einen Wasserhahn in der Küche gab. Nach einem Gespräch mit meinem älteren Bruder kam auch bei mir die Erinnerung wieder: der Wasserhahn mit Ausguss befand sich auf dem Flur gleich neben unserer Küche. So stand die Tür zum Flur immer offen. Musste Mutti sich die Hände abspülen, ging sie auf den Flur, wurde Gemüse gewaschen, ging sie auf den Flur, mussten die Kartoffeln abgegossen werden, ging sie auf den Flur usw..
Für uns war es selbstverständlich, dass man zum Wasserhahn nicht in die Küche ging, sondern vor die Küche auf den Flur. Dort fand auch die morgendliche Körperwäsche statt. Für uns war dieses alles Normalität.

erstellt am 09.02.2007

 

Das Geheimnis der Kokshalde

von Bernd Schwiers

Mit dem Heizen der Wohnung oder des Hauses hat heute kaum noch jemand Probleme, wenn man mal von den Kosten absieht: Die Heizung ist meist thermostatgeregelt und hält die gewünschte Temperatur. Wenn uns doch mal kalt ist, stellen wir den Regler einfach höher. Und wer mit Strom oder Gas heizt, braucht sich noch nicht einmal um die Beschaffung des Brennmaterials zu kümmern – es kommt zuverlässig ins Haus.
Vor einigen Jahrzehnten noch war das ganz anders: Die meisten Häuser und Wohnungen waren mit Ofenheizung versehen. Das bedeutete morgens in der kalten Wohnung erst mal Feuer im Herd oder Ofen zu machen, damit es allmählich warm wurde. Zuvor musste man allerdings den Ofen von der Asche und Schlacke des Vortages reinigen. Und natürlich musste der Ofen, wenn er dann brannte, mit Nachschub versorgt werden, damit er nicht ausging.
Das Mietshaus, in dem wir in Karlsruhe in der Kriegsstraße wohnten, war in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut worden und für die damalige Zeit schon fortschrittlich: In jeder Wohnung gab es bereits eine Zentralheizung, die mit Koks betrieben wurde und die Zimmer beheizte. Heizkörper gab es allerdings nur im Wohnzimmer, im so genannten Herrenzimmer und im Schlafzimmer. Die Heizanlage, d.h. ein großer Koksherd mit Rohren, Boiler, und Manometer war in der Küche untergebracht und beheizte diese gleich mit. Flur und Bad mit Toilette waren ohne Heizkörper.
Schon bald wurde mir die Aufgabe übertragen, den Koks aus dem Keller zu holen. Dazu muss man wissen, dass wir im dritten Obergeschoss wohnten. Der Koks wurde in großen, hohen Schütteimern, sog. „Füllern“ geholt. Zwei hatten wir. Mit denen ging ich also in den Keller und schippte den Koks in diese „Füller“. Mit der Beschaffung von Koks und Briketts hatten wir glücklicherweise keine Probleme in der Nachkriegszeit, denn im Haus wohnte ein Kohlenhändler, der sein Lager am nahe gelegenen Westbahnhof hatte, und der versorgte uns zuverlässig. Lediglich im ersten Nachkriegsjahr, es muss der strenge Winter 1945 / 46 gewesen sein, sammelten wir Brennholz. Damals konnten wir die Koksheizung noch nicht wieder betreiben, denn man benötigte Gas, um den Ofen anzuzünden und Gas floss noch nicht wieder.
Ich schleppte also fast täglich die zwei schweren Koksbehälter vom Keller ins dritte Obergeschoss. Der Koks lag in unserem Kellerverschlag in einer Ecke unter dem kleinen Kellerfenster. Dieses Fenster ging auf die Straße und wenn wir Kohlen bekamen, dann wurde das kleine Fenster - es war eigentlich eine ziemlich verdreckte Drahtglasscheibe in einem Metallrahmen mit einem Gitter davor - einfach ausgehängt und die Kohlenleute kippten den Koks oder die Briketts durch dieses Fenster in unseren Keller.
Der Koksofen war ein etwa ein Meter hoher Kasten mit quadratischer Grundfläche. Oben war die Klappe zum Befüllen und unten ein Türchen und dahinter ein weiteres Türchen in Gitterform. Diese untere Öffnung wurde zum morgendlichen Entleeren benötigt. Beim Ausräumen der Asche und der Schlacke fand man manchmal geschmolzenes Glas. Meine Eltern hatten sich nämlich angewöhnt, diesen Koksofen als eine Art Müllschlucker zu verwenden und so wanderte allerhand durch die Klappe in den Ofen. Der glühende Koks entwickelte eine so hohe Temperatur, dass Glas schmolz und so wurden aus allen Glasresten bizarre Gebilde, oft in Tropfenform. Wenn man den Ofen ausgeräumt hatte, wurde er von oben neu befüllt und dann kam das Anheizen. Dazu hatte die Gasleitung, die den Kochherd mit Gas versorgte, einen kleinen Hahn, an den ein Schlauch angeschlossen war. Dieser Schlauch war einige Meter lang und am anderen Ende war ein Rohr, das am vorderen Ende einige seitliche Löcher hatte. Wenn nun das Gas durch den Schlauch in das Rohr strömte, zündeten wir es am Rohrende an und hatten dann eine Art Gasfackel in der Hand. Diese „Fackel“ steckten wir unten durch das Gitter der unteren Ofentüre und nach etwa einer halben Stunde glühte der Koks und fing an, das Wasser in den Rohren zu erhitzen und nach und nach wurden dann die Heizkörper in den Zimmern warm.
Daneben hatten wir aber in der Küche, zwischen Koksofen und Gasherd, noch einen Herd stehen, der mit Holz und Briketts befeuert wurde. Dieser Herd wurde hauptsächlich in der Übergangszeit benutzt. Hier hatte ich, freiwillig und aus eigenem Antrieb, das morgendliche Anheizen übernommen. Nach dem Aufstehen schob ich zunächst mit dem Schürhaken und dem Schieber die Asche hin und her, damit sie durch den Rost in den darunter liegen Aschenkasten fiel. Meist waren noch Glutreste vom Vorabend vorhanden, so dass ich ohne Streichhölzer zu verwenden, das Feuer neu entfachen konnte.
Zum Koksholen aus dem Keller möchte ich noch eine Geschichte hinzufügen. Da normalerweise Koks nachbestellt wurde, bevor der letzte Rest aufgebraucht war, und man den Koks von oben abnimmt, holte ich also immer den zuletzt gekauften Koks aus dem Keller, während ganz unten immer noch die vor Jahren gelieferte Ware liegen blieb. Aber in jenem Jahr grub ich den Koksberg ziemlich weit ab. Vielleicht war es ein strenger, langer Winter oder wir hatten den Koks einfach später als sonst bestellt. Jedenfalls fand ich eines Tages etwas Glänzendes unter dem Koks und beim näheren Hinsehen entpuppte es sich als metallenes Relief eines Hitlerkopfes. Den hatte also wohl jemand aus meiner Familie gegen Kriegsende tief unter dem Koks vergraben und nun kam er wieder zum Vorschein.
Dabei fällt mir außerdem ein: Als meine Mutter mit mir nach der Evakuierung im Sommer 1945 in unsere Wohnung zurückgekehrt war, konnte der Gasherd nicht verwendet werden, denn Gas wurde, wie schon gesagt, noch nicht wieder geliefert. Zum Kochen hatten meine Mutter und meine Großmutter, die mit uns in der Wohnung lebte, eine kleine elektrische Kochplatte, die aber auch nicht immer verwendet werden konnte, denn auch Strom gab es nur zu bestimmten Tageszeiten. In Zeiten, wo Strom von der Industrie gebraucht wurde, herrschte „Stromsperre“. Deshalb wurde zusätzlich auf einem so genannten Kanonenofen gekocht, der bei uns im Flur stand. Und ich entsinne mich noch recht gut, dass nach unserer Rückkehr meine Mutter und meine Großmutter in diesem Ofen Nazi-Literatur und Hitler-Bilder verbrannten.
erstellt am 14. März 2006

 

Ein Zwangsaufgebot

„Ja, wenn Sie verheiratet wären!“, mit diesem Satz löste der Beamte, der bei der OFD Hamburg für die Vergabe von Gehaltsvorschüssen zuständig war, die hektische Vorbereitung für die Eheschließung unseres Autors vor, bei der sogar der - zugegebenermaßen sehr gut bekannte - Standesbeamte außerhalb seiner Dienststunden so gegen 23:00 Uhr sein Haus und Amt öffnete und die nötigen Papiere ausfertigte : Ort - Datum - Unterschrift - Siegel.

von Jürgen Hühnke

Als Abrahams Enkel Jakob auf Geheiß seines Vaters Isaak aus Kanaan fort ging, um unter den Töchtern des Onkels Laban eine Frau zu suchen, begegnete ihm zuerst Rahel, in die er sich verliebte. Deren Vater aber ließ ihn erst sieben Jahre bei seinen Schafherden dienen und auf die Braut warten. Da nun Lea, die ältere Tochter, nicht übergangen werden durfte, wurde sie am Ende dem Freier beigelegt. Nachdem sie gestorben war, kamen noch einmal sieben Jahre Wartezeit für Rahel dazu.
Solche Labansjahre standen auch mir bevor, als ich bei einem Abi-Ball 1954 auf eine Pastorentochter traf, was ja zu deutsch „Tochter eines Hirten“ heißt. Damit erschöpfte sich die Parallele schon, denn die Angebetete war zwar das älteste Kind im Landpfarrhaus, aber das einzig weibliche.
Als ich endlich heiraten durfte, entstand so etwas wie eine Muss-Ehe, weil wir nämlich schon Nachwuchs hatten. Nein, nein, nicht so, wie man vielleicht denken möchte. Wir wohnten zusammen in unseren Studentenbuden, zwei Zimmern am gemeinsamen Flur einer Blankeneser Altbauvilla, und hatten für die jüngsten Brüder, Schüler und Halbwaisen, für die der Vater wegen seiner schweren Krankheit nicht mehr sorgen konnte, das dritte Zimmer angemietet.
Wegen der beiden Jungen mussten wir freilich nur indirekt heiraten, direkt aber wegen eines Mietreihenhauses in Harksheide-Süd, für das ein nicht unerheblicher Baukostenzuschuss fällig werden sollte. Meine Zukünftige hatte nämlich ihr Studium beendet und war durch die Schulbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg als Junglehrerin übernommen worden. Hinreichender Heiratsgrund war damit gegeben. Nun kam die teure Ablöse dazu, etwas teuer für Student und Junglehrerin.
Der nächste Schritt war also ein Besuch bei der Oberfinanzdirektion in der Admiralitätsstraße - zwecks Erlangung eines entsprechenden Gehaltsvorschusses. Der Beamte verweigerte den Kredit, da doch die Knaben in ein Heim gesteckt werden könnten. Aber 100 Quadratmeter Wohnfläche stünden einer Lehrerin allein nicht zu: „Ja, wenn Sie verheiratet wären!“ Chancen sucht man nicht, man nutzt sie. Also fragte meine Braut in spe: „Darf ich Ihnen morgen eine Aufgebotsbescheinigung nachreichen?“ Schlupfloch gefunden!
Jetzt also in die jeweiligen Heimatorte, ich zu Mutter wegen einer Geburtsbescheinigung und zur Ausleihe ihres Ford, sie zum Vater, um ihn einzustimmen. Ich fuhr ins Laban-Dorf zum Treff mit den beiden dort Versammelten.
Auf dem Lande sind die Verhältnisse wesentlich familiärer als in der Stadt, war doch der Bürgermeister und Standesbeamte dort ein Sandkasten- und Schulkamerad der Labans-Tochter. Inzwischen war es Abend geworden, das Büro natürlich geschlossen, der Beamte im Kino. So gegen 23:00 Uhr kreuzte er auf, öffnete uns Haus und Amt und fertigte die nötigen Papiere aus: Ort - Datum - Unterschrift - Siegel.
Die Ehe wurde geschlossen sieben Jahre plus eine Woche nach dem, was man heute das „erste Date“ zu nennen pflegt.
erstellt am 27.02.2007

 

Fahrstuhl

von Ingeborg Eva Witt (Jahrgang 1919)

Ich bin schon als Kind in einem Haus aufgewachsen, das einen Fahrstuhl hatte. Damals hieß es nicht Fahrstuhl, sondern Lift. Es war ein hübscher, viereckiger Kasten in warmen Holztönen. An den Wänden war er mit Spiegeln versehen, davor waren wunderhübsche schmiedeeiserne Gitter. Dieser Lift wurde von einem Liftboy bedient. Ich wunderte mich damals, dass dafür eine Kraft benötigt wurde, wo man doch nur auf einen Knopf drücken musste.
Jahre später wohnte ich in der Innenstadt in einem großen Kontorhaus im 6. Stock. Dort gab es einen Paternoster und einen Fahrstuhl, der hieß aber „Aufzug“. Er hatte keine Knöpfe zum Bedienen, sondern ein Seil. Dieses Seil wurde gezogen, dann setzte sich der Aufzug in Bewegung, und wenn das Seil angehalten wurde, hielt auch er an. Es gehörte ein Geschick dazu, genau an den Stockwerken anzuhalten. Dieser Aufzug hatte absolut keine Ähnlichkeit mit dem Lift in dem anderen Haus. Er war sehr groß und hatte an zwei Seiten Scherengitter, weil er auch im Keller einen Ausgang hatte. Im Krieg wurde dieses Haus leider zerstört und somit auch der Paternoster und der Aufzug.
In der Nachkriegszeit wurden die Paternoster in den großen Häusern abgeschafft und „Lifte“ eingebaut. Diese neuen Lifte sind so klein, dass ich kaum mit meiner „Gehhilfe“ hinein komme. Wenn ich in eine Arztpraxis müsste, die keinen Lift hat, kann ich sie nicht aufsuchen, weil ich auf den Lift angewiesen bin.
Die Erfindung des Fahrstuhls ist vor allem für ältere Menschen eine große Hilfe und Erleichterung.

 

Steckdosen

von Fritz Schukat

Meine Großeltern bezogen bereits im Jahre 1911 in Rixdorf bei Berlin eine Mietwohnung, die sie allerdings ein Jahr lang mietfrei „trockenwohnen“ durften.
Als das Haus gebaut wurde, gab es dort noch kein elektrisches Licht. Als Beleuchtungssystem war Gaslicht vorgesehen. Die Gasröhren waren noch lange nach dem Krieg bis Anfang der 1980er Jahre zu sehen und standen sogar noch unter Druck. Ob allerdings dort je eine "Gaslaterne" angeschlossen wurde, bezweifele ich. Wann die Häuser tatsächlich Stromanschluss erhielten, ist nicht überliefert. Vielleicht war es sogar schon bevor die Großeltern dort einzogen, denn niemand aus der Familie hatte je von Gasleuchten gesprochen. Ich weiß aber noch, dass kurz nach dem Krieg, als der Strom rationiert wurde und man in den inaktiven Stunden von "Stromsperre" sprach, ein Nachbar bei den Großeltern in der Küche eine Gaslampe installierte, die in den Abendstunden ein relativ helles Licht spendete.
An anderer Stelle erzählte ich bereits, dass ich mit meinen beiden Schwestern bei den Großeltern aufgewachsen bin. Ich habe bei ihnen noch bis 1960 gelebt. Wenn ich die Augen zumache und mir die Wohnung der Großeltern vorstelle, kann ich jetzt noch sagen, wo die Schalter gewesen. sind und wie sie aussahen, aber ich habe Schwierigkeiten zu sagen, wo die Steckdosen waren! Im Wohnzimmer gab es auf jeden Fall eine, denn dort haben wir den Staubsauger angeschlossen und bis kurz nach Ende des Krieges stand zwischen dem Kleiderschrank und dem Sofa ein Beistelltisch, auf dem das Radio meines Onkels stand. In der Küche war zwischen den beiden Fenstern eine Steckdose, an der Großmutter ihr Bügeleisen anschloss. Später habe ich dort mit einem meterlangen Verlängerungskabel das modernes kleines Radio angeschlossen, das auf einem Bord stand, das über dem Plätt- und Zuschneidetisch der Großmutter anmontiert war. Oma war als Zwischenmeisterin für eine Konfektionsfirma tätig. Sie bekam Stoffballen und Zeichnungen der Direktrice, musste zuschneiden und die Kleider zusammennähen. Die wurden dann in fröhlicher Runde im Wohnzimmer mit Tochter und Schwiegertochter „ausgefertigt“ d.h. Knopflöcher wurden geschnitten, Knöpfe und manchmal auch weiße Krägelchen angenäht.
Im kleinen Zimmer gab es unter dem Lichtschalter eine Steckdose, an der mit einer Verlängerung die Stehlampe angeschlossen wurde, wenn die Großeltern im Winter am dortigen Kachelofen Puff, Doppelkopf oder „66“ spielten. Das Kabel war aber auch eine Stolperfalle.
Die Steckdosen lieferten 220 Volt Wechselstrom, waren aber nicht geerdet. Geerdete Sicherheits-steckdosen, wie wir sie heute kennen, gab es erst viel später. Als dann notgedrungen die Aus-wechselungen vorgenommen werden mussten, wurden die Steckdosen falsch geerdet, d.h., der Nullleiter wurde mit einer Drahtbrücke auch an den Erdungskontakt angeklemmt. Zu der Zeit wurden dann aber auch in der Küche eine weitere Steckdose gelegt.
Wenn mehrere Verbraucher zur gleichen Zeit angeschlossen werden sollten, gab es Drei-fachstecker, die aus einer einfachen Steckdose einen Multianschluss machten. Waren drei Kabel dran, war das dann doch eine recht instabile Sache und manchmal flubbte der Stecker unter der Kabellast einfach heraus. Aber das geschah nur, wenn jemand nicht aufpasste und über den Kabelsalat stolperte.
Viele elektrische Geräte gab es bei meinen Großeltern jedenfalls in den frühen 1950er Jahren nicht. Der Mangel an Steckdosen fiel nicht ins Gewicht. Und wenn doch irgendwo Strom gebraucht wurde, gab es Zwischenstücke mit zwei Zapfstellen, die man in die Lampenfassung drehen konnte. Man durfte dann bloß nicht vergessen, das Licht einzuschalten! Wir hatten natürlich so ein Ding, aber es wurde nicht gebraucht.
aufgeschrieben im Oktober 2010

 

Wohnungsbaupolitik der US-Streitkräfte in Berlin

Brief an eine Lehrbeauftragte an einer US-amerikanischen Universität, die sich über die Wohnungsbaupolitik der US-Streitkräfte in Berlin informieren wollte.

Liebe Frau O.!
Ich habe eine Kopie Ihrer Mail bekommen, mit der Sie beim Seniorenbüro Hamburg anfragten, ob man etwas über die Wohnungspolitik der amerikanischen Besatzungsarmee im Nachkriegs-Berlin sagen könnte.

Ich bin im Jahre 1935 in Berlin-Neukölln geboren und habe meine früheste Jugend bis zur Evakuierung im Jahre 1943 und die Nachkriegszeit ab Juli 1945 bis zu meiner beruflichen Umsetzung nach "Westdeutschland" im Jahre 1968 in Westberlin, sogar im amerikanischen Sektor Berlins zugebracht, denke also, dass ich zu Ihren Fragen sogar aus eigener Erfahrung etwas sagen kann.

Das Haus, in dem wir bis 1943 wohnten, brannte im Frühjahr 1945 aus. Wir wurden deshalb nach unserer Rückkehr aus der Evakuierung in eine freistehende Wohnung eingewiesen, die sich in dem Haus befand, in dem meine Großeltern wohnten. Mein Vater kam wenige Wochen danach ebenfalls zurück nach Berlin. Er war in einem kriegswichtigen Betrieb in Thüringen dienstverpflichtet, war also kein Soldat und er war auch nicht „in der Partei“. Beste Voraussetzungen dafür, sich bei der US-amerikanischen Armee in Berlin-Zehlendorf in der Finckensteinallee als Berufskraftfahrer zu bewerben. Im Herbst bekam die Stelle und war sogar noch nach seinem 65. Lebensjahr - Anfang der 70er Jahre - dort, weil „die Amis“ auf ihn als Urgestein nicht verzichten wollten.

Die „Finckensteinallee“ war Synonym für die Fahrbereitschaft der US-Army. Es handelte sich um ein Gelände, auf dem sich bis zum Ende des Krieges der größte Berliner Omnibusfuhrpark mit Reparaturbetrieb der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) befand, also für die US-Army ein idealer Platz, auf dem sich auch ausreichend Büroraum befand, z.B. über den Reparaturhallen. Dort gab es auch Mannschaftsräume, in denen der eine oder andere Kraftfahrer oder Reparatur-Spezialist übernachten konnte. Das Gelände diente der US-Army auch als Lager zunächst für Ersatzteile, aber auch für Bevorratung. Es war natürlich immer schon umzäunt und zu der Zeit, als die Amerikaner dort ihre Fahrbereitschaft hatten, wurden die Zäune noch verstärkt, um Plünderungen durch die Bevölkerung gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Ich kenne den von Ihnen zitierten Artikel nicht, aber von Wohnungsbeschlagnahmen durch die amerikanische Armee in Berlin, zumindest in den typischen Mietwohnungsgebieten, ist mir nichts bekannt. Ich will dies nicht grundsätzlich bezweifeln, denn dazu sind meine Erinnerungen - sagen wir mal - zu jugendlich und was es alles gab, das hat man als Jugendlicher ja gar nicht alles mitbekommen.

Dass die „Besatzer“ Wohnungen in den Stadtbezirken beschlagnahmt hätten, um dort zu wohnen, widerspräche aber dem Sicherheitsbedürfnis der Truppe, denn es wäre unvorstellbar gewesen, dass amerikanische Soldaten neben „Normalbürgern“ in einem Mietshaus gewohnt hätten. Wenn schon, dann hätte man nach meiner Meinung ein ganzes Haus beschlagnahmen müssen, denn die Bewachung einzelner Wohnungen wäre zu aufwendig gewesen.

Tatsächlich gab es im amerikanischen Sektor Berlins nach der Befriedung ab Herbst 1945 kaum militärische Präsens, ab und zu sahen wir mal Jeeps durch die Straßen fahren, in denen manchmal auch Russen saßen. Für Ruhe und Ordnung sorgten schon bald deutsche Polizisten, die damals noch mit blauen Uniformen und dem unvermeidlichen Tschakko herum liefen. Lediglich an den vielen Brücken über die diversen innerstädtischen Kanäle und Flüsse (Landwehrkanal, Teltower Kanal, Spree usw. - Berlin hat mehr Brücken als Venedig!) standen seit den allerersten Tagen nach der Kapitulation, und das dann noch für lange Zeit, amerikanische Panzer mit laufenden Motoren und gelangweilten GI’s, die wir Kinder gern besuchten. Manchmal gab es dort auch eine Tafel Schokolade. einen Kaugummi oder eine Zigarettenkippe, die meist extra lang war, weil die Soldaten einen Spaß daran hatten, wenn wir Kinder um die Wette rannten, diese für unsere Eltern/Großeltern zu ergattern!

"Mein Vater ist „beim Ami“ beschäftigt", was immer wie ein Privileg betont wurde. Wir hatten diverse Vorteile dadurch, denn er brachte sehr oft Fleischportionen aus der Küche des Depots mit, die meine Großmutter dann für schmackhafte Speisen verwenden konnte. So kam ich auch ziemlich frühzeitig in den Besitz von amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften. Ich erinnere mich an ein Magazin von „National Geographics“, das hauptsächlich der städtebaulich interessanten „Freien Stadt Danzig“ gewidmet war. Ich wusste natürlich, dass Danzig zerstört war und nicht mehr zu Deutschland gehörte, weshalb ich richtig rote Ohren bekam, als ich las, wann dieses Heft aufgelegt wurde: das Datum war aus dem Jahre 1938! Dieses Heft habe ich gehütet und eines Tages meinem Onkel aus Potsdam geschenkt, der von 1939 bis 1945 in Danzig lebte.

Durch meinen Vater hatte ich in späteren Jahren, als ich schon zur Oberschule ging (das Wort "Gymnasium" wurde schon Jahre zuvor von den Nazis abgeschafft), manchmal auch Kontakt zu jungen amerikanischen Soldaten, mit denen ich dann gern mein Schul-Englisch ausprobierte, aber das war eher selten.

Wo wohnten nun die US-Amerikaner in Berlin?
Also, ich sagte schon, Wohnungsbeschlagnahmen in Mietshäusern sind mir persönlich nicht bekannt geworden, auch Freunde aus Berlin, die ich in den letzten Tagen telefonisch befragte, waren höchst erstaunt und konnten darauf auch nur so antworten, wie ich dies oben bereits getan habe. Zunächst einmal waren die amerikanischen Soldaten in den ehem. deutschen Kasernen untergebracht, von denen es im Stadtgebiet m.W. genügend gab. Dort konnte man sich militärisch bestens absichern, was jeder Besatzungsmacht gut zu Gesicht stand. Die Familien der US-Soldaten kamen erst viel später nach Berlin und wohnten dann in Siedlungen in der Gegend um die „Krumme Lanke“ (das ist ein kleiner See in Berlin-Zehlendorf), die vollkommen neu für sie gebaut wurden und Ghetto-Charakter hatten. Selbst die Straßennamen wurden in Englisch geschrieben! Auf alten Stadtkarten müssten Sie diese Siedlungen noch finden. Man war dort unter sich und die Kinder spielten so, wie sie es von Zuhause gewohnt waren, die größeren Kinderspielzeuge, wie z.B. Fahrräder, lagen unbeaufsichtigt vor den Häusern, was wir ja in dieser schlechten Zeit gar nicht kannten.

Wie gesagt, die Familien kamen erst nach der Blockade (1949) nach Berlin. Bis dahin gab es eben nur die „regulären“ Besatzungssoldaten in Berlin, die in ihrer Freizeit keineswegs in Normalwohnungen wohnten. Sie hatten auch ihre eigenen Supermärkte - in Frankfurt/M arbeitete meine spätere Schwiegermutter noch in den 1950er Jahren in einem solchen Supermarkt, der PX (PiEx) genannt wurde. Ich kenne auch noch eine andere Abkürzung: EES, das war eine amerikanische Gesellschaft, die später z.B. auch in Frankfurt/M. auch eine „exterritoriale“ Tankstelle an der Autobahn betrieb, bei der Deutsche nicht tanken konnten und durften. Die Soldaten hatten auch ihre eigenen Tanzlokale und am Flughafen Berlin-Tempelhof auch ein eigenes Kino, das „Outpost.

Als 17-18 jähriger junger Mann ging ich mit Freunden auch gern mal in eine der vielen Bars, die nach der Währungsreform z.B. in der Hasenheide (Neukölln) aufgemacht hatten. An den Besuch junger amerikanischer Soldaten dort kann ich mich nicht erinnern, das gab es auch nicht.

Noch ein paar Bemerkungen zu den angeblich enteigneten/beschlagnahmten Wohnungen: ich weiß, dass in Grunewald (einem Unterbezirk des Stadtbezirks Zehlendorf) einzelne Villen beschlagnahmt waren, die von den hohen Militärs (z.B. General Clay) bewohnt wurden. Es waren aber immer mehrere Gebäude, die nebeneinander lagen und so als Einheit bewacht werden konnten, einzeln stehende Häuser jedenfalls waren das nicht.

Da wir mit unserer Fahrradclique noch Anfang der 1950er Jahre sehr oft durch den Grunewald fuhren, das war das größte Waldgebiet in Westberlin, kann ich mich noch an solche bewachten Villen erinnern, kann aber heute nicht mehr die Straßenzüge nennen. Die beschlagnahmten Villen waren z.T. Eigentum des ehem. Reiches, in denen bis zum Kriegsende hohe deutsche Militärs wohnten oder es waren Häuser von bekannten Fabrikanten, Schauspielern oder anderen Berühmtheiten, die als jüdisches Eigentum schon vor Kriegsbeginn enteignet wurden.

Über die Fabrikantenhäuser, die z.T. auch als Künstlertreffpunkte bekannt waren, gibt es diverse TV-Filmbeiträge, die mir in Erinnerung sind. Ich kann leider darüber nichts weiter sagen. Diese Beiträge wurden vom SFB (Sender Freies Berlin) gesendet, das war ehedem der „Sender Freies Berlin“, der in der Masurenallee (am Funkturm) beheimatet war und vor ein paar Jahren aufgelöst wurde. Die Nachfolgeanstalt ist „rbb“ - Radio Berlin Brandenburg (falls Sie mit denen in Verbindung treten wollen).

Für Ihre weitere Arbeit wünsche ich Ihnen viel Erfolg und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
gez.:
Fritz Schukat / 12.06.2006

Diesen Sender gibt es auch nicht mehr, er fusionierte mit dem nach der Wende entstandenen Ostdeutschen Rundfunk -ORF- zum <rbb> - Rundfunk Berlin Brandenburg

 

Das Fenster

von Uwe Neveling

Ich wohnte in den sechziger Jahren in Winterhude und hatte dort eine kleine Einzimmerwohnung. Sie war wirklich winzig klein. Wohn- und Schlafraum, Küche, Bad und WC und Vorraum verteilten sich auf zwanzig Quadratmeter. Ich hatte zwei Fenster, ein kleines in der Küche und ein großes im kombinierten Wohn- und Schlafraum.

Die Wohnung lag an einer viel befahrenen Straße. Wegen des lauten Geräuschpegels hatte ich die Fenster fast immer geschlossen. Ich wohnte dort fünf Jahre und gewöhnte mich im Laufe der Zeit an die räumliche Enge. Ich hatte mich gemütlich eingerichtet und fühlte mich eigentlich in meinem Zimmer – denn mehr war es nicht – pudelwohl. Meine Freunde wohnten entweder noch zu Hause oder waren jung verheiratet und wohnten in den ersten Jahren ebenfalls noch sehr beengt. Wir stellten alle keine großen Ansprüche und waren mit dem, was wir hatten, zufrieden.

Nach etwa einem Jahr verspürte ich den Wunsch, die Kleinwohnung farblich aufzufrischen. Für den kleinen Vorraum erwarb ich eine Tapete. Ich erinnere mich sogar noch an das Muster. Die Tapete war schwarz und mit Piratenschiffen dekoriert. Mit Kanonen schossen die Piraten auf Hansekoggen und versuchten, mit Enterhaken die Dickschiffe der Hanseaten zu erobern. Überall auf der Tapete sah man Pulverdampf. Die Tapetenrolle kostete 13,-- DM. Das war viel Geld. Preiswerter waren die Raufasertapete und die dazugehörige Farbe. Für die Renovierungsarbeiten heuerte ich Uwe und Manfred an.

Schnell war die Wohnung ausgeräumt. Die Möbel konnten wir im Hausflur vor der Wohnungstür zwischenlagern. Und dann ging es los. Wir entfernten alte Tapeten, klebten neue und strichen was die Arme hergaben. Dass wir uns manchmal gegenseitig im Weg standen, störte uns nicht. Ich hatte für Getränke gesorgt und aus einem Radio tönte laute Musik. Uwe und Manfred sind auch heute noch meine Freunde und wir erinnern uns gern an die damalige verrückte Zeit. Bei den vielen Pausen, die wir einlegten, war es kein Wunder, dass wir für die Renovierung den ganzen Tag brauchten. Erst spät am Abend konnten wir die Möbel wieder einräumen. Das war unbedingt notwendig, denn schließlich musste ich in dem frisch gemalten Zimmer schlafen. Es war – wie gesagt – sehr spät, als mich meine Freunde verließen. Ich schlief in dieser Nacht sehr unruhig, weil ich den Morgen nicht abwarten konnte. Ich wollte bei Tageslicht sehen, was wir alles geschafft hatten.

Die Beurteilung am nächsten Tag fiel positiv aus. Es sah gut aus und roch auch noch frisch und neu. Nur das Fenster im Wohnraum passte farblich nicht zu dem Gesamtbild, das mir vorschwebte. Die Farbe war im Laufe vieler Jahre vom Weißlichen ins Gelbliche gewechselt und sah schmutzig aus. Aber ich hatte ja noch einen Topf mit weißer Farbe. Und einen noch nicht benutzten Pinsel hatte ich auch noch. Ich reinigte den Rahmen, tauchte den Pinsel in den Farbtopf und strich munter drauf los. Bei geöffnetem Fenster erhielten Fensterrahmen, Scharniere, Kippvorrichtung und Schließhebel einen neuen Anstrich. Ich ließ nichts aus. Nach getaner Arbeit schloss ich das Fenster und war mit meinem Werk zufrieden. Es sah jetzt alles so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Als ich aber das Fenster - was selten vorkam - mal wieder öffnen wollte, hatte ich ein Problem. Alle von mir gestrichenen Teile waren nach dem Trocknen fest miteinander verbunden und ließen sich nicht lösen. Erst nachdem ich stundenlang mit einem scharfen Gegenstand die Farbe aus Fugen und Rillen herausgekratzt hatte, bewegte sich der Fensterflügel. Mit einer ätzenden Säure war es mir dann möglich, alle Farbreste zu entfernen. Danach ließ sich das Fenster wieder ordnungsgemäß öffnen und schließen. Ich atmete auf, es war vollbracht.

Ich weiß aber jetzt auch, wie man Fenster winterfest macht. Indem man sie streicht und dann sofort schließt!

erstellt am 22.11.2006

 

Nachbarschaft

von Uwe Neveling

Nachbarschaft bedeutet Nähe, Nähe zu Objekten und Menschen. Dabei muss es nicht unbedingt eine Türzutürnachbarschaft sein. Es können auch größere Entfernungen dazwischen liegen. So ist der Mars ein Nachbar der Erde. Er liegt der Erde zwar gegenüber, aber über welch eine Entfernung! Ich habe in meinem Leben viele unterschiedliche Nachbarn gehabt, weil ich sehr oft umgezogen bin.

An einen Nachbarn erinnere ich immer wieder gerne. Anfänglich wohnte ich in Hamburg zur Untermiete. Bei einer Witwe hatte ich in Winterhude durch Vermittlung einer Kollegin ein Zimmer bekommen. Das war für mich eine erhebliche Verbesserung, wohnte ich doch vorher in Bahrenfeld in einem unansehnlichen Häuserblock direkt an der Hauptstraße. Hier war es erheblich ruhiger. Ein weiteres Zimmer war an einen zehn Jahre älteren Bremer untervermietet.

Wenn man in einer Wohnung Tür an Tür wohnt, kommt man sich auch menschlich näher. So war es auch bei uns beiden. Ich erfuhr, dass er durch die Borgward-Pleite in Bremen seinen Arbeitsplatz verloren hatte. In Hamburg konnte er jedoch Arbeit finden. Er wollte aber wieder wegen seiner Familie nach Bremen zurück und suchte dort eine entsprechende Beschäftigung. Das gelang ihm dann auch später. Wir verbrachten die Abende oft gemeinsam, spielten Schach oder hörten Radio. Damals gab es noch wunderschöne Hörspiele. Fernsehen war für uns ein Fremdwort, das hatten wir nicht. Es waren kurzweilige Abende, die allerdings dann ein jähes Ende fanden, weil er eine Anstellung in Bremen gefunden hatte. Der Abschied ist uns beiden nicht leicht gefallen.

Nachbarschaft kann etwas Schönes sein, weil man andere Ansichten kennen lernt. Nachbarschaft darf dabei aber nicht in Neugier oder Streit ausarten. Man kann anderen helfen und es wird auch einem geholfen. Denn keiner lebt allein. Wir sind in einem Sozialgefüge eingebunden. Der Wert des Einzelnen, sein Wirken und Handeln wird nur in der Gemeinschaft erkennbar. Erkennt man die eigenen Werte, so kann man auch positiv auf das Gemeinwesen einwirken. Auch das trägt zum Wohlbefinden bei.

Der Rückblick auf meine Nachbarschaftserlebnisse hat mich weit in die Vergangenheit geführt. Die Erinnerung daran macht mich glücklich.

erstellt am 15.04.2005

 

Zeitumstellung

von Uwe Neveling

Zweimal im Jahr muss die Uhrzeit umgestellt werden. Zum Beginn der Sommerzeit Ende März werden die Uhren um eine Stunde vor, zum Beginn der Winterzeit Ende Oktober eine Stunde zurückgestellt. In der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen werden diese Ereignisse groß herausgebracht. Der Umstellungstag Ende Oktober hat statt vierundzwanzig fünfundzwanzig Stunden, im März dagegen rechnet man den Tag nur mit dreiundzwanzig Stunden. Daraus lassen sich großartige Beiträge formulieren. Zuhörer und Zuschauer werden regelmäßig befragt, ob die Uhr nun vor oder zurückgestellt werden muss. Die besten Antworten – es sind sehr oft die falschen – werden gedruckt und gesendet. Durch die Zeitumstellung soll das Tageslicht besser genutzt werden. Der Nutzen konnte wissenschaftlich jedoch noch nicht nachgewiesen werden. Wahrscheinlich ist er so gering, dass er kaum messbar ist. Wir haben uns aber daran gewöhnt und beteiligen uns an dem Uhrenspiel.

Es bleibt mir also nichts anderes übrig. Wenn mir die Zeittermine nicht aus der Hand gleiten sollen, muss ich mich auch an den Umstellungsprozessen beteiligen. Ich durchwandere unser Haus und werde jedes Mal, wenn ich eine Uhr sehe, tätig. Bei uns werden die meisten Uhren mit Batterien betrieben. Bei diesen Uhren muss man die Zeigerabdeckungen entfernen. An den so zugänglich gemachten Zeigern kann ich dann die Zeitkorrektur vornehmen. Die Zeiger werden dann von mir sorgfältig wieder abgedeckt und die Uhren an den angestammten Platz zurückgestellt. Bei einigen Uhren kann ich die Sommer- und Winterzeit durch Knopfdruck einstellen. Mit diesen elektrisch betriebenen Uhren werden unsere Außenjalousien bedient. Dennoch muss ich mir jedes Mal die Bedienungsanleitung durchlesen. Im Laufe der Jahre wurden die Uhren mehrfach ausgewechselt. Bei einigen Uhren genügt ein Knopfdruck, bei den neueren müssen dagegen zwei Knöpfe mehrfach gedrückt werden. Ich weiß nicht, was sich die Konstrukteure dabei gedacht haben. Die neuen Uhren haben eine Vielzahl von Funktionen, die ich aber nicht nutze. Deshalb ist ihre Bedienung auch komplizierter. Darauf könnte ich verzichten. Wenn es doch nur noch die alten, mechanischen Uhren geben würde. Da war ein Uhrwerk noch ein Uhrwerk und keine Platte mit Leiterbahnen und Druckschaltungen.

Wir haben in jedem Zimmer eine Uhr. So auch im Bad. Die Baduhr ist mit Saugnäpfen an der Wand befestigt. Wenn die Saugnäpfe austrocknen, fällt die Uhr auch schon mal von der Wand. Das hat der Uhr bisher noch nicht geschadet. Sie ist aus Plastik, das metallisch glänzt. Im Oktober vergangenen Jahres nahm ich sie von der Wand, um die Winterzeit einzustellen. Das elektronische Uhrwerk ist von vorne nicht sichtbar am hinteren Teil befestigt. Es ist ein kleiner, rechteckiger Kasten, der wohl die gesamte Technik enthält. Das Batteriefach ist leicht zugänglich. Aber ich sah kein Rädchen, mit dem man die Zeiger bewegen konnte. Der Kasten ist mit vielen Schrauben am Plastikgehäuse befestigt. Es war kein großer Aufwand, die Schrauben vom Gehäuse zu drehen. Als ich dann den Kasten vom Gehäuse löste, fielen Sekunden-, Minuten- und Stundenzeiger von der Achse und lagen unordentlich im Uhrenfester. Das ist ebenfalls mit Schrauben auf dem Basissystem befestigt. Ich entfernte das Uhrenfenster von seinem Fundament und hatte jetzt die Zeiger in der Hand. Die Achse, an der sie zuvor auflagen, ist fest mit dem Batteriekasten verbunden. Ich musste die Achse nur durch das Bohrloch des Ziffernblattes stecken, die Zeiger wieder auf die Achse montieren, das Uhrwerk fest mit der Grundplatte verbinden und das Uhrenfenster wieder auf die Grundplatte schrauben. Das tat ich dann auch. Ich vergaß auch nicht, die Zeiger wintergerecht zu positionieren. Die Uhr tickte und die Zeiger bewegten sich sogar.

Ich blickte stolz durch die Scheibe auf das Ziffernblatt. Und da sah ich es. Nicht übersehbar stand da in fetten Buchstaben: Radio controlled. Die Uhr ist also funkgesteuert und passt sich automatisch der Zeitumstellung an. Die ganze Arbeit hätte ich mir sparen können.

In den Augen meiner Frau bin ich der Größte. Dass ich die völlig auseinander genommene Uhr wieder funktionsfähig zusammenbauen konnte, rechnet sie mir hoch an, dass ich es aber so weit habe kommen lassen, lässt sie an meinem Verstand zweifeln. Ich weiß nicht, ob die Blicke meiner Frau Bewunderung oder Mitleid ausdrücken. So lange das nicht geklärt ist, verbringe ich unruhige Tage. Ein Mann ist schließlich nur dann ein Mann, wenn er weiß was er tut. Weiß ich, was ich tue? Warten wir es ab.
erstellt am 21.03.2011

 

Müllbeseitigung

von Fritz Schukat

Ich hatte wieder einmal meine Aufräumphase und schaute überall rum, wo sich Papier angesammelt hatte, was nur Platz wegnimmt und deshalb einer vernünftigen Weiterverwendung via Papiertonne zugeführt werden könnte.

Tageszeitungen und Reklameblättchen stapeln sich bei uns innerhalb weniger Tage zu ungeahnten Höhen, und trotzdem verfalle ich immer wieder in den Wahn, gerade diesen einen Zeitungsausschnitt für die Ewigkeit zu konservieren, und hebe deshalb gleich die ganze Zeitung auf. So liegt sie dann längere Zeit irgendwo im Griffbereich auf meinem Schreibtisch oder im Aktenregal, bis ich diesen heilsamen Fimmel kriege. Dass dabei auch noch andere Dinge koppheister gehen, die meine Frau einen Tag später lautstark reklamiert, ist gewissermaßen vorprogrammiert. Nur der Himmel weiß, welche geheimen Verbindungen zwischen aussortierten Dingen und den Hirnwindungen meiner Frau bestehen, jedenfalls war das bisher immer so und ich habe schon lange keine Hoffnung mehr, dass sich dies irgendwann einmal zu meinen Gunsten ändern wird. Neulich waren es Plastiktüten, die sich in der Werkstatt zu einem unschönen Haufen angesammelt hatten. Wir brauchen sie nie, sie werden dort einfach hingelegt – das ist eigentlich nicht das richtige Wort, sie werden dort so deponiert, dass sie nicht direkt auf den Boden fallen. Klammheimlich hatte ich am Freitag einige der zusammengeknüllten Plastik-Dinger in den Gelben Sack gesteckt, denn der war noch halbleer und am Montag fahren bei uns die Wertstoffsammler herum. Am Sonnabend empfing meine Frau die esoterischen Wellen der weggeworfenen Sachen. Es kam zum Eklat. Ich musste die Hälfte der Tüten wieder reinholen, und nach einem etwas heftigeren Wortwechsel war wieder alles in Ordnung.

Dass ich oben im Gästezimmer war, die Tannenzweige, die dort noch immer zwischen der „liebevollen“ Weihnachtsdekoration herumlagen, auf einen Haufen gelegt habe, habe ich noch nicht verlauten lassen. Aber ich ahne schon, dass die kleinen Schneemänner und Engelchen, die ich auf dem Tisch zusammengestellt habe, um Hilfe rufen werden. In den nächsten Tagen wird es dann bestimmt wieder etwas lauter werden, weil meine Frau mich verdächtigen wird, dass ich einiges von diesen Sachen weggeworfen habe, doch das machen die verdammten Biester absichtlich, sie verstecken sich, und bis sie wieder auftauchen ... na ja, ich werd’s überstehen.

Gestern am Sonntag war der Fimmel noch nicht ganz überwunden, da fing ich an, bei mir in einigen übervollen Leitzordnern aufzuräumen. Ich trennte mich von einigen Sachen, die schon zweistellige Jahreszahlen auf dem Rücken haben, weil das niemand mehr interessieren wird. Der Papierkorb wurde ziemlich voll und ich gebe zu, damit mich nicht der Retro-Fimmel packten sollte, zerriss ich alles, was ich wegwarf – ich trennte mich also von dem alten Zeugs unwiederbringlich und habe es noch nicht bereut. Das ging über mehrere Stunden, denn man muss sich ja letztlich vergewissern, ob es nicht doch wichtigere Dinge sind, von denen man sich endgültig trennen will. Gut, es waren einige Sachen dabei, die ich aus Gründen der Pietät beiseite legte. Aber dann kam ich an den Ordner, in dem ich seit 1975 die letzte Seite unserer Hauszeitschrift abhefte. 34x12 Monate sind dort nun schon versammelt, mehr als 400 Seiten, auf denen die Jubilare stehen, die 40 Jahre oder 25 Jahre dabei waren, neuerdings werden auch die Pensionäre dort verabschiedet, und schließlich stehen da auch die Namen derer, die letztens verstorben sind.
Im Jahre 2000 wurde ich pensioniert. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich auf diesen Seiten viele Namen von Kollegen gelesen, die ich im Laufe der Jahre irgendwann kennen gelernt hatte. Das Weitersammeln ist acht Jahre nach meiner Pensionierung langsam unsinnig geworden. Ich kenne kaum noch jemand, der in der 40er Spalte steht, manchmal steht ein bekannter Name bei den Abgängern, die meisten bekannten Namen lese ich seit Jahren in der Spalte „Wir trauern um ...“. Ich machte mich nun ran, die ältesten Ausrisse mal wieder in Augenschein zu nehmen, und wollte wenigstens die Seiten herausnehmen, auf denen wirklich gute Bekannte stehen. Und im Übrigen bin ich schließlich dort auch drei Mal aufgeführt!

Ich sag es gleich vorweg, wie es gekommen ist, ich habe mich festgelesen, weil ich im Laufe der Zeit nicht nur die letzten Seiten dort abgeheftet hatte. Ich habe auch andere Seiten ausgerissen, auf denen besondere Ereignisse beschrieben wurden, wie z.B. die eine oder andere Laudatio, Nachrufe und Beschreibungen von Außenstellen unseres Hauses mit Bildern, auf denen bekannte Kollegen abgebildet sind, die ich noch gut in Erinnerung habe - und und und. Also, es kam wie es kommen musste, der Ordner wurde nicht gefleddert und nach zwei Stunden stellte ich ihn wieder zurück. Aber ich weiß, irgendwann werde ich es doch tun müssen, sonst wachsen wir zu. Für mich sind das immer noch kleine willkommene Krücken, mich zu erinnern. Ich bin gestern so richtig abgetaucht und war eine Weile weit entfernt irgendwo in längst vergangener Zeit.

Aber irgendwann ist das alles Schrott, und dann wird der Ordner entsorgt. Ich denke, ich werde das doch in Kürze selber machen, weil ich meinen Söhnen oder anderen Leuten, die mich eventuell beerben, ersparen möchte, dies dann fluchend und höchst unwillig zu besorgen. Heutzutage weiß man schließlich nicht, ob damit nicht doch noch Schindluder getrieben wird.

Aus diesem Grund hätte mein Freund schon vor Jahren seine ganz intimen Erinnerungen, also die Fotos seiner vielen vorehelichen Freundinnen, deren Liebesbriefe und sonstiges Zeugs, was man als Erwachsener gern vor seinen Kindern verbirgt, vernichtet, gestand er mir kürzlich. Ich gebe zu, dass ich vor einiger Zeit schon einmal ähnliche Anwandlungen hatte, aber von solchen „Erinnerungsstücken“ besitze ich nur ganz wenige! Es ist sicherlich richtig und wichtig, dass man sich von Zeit zu Zeit „entmüllt“. Und trotzdem habe ich es schon einige Male bedauert, denn ich hätte mir manches gern noch einmal angeschaut. Aber dann sag ich mir, es ist gut so, das selbst gemacht zu haben, bevor es irgendwann einmal andere für mich machen müssen.

Und die Moral von der Geschichte? Es gibt eigentlich keine, denke ich. Oder?

aufgeschrieben am 2. März 2009

 

Das Haus der vier Elemente

von Jürgen Hühnke

Ob die alte Hansestadt Stade es nun für einen Vorzug halten mag oder nicht, ich bin dort geboren. Freilich bin ich kein Stadtkind, sondern wuchs nur innerhalb der Stadt- und Gemarkungsgrenzen auf, an deren äußerstem südwestlichen Ende, wo ringsum Agrarwirtschaft betrieben wurde. Wenn ich einmal die zu einem prächtigen Laib geformte Teigmasse zum Backofen des bäuerlichen Nachbarn zu transportieren hatte, schob ich die Karre durch eine Grenzfurche seines Ackers, da das allemal der kürzeste Weg war.
Mein Geburtshaus - ach, nein, so etwas gibt es im gebräuchlichen Sinne nicht; denn zur Welt kam ich im Kreißsaal des Städtischen Krankenhauses. Also denn - mein Elternhaus - nein, das gibt es auch nicht, vielmehr gehörte das Haus meinen Großeltern mütterlicherseits. Nicht Geburts- oder Elternhaus - was denn dann? Ich bin dort aufgewachsen, also: Gewächshaus? Aufgezogen, also Zuchthaus? Es sah anders als, als man Häuser gemeinhin kennt. Es hatte kein Spitz-, Sattel- oder Walmdach, sondern - damals höchst ungewöhnlich - ein teerpappegedecktes Flachdach. Es wies von außen auch keine Ziegel- oder Backsteinwände, kein Fachwerk auf, da es über gemauertem Sockel in der guten Zimmermannstechnik meines Urgroßvaters aus grobfaserigen Eternitplatten bestand, beides einheitlich weiß verputzt.
Die Straßenseite des Hauses - Entschuldigung, wiederum Fehlanzeige: Das Haus stand an einem ländlichen Fahrweg, von dem bei uns vorbei ein Pfad in die Wiesen führte, auf dem manchmal an Wochenenden die alten Herren des Heimatvereins zu Exkursionen sich verlustierten. Von diesem Weg schirmte eine prächtige Buchenhecke das Gebäude ab, das sich in der Landschaft wie ein weißer Kubus von etwa 15 mal 30 mal 4 Metern ausnahm. Vom Hauptweg her, also dem „Kopfende“, befand sich eine Durchgangslücke in der Hecke, zum Eingang führend, der vier oder fünf Stufen in einen auf Wohnebene gelegenen Windfang mündete. Alles darunter war der Keller, ein halbes Souterrain, ausgedehnte Räumlichkeiten mit viel Lagerfläche, zwei gemauerten Pökelbecken und einer mit Buchenspänen beschwelten Räucherkammer für Würste und Schinken.
Wir selbst sowie die Postboten, die Sammler des Winterhilfswerks oder der Herr Benz, unser Hausfriseur, betraten das Haus von der Hofseite her. Hof - das war hier ein Obst- und Gemüsehof (Kirschen, Äpfel, Spargel, Erdbeeren) anfangs auch ein Geflügelhof für zweitausend weiße Leghorn, die aber im ersten Jahr der Hühnerpest erlegen waren.
Von der Hofseite her führten vier Stufen abwärts zunächst in die geräumige Waschküche, von der Küche und Speisekammer abzweigten. Davor befand sich ein gewaltiger Kessel mit einem Fassungsvermögen von wenigstens 120 Litern, eingemauert und beheizbar. Dummerweise kann ich mir trotz aller Anstrengung nicht mehr so richtig vorstellen, wie Großmutter, angetan mit grauer, karierter Schürze, hinter einem Dampfnebel mit vom Wasser klammen, fast abgestorbenen Händen die Wäsche knetete und walkte, wrang und rubbelte. Dagegen steht mir das zweckdienliche Abflussloch im Fußboden deutlich vor Augen.
Dort flossen Schaum und Wasser ab, wenn wir Gören - meine Schwester und ich des Samstags in die Zinkwanne kamen und munter herumplanschten.
In der Waschküche oder dem Waschkeller fand auch die Haarwäsche statt, zu der Großmutter meinen Kopf mit schraubstockartigem Griff über einer großkalibrigen Schüssel gefangen hielt und mich mit der anderen Hand so hart traktierte, dass ich mich nur wundern konnte, wenn meine flachsblonde Tolle dem standhielt, ohne auszufallen.
Zumeist fand diese Prozedur statt, bevor der Herr Benz ins Haus kam und den Waschkeller zum Friseursalon umfunktionierte. Er, dieser Herr Benz - denn die hübschesten Pointen schreibt doch das reale Leben -, hatte lange auf Nachwuchs warten müssen und nannte seine Tochter, als sie dann endlich kam, ausgerechnet Mercedes.
Ansonsten hatte die Waschküche an Schlachttagen ihre Bedeutung, indem der große Kessel die Würste zum Brühen aufnahm. Es gibt übrigens, von Gülle und Misthaufen abgesehen, zwei wundervolle Landgerüche: den Duft brühender Wurst und, auf einer Bauerndiele, den Geruch geschnittener Rüben.
Die zum Schlachten erforderlichen zwei Schweine hatten ihren Stall - zusammen mit unserem Plumpsklo, zu mehr reichte die Zivilisation nicht - in einem Anbau, an dessen Wand die offenen Leiber auf einer Leiter den Trichinenbeschauer erwarteten. Nach dem Bolzenschuss war es wieder Großmutter in der graukarierten Schürze gewesen, die das Blut mit nacktem Arm rührte und rührte. Gewissermaßen schmeckte man bei der Blutwurst imaginär auch immer Großmutters Arm mit. Das bei allem benötigte Wasser bezogen wir per Handpumpe, die links gleich neben dem Hofeingang lag. Oft musste man vor der täglichen Mühsal mit dem Pumpenschwengel erst einmal einen Kessel Wasser einfüllen, bevor der Saugvorgang klappte, im Winter dann selbstverständlich heißes Wasser.
Neben dem Waschkessel war die Tür zur Küche mit anschließender Speisekammer. Am Kohle- und Torfherd stand Großmutter, die in guter alter Tradition als Mädchen „in Stellung“ in Hamburg das Kochen gelernt hatte. Um den Küchentisch versammelte sich die ganze Familie, mit den Kriegsgefangenen über ein Dutzend Personen, oft noch verstärkt durch Wehrmachtssoldaten, Bewacher der nahe gelegenen Gefangenenlager, als Benutzer des Nebenweges vom Duft der Kartoffelpuffer und der gleichermaßen vorzüglichen Bratkartoffeln, angelockt.
Man kann sagen, dass sich der eigentliche Umgang der Familie in Küche und Waschkeller vollzog. Die Treppe hoch ging es auf die Wohnebene, geradeaus auf die Altenteilerzimmer der Urgroßeltern und links und rechts einerseits in die Räume der Großeltern mit der Tante samt Kind und andererseits in die elterliche Wohnung und die Kinderzimmer von meiner Schwester und mir.
Erdacht hatte sich das Gebäude mein Großonkel, Bruder der Großmutter, ein Baumeister, für meinen Großvater, als dieser, kaufmännischer Leiter des Krankenhauses und Sozi-Senator in Stade, von den NS-Machthabern in die Arbeitslosigkeit entlassen worden war und sich eine neue Existenz mit Hühnern, Äpfeln und Kirschen usw. aufbauen musste.
Für Kinder war das Haus optimal - mit großen Spielflächen in den Kellern und ausgedehnten Fahrbahnen für die elektrische Eisenbahn durch zwei Langflure hin, optimal auch mit dem Flachdach, von dem aus man so wunderschön auf den lavendelumstandenen Rasen vier Meter hinab springen konnte und doch immer seine Knochen wieder einsammelte.
Im unteren Teil war das Gebäude den Elementen Erde und Wasser gewidmet Handpumpe und Waschkeller -, im oberen den Elementen Feuer und Luft. Mit nackten Fußsohlen aufs Dach, das konnte im Sommer schön warm bis heiß sein, das Springen vom Dach dauerte nur eine luftige Endlichkeit, im Unterschied zu den nächtlichen Träumen, in denen man sprang und fiel und fiel und ohne Ende fiel.
erstellt am 21.12.2006