Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Rohrbruch von Fritz Schukat
Denglisch - Verenglisch - Angleutsch von Jürgen Hühnke
Lehrjahre zu Beginn der Demokratie von Pit Dwinger
Kurier in Sachen Liebe von Pit Dwinger
Der etwas andere Einkauf von Walter Bosniakowski
lieber Leierkastenmann von Fritz Schukat
Beleuchtungen von Fritz Schukat
Meine kleine Rundfunkgeschichte von Fritz Schukat
Der schwarze Markt von Ingeborg Eva Witt
Entnazifizierung von Heinz Münchow
Heißgetränk kalt - oder Coca-Cola ? von Heinz Münchow
Kriegsende - Lehre - Studium ? Von Heinz Münchow
Mögt ihr Bohnen? von Edith Kollecker
Für Wasser musste man früh aufstehen von Annemarie Lemster
Trümmer von Annemarie Lemster
Wie erging es den Rauchern nach dem Krieg von Annemarie Lemster
Familienzusammenführung von Sigrid Gehrken
Unsere neuen Nachbarn von José O. Probst
Wasserprobe von José O. Probst
Die Heimkehr des Vaters von Ellen Probst
1945 ein Radio kommt zurück von Ingeburg Nygaard
Ein Fall von Schulversagen von Jürgen Hühnke
Integration durch Erotik von Jürgen Hühnke
Die Segnungen der Naturalwirtschaft von Jürgen Hühnke
Die Luftbrücke von Fritz Schukat
Bild und Wirklichkeit von Uwe Neveling
Wie ich meinen Vater fand von Uwe Neveling
Erinnerungen an einen 1. Mai von José O. Probst
Zeitungspapier von Fritz Schukat

 

Rohrbruch

von Fritz Schukat erstellt am 10.08.2014

An sich passt diese Geschichte nicht in unsere Philosophie, denn sie ist nicht „alt“ und eigentlich kann sie auch jeder jüngere Mensch erleben, aber hier kamen plötzlich und mit aller Wucht die traumatische Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegsjahre hoch, die trotz der Alltäglichkeit dieser Situation unbehagliche Angstgefühle initiierten.
Unser Autor ist Jahrgang 1935 und hat die letzten Kriegsjahre als 8-9-Jähriger bewusst miterlebt.
Auf einem Symposium an der Universität München im Jahre 2010 war der bekannte Psychoanalytiker Ermann bei einer ähnlichen Schilderung nicht überrascht. "Die Kriegskinder sind heute in einem Alter, in dem sie die Vergangenheit gleich zweifach einholt." Zum einen liege das an neurophysiologischen Prozessen: Im Alter erinnern wir uns plötzlich wieder an Erlebnisse, die lange verschüttet waren. Zum anderen sei das Alter eine Lebensphase, in der alles, was jahrzehntelang Halt gegeben habe - die Familie, der Beruf - langsam wegbreche, sagt Ermann. "Und dann fällt auch die mentale Abwehr in sich zusammen."

Es passierte am zweiten Sonnabend im August 2014, eigentlich einem Tag wie jeder andere. Wetter durchwachsen, es regnete nicht, aber die Sonne wollte auch nicht so richtig durchkommen.
Ich saß an meinem PC, trank gerade den letzten Tropfen des kalten Kaffees von heute früh, als meine Frau mich rief und mir im Bad erstaunt und entgeistert erklärte, „Du, wir haben kein Wasser mehr!“ Sie betätigte die Armatur am Spülstein und es kam nur noch ein dünner Faden heraus. „Auch in der Küche läuft nichts mehr!“
Ich war ratlos. Nahm eine Taschenlampe und stieg in den Keller, um dort vielleicht der Ursache auf den Grund zu kommen, aber weder war der Keller geflutet noch hörte man irgendwelche Geräusche - hier gab es nichts zu entdecken.

Wieder oben, eröffnete ich meiner Frau, dass ich nichts habe feststellen können. Einigermaßen ratlos fragte ich sie, ob sie denn nicht einmal die Wasserwerke anrufen möchte, um ggf. etwas zu erfahren.

Unser Dorf hat kein eigenes Wasserwerk, es liegt auf der Grenze zwischen zwei größeren Orten, die jeweils ihr eigenes Wasserwerk haben. Natürlich riefen wir das falsche an: „Ja, davon habe ich heute auch schon gehört, aber wir sind für Ihren Ort nicht zuständig, da müssen Sie mal in der Nachbarstadt anrufen.“ Meine Frau hatte eine bessere Idee. Der Ortsbürgermeister hatte eine Bandansage aufgenommen und die Frau erfuhr, dass wegen eines Rohrbruchs die Wasserversorgung für den ganzen Ort für unbestimmte Zeit unterbrochen werden musste. Man bäte um Verständnis.

Wir sahen uns verständnislos an: was heißt für unbestimmte Zeit? Ein oder zwei Stunden? Vielleicht den ganzen Tag? Wir hatten keine Chance, einen kleinen Vorrat an Wasser anzulegen, etwa um uns Kaffee zu kochen oder Würstchen warm zu machen. Wofür braucht man Wasser eigentlich noch - nix würden wir machen können, nicht einmal das Klo benutzen, na ja, gut, aber nicht für größere Geschäfte!

Noch war uns nicht so recht bewusst, dass das eigentlich eine fatale Lage war, aber wenn doch, betraf sie natürlich auch die Nachbarn. Und was machen die? Also, so lange kann das doch nicht dauern, aber wir hatten Wochenende und ob da alle Reparaturen schnell erledigt werden könnten, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.

Mineralwasser haben wir immer im Haus. Ob man damit Kaffee kochen kann? Meine Frau probierte es, und der Kaffee schmeckte hervorragend. Aber das kann keine Dauerlösung werden. Wer sagt uns denn nun, wie lange es noch dauern wird?

Nach ein paar Minuten stellte meine Frau fest, dass das Wasser nunmehr wieder laufe! Ich wankte von der Couch, wo ich ein paar Augenblicke lang meinen Mittagsschlaf gehalten hatte zur Toi, spülte, aber es gab keinen Nachlauf! Auch aus dem Handwaschbecken kam wieder kein Tropfen.

Und da war es wieder, dieses Gefühl der Hilflosigkeit, dieser merkwürdige Angstzustand des Ausgeliefertseins wie damals nach dem Krieg, wo es nicht nur stundenlange Stromsperren gab, lange verschüttet und vergessen. Unbehaglich.
Hätten wir erfahren, dass es sich beim ersten Versuch nur um einen Atemzug handelte, hätten wir schnell einen Eimer abgezapft. Wieder ungewiss, wie lange der Zustand anhalten würde.

Wenn am Sonnabend um 12:00 Uhr die Sirenen im Ort „durchgepustet“ werden und einen langen Ton von sich geben, weiß man, wie spät es ist. Das geschieht jeden Sonnabend. Aber wenn nach einem Gewitter die Sirenen in den dunklen Himmel hinein schreien, wenn man den Warnton drei Mal hintereinander anschwellen hört, dann kommt manchmal die Erinnerung an den Fliegeralarm während des Krieges hoch, aber nur kurz. Man weiß ja, wenn die Feuerwehr „mit Fackeln und Musik“ durch den Ort saust, dann ist es für uns nicht bedrohlich.

Bis dann nach nochmals einer Stunde das Wasser endlich wieder lief, habe ich mich sehr unwohl gefühlt und wir haben hin und her überlegt, was wir im Ernstfall machen könnten. Vielleicht würden ja sogar Fahrzeuge mit Wasser durch den Ort fahren, um uns zu versorgen!? Am Montag werden wir bestimmt weiteres hören.

Noch einmal Rohrbruch möchte ich so etwas unvorbereitet nicht mehr erleben.

 

Denglisch - Verenglisch - Angleutsch

von Jürgen Hühnke erstellt im Juli 2013

Lange vor unserer Zeit, in der alles cool, hip und taff (tough) wurde, gab es bereits den Hang zum Denglischsprechen. Das fing bei unseren Urgroßvätern an, bei denen sich Begriffe aus Sport und Mode durchsetzten, vorab das Wort Sport sowie etwa Clinch, Knickerbocker, bald auch Cheerleader oder Tiebreak. Soweit unsere Väter „Politische Leiter" der NSDAP oder SA-Leute waren, liefen sie in Breeches herum.
Vollends nach dem Zusammenbruch der braunen Ideologie - oder feiert sie nicht stets neue Urständ`? - schwappte vermehrt das Denglische über den Kanal, überwiegend mit Begriffen technischer, wirtschaftlicher, modischer Art und Ausdrücken aus Film, Funk und Fernsehen: Computer, Chatroom, Cybersex, Set, Event, Entertainer, Shooting, Casting, Body und Bodybuilding, Model, Catwalk, Nordic Walking, Stalking, Happening usw. usw. usw.
Mit der WM 2005 kam für die Filmübertragung von Großereignissen auf Leinwände der Ausdruck „Public viewing" auf, obwohl ein Englishman darunter zunächst einmal eine Leichenschau versteht. Das ist nun wirklich keine High-Fidelity-Translation (also wortgetreu übertragene Version).
Vom Denglischen zu unterscheiden ist das Verdrenglisch, das verdrehte Englisch. Mein Freund Lutz, studierter Anglist, könnte Beispiele nennen wie: „I break together!" oder: „I make that not longer with!" Oder: „I have my nose painted (gestrichen) full."
Als dritte Möglichkeit gibt es da noch das Angleutsch, das insbesondere bei der Synchronisation von Filmen zumeist amerikanischer Provenienz anfällt. Gerade gestern fiel mir an der Wand des NETTO-Marktes ein Werbeplakat auf mit dem Text: „Sie stehen auf junges Gemüse? Ach, wir auch!" Glitscht man auf Gemüse unter Umständen nicht aus?
Die Wendung: „I can`t stand her!" (Ich kann sie nicht ausstehen) wird hier einfach umgekehrt oder aber mit dem Kurzweilvergnügen One-Night-Stand gemixt. Inzwischen ist „Ich stehe auf Dich!" zu einer stereotypen Formel verkommen, ohne dass man noch nachdenkt. Aber beim Verb „bestehen auf" (z. B.auf seinem Recht) wird gedankenlos der falsche Akkusativ übernommen.
Verabschieden sich Bud Spencer und Terence Hill mit ihrem filmischen „See you later!", lautet die verfuckte Synchronisation: „Wir sehen uns!" Richtig jedoch wäre: „Wir treffen uns (hoffentlich bald) wieder!" Einen ähnlichen Fehler beging der Übersetzer beim Filmtitel „Find Nemo!", wenn er „Findet Nemo!" wählte; denn ein Tommy oder ein Ami geht vom positiven Ergebnis, dem Finden, aus, wenn er zum Suchen auffordert!
Also, ehrlich, Angleutsch ist Bullshit. Da es im Englischen außer dem bisschen Conditional (I would) keine Möglichkeitsform gibt, unterbleibt der Konjunktiv auch in der deutschen Sprache, etwa bei der indirekten Rede. Neuere, erstaunlicherweise erfolgreiche Literaten erhalten sogar dann hochdotierte Preise von Akademien, wenn sie bezüglich des Konjunktivs auf voller Länge jämmerlich versagen. Well, there am I but totally served! (Na, da bin ich aber total bedient!)

 

Lehrjahre zu Beginn der Demokratie

Von Pit Dwinger

Nach Kriegsende war ich sechzehn Jahre alt und begann meine Lehrzeit bei der Gemeindeverwaltung Quickborn. Ich ahnte nur ungefähr, dass ich beileibe nicht die besten Voraussetzungen für eine vernünftige Ausbildung vorfinden würde.
Die englischen Besatzungstruppen hatten den Nazi-Bürgermeister aus dem Amt gejagt. Aber auch die leitenden Angestellten wussten, dass sie auf der „Abschussliste“ standen, denn sie waren alle NS-Parteigenossen gewesen, Sie zeigten sich jedenfalls nicht geneigt, einem Lehrling das entsprechende Fachwissen beizubringen. Außerdem wussten sie selber nicht, wie eine demokratische Verwaltung funktionieren sollte. Deren Nachfolger waren „unbelastet“ in doppelter Hinsicht. Sie waren politisch sauber, hatten aber weder Verwaltungserfahrung noch Fachwissen, denn sie kamen aus völlig artfremden Berufen. Von denen hatte ich noch weniger zu erwarten.
Mein Vorteil war, dass ich als junger Mensch schneller lernte, auch ohne sonderliche Anleitung. Dabei kam mir meine Schulbildung zugute und besonders der Besuch der Berufsschule in Pinneberg. Hier lernte ich ausführlich, was eine Demokratie ausmacht, vom Vorteil der Gewaltenteilung, wie Gesetze entstehen und wie man sie in der Praxis umsetzt.
Damals waren alle Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände rationiert. Man bekam sie nur auf Marken oder zu horrenden Preisen auf dem „schwarzen Markt“. Aber wer konnte das bezahlen. Ich verdiente im ersten Lehrjahr ganze 20,56 Reichsmark monatlich.

 

Die ehemalige Quickborner Gemeindeverwaltung 

 

Eines Tages hatte ich ein unerwartetes Erlebnis, das meine Stellung gewaltig aufwertete.
Ein britischer Offizier erschien unverhofft in unserem Büro. Alle Bediensteten grüßten ehrerbietig. Soweit noch „alte“ Chefs im Amt waren, befürchteten sie ihre Entlassung. Die „neuen“ dagegen hatten Angst, dass man mit ihnen nicht zufrieden sein könnte. Ich dagegen war der Einzige, der sich völlig unbelastet fühlen konnte.

Das Gebaren der älteren Herren beeindruckte den Offizier keinesfalls. Er schlug mit der Reitpeitsche auf den Tisch, als wäre er in einer englischen Kolonie und brummte unwirsch, den Bürgermeister sprechen zu wollen, natürlich auf Englisch.
Da erkannte ich meine große Chance, hatte ich doch auf der Höheren Handelsschule etwa zwei Jahre Englischunterricht genossen. Ich fasste mir ein Herz, ging auf den Offizier zu und sagte:

„Good morning Sir! Do you want to speak the Mayor?”

Im ersten Augenblick bereute ich schon meine vorlaute Handlung. Dann aber bemerkte ich, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte. Der Captain fuhr herum und war wie umgewandelt. Freundlich legte er mir beide Hände auf die Schultern und sagte: „Hello my young boy!“ Und dann prasselte ein Schwall von englischen Wörtern über mich herein, von denen ich knapp die Hälfte verstand und zu dem ich nur vorsichtig hier und da ein „yes Sir oder „no Sir“ einwarf. Schließlich war ich froh, dass ich den Engländer beim Bürgermeister los wurde.

Meine Lehrherren schauten mich verblüfft an. Sie hatten zwar nicht mitbekommen, was ich dem Engländer erzählt hatte, aber sie befürchteten, dass ich über sie berichtet hätte. Von diesem Tag an behandelten sie mich als Kollegen und nicht mehr so von oben herab.

In meine Lehrzeit fiel auch die Währungsreform vom 20. Juni 1948. Am Abend vorher erschienen Militärpolizisten und stellten eine eisenbeschlagene Holzkiste im Büro ab. Wir schlossen sie auf und schauten gebannt hinein. Das war also die Deutsche Mark, in den USA gedruckt und in Frankfurt am Main streng bewacht zwischengelagert. Am nächsten Tag wurde das Geld verteilt, wie sonst die Lebensmittelkarten. Jeder Bürger erhielt 40.-DM. Das alte Geld wurde 1:10 abgewertet.

Mit der Zeit normalisierte sich das Leben wieder. Meine Lehrzeit endete im September 1948. Später fand ich dann meinen Lebensberuf als Kriminalbeamter bei der Polizei Hamburg.

 

Kurier in Sachen Liebe

von Pit Dwinger

Im Jahre 1945 war Quickborn ein Dorf von 4000 Einwohnern. Nach Kriegsende hatte die Besatzungsmacht den Nazi-Bürgermeister und den Amtsvorsteher aus ihren Ämtern gejagt. Auch einige Gemeindeangestellte wurden entlassen und der Gemeinderat aufgelöst.
Bis zu den ersten Gemeinderatswahlen schaffte die englische Militärregierung im Dezember 1945 eine Übergangslösung, die „Provisorischer Gemeinderat“ genannte wurde. Es wurden zwanzig ausgesuchte Quickborner Bürger bestimmt, die politisch sauber waren. Dieser erste Gemeinderat hatte die schwere Aufgabe, Quickborns Zukunft neu zu gestalten. Trotz guter Absichten schlug nicht alles zum Besten aus.

In der Regel wurden die Sitzungen in den Abendstunden abgehalten. Dazu musste ein Gemeindeangestellter das Protokoll führen. Ich war damals Lehrling bei der Gemeindeverwaltung und noch ledig. Zur Freude meiner älteren und durchweg verheirateten Kollegen meldete ich mich freiwillig für diese Aufgabe.
An diesen abendlichen Sitzungen nahmen in der ersten Zeit Angehörige der Besatzungsmacht teil, die argwöhnisch darauf achteten, dass deren Richtlinien eingehalten wurden.
Auf diese Weise bekam ich Kontakte zu den Soldaten der „Royal Air Force“, die sich mit der Zeit immer enger gestalteten. Sie nannten mich scherzhaft „Blondy“, weil ich damals so einen prächtigen blonden Haarschopf hatte. Für ihr Hauptquartier hatten sie den „Schmidts Gasthof“ (danach „Quickborner Hof“, heute "Visit") requiriert. Kein Deutscher durfte unaufgefordert dieses Haus betreten.

 

„Schmidts Gasthof, danach „Quickborner Hof“. Die Engländer nahmen den Gasthof nach Kriegsende als Hauptquartier in Quickborn Ecke Pinneberger Straße / Kieler Straße. Heute trägt er den Namen "Visit"

 

Eines Abends forderten mich die Engländer auf, in dieses Hauptquartier zu kommen. Trotz der guten Kontakte hatte ich zuerst ein schlechtes Gewissen und überlegte hin und her, ob sie mir etwas vorzuwerfen hätten. Mit der Besatzungsmacht konnte man sich sehr leicht überwerfen. Manchmal genügte ein falsches Wort über die deutsche Vergangenheit. Aber sie empfingen mich äußerst freundlich und bewirteten mich reichhaltig, weil sie hofften, mit meiner Hilfe ein privates Problem lösen zu können. Es handelte sich darum, dass ihr Oberbefehlshaber Montgomery ein striktes Verbot für alle Soldaten erlassen hatte, sich mit den Deutschen zu verbrüdern (no fraternization). Aber die Soldaten waren alle im besten Mannesalter und hatten das dringende Bedürfnis, dieses Verbot heimlich zu umgehen und sich mit deutschen „Frolleins“ anzufreunden.

Ich erkannte meine Chance und meine Machtposition und wurde nebenberuflich „Kurier in Sachen Liebe“. Die Engländer sicherten mir reichliche Belohnung in Form von Naturalien zu und jederzeit freien Zutritt zum Hauptquartier. Als ich sah, dass einige mir bekannte Mädchen in den Abendstunden das Gasthaus umkreisten, offenbar in der gleichen Absicht, wie die Soldaten, stellte ich die ersten Kontakte her. Zuerst gestaltete sich die Sache schwierig, denn ich musste dreierlei Dinge beachten: Zunächst sollte ich den Soldaten abgelegene Winkel für die Treffs empfehlen. Das war allerdings kein großes Problem, da ich in Quickborn geboren und aufgewachsen war. Gleichzeitig musste ich die ersten Bande zu den Mädchen knüpfen. Aber das Schwierigste war in der ersten Zeit, die Übersetzung der englischen Liebesbriefe an die deutschen Mädchen, und umgekehrt.
Damals hatte ich gerade mal zwei Jahre Englisch in der Handelsschule gehabt und konnte mich mündlich leidlich mit den Soldaten verständigen. Die Übersetzung der Briefe aber war sehr kompliziert, zumal die Texte der deutschen Mädchen in schwülstigen Redensarten formuliert waren, wie es verliebte Leute tun. Bei den Soldaten dagegen waren sie etwas einfacher gehalten.
Ich grübelte längere Zeit, wie ich aus diesem Dilemma herauskommen würde, denn die Aufgabe reizte mich schon. Dann hatte ich eines Tages eine Idee: Ich erfand den Text einer Übersetzung, den ich immer wieder verwenden konnte. Ich brauchte noch nicht einmal die Vornamen der jeweiligen Partner zu wechseln. Aus einem zweiseitigen Brief voller Liebesbeteuerungen wurde dann folgender Wortlaut:

„Hallo Darling! Es war schön mir Dir das letzte Mal. Ich möchte Dich wiedertreffen am Donnerstag, um 20 Uhr, hinter dem Bahnhof.“

Für die eigentlichen Rendezvous waren vermutlich keine Sprachkenntnisse erforderlich. Es ist erstaunlich, dass dieser kleine Trick mit der sehr vereinfachten Übersetzung niemals auffiel, weder der einen, noch der anderen Seite. Ich habe jedenfalls keinerlei Beschwerden gehört. Nachdem einige Zeit vergangen war, konnte ich meine Tätigkeit einstellen, da die jeweiligen Partner sich selbst untereinander verständigen und verabreden konnten.

 

Die "Royal Air Force" vor "Schmidts Gasthof" Die R.A.F. Quickborn mit der Truppennummer 15054 im Jahre 1946.

 

Von den Mädchen bekam ich nichts. Die englischen Soldaten aber entschädigten mich großzügig in Form von Naturalien wie Zigaretten, Süßigkeiten, Milchpulver und Bohnenkaffee. Das waren heiß begehrte Mangelwaren, die nur für viel Geld auf dem schwarzen Markt zu haben waren. Die englische Zigarette hatte einen festen Handelswert von sechs Reichsmark, für „Otto Normalverbraucher“ unerschwinglich. Ein Bauhandwerker musste dafür gut zwei Stunden arbeiten. Für meine Tätigkeit als Lehrling in der Verwaltung bekam ich im ersten Lehrjahr ganze 20.56 Reichsmark monatlich.

 

Der etwas andere Einkauf

von Walter Bosniakowski erstellt Mai 2013

Aufgewachsen im südlichen Ostpreußen (Masuren), nur wenige Kilometer von der polnischen, dann später von der russischen Grenze entfernt, habe ich als neunjähriger Junge den Überfall auf Polen noch gut in Erinnerung.
Als wir nachts von dem Schießen aufwachten, haben meine Eltern als erstes die wichtigsten Sachen in Behälter gesteckt und im Garten vergraben. Dies taten sie aus ihrer Erfahrung während des ersten Weltkriegs, da waren es die Kosaken, die plünderten, Häuser ansteckten und schnell verschwanden.
Als im Herbst 1944 die große Flucht begann, wurde so wieder vieles in der Erde rund um die Häuser vergraben.
Schon eine Woche nach Beginn der allgemeinen Fluchtbewegung kam die Anordnung der Partei, dass wir nicht mehr flüchten durften. Deshalb wurden wir schnell von der russischen Front überrollt. Nun mussten wir von den wenigen Reserven leben, doch die reichten nur für eine kurze Zeit.
Nun kamen uns die vergrabenen und versteckten Schätze anderer Familien zugute.
Wir Jungs besorgten uns dünne Eisenstangen, mit denen wir Meter für Meter an bestimmten Stellen in den Erdboden gestochen haben und bei besonderem Widerstand fündig wurden.
Die gefundenen Nahrungsmittel wurden unter allen Hilfsbedürftigen aufgeteilt,
andere Gegenstände wie Haushaltsartikel und Kleidung haben wir versteckt und
später, als die polnischen Siedler kamen, konnten wir diese Sachen gegen
Essbares tauschen.
Ein besonderer Fund war für uns ein Sack Viehsalz, den wir auf einem verlassen Bauernhof gefunden haben. Darüber freuten sich die Hausfrauen sehr.

Eines Tages bekam eine zurückgebliebene Familie einen Brief aus Deutschland von einer geflohenen Familie mit dem Hinweis auf vergraben Sachen in ihrem Garten unter anderes auch gutes Geschirr.
Leider war das besagte Haus nun von einem polnischen Kommandanten bewohnt.
Nun waren wir Jungs gefragt!
Eines Nachts bei gutem Mondlicht zogen wir zu zweit los. Natürlich mit Herzklopfen, doch da die Not groß war, haben wir als Fünfzehnjährige die Gefahr, die für uns bestand, gar nicht bedacht.
Wir wurden auch schnell fündig und sind mit der Beute unerkannt nach Hause gekommen.
Ein anderer guter Fund war auch ein großer Tontopf mit Schmalz, der an einem Teichufer bei einem Bauern vergaben war.
Bei aller Gefahr, die mit unseren Suchaktionen verbunden war, überwog die Freude über die gefundenen Dinge mehr als das Riskieren des eigenen Lebens!

 

lieber Leierkastenmann

von Fritz Schukat, 20. Januar 2013

...fang‘ nochmal von vorne an, deine alten Melodien von der schönen Stadt Berlin...“ So fängt ein populäres Chanson über Berlin an, das Bully Buhlan in den 1950er Jahren gesungen hat. Natürlich konnten wir den Text mitsingen, denn er schilderte in treffender Weise, wie es damals war, in der Nachkriegszeit, als Leierkastenmänner mit ihren Drehorgeln durch die Berliner Hinterhöfe tingelten, um ein paar Groschen Trinkgeld zu erhaschen. Während sie ihr Repertoire durchleierten, tanzten die kleinen Kinder auf dem Hof herum und sammelten die paar Groschen ein, die die Hausbewohner aus den Küchenfenstern in Zeitungspapier eingewickelt herunter warfen, um sie auf den Kasten abzulegen. Der eine oder andere hatte mal einen Affen an einer Leine bei sich, der auf dem Kasten herumturnte, ein anderer hatte einen Hund, selten kam ein Kind mit, aber meistens waren die Männer allein. Dass mal einer mitgesungen hatte, kam ganz selten vor. Es gab damals Gaumen-plättchen, mit denen man vortrefflich pfeifen und trällern konnte. Beim Sportpalastwalzer pfiff dann der Leierkastenmann gerne mit. Reich werden konnte man mit diesem Freizeitvergnügen sicher nicht, denn die Drehorgeln wurden verliehen. Selber leisten konnte sich dies sicher niemand, denn sie mussten gewartet werden und letztlich konnte man ja auch nicht ewig die gleichen Lieder spielen.

Natürlich waren die Leierkästen keine Nachkriegserscheinung, die gab es auch lange vor dem Krieg, nur daran erinnere ich mich nicht, denn im „Dritten Reich“ waren sie so gut wie ausgestorben. Die Drehorgeln, mit denen sich die Leierkastenmänner im Nachkriegs-Berlin auf den Weg machten, waren alle auf einem Rädergestell montiert. In den frühen Jahren waren es einfache Holzräder mit Eisenbeschlag, später dann bekamen sie luftbereifte Gummiräder. Seltene kleine Orgeln konnte man sich an einer Trageschlinge über die Schulter werfen, sie hatten keine Räder, dafür aber einen Standfuß und weil sie nicht so laut waren, standen die Männer meistens dort, wo viele Menschen vorbei kamen.

Mit einem Schwengel wird ein Luftbalg gefüllt, der seinen Inhalt dosiert an echte Pfeifen angibt. Wie das funktionierte, hatte ich mir mal erklären lassen. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde auch ein Rollensystem durch den besagten Schwengel angetrieben. Dieses bewegte ein gestanztes Pappband über die Ventile, die dann die Pfeifen bedienten. Die Papprolle war endlos und wurde mit einer Arretiervorrichtung auf Spur gehalten. Mit der Arretierschraube konnte man das gesamte Repertoire einstellen, das sich nebeneinander auf dem Band befand. Offenbar hatten es die Programmierer geschafft, alle Stücke gleichlang einzustellen, so dass der Leierkastenmann beim Umschalten immer von vorn anfangen konnte.

 

 

Für mich gehören die Leierkästendarbietungen auf den Berliner Hinterhöfen zu den unvergesslichen Jugenderlebnissen, die sich fest einprägten. Nach 1960, als ich aus Neukölln in ein Neubauviertel umzog und erst recht nach meiner Übersiedlung aus Westberlin nach „Westdeutschland“ habe ich nie mehr bewusst einen Leierkasten in freier Wildbahn gehört. Es gibt sie aber immer noch, doch heute steckt in dem ähnlich geformten Kasten Elektronik und statt Orgelpfeifen Lautsprecher, die so ähnlich klingen.

Dass ein solches Instrument im Zeitalter des „walkman“ oder des iPhone noch eine Chance hat, ist stark zu bezweifeln, aber dass es das trotz allem noch gibt, hängt sicher mit dem Traditionsbewusstsein zusammen. Als meine Schwester vor einiger Zeit 70 Jahre alt wurde, haben ihr ihre Gäste einen Drehorgelmann bestellt, der ihr eine Stunde lang Geburtstagsständchen brachte. Das hat sie sehr genossen, wie sie mir schrieb. Auf dem beigelegten Bild sieht man das auch. Kurz danach hat sie ihre Kneipe aus Alters- und Krankheitsgründen geschlossen.
Wenn ich mir dieses Bild ansehe, summe ich leise den Refrain mit:
„...fang noch mal von vorne an!“

 

Beleuchtungen

Von Fritz Schukat

Nach dem Kriegsende, vor rund 60 Jahren, wurde selbst der Strom aus der Steckdose rationiert, das hieß dann einfach „Stromsperre“ und war eine Maßnahme der städtischen Versorgungsbetriebe, die knappen Energiereserven gerecht zu verteilen. Die Straßen und Wohnblocks in den Großstädten waren mit Buchstaben gekennzeichnet. Jede Familie kannte natürlich ihre Kennung. Wöchentlich wurden die neuen Pläne in den Tageszeitungen veröffentlicht. Die Straßenzüge bekamen den Strom rotierend  stundenweise auch schon mal in der Nacht zugeschaltet. Die Hausfrauen stellten sich dann ihre Plättwäsche und das Plätteisen zurecht und den Wecker auf die Einschaltzeit. Das konnte schon mal 2 oder 3 Uhr in der Nacht gewesen sein. Wenn dann zu der angekündigten Zeit das Licht wirklich anging, war das schon ein kurioser Anblick: wie von Geisterhand erleuchtete die ganze Gegend auf einem Schlag. Auch die Radioapparate und andere elektrisch betriebene Geräte gingen dann an. Wir Kinder waren natürlich ebenso wach wie die Erwachsenen, die nun - wie im Dornröschen-Märchen, als der Prinz die Prinzessin küsste - mit einem Male geschäftig wurden, und es war - trotz tiefster Nacht - an allen Ecken und Enden Leben. Kurz vor der erneuten Abschaltung musste man sich dann beeilen, wenn man gerade eine Arbeit angefangen hatte. Öfter mal „vergaß“ der Techniker in der Zentrale, den Schalter umzulegen, manchmal um 3 - 5 Minuten, dann gab es glänzende Augen. Aber auch das Gegenteil trat oft ein, dann wurde herzhaft geflucht! Da man darauf immer vorbereitet sein musste, brannten die obligatorischen Kerzen schon einige Zeit vor der bekannten Abschaltzeit.
In diesen wahrhaft dunklen Tagen hatten Kerzen und Petroleumlampen Hochkonjunktur. Als Ersatzbeleuchtung musste alles herhalten, was nicht mit Elektrizität betrieben wurde, zum Beispiel auch die schon längst außer Mode gekommenen Karbidlampen. Wohl dem, der im Keller noch ein altes Fahrrad fand, an dem von früher noch ein solches Unikum hing. Ich weiß nur, dass man dazu einen bestimmten Stein brauchte- eben Karbid, das ist ein kreideartiges Mineral, das sich etwas speckig anfühlte, was man allerdings tunlichst nicht zu lange anfassen sollte - und etwas Wasser. Wenn Karbid mit Wasser in Berührung kommt, entwickelt sich ein brennbares Gas. An der beschriebenen Lampe gab es eine Tülle mit einer regelbaren Düse, an der das Gas austrat und entzündet werden konnte. Die Flamme brannte sehr hell und gab ein etwas bläuliches Licht ab, das durch einen kleinen Blechspiegel „verstärkt“ wurde.
Auch Petroleumlampen kamen wieder in Mode. Aber auch diese Lichtquellen waren mit Vorsicht zu genießen, denn das Petroleum verbrannte meist mit blakender, also rußender Flamme und die Rußwölkchen schwärzten nicht nur den Glaszylinder, den man wegen besserer Lichtausbeute ständig putzen musste, sondern auch die Umgebung. In relativ kurzer Zeit merkte man das an den Tapeten in der guten Stube, die sehr schnell dreckig wurden.
Merkwürdigerweise lieferten - zumindest in Berlin - die Gaswerke kurz nach Kriegsende auch während der Zeit der Stromsperre genügend Gas. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die Sperrstunden für Gas - wenn es denn welche gab, woran ich mich allerdings nicht erinnere - nicht mit denen für den elektrisch Strom identisch waren.  Damals gab es viele Installateure, die sich mit großem Geschick meist in der Küche, wo sich in der Regel die einzige Zapfstelle befand, eine Gaslampe installierten. Ich kann mich noch daran erinnern, dass unser Nachbar in dieser Hinsicht eine Kapazität war. Er reaktivierte ein noch aus der Gründerzeit vorhandenes Rohr über dem Gasherd und verschraubte dort eine Bügellampe mit einem hübschen Glasschirm, der nach unten geöffnet war. Da, wo wir heute die Glühbirne einschrauben, befand sich ein kleiner Schutzkorb und darunter der so genannte „Auerstrumpf“. Das war ein Beutelchen aus einem bestimmten Gewebe, den man über das Auslassventil stülpen musste. Es wurde zunächst abgebrannt und war erst dann praktisch „betriebsfertig“. Dieser Glühstrumpf ergab eine sehr gute Lichtausbeute, hielt zwar nicht ewig, aber meist doch eine längere Zeit, wenn man ihn nicht allzu unsanft berührte. Zum An- und Ausmachen gab es am Lampenrohr eine Wippe, mit der man den Gashahn öffnete oder eben schloss. Wenn das Gas ausströmte, musste man eine Flamme in die Nähe des Strumpfes bringen, sich aber vorsehen und ihn nicht berühren, denn er war - wie gesagt - höchst empfindlich. So gab es bei uns auch während der Stromsperre in der Wohnküche meiner Großeltern noch genügend Licht, um dort gemütlich beisammen zu sitzen und ein Schwätzchen zu halten.

 

Meine kleine Rundfunkgeschichte

von Fritz Schukat und Heinz Siebeneicher (vom SWR) 1/2010 erg. 10/2011

Ich besuchte meinen Freund im Januar 2010 in Baden-Baden, weil er seinen 75. Geburtstag im erweiterten Familienkreis feiern wollte - mich zählte er dazu, denn wir kannten uns damals schon über 55 Jahre. Wir hatten Zeit, uns wieder einmal ganz intensiv über die alten Zeiten zu unterhalten, in denen wir noch begeisterte Rundfunkhörer waren. Als wir noch zur Schule gingen, hatte nicht jeder einen Radioapparat. Und Fernsehen? Das steckte damals noch in den Kinderschuhen. So etwas Feines konnten wir uns in Berlin damals nicht leisten! Aber wir verfolgten alles, was sich auf diesem Sektor abspielte.

In den 1960er Jahren wechselte mein Freund endgültig zum Rundfunk, nachdem er schon während seiner Beamtenkarriere aushilfsweise Abendsendungen beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt/M. moderieren durfte. Er moderierte dann lange Zeit eine sehr beliebte Musik-Sendung beim SWF in Baden-Baden, ging mit dem gleichen Konzept nach Luxemburg. Schließlich kehrte er zurück in die Arme der „Öffentlich-rechtlichen“ und moderierte im 3. Programm des Südwestfunk die im gesamten Sendegebiet von Köln bis Basel beliebte Fernsehsendung „Fröhlicher Alltag“, bis er 2007 aus gesundheitlichen Gründen seinen Abschied nahm. Dessen ungeachtet, war er natürlich weiterhin an dem Schicksal des Rundfunks interessiert. Vieles, was ich hier aufgeschrieben habe, konnte er mit Interna würzen, dem Grunde nach aber war unser Wissensstand ziemlich gleich! Und nun geht meine Geschichte los:

Die Ankündigung, die ARD werde im Jahre 2010 60 Jahre alt, verwirrte mich zunächst ein bisschen, denn mit dem Kürzel ARD verbinde ich, wie die meisten, das Erste Deutsche Fernsehen, so etwas wie die „Gemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender“. Mitnichten, das R steht natürlich für Rundfunkanstalten und nicht für Fernsehen! Das Fernsehen wurde auch nicht schon vor 60 Jahren eingeführt. Die ersten vagen Versuche sicher schon, aber regelmäßige Sendungen starteten erst im Dezember 1952, und zwar von Hamburg aus. Damals hieß die federführende Anstalt noch NWDR – Nordwestdeutscher Rundfunk, eine öffentlich-rechtliche Institution, denn die Verbreitung von Nachrichten und sonstigen Informationen auf elektronischem Wege, war damals allein dem Staat vorbehalten. Verstöße dagegen wurden bestraft – will also sagen, es gab noch keine Privatsender.

Wenn die ARD 60 Jahre alt würde und dies auch gebührend feiere, bliebe doch ein Stück Wehmut übrig, meinte ich gesprächsweise, denn in diesem Bereich habe es seitdem viele Änderungen gegeben, an die sich viele kaum noch erinnern könne.

Es wäre bestimmt nicht uninteressant, einmal die Rundfunkanstalten aufzuzählen, die es zum Teil schon lange nicht mehr gibt. Und schon ging es los:

Der NWDR, also der Nordwestdeutsche Rundfunk versorgte – was auch der Name verriet - ein Gebiet, das mit der Britischen Besatzungszone nach dem Krieg identisch war. Es gab sogar auch eine Dependance in Berlin. Diese Mammutanstalt wurde 1955 in zwei eigenständige Sender geteilt. Der NDR wurde eine Dreiländeranstalt mit Sitz in Hamburg, zuständig für Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, der WDR versorgt seitdem das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen, kurz NRW.

Der Sender Freies Berlin -SFB- ist politisch gesehen ein Kind des 17. Juni 1953. Damals hat der von den Amerikanern in Berlin betriebene RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor Berlins) angeblich nur zurückhaltend über den Volksaufstand berichtet, was den Ruf nach einem eigenständigen Sender - unter deutscher Regie - in West-Berlin lauter werden ließ. Der SFB nahm seinen Sendebetrieb am 1. Juni 1954 auf. Er sendete bis April 2003. Ab 1. Mai 2003 fusionierte er mit dem damaligen Ostdeutschen Rundfunk (ORB) zum Rundfunk Berlin Brandenburg, abgekürzt RBB, im Logo gern kleingeschrieben.

Der Ostdeutsche Rundfunk hat die kürzeste Geschichte der nicht mehr existierenden deutschen Sender. Errichtet 1991 hat er nach der Fusion mit dem SFB eine knapp 12-jährige Geschichte, ist also in verhältnismäßig jungen Jahren untergegangen.

RIAS Berlin, bereits erwähnt, war einer der von den Amerikanern betriebenen Sender, die nach dem Krieg in der Amerikanischen Besatzungszone errichtet wurden. Dazu gehörten auch die Sender Radio München, Radio Frankfurt, Radio Stuttgart und Radio Bremen. Während der RIAS bis 1992 weiterhin aus politischen Gründen unter amerikanischer Regie blieb, wurden die in der Amerikanischen Zone errichteten Sender die Keimzellen der späteren Landesrundfunkanstalten. "rbb"

Der Südwestfunk -SWF- war in logischer Konsequenz für die erst später von den Franzosen besetzten südwestdeutschen Länder eingerichtet worden und ging Anfang 1946 auf Sendung. Nach der Fusion der Länder (Süd-)Baden und Württemberg-Hohenzollern blieb der Sender, dessen Sitz inzwischen nach Baden-Baden verlegt wurde, bestehen, so dass im neuen Land Baden-Württemberg mit dem Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart - SDR oder Südfunk - nunmehr zwei Landesfunkhäuser in einem Land zuständig waren. Beide Anstalten fusionierten 1998 zum Südwestrundfunk (SWR) mit Sitz in Stuttgart. Allerdings habe ich den Eindruck, das ist bei den Hörern noch nicht angekommen, da die starken Studios in Baden-Baden und Freiburg weiterhin sehr beliebte eigene Programme produzieren. Ich habe lange Jahre in der Nähe von Mainz gewohnt und damals eigentlich nur den SWF wegen seiner - bei uns jedenfalls - beliebten Sendungen gehört.

Und was ist von den DDR-Sendern übrig geblieben?

Der Berliner Rundfunk, bereits vor dem Kriegsende im Haus des Rundfunks (HdR) in der Berliner Masurenallee gegenüber dem Ausstellungsgelände mit dem berühmten Funkturm ansässig, wurde nach Kriegsende weiterhin unter demselben Namen von dort betrieben. Er befand sich jedoch unter sowjetischer Hoheit und blieb es auch, obwohl sich das HdR im britischen Sektor Berlins befand. Schon während der Blockade Berlins von Mitte 1948 bis Mitte 1949 wurde es sogar durch Stacheldrahtverhaue „geschützt“, denn viele West-Berliner empfanden es als untragbaren Zustand, dass ein Ostsender im West-Berlin produzieren konnte. Die Engländer blockierten deshalb das Haus des Rundfunks, das sich ja in ihrem Sektor befand, und die Franzosen sprengten im Dezember 1948 den Sendeturm in Berlin-Tegel, über den der Berliner Rundfunk damals noch ausgestrahlt wurde. Tegel gehörte seinerzeit zum französischen Sektor Berlins. Begründet wurde dies allerdings fadenscheinig damit, dass in der Jungfernheide - ein großes Heide- und Waldgebiet im Berliner Norden - für Tempelhof ein Entlastungsflughafen gebaut werden sollte. Der ist übrigens erst fertig geworden, als die Blockade längst aufgehoben war. Der Berliner Rundfunk zog dann in die Treptower Nalepastraße, wo auf Ost-Berliner Gebiet ein großes Rundfunk- und Fernsehzentrum entstand.

Der alte Deutschlandsender, der schon in den 1920er Jahren aus Königswusterhausen seine Programme über Lang- und Kurzwelle in alle Welt sendete, wurde 1953 in Stimme der DDR umbenannt. Ab 1953 sendete der Rundfunk der DDR ein zweites Programm, nämlich Radio DDR I, das in der DDR sehr beliebt war, da es „...nicht so politisch und nicht so Berlin-lastig war!“ Nach der Wende wurde dieses Programm in „Radio aktuell“ umbenannt und sendete noch bis zur Gründung der ostdeutschen Landesfunkanstalten ORB und MDR bis 1992.

Bleibt noch, kurz über das Schicksal des beliebten Jugendsenders DT 64 zu berichten, dessen Gründung in das Jahr 1964 zurückreicht. Während des FDJ-Deutschlandtreffens im Jahre 1964 wurde ein Sonderstudio eingerichtet, das anschließend stundenweise weiter sendete und schließlich 1986 eigenständiger Sender wurde. DT 64 war nach 1990 noch auf verschiedenen Wellen in den neuen Bundesländern zu hören, aber trotz heftiger Proteste musste er seinen Sendebetrieb im Mai 1993 endgültig einstellen. Nach der Wende wurde dann auch aus Stimme der DDR und RIAS Berlin das Deutschlandradio, das mit dem Kölner Deutschlandfunk zusammengelegt wurde.

Hier muss natürlich auch noch über die ebenfalls eingestellten Soldatensender der Besatzungsmächte berichtet werden.

Bereits während des Krieges betrieben die USA den AFN (American Forces Network) für die Truppenbetreuung ohne festen Standpunkt in Nordafrika und Frankreich. Nach der Kapitulation 1945 nahm er auch in Deutschland seinen Sendebetrieb auf und war wegen seiner aktuellen Musiksendungen auch bei den jungen Deutschen äußerst beliebt. Die Engländer betrieben ebenfalls schon während des Krieges den BFBS (British Forces Broadcasting Service), der auch durch moderne Musik und Schlager punktete. In Deutschland hieß der Sender allerdings eine Zeitlang einfach nur BFN, British Forces Network. Einer der bekanntesten Moderatoren war schon in den frühen 1950er Jahren Chris Howland, der wenig später auch beim damaligen NWDR als Mister Pumpernickel Musiksendungen moderierte. Ich habe heute noch die Intro-Melodie zu seiner sonntäglichen Sendung im Kopf. Dieses einprägsame Stück trägt den Titel „Melody Fair“ und wurde vom Orchester Robert Farnon gespielte. Wir haben allerdings trotz guter Verbindungen zu Radiosendern diese Aufnahme nicht mehr auftreiben können.

Die Franzosen haben zumindest in Berlin einen recht schwachen Sender mit dem Namen FFB, Radio Forces Françaises de Berlin betrieben, der wohl speziell für die Französische Garnison gegenüber dem jetzigen Flughafen Tegel (ehem. Hermann-Göring-Kaserne) am Kurt-Schumacher-Damm sendete. Wir wohnten in den 1960er Jahren vielleicht 3-4 km von dem späteren Flughafenkomplex entfernt, weshalb ich diesen Sender einigermaßen störungsfrei empfangen konnte.

Die Soldatensender konkurrierten mit unseren langweiligen „Öffentlich-rechtlichen“, die erst Monate später die aktuellen Schlager spielten, als wir schon die Texte mitsingen konnten und gewannen dadurch natürlich ungeheuer an Popularität. Auch RTL, also Radio Luxemburg auf Mittelwelle und auf Kurzwelle im 49-Meterband, der Sender, den man „auf den 4 fröhlichen Wellen“ hören konnte, wurde vor allem im westdeutschen Sendegebiet immer beliebter, und hatte schließlich in ganz Deutschland Kultstatus, auch wenn man den Sender über Kurzwelle erst in den Abendstunden einigermaßen hörenswert empfangen konnte. Als es in der Bundesrepublik noch keine privaten Sender gab, sendete RTL schon Anfang der 1960er Jahre über weit reichende UKW-Frequenzen - allerdings nur in Mono - aus dem Großherzogtum populäre Schlagermusik nach Westdeutschland und schöpfte mit seinen Werbeeinblendungen enorme Kapazitäten ab. Starmoderatoren waren Camillo Felgen, Frank Elstner und Thomas Gottschalk. Auch mein Freund Heinz Siebeneicher moderierte jahrelang sonntags das 4-stündige Programm „Wünsch Dir was“ und brillierte mit sonorer Stimme bei den vielen Telefoninterviews, die ihm in sein Wohnhaus nach Reinheim bei Darmstadt zugeschaltet wurden. Von dort moderierte er nach einer überstandenen Krankheit die Sendung, was damals nur Eingeweihte wussten.
Der WDR, der noch heute zu den eher konservativen Sendern gehört, hatte lange Zeit keine Werbung gesendet, so dass die Werbewirtschaft in dessen Sendebereich nur auf den überteuerten RTL zurückgreifen konnte. Erst mit Beginn der Ära Nowotny begann der WDR auch Werbung zu senden und war obendrein wesentlich billiger als der bisherige „Monopolist“ RTL. Der musste sich nun seinerseits radikal umstellen, denn der WDR sendete seit dieser Zeit auf immerhin 5 Hörprogrammen natürlich auch Musik für junge Hörer.

Fast könnte man meinen, es wäre ironisch gemeint gewesen, als RTL 1988 seine deutsche Sendezentrale (Rundfunk und Fernsehen) nach Köln verlegte, aber das hatte durchaus praktikable Gründe. Die Infrastruktur war ja bereits durch den WDR, den Deutschlandsender und die Deutsche Welle vorhanden. Heute hat sich alles liberalisiert. Auch bei den Privaten wachsen die Bäume nicht in den Himmel.

 

Der schwarze Markt

von Ingeborg Eva Witt

Eine Begebenheit aus der Nachkriegszeit bleibt bei mir immer in Erinnerung. Es ging um die Gesundheit unserer kleinen Tochter. Sie wurde im Jahr 1947 geboren. In der Zeit wurden noch Lebensmittelkarten ausgegeben. Für Säuglinge, Kleinkinder, Kinder unter 6-10 Jahren, Jugendliche, normale Bürger, Schwangere und Schwerarbeiter. Jeder dieser Personengruppe bekam die zu ihm passende Lebensmittelkarte.

Die Säuglingskarte war für uns allerdings selten eine große Hilfe. Unsere Tochter wurde gestillt und brauchte daher keine Abschnitte der Lebensmittelkarte. Aber nach 8 Monate reichte die Muttermilch nicht mehr aus und es musste mit der Milchflasche ergänzt werden.

Nun erst stellte sich heraus, dass unsere Tochter eine Kuhmilchallergie hatte. Der Kinderarzt verordnete das Milchpulver Pelagon. Wir hatten zwar nun ein Rezept, doch leider hatte keine Apotheke dieses Milchpulver. Es war aber bekannt für Säuglinge und Kleinkinder die keine Kuhmilch vertrugen. Wir suchten viele Apotheken in Hamburg auf, doch immer wieder mussten wir hören, dass es dieses Milchpulver zurzeit nicht gibt. Der Kinderarzt gab uns dann den Ratschlag, wir sollten ins Kinderkrankenhaus in Rothenburgsort gehen, dort würden von Müttern Milch abgegeben, die entweder zu viel hatten oder deren Baby gestorben war. Es war ein Anreiz für die Mütter, denn sie bekamen Geld für ihre Milch. Wir hatten leider kein Glück. Zu der Zeit, wo wir so dringend Mich benötigten, war keine vorhanden.

Diese tiefe Enttäuschung! Ich war extra mit dem Kinderwagen vom Hauptbahnhof durch Hamm und Hammerbrook, durch die Trümmerstraßen, vorbei an den Ruinen der zerbombten Häuser gegangen. Das Kinderkrankenhaus in Rothenburgsort war zwar notdürftig ausgestattet, um kranke Kinder aufzunehmen, aber unsere Tochter war ja nicht krank. Diesen endlosen Weg zurück und ohne rettende Milch. Ich war verzweifelt. Unsere kleine Tochter bekam Untergewicht. Und dann geschah das Wunder. Ihr Patenonkel brachte uns eine Dose Pelagon, sie reichte eine Woche. Von jetzt an bekamen wir jede Woche das Milchpulver. Die Dose kostete damals 120,-- Reichsmark. Der Onkel kaufte das Pelagon auf dem Schwarzen Markt. Wir prüften es sehr sorgfältig, denn es wurden auch verfälschte Sachen angeboten. Unsere waren aber immer original verpackt.

Wie kam der Patenonkel eigentlich über Monate zu diesem Produkt, fragten wir uns, denn in den Apotheken war es immer noch nicht zu erhalten.

Die Erklärung klingt aus heutiger Sicht ziemlich unwahrscheinlich, aber es hat sich wirklich so zugetragen. Rund um den Hauptbahnhof waren die Häuser in der Rosenstraße, Raboisen und Brandsende zum Teil zerstört. In mitten dieser Trümmerlandschaft baute ein Herr St. in einem unzerstörten Keller eines Hauses eine Bar aus. Wer Beziehungen hatte, konnte alles erreichen oder bekommen. Herr St. und der Patenonkel kannten sich von früher, er hatte ihn in der Bar als Geschäftsführer angestellt. Er allein hatte den Verkauf der Einlasskarten zu organisieren. Es war eine sehr elegante, wunderschöne Bar. Viele Künstler, die den Krieg überlebt hatten, traten hier zum ersten Mal wieder auf. Lothar Olias, Friedel Hensch und die Zypris sind mir noch in Erinnerung. Die Hautevolee, also die „Oberen“ in gehobenen Stellungen, die reichen Hamburger, waren dort Stammgäste. Der Patenonkel nutzte seine „Macht“ aus, er gab die Einlasskarten nur an reiche Gäste aus, und von diesem Geld kaufte er für unsere Tochter das lebensrettende Milchpulver.

Eine unmoralische Handlung. Aber in dieser Zeit, in der Nachkriegszeit bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948, war der „Schwarze Markt“ die einzige Möglichkeit, zu überleben. Die „Schwarzmarktwährung“ waren amerikanische Zigaretten. Wer nicht rauchte, konnte dafür Brot oder Butter, Schuhe oder andere Dinge des täglichen Lebens eintauschen. So hat der „Schwarze Markt“ unserer Tochter damals das Leben gerettet.

Wer die Zeit nicht erlebt hat, kann sich den krassen Unterschied zwischen den Ruinen und dieser Bar mit Tanzmusik, Wärme, eleganter Kleidung und Helligkeit nicht vorstellen.

Aber so war das damals.

 

Entnazifizierung

von Heinz Münchow

Es war im Herbst 1946. Der Krieg war vor 1 ½ Jahren zu Ende gegangen. Ich wurde aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen: Frankfurt/Oder - Erfurt - Friedland waren die Stationen. Und in Friedland wurde ich „entna-zifiziert". Als mir das geschah, wusste ich nicht, dass es mir geschah - aber im Nachhinein bin ich mir sicher, dass dies meine Entnazifizierung war.

Also: In Friedland übergab man einen Eisenbahnzug voller ehemaliger Kriegsgefangener von der Bewachung durch die Rote Armee in den Be-reich der englischen Besatzungsmacht. Und ich war dabei. Die Rote Ar-mee hatte mir einen Entlassungsschein in russischer Schrift und Sprache mitgegeben. Einige Stunden nach der Ankunft bat man mich in das Büro eines englischen Offiziers zum Verhör. Der Offizier sprach ein ausge-zeichnetes Deutsch und fragte mich nach meinen Tätigkeiten in der Deutschen Jugendbewegung aus. Ja, ich konnte gestehen, dass ich mit 10 Jahren Mitglied im Jungvolk, mit 14 Jahren Mitglied in der Hitler-Jugend war, und dass ich auch einige Zeit als 'kleiner Führer' zur braunen Uniform eine rot/weiß gestreifte Schnur getragen hatte. Aha, dann waren Sie also Jungenschaftsführer! Welche Aufgaben hatten Sie damals?" Ich erinnerte mich genau: „Ich musste den monatlichen Beitrag einsammeln.“
Das war meine Befragung vor der endgültigen Entlassung ins Zivilleben. Sie wurde gekrönt durch die Übergabe eines Entlassungsscheins, den statt eines Passfotos der Abdruck meines rechten Daumens zierte.

erstellt am 22.4.2004

aus Wikipedia:
Einheiten des Deutschen Jungvolks (DJ) in der Nazi-Zeit:
Eine
Jungenschaft umfasste etwa 10 bis 15 Jungvolkjungen (Pimpfe). …Dabei war zu unterscheiden zwischen Dienstrang und Dienststellung. Dienststellungen gab es im Jungvolk vom Jungenschaftsführer bis zum Jungbannführer. Die Dienststellung wurde durch Schnüre in verschiedenen Farben kenntlich gemacht. Der Dienstrang ergab sich durch Rangabzeichen auf dem Ärmel, z.B. Hordenführer durch einen Winkel, Oberhordenführer durch zwei Winkel.

zusammengestellt von Fritz Schukat, 18.05.2011

 

Heißgetränk kalt - oder Coca-Cola ?

von Heinz Münchow 07.05.2004

Es war die Zeit um die Währungsreform 1948. Man begann wieder zu leben.
Konnte man mal 'auf ein Bier' in die Kneipe gehen? Na ja. Und wenn es dann in der Kneipe Bier gab, dann konnte der Wirt nicht einfach den Zapfhahn öffnen. Die Flaschen mit Kohlensäure, um den nötigen Druck zum Abfüllen zu haben, gab's nämlich noch nicht! Aber, es gab ja findige Wirtsleut'. Wenn schon keinen Kohlensäure-Druck, dann doch wenigstens Luftdruck, und den konnte man mit Hilfe einer handbetriebenen Luftpumpe herstellen.

Und dann gab's noch das sog. Heißgetränk. Es hatte eine kräftige rote Farbe. Heiß getrunken sollte es wohl den Rum-Grog oder den Wein-Grog ersetzen. Doch es enthielt keinen Alkohol. In der warmen Jahreszeit wurde es eben kalt getrunken. Also "Heißgetränk kalt“.

Aus Amerika kam die Konkurrenz: Coca-Cola. In den Kinos lief der Streifen „Rock Around The Clock“ mit Bill Haley. Ich trank meine erste Coca-Cola. Aber sie schmeckte mir nicht! Ein süßes braunes Gesöff?

Bis ich dann dahinter kam: Mir schmeckte die Coca-Cola nur eisgekühlt!

aus Wikipedia:
Der Film „Rock Around The Clock“ ist ein US-amerikanischer Schwarz-Weiß-Film, der in den USA am 21. März 1956 in die Kinos kam. Es ging vornehmlich um Bill Haley & His Comets und den Siegeszug des Rock & Roll.

 

Kriegsende - Lehre - Studium ?

Von H. Münchow 22.04.2004

1946, nach Rückkehr aus der Gefangenschaft, war die Stimmung nicht nur bei Null, nein, sie war weit im Negativen. Berufswahl, arbeiten, Ausbildung? Erstmal gar nichts machen! Ich konnte bei Verwandten "unterkriechen". Nicht jeder Heimkehrer hatte das Glück, sich um Verpflegung und Unterkunft keine Gedanken machen zu müssen.

So lebte ich, in den Tag hinein". Ein paar Handreichungen im verwandtschaftlichen Betrieb wurden von mir erwartet und auch gern geleistet.

Der Frühling kam und mit ihm die Unruhe. Kannst du etwas? Oder musst du was lernen? Musst du auch mal ans Geldverdienen denken?
Was kannst Du? Radios reparieren! Na, dann mal los! Zeitungsanzeige gefunden: „Perfekter Radiotechniker gesucht“. In einem Städtchen in der Lüneburger Heide. Bewerbung: Perfekt ja, aber Zeugnisse infolge von Kriegsereignissen verloren. Angebot: eine Woche zur Probe arbeiten. Gemacht, getan. Ergebnis: „Wir sind mit Ihnen zufrieden, am nächsten Ersten sind Sie willkommen“.

Ein Jahr lang blieb ich in dem Heidestädtchen. Dann bot sich der Wechsel in eine Firma in einer größeren Stadt an. Auch dort: Radios reparieren. Ist das genug? Oder schafft man noch ein Studium? Einige Jahre Schulbank?

Vorsichtiges Herantasten: „Nein, nur mit Abitur können Sie nicht anfangen. Es fehlen Nachweis der Berufsausbildung sowie Eisengießerei-Praktikum.“ Also: Lehrvertrag mit vorgezogener Gesellenprüfung. Dazwischen im Urlaub die Gießerei. Alles geschafft! Aber dann: 3 Jahre Studium.

Das Ziel ist endlich erreicht.
Und bald ist auf dem Bankkonto KEIN MINUS mehr!

 

Mögt ihr Bohnen?

von Edith Kollecker

Ein Jahr nach Ende des Krieges kam unser Papa aus der Gefangenschaft. Ich weiß nicht, wie er uns gefunden hat, denn wir waren noch auf Bauernhöfe verteilt. Papa hat sich dann gleich nach einer Arbeit umgeschaut und bekam eine Stelle auf einem nahen kleinen Gut. So konnte er Mama und mich nach einiger Zeit nachholen. Jetzt waren wir wieder eine Familie. Wir ernährten uns eher schlecht als recht, Milch und Kartoffeln hatten wir. Es gab jeden Abend Milchsuppe mit geriebenen rohen Kartoffeln darin, sie war oft schleimig und schmeckte mir überhaupt nicht. Aber es nahte eine Abwechslung.
Wir Kinder spielten oft im nahen Wäldchen und hatten stets ein kleines Ferkel im Schlepptau. Dieses Schweinchen wühlte immer mit dem Rüssel im Boden. Eines Tages kam eine Blechbüchse dadurch zum Vorschein, ohne Etikett, aber eine mit Nummer und etwas in englisch Geschriebenem darauf. Wir halfen Ferkelchen buddeln und hatten etwa 10 Büchsen geerntet. Wir eilten damit nach Hause, Mama öffnete die erste Dose etwas skeptisch, aber der Inhalt entpuppte sich als dicke weiße Bohnen. In der zweiten Dose waren rote Bohnen und nach der dritten, mit Bohnen gefüllten Dose, wollte Mama keine mehr aufmachen, wer sollte die alle essen? Wir quengelten solange, bis sie die vierte Dose öffnete! Oh Wunder, sie enthielt einen wunderschönen Rosinenkuchen! Papa hat uns dann geholfen, weiter zu buddeln, und es kamen dann noch zwei Depots mit Büchsen zum Vorschein. Manchmal war da Kuchen drin oder auch mal ein Fleischgericht, aber überwiegend Bohnen. Die Alliierten, die dort im Krieg stationiert waren, hatten vor ihrem Abzug alles vergraben, was sie bis dahin nicht verzehrt hatten. Weil wir nicht dagegen anessen konnten, wurde viel verschenkt.
Ich hatte schon eine Abneigung gegen Bohnen und esse heute noch nicht gerne Bohnensuppe!

erstellt am 22.04.2004

 

Für Wasser musste man früh aufstehen

von Annemarie Lemster

Es muss 1948-49 gewesen sein, genau weiß ich es nicht mehr. Wir wohnten nach dem Krieg immer noch in einem Behelfsheim (Baracke) am Ende einer Straße. Durch einen Umstand, der mir heute nicht mehr bekannt ist, gab es am Ende der Straße kein Wasser mehr. Wir wurden aus einem Tankwagen mit Wasser beliefert. Dieser Tankwagen sah aus wie ein Güllewagen und wurde von einem Trecker gezogen. Nun brauchten aber viele Menschen Wasser und dieses wurde zugeteilt. Das Schema dieser Zuteilung muss aber nicht besonders gut gewesen sein, denn wenn man später kam, war das gute Nass alle und man ging leer aus.
Not macht, wie man weiß, erfinderisch.
Der Wasserwagen kam so gegen acht Uhr. Um ja nicht der Letzte zu sein, wurden in der Frühe Eimer, Dosen, Milchkannen und andere Behältnisse auf die Straße gestellt. Wannen waren nicht erlaubt. Es sah, für mich als Kind, immer lustig aus, wie da so die Eimer und Dosen in Reih und Glied auf der Straße standen. Die Erwachsenen fanden es nicht so lustig, denn es musste immer Wache gehalten werden, damit nicht jemand kam und einen abgestellten Eimer von vorn nach hinten schob. Mein Vater nahm, wenn er um sechs Uhr zur Arbeit ging, die Behältnisse mit an die Straße und reihte sie in die schon bestehende Kette ein. Irgendjemand stand dann auch immer schon dort und hielt Wache. Wenn Mutti uns alle mit Frühstück versorgt hatte, bezog auch sie draußen ihren Posten.
Wenn der Trecker zu hören war, gab es immer ein großes Gedränge. Stand der Wagen, hatte der arme Mensch (der Fahrer) sein Tun, um an den Ablasshebel zu kommen. Durch dieses Gedränge war so mancher Eimer zu Haus nicht mehr so voll wie am Anfang.
Wir Kinder standen alle etwas abseits und beobachteten, wer sich am besten vorgedrängelt hatte. Manchmal kam es auch zu heftigen Streitereien, das fanden wir Kinder immer besonders toll. Leider konnten wir nicht immer zusehen, es ging nur, wenn wir erst ab 11:00 Uhr Schule hatten.
Am Nachmittag um 4:00 Uhr kam dann noch einmal der Wasserwagen. Dann standen die ersten Eimer schon ab 2:00 Uhr auf der Straße. Autos gab es noch nicht viel auf den Straßen, und wollte der Bauer auf sein Feld, fuhr er um die Eimer rum.
Das Wasser reichte nur zum Trinken und Essen kochen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob wir uns in der Zeit gewaschen haben, ich denke wohl schon, denn das wäre mir sicher in Erinnerung geblieben. Ob und wie Wäsche gewaschen wurde in dieser Zeit, ist mir auch nicht mehr bekannt. So etwas hat doch kein Kind interessiert.
Nach etwa vier Wochen gab es wieder Wasser aus dem Hahn und wir Kinder waren um eine Attraktion ärmer.
erstellt am 26.12.2006

 

Trümmer

von Annemarie Lemster

Der Krieg war schon ein paar Jahre vorüber, da lagen auf vielen Grundstücken noch immer große Trümmerberge. Das war schon ein gewohnter Anblick für mich, nur der Geruch, der noch Jahre nach dem Krieg über diesen Trümmern lag, den werde ich wohl nie vergessen. Es war ein ganz eigenartiger Geruch. Ich habe ihn immer mit der Bombennacht von Hannover in Verbindung gebracht. Bei uns in der Schmiedestraße brannten alle Häuser, als wir unseren Keller verließen und zur Masch rannten. In den Gesprächen der Erwachsenen wurde oft gesagt: „Hoffentlich sind alle Menschen aus den Häusern herausgekommen.“ Wie man später erfahren hatte, sind viele Leute in den Kellern zu Tode gekommen. In meiner kindlichen Fantasie habe ich diese Menschen immer mit den Trümmerbergen in Verbindung gebracht.
Meine Mutter fuhr mit mir öfter nach Hannover. Wir wohnten jetzt bei meinen Großeltern in Sarstedt. Die Straßenbahn kam an vielen dieser Berge vorbei. Wenn wir Hannover näher kamen, so in Rheten oder Wülfel, rümpfte ich oft schon die Nase. Ich fand damals, ganz Hannover stinkt nach Trümmer. Wieder einmal fuhren wir mit der Straßenbahn in meine Heimatstadt, da zeigte Mutti auf die Trümmerberge und sagte mit einer besonderen Stimme: „Sieh mal, da oben zwischen den Trümmerbergen, sieh mal, eine Blume!“. Ich schaute und sah noch einige. Sie standen dort mit einem langen Stiel und sahen aus wie Kerzen, hatten wunderschöne pinkfarbene kleine Blühten. „Nun wird es bald nicht mehr nach Trümmern riechen, die Natur kommt zurück.“ Sie schaute mich seltsam an und sagte etwas, was ich erst viel später verstanden habe: „Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“
erstellt am 11.01.2008

Recherche
„Die Bombennacht in Hannover...“ schreibt Frau Lemster und meint damit den alliierten Bombenangriff vom 8. auf den 9.Oktober 1943, bei dem fast die gesamte Altstadt zerstört wurde. Dabei starben etwa 1250 Menschen. Bis Kriegsende wurden aber mindestens 125 Luftangriffe dokumentiert.
In Hannover wurden bis zum Kriegsende mehr als die Hälfte aller Wohnungen schwer beschädigt oder zerstört und mehr als 40 Prozent leicht bis mittelschwer. Opfer unter der Zivilbevölkerung insgesamt 6.700 Tote.Von 87 Schulen wurden 39 total zerstört, nur 4 bleiben unbeschädigt.zusammengetragen von F. Schukat, 27.05.2011

 

Wie erging es den Rauchern nach dem Krieg

von Annemarie Lemster

Bei uns wurde im Schrebergarten Tabak angebaut. Mein Vater und mein älterer Bruder hegten diese Pflanzen mit großer Liebe. Jeden Tag wurde gegossen und jedes Blatt nach eventuellen Schädlingen abgesucht.
Eine kleine Handschneidemaschine wurde gebaut, um später die reifen, gelben Blätter damit zu schneiden.
Die Zeit der Ernte kam.
Morgen sollten die Blätter geerntet werden. Doch zu ernten gab es leider nichts mehr. Über Nacht hatten sich Diebe bedient und nun standen die langen Stiele blattlos da.
Mein Bruder schimpfte und fluchte.
Mein Vater erschreckte mich, wie er so da stand. Mit gesenktem Kopf und Tränen in den Augen sagte er ganz leise: „Diese Schweine!"
Die verbliebenen Tabakstrünke wurden abgeschnitten und zum Trocknen aufgehängt. Später wurden sie dann so fein wie möglich geschnitten und geraucht.
Wer kennt noch diesen Spruch:
„Rippenknaster Nummer vier,
rauchen in der Stube, stinkt vor der Tür.“
Eine andere Möglichkeit, sich Zigaretten zu drehen war das Kippensammeln.
Bei uns waren in der Nachkriegszeit viele Engländer und Amerikaner. Diese hatten Zigaretten im Überfluss und schmissen oft sehr lange Kippen fort. Die lagen nicht sehr lange auf der Straße. Schnell bückte sich der Nächste, der vorbei kam und die Kippe landete in der Hosentasche.
Am Abend wurde diese über Papier geleert. Vorsichtig entfernte man das alte Zigarettenpapier, um sich aus dem Inhalt mehrerer Kippen eine neue Zigarette zu drehen.
In so mancher Hosentasche war damals die so genannte Kippendose, in der wurde jedes kleinste Tabakstäubchen festgehalten!
erstellt am 21.04.2004

 

Familienzusammenführung

von Sigrid Gehrken,12.02.2009

Meine Mutter, meine drei Geschwister und ich - Vater war damals als Soldat im Krieg - hatten in Dresden bei den schweren Bombenangriffen am 13. und 14. Februar 1945 alles verloren. Auch meinen Hund. Er war noch ein Welpe, den ich Wochen zuvor von meinem Großvater bekommen hatte. Tiere in den Luftschutzkeller mitzunehmen, war verboten und so wurde auch er ein Opfer der Bomben. Wir suchten bei unseren Verwandten in Bad Warmbrunn im Riesengebirge/Schlesien Unterschlupf. Bevor die Russen kamen, schlossen wir uns dem Flüchtlingstreck an. Doch die Russen holten uns ein und trieben uns wieder zurück. Im Spätsommer/Herbst desselben Jahres wurden wir von den Russen vertrieben. Wir wurden in Güterwaggons gesteckt und in Richtung Westen abgeschoben.

Zu der Zeit wussten wir nicht, ob Vater noch lebte, und Vater wusste nicht, ob wir das Inferno in Dresden überlebt hatten. Da die Eltern und Geschwister meiner Mutter in Görlitz lebten, war für uns in Görlitz die Fahrt erst mal zu Ende. Inzwischen war es meinem Vater aber gelungen, wieder Verbindung mit uns aufzunehmen. Er war in Kriegsgefangenschaft und nach seiner Entlassung 1945/46 war die Familie nach langer Zeit wieder vereint.

Die folgenden Jahre waren sehr schwer und entbehrungsreich. Wir brauchten ein Dach über dem Kopf und für sechs Personen sollte täglich etwas Essbares auf den Tisch. Wir bekamen eine Wohnung. Nach ein paar Jahren konnten wir in eine andere, sehr schöne Wohnung umziehen. Sie gehörte den Eigentümern des damaligen „Stadt Cafes“. Es hieß, das Ehepaar sei in den Westen gegangen.

So allmählich normalisierte sich alles, den Umständen entsprechend. Vater arbeitete als Kellner und später auf dem Schlachthof. Eine Existenz wieder aufzubauen, war zu der Zeit nicht möglich. Mutter bekam eine Stelle in einem HO-Fleischerladen, den sie schon bald als Filialleiterin führte.

Die Schule begann wieder. Unsere Ferienzeit bestand in den ersten Jahren aus Ähren sammeln, Kartoffeln stoppeln, Stöcke (Baumwurzeln) roden, über Land von Bauer zu Bauer laufen, um Essbares zu erbetteln (was uns ganz besonders schwer fiel).

Mit vierzehn wurde ich zusammen mit meiner Schwester konfirmiert. Anschließend habe ich ein Jahr bei einem Bauern gearbeitet und dann eine Lehre als Fleischereifachverkäuferin gemacht. Chef und Chefin baten mich zu bleiben, bis mich nach 9 ½ Jahren meine Mutter abwarb.

Inzwischen hatten meine beiden Schwestern ebenfalls ihre Ausbildung beendet. 1954 ging die Ältere nach Westdeutschland und ein Jahr später die Jüngere. Renate, die ältere, lernte ihren Klaus kennen. Sie heirateten im Westen standesamtlich, die kirchliche Hochzeit sollte zu Haus gefeiert werden. Meine Schwestern bekamen aber keine Aufenthaltsgenehmigung (Republikflüchtlinge). Der Schwager besuchte uns deshalb allein. Diskussionen hin und her. In dieser Zeit wurde der Gedanke geboren, ebenfalls nach Westdeutschland zu gehen. Die politische Lage gab keinen Anlass zur Hoffnung. Mein Schwager fuhr wieder zurück und wir machten uns schweren Herzens an die Ausarbeitung unseres Planes.

Das Wichtigste war die Geheimhaltung. Nur zwei sehr gute Freunde hatten wir über unser Vorhaben eingeweiht. Unseren Verwandten hatten wir absichtlich nichts gesagt, um sie nicht zu belasten. Es war uns bekannt, dass die Stasi Verwandte und Freunde von Republikflüchtlingen später verhörte.

Um nicht aufzufallen, mussten wir getrennt und von verschiedenen Orten nach Berlin fahren. Meine Eltern sind ganz offiziell im Urlaub gewesen und von dort aus nach Berlin gefahren. Ich habe in dieser Zeit meine Mutter im Geschäft vertreten. Im Oktober 1960, an einem Wochenende, habe ich wie üblich, als letzte das Geschäft verlassen und die Einnahmen zur Bank gebracht. Es musste alles korrekt sein und seine Ordnung haben. Anschließend bin ich nach Haus gegangen, wo mein Bruder schon auf mich wartete. Ohne Gepäck, nur die Handtasche dabei, verließen wir die Wohnung in dem Bewusstsein, sie nie mehr wieder betreten zu können. Wir fuhren nach Berlin, dort mit der S-Bahn bis nach Marienfelde, wo uns unsere Eltern in die Arme schließen konnten.

 

Unsere neuen Nachbarn

von J.O. Probst

Am 3. Mai 1945 wurde Kiel zur „Offenen Stadt" erklärt. Weitere Luftangriffe der Alliierten blieben aus, und die Bevölkerung konnte nach Jahren wieder ruhig durchschlafen.
Überall herrschte große Erleichterung, die aber mancherorts durch neue Ängste und Sorgen verdrängt wurde. Hielt sich doch bei der damaligen Nachrichtenlage hartnäckig das Gerücht, die Russen würden auf ihrem rasanten Vormarsch vor den Engländern nach Holstein kommen. Diese Schreckensmeldung verstummte erst, als „endlich" Militärkolonnen mit einem „weißen Stern“ auf den Zufahrtsstraßen gesichtet wurden.
Den ersten unmittelbaren Kontakt mit der britischen Armee hatten wir Tage später. Plötzlich donnerten schwerbewaffnete Krad-Schützen über die stillen Straßen unserer Siedlung, wobei sich die wenigen Fußgänger ängstlich in die Hecken drückten. Sie machten schließlich Halt vor dem einzigen Gasthof des Ortsteils. Nachdem weitere Mannschaftswagen eingetroffen waren, wurden die Gebäude und drei angrenzende Einzelhäuser requiriert. Gebannt verfolgten wir dieses Schauspiel aus unserem Haus von der anderen Straßenseite aus. Würden sie auch bei uns Quartier machen? Das war die bange Frage. Immer wieder stand man in Gruppen vor der 100 m langen Auffahrt, ohne allerdings das Grundstück zu betreten. Wir blieben schließlich verschont - es gab keinen Räumungsbefehl. Offensichtlich entsprach die Lage des Hauses nicht dem Sicherheitskonzept.
So lebten wir nun für viele Monate in enger Nachbarschaft zu den Engländern. Vor unseren Augen wehte der Union Jack, und wir erlebten den Tagesablauf mit lauten Kommandos beim Exerzieren und viel sportlicher Betätigung. Beeindruckend war der große Wagenpark, von dem laufend viele Fahrzeuge unterwegs waren. Treibstoffmangel kannte man wohl nicht. Bei gutem Wetter hörten wir aus den offenen Fenstern in erster Linie Swingmelodien, und an manchem Abend wurde erstaunlicherweise unser Garten inspiziert - bewaffnet, versteht sich.
erstellt am 31.05.2005

 

Wasserprobe

Von J.O. Probst

Die Strom-, Gas- und Wasserversorgung war bei Kriegsende in den meisten zerbombten deutschen Städten total zusammengebrochen. Bei uns floss selbst aus den Hydranten der Hauptleitungen kein Tropfen Wasser. Zum Glück befand sich in der Nähe ein alter Gartenbrunnen, den der Besitzer allen zur Verfügung stellte. In großen Eimern, Töpfen und Wannen wurde das kostbare Nass nach Haus transportiert, oft mit Rädern, Schubkarren oder Blockwagen.
Eines morgens erschien hier auch ein Trupp Soldaten aus den besetzten Häusern. Sie hatten einen Tankwagen dabei, der von Hand gezogen wurde. Zum Erstaunen aller stellten sich die Engländer in die Schlange der Wartenden. Als sie aber an der Reihe waren, wurde erst dann Wasser in den Tank gepumpt, nachdem drei deutsche Frauen vor ihren Augen vom Brunnenwasser getrunken hatten.

erstellt am 16.02.2005 07:25

 

Die Heimkehr des Vaters

von Ellen Probst

Anfang 1946 waren wir in unser Haus - einer Bombenruine - zurückgekehrt. Eine Luftmine hatte das Nachbarhaus völlig und das unsere zum größten Teil zerstört. Ganz langsam gewöhnten wir uns an die beschwerlichen Wohnverhältnisse. Die Waschküche wurde zum Aufenthaltsraum bzw. Esszimmer und der Schweinestall, der als solcher schon lange nicht mehr genutzt worden war, zur Küche umfunktioniert. Das Essen wurde auf einem elektrischen Zweiplattenkocher zubereitet. Die Treppe ins Obergeschoss war von Bekannten so abgestützt worden, dass wir das halbwegs intakte Kinderzimmer zum Schlafen nutzen konnten.
Inzwischen schrieben wir schon März 1946, und mein Vater war immer noch in Norwegen. Post hatten wir - und auch er, wie wir später hörten - lange nicht mehr erhalten. Er wusste also gar nicht, dass wir wieder in Kiel sind. Aber dann kam er doch. Sein Schiff legte in Travemünde an, und von Lübeck ging es per Eisenbahn weiter nach Kiel. Natürlich hatte er von den heftigen Fliegerangriffen erfahren, aber wie es unserem Haus ergangen war, das wusste er nicht. Es gibt auf der Strecke Lübeck/Kiel eine Passage, wo man es hätte sehen müssen. Aber es war so merkwürdig, er sah nur zwei Giebel und mehrere Lücken. Dann war der Moment auch schon vorbei, und seine Verunsicherung und Angst wurden immer größer.
Der Zug hielt in Elmschenhagen, einem Vorort von Kiel, in dem wir wohnten, und er stieg aus. Nun konnte er nicht schnell genug nach Hause kommen. Sein großer Koffer wurde immer schwerer - er versteckte ihn im Gebüsch - und hastete weiter. Endlich kam er zu den weißen Giebelhäusern und sah mit Entsetzen das ganze Ausmaß der Zerstörung. Er war so geschockt, dass er das Grundstück gar nicht betreten mochte. Da konnte sich doch keiner aufhalten! Aber, es sollte wohl so sein: Einmal schaute er zurück und sah ein kleines Mädchen mit einer Abfallschüssel zum Bombentrichter laufen. Seine jüngste Tochter! Nun gab's kein Halten mehr, er rannte um das Haus herum und fand seine Familie beim Sirupkochen. Die Freude war riesengroß. Dann kam eine erschrockene Frage: „Wo ist Günter?" Er hatte geträumt, der Sohn wäre im Eis eingebrochen und ertrunken. Mein Bruder war aber bei den Großeltern geblieben, wir hatten einfach noch keinen Schlafplatz für ihn.
Nachts haben die Eltern dann den „versteckten" Koffer geholt. Er war noch da.
erstellt am 19.04.2004

 

1945 ein Radio kommt zurück

Von Ingeburg Nygaard

In den ersten Tagen der Besetzung patrouillierten auf unseren kleinen, sandigen Wald- und Heidewegen immer wieder Jeeps. Einmal stoppte ein etwas größerer Wagen mit mehreren Soldaten vor unserem Grundstück. Alle stiegen aus, nur der Fahrer blieb sitzen. Zu zweit oder zu dritt gingen die Männer in jedes Haus und beschlagnahmten die Radioapparate, sofern vorhanden. Auch zu uns kamen sie und nahmen unseren batteriebetriebenen "Volksempfänger" mit. Mein Mann stand im Vorgarten und rief mir zu: Schnell, schnell, Papier und Bleistift!" Er notierte sich die taktischen Zeichen des Fahrzeugs. Als Soldat kannte er sich damit aus und wusste auch, dass solche Razzien nicht korrekt waren. Die Engländer fuhren wieder ab, und wir machten alle unserem Ärger über diese Aktion Luft.

Wer beschreibt unser Staunen, als die Crew nach einigen Stunden wiederkommt und uns allen die Radios zurückbringt! Angeblich, weil wir ausgebombte Hamburger sind!? Wie edel! Aber die Wahrscheinlichkeit liegt nahe, dass der Fahrer bemerkt hatte, wie mein Mann Notizen gemacht hat. Damit bestand für die Crew ein Risiko, gemeldet und bestraft zu werden.

aufgeschrieben am 05.01.2005

 

Ein Fall von Schulversagen

von Jürgen Hühnke, 04.01.2008


Als die Pisa-Schockwelle durchs Land ging und der öffentliche Diskurs die sattsam debattierten Auffassungen der Erben von 1968 einerseits und der Traditionalisten andererseits wieder aufleben ließ - Fördern oder Fordern, Kuschelpädagogik oder Lerndisziplin -, kam es mir wieder in den Sinn, dass auch ich selbst einmal in der Schule kläglich versagt hatte.

Ort: Volksschule, Grundstufe, 4. Klasse.
Zeit: Winter 1944/45.*
Anlass: Eine Lehrprobe oder -prüfung, vielleicht auch eine experimentelle Seminar-Vorführung im Fach Mathematik.

Jedenfalls suchten uns viele hohe Herrschaften heim, der Schulrat mit einem Rattenschwanz von Junglehrern oder Seminaristen, so ein Aufmarsch wie bei der Chefvisite im Krankenhaus. Wir Schüler bekamen Stäbchen oder Klötzchen verschiedener Farbe, Größe und Form in die Hand und sollten sie, soweit ich mich noch erinnern kann, nach irgendeinem Konzept ordnen. Abstraktes Rechnen oder seine konkrete Anwendung auf Waren oder Gegenstände aller Art mochte ich gern, wohl weil ich mütterlicherseits aus einer Kaufmannsfamilie stamme. Aber diese Art der Kindergartenpädagogik versetzte meine Motivation auf den Null- oder gar einen Minuspunkt. Was sollte das mit einem solchen Kinderkram bloß bedeuten? Ich wurde aber erlöst, indem eine neben mir sitzende Dame mittleren Alters vom Typ Seminarleiterin sich statt meiner mit den Klötzchen aufgabenlösend betätigte. Sie tat das mit einer angenehm mütterlich-warmen pädagogischen Zuwendung und duftete dabei so schön nach Lavendel. Ich hatte zwar versagt, bin aber, soweit ich weiß, nicht rot geworden dabei. Diese Lehrprüfung war für die Katz, da sie mich nichts Brauchbares lehrte. Dergleichen Klötzchenrechnerei benötigte ich nicht, wenn ich die Salden in den Geschäftsbüchern meiner Mutter hinauf- und hinunterrechnete. Der Vollständigkeit halber (und ganz ohne mich sonderlich rühmen zu wollen) muss ich hinzufügen, dass ich in meinem Abitursjahrgang die einzige Eins in Mathe hingelegt habe, aber das war ja auch durch eine Leistungsanforderung motiviert.

Der Autor wird nochmals um Stellungnahme angesprochen, weil die Datumsangabe anzuzweifeln ist. Ende 1944/Anfang 1945 waren die jungen Leute alle ohne Ausnahme im Krieg. Es wurde sogar das so genannte Notabitur eingeführt, damit möglichst schnell „Nachschub“ für die Kriegsmaschinerie rekrutiert werden konnte.
Wahrscheinlich handelt es sich um die Jahreswende 1945/46.
Fritz Schukat, 13.05.2011

 

Integration durch Erotik

von Jürgen Hühnke

Die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen in die westdeutsche Wirtsbevölkerung machte anfangs große Schwierigkeiten wegen der Wohnraumzwangsbewirtschaftung, d.h. der Beschlagnahme aller Flächen über 3,5 qm je Person. Man stelle sich eine vierköpfige Familie auf 14 Quadratmetern vor - jede Wohnstube hat heute über das Doppelte. Unzufriedenheit gab es auf beiden Seiten oft mehr als genug.

Versöhnlich machte dagegen die wiederkehrende Lebenslust, vor allem die Geschlechterbegegnung - ganz abgesehen vom Anrecht auf Wohnraum durch Eheschließung -, flammte doch die Liebe bei lange getrennten und jetzt wieder zusammengeführten Paaren neu auf oder bei solchen, die noch nicht in den Hafen der Ehe geschippert waren. Inmitten aller materiellen Not wuchsen Lebenswille, -mut und -freude, begann man wieder zu lieben und zu lachen, zu tanzen und zu turteln. Mancher Dorfgasthof lud dreimal wöchentlich zum Tanz. Einer meiner Arbeitskollegen, ein Sudetendeutscher, entrüstete sich später darüber, dass er viele seiner Landsleute im Westen beim fröhlichen Zusammensein auf dem Dorfschwof antraf. Diese Tanzvergnügen schufen neue Begegnungen, deren Ergebnis manchmal eine Marianne war, in der seligen Erinnerung an einen Schmusetanz zu den Klängen des damaligen Schlagers „Mariandl, -andl, .-andl aus dem Wachauerlandl, -landl".

Damals, junger Mensch in der Vorpubertät, erstaunte mich, dass so manche Pärchen sich hinter die Büsche schlugen – nein, keine jungen Leute, sondern gereifte - wie man heute sagen würde - Senioren, er meist mit Hut, ältere Herrschaften, die ihre neue Freiheit mit heftigem Kosen, Schmusen und Knutschen besiegelten. Für uns Zehnjährige bedeutete das eine ungewöhnliche Erfahrung, da die Erwachsenen sonst ihre Sexualität beflissen verbargen und tabuisierten.

Der Quickborner Bürgermeister hörte erst 1951 damit auf, in seine Jahresberichte statistische Werte über geschlossene "Mischehen" einfließen zu lassen, und meinte, das sei inzwischen überflüssig, da die Integration so gut wie abgeschlossen sei.

erstellt 19.04.2004

 

Die Segnungen der Naturalwirtschaft

von Jürgen Hühnke

Die Nöte der Kriegs- und frühen Nachkriegszeit habe ich nicht durchleben müssen. Bei uns standen zwei Schweine, vier Schafe und Dutzende von Hühnern im Stall, und auf etwa zwei Hektar baute mein Großvater zur einen Hälfte Spargel, zur anderen Erdbeeren an. Fuhr meine Mutter einmal nach Hamburg, um etwa in die Oper zu gehen, brauchte sie nicht lange nach Karten anzustehen, da ihr, die mit einigen Pfund Spargel versehen war, einfach alle Türen offen standen. Ebenso standen der ganzen Familie, also auch mir, die Türen aller drei Lichtspielhäuser in unserer Stadt offen, da die Kinobesitzer zu den Stammkunden meines Großvaters zählten. Es gab keinen neuen Film, den ich nicht gesehen hätte, soweit er jugendfrei war. Nur bei der „Feuerzangenbowle" musste ich warten, weil dieser Film - nur wegen des Kussmundes der Eva durch das Karzerloch, oder war es, weil sie rauchte („Eine deutsche Frau raucht nicht“)? - erst ab 14 zugelassen war.
erstellt im Jahre 2003

 

Die Luftbrücke

von Fritz Schukat

Kürzlich lief im Fernsehen ein Film mit diesem Titel. Er wurde groß rausgestellt und ich meinte, den müsste ich mir ansehen.

Ich bin in Berlin-Neukölln geboren und war, als die Sowjets unter Stalin 1948 Westberlin abriegelten, gerade zwölfeinhalb Jahre alt. Ich erlebte also als pubertierender Knabe genau die Zeit, die in dem Film „behandelt“ wurde. Bis jetzt glaubte ich, dass ich daran eigentlich eine ziemlich genaue Erinnerung hätte - aber Pustekuchen, der Film stellt das alles ganz anders dar. Es ist ja möglich, dass ich einiges vergessen habe, aber das da, was in dem Flimmerkasten ablief, brachte mich nach etwa einer halben Stunde in Rage.

So war das doch gar nicht, pflaumte ich ständig rum und regte mich mal über die falsche Berlin-Kulisse auf, mal über die albernen, offenbar am Computer generierten Konvoi-Flüge, in denen man immer nur einen einzigen Flugzeugtyp sah. Das ist flugtechnisch völlig unmöglich, so was glaubt doch nicht mal Tante Emma, meckerte ich den Apparat an. Meine Frau war längst rausgegangen.

Auch die gedrechselte Liebesgeschichte kann kein Zeitzeuge ernst nehmen, so etwas hat es in dieser Form natürlich nicht gegeben. So dämlich hätte sich auch ein General der Amis überhaupt nicht benehmen können! Er hätte immer einen „Aufpasser“ also einen Chauffeur oder jedenfalls einen Waffenträger dabei gehabt. Und allein mit einem Jeep durch Berlin zu fahren, wäre damals ebenfalls unmöglich gewesen. Ein Militärfahrzeug konnte und kann man bei keiner Truppe der Welt so fremd verwenden, wie es in dem Film gezeigt wurde.

Und im Übrigen gab es auch keine öffentlichen Tanzlokale, in denen Amerikaner verkehrten und deutsche Damen einfach Einlass gehabt hätten. Die Amerikaner kapselten sich völlig ab und Kontakt mit der Zivilbevölkerung war selbst Jahre später, als wir lange schon wieder ein selbständiger Staat waren und die Amis nur noch als Schutztruppe hier verweilten, eher die Ausnahme. In den Jahren nach dem Krieg bis zum Ende der Blockade Mitte 1949 konnten die Familien der Soldaten sowieso noch nicht mit zu den Standorten ziehen, das gab es erst später. Die so freizügigen Tanzvergnügen mit deutschen Mädchen gab es sicher, aber die Damen waren handverlesen und einfach da so reinschneien, das war unmöglich. Diese Damen hatten auch keinen guten Ruf in der Bevölkerung. Das ist nach einem verlorenen Krieg überall in der Welt so und wird wohl auch immer so bleiben.

Die ersten Flugzeuge landeten mitten in Berlin, auf dem Zentralflughafen Tempelhof. Der wurde im Dritten Reich mit großem Aufwand erbaut, wahrscheinlich auch von Speer geplant mit gewaltigen Flugzeughallen, die sich im Halbkreis mehrere hundert Meter lang hinstrecken. Für die damalige Zeit riesig, heute eher „Provinz“, aber wer wusste denn, wie sich das mal entwickeln würde. Der Flugplatz wurde auf dem Tempelhofer Feld gebaut, das war zu Kaisers Zeiten noch der Paradeplatz und Aufmarschplatz für die kaiserliche Garde. Angeschlossen waren auch Schießstände, die aber bei dem Bau des Flughafens weichen mussten. In der Mitte lag sogar mal ein kleiner See, der „Schlangen-Pfuhl“. Mit dem Bau der Landebahnen verschwand auch dieser Tümpel. Das „Tempelhofer Feld“ - im Volksmund heißt es zumindest bei den Älteren auch heute noch so - grenzte im Norden und Osten an und Kreuzberg und Neukölln, zum Süden hin natürlich an das Weichbild des Bezirks Tempelhof. Die Landebahnen gingen in Ost-West-Richtung, also über Neukölln und Kreuzberg / Schöneberg.

Die Rosinenbomber - den Namen erhielten sie, weil sie Süßigkeiten an kleinen selbst gebastelten Taschentuchfallschirmen aus den Cockpits warfen - kamen meist über Neukölln herein und wurden dann an die Hallen herangeleitet. Da die Flieger am Tage im Dreiminutenabstand flogen, war das schon ein Bild, aber auch gefährlich, so wurde dann zum Erhöhen der Flugsicherheit auf einen der vielen Friedhöfe, die direkt am Tempelhofer Feld auf Neuköllner Boden lagen, Lichtmasten gebaut, die die Einflugschneise markierten. Einige Gräber mussten dafür sogar exhumiert werden. Niemand protestierte, aber gemurrt wurde schon.

Der Flughafen war nur mit einfachem Maschendraht abgegrenzt, an manchen Stellen war er von dem Volk, das sich dort ständig gaffenderweise einfand, auch niedergetreten, weil man ja auch an die Taschentuchfallschirme kommen wollte, die sich „verirrt“ hatten. Selbstverständlich war ich mit meinen Freunden auch dabei, manchmal hatte man auch Glück und konnte sich solch kleines Ding aus der Luft „pflücken“. Spaß machte es allemal. Wenigstens das hat der Film annähernd richtig gezeigt.

Was mich allerdings am meisten ärgerte: der Straßenzug, der als angeblich typische Berliner Straße immer wieder im Geschehen zu sehen war, ist - wie ich in einer der vielen Vorankündigungen später las - ja gar nicht in Berlin gefilmt worden, sondern in Budapest. Ein echter Berliner muss sich verhonepiepelt vorkommen, denn es gibt ja immer noch die typischen Berliner Straßen im Baustil der frühen Jahre nach der vorletzten Jahrhundertwende, im so genannten Zuckerbäckerstil. Aber die sind so schön renoviert worden, dass das dann auch unwirklich ausgesehen hätte. Nein, solche Häuser, wie sie der Film zeigt, gab und gibt es in Berlin nicht. Durch eine solche breite Straße wäre übrigens auch eine Straßenbahn geführt worden. Man hätte also Schienen sehen müssen. Apropos Straßenbahnen, auch diese Kulisse war unecht. Die Straßenbahnen, die ich glaube gesehen zu haben, fuhren in Berlin in den 1920er Jahren, als es noch keine BVG gab. Nach dem Zusammenschluss der Berliner Verkehrsbetriebe Ende der 1920er Jahre, nannte sich das Ganze dann BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) und sämtliche Fahrzeuge wurden knallgelb angestrichen. Aus Erzählungen und Zeitungen erinnere ich mich noch an die Abkürzung „ABOAG“ (Allgemeine Berliner Omnibus AG), die bis dahin die Busse und wahrscheinlich auch die Straßenbahnen betrieb.

Wenn ich nun noch weiter motze, müsste ich auch noch erwähnen, dass die Flieger nur in den ersten Monaten so aussahen, wie der Film sie zeigt, später waren es dann ziemlich große Apparate, die angeblich die dreifache Kapazität hatten. Es gab natürlich auch schlimme Unfälle. An einem „schwarzen Freitag“ rasselten in Tempelhof drei Flieger ineinander und eines der Flugzeuge ist auch einmal in Schöneberg in ein Wohnhaus gestürzt. Wenn man die Kapazitäten nimmt, die insgesamt über die Luftbrücke nach Berlin geschafft wurden, dann bewegen sich die Unfälle wohl im Promille-Bereich, aber sie waren spektakulär und die Berliner waren selbstverständlich immer tief betroffen.

Die politischen Verhältnisse sind wir natürlich nicht gewahr geworden, aber es war nicht so, dass man nicht in den Ostsektor gehen konnte, im Gegenteil, viele Westberliner besorgten sich „ihr“ Brot aus dem Ostsektor. Die Neuköllner gingen gern zu Fuß nach Treptow, das waren von uns vielleicht 2 km Fußweg. Aber bald war das dann doch verpönt. Die Durchhalteparolen des Berliner Senats und der Parteien hatten letztlich Erfolg, wir wollten das „Ostbrot“ nicht mehr. Schließlich kam dann unter uns Kindern auch der Ausdruck auf: „… der is ja doof wie Ostbrot“. Kann man mal sehen, wie solche Parolen auch in „Demokratien“ wirken!

In Tegel wurde noch während der Blockade im Eiltempo ein weiterer Flughafen aus der Erde gestampft. Tegel lag im französischen Sektor, im Norden Berlins. Dort wurde die Jungfernheide, ein großes Heide- und Waldgebiet, fast vollständig abgeholzt und plan gewalzt. Dieser Flughafen wurde jedoch erst im Frühjahr 1949 fertig und viel Luftbrücken-Flugverkehr fand dort dann wohl nicht mehr statt. Wenn man der Historikerin Brigitte Seebacher-Brandt, der Witwe des Alt-Bundeskanzler Willy Brandt, glauben wollte, dann haben sich die Franzosen, wie sie aus Gesprächen mit ihrem Mann und anderen Politikern erfahren haben will, nur ein einziges Mal mit einer Ju 52 an der Luftbrücke beteiligt. Sie hat allerdings für diese Äußerung viel Schelte bekommen. Gefühlsmäßig tendiere ich aber auch zu dieser Auffassung. Nebenbei bemerkt, wurde der Personenflugverkehr erst Mitte der 1960er Jahre von dort aufgenommen. Wir wohnten damals in unmittelbarer Nähe der alten Abfertigungsgebäude. Wenn die Caravelle der Air France die Turbinen, die damals noch nicht schallgedämmt waren, hochfuhr, wackelte in unserem Küchenschrank das Porzellan! Erst viel später wurde Tegel dann zum Großflughafen für Berlin ausgebaut.

Nun habe ich den Film doch noch kommentiert, sogar an manchen Stellen verrissen, was gar nicht meine Absicht war, aber als Zeitzeuge möchte man eigentlich alles minutiös dargestellt wissen, nur dann wär der Film nicht so dramatisch geworden!
erstellt am 01.12.2005
redigiert und ergänzt 2011

 

Bild und Wirklichkeit

Reflexionen. Nach dem Krieg fuhr überall im besiegten Deutschland die hungernde Stadtbevölkerung mit wertvoller „hardware“, die man nicht essen konnte, zu den Bauern aufs Land, um diese Stücke gegen Essbares einzutauschen.

von Uwe Neveling

Eine von den Lehrern geliebte Aufgabe war die Bildbeschreibung. Eine Bildervorlage musste mit Worten sozusagen nachgemalt werden. Das Bild wurde in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund aufgeteilt.
Ich erinnere mich an ein Bauernmotiv. Im Vordergrund saß die Bauernfamilie mit Knechten und Mägden und erholte sich von der Feldarbeit. Man aß und trank. Aus dem Mittelgrund blickten zwei kräftige Pferde herüber. Sie waren noch vor dem Pflug gespannt und warteten geduldig auf die Fortsetzung der Arbeit. Der Hintergrund wurde von der nachmittäglichen Sonne überstrahlt, deren Strahlenkranz in die beiden oberen Ecken des Bildes hinein reichten. Ein ähnliches Motiv habe ich auch schon auf Briefmarken gesehen. Das tatsächlich Erlebte entsprach jedoch keineswegs dieser bäuerlichen Idylle.
Ich fahre mit meiner Mutter aufs Land. Ich fahre gerne mit der Bahn. Wir müssen stehen. Das Abteil ist voll. Wir sind auf Hamstertour. Wer keinen Platz im Wagen gefunden hat, sitzt auf dem Dach oder steht draußen auf dem Trittbrett. Wir erreichen Gesecke und steigen aus. Jetzt müssen wir laufen. Meine Mutter trägt eine schwere Tasche und ich auf meinen Schultern einen kleinen Rucksack. Ich bin klein, schmächtig und errege Mitleid. Wir klappern einige Bauernhöfe ab und bieten unsere Waren zum Tausch an. Ich schäme mich. Das ganze kommt mir wie Bettelei vor. Allmählich füllen sich unsere Taschen mit Kartoffeln, Obst, Gemüse und Butter. Gegen Mittag haben wir nichts mehr anzubieten und gehen zurück zum Bahnhof.
Ich mag nicht mehr laufen. Der Rucksack zerrt an meinen Schultern, meine Füße schmerzen. Ich bin erschöpft. Es ist sehr heiß.
erstellt am 05.03.2009

 

Wie ich meinen Vater fand

Eine aufwühlende Geschichte, man muss stark sein, um sie bis zum Ende zu lesen. Aber es ist ein tröstliches, ein versöhnliches Ende.

von Uwe Neveling

Ich bin im Internet, tippe „Kriegsgräberfürsorge“ in das Suchfeld und drücke die Freigabetaste. Die gesuchte Internet-Seite wird aufgeblendet. Ich gebe bei Kriegsgräber „Kaunas“ ein, Kowno war der frühere polnische Name. Ich erfahre, dass man das Gelände mit Hilfe von Mitarbeitern der Verwaltung und von Zeitzeugen 1994 gefunden hatte.

Die Grenzen des Geländes wurden 1995 und 1996 durch Sondierungsarbeiten abgesteckt. 1998 begann man mit einer Geländesäuberung und im folgenden Jahr wurden die Gräber gekennzeichnet. Am 9. September 2000 wurde der Friedhof eingeweiht. Ich lese: Die Namen von 1422 Soldaten, die bereits während des Krieges hier bestattet wurden, sind auf sechs Stelen genannt, die beidseitig des Hochkreuzes hier aufgestellt sind. Die Gräber weiterer Toter, deren sterbliche Überreste nach Kaunas umgebettet wurden, erhalten eine Kennzeichnung mit stehenden Steinkreuzen. Diese werden nach Abschluss der Umbettungen und Identifizierungen mit den Namen versehen. Die Gräber gibt es also noch. Ist mein Vater namentlich bekannt? Ich gebe alle mir bekannten Daten ein. Auf der nächsten Seite fragt man meine persönlichen Daten ab. Nach der Freigabe erhalte ich die Nachricht, dass keine Person dieses Namens bekannt sei. Gleichzeitig empfiehlt man, mit weniger Daten die Suche fortzusetzen. Ich reduziere die Daten nach und nach und gebe zum Schluss nur noch den Nachnamen ein. Die Suche ist erfolgreich, es werden an die dreißig Gefallene aufgeblendet, nach Vornamen sortiert. Theodor muss ganz hinten sein. Ich nehme mir Blatt für Blatt vor. Ich bin aufgeregt, mir wird kalt und heiß. Ich habe Herzklopfen. Auf der letzten Seite entdecke ich ihn. Name, Vorname, Dienstgrad, Geburtsdatum, Geburtsort, Todesdatum und Todesort stimmen.
Ich habe ihn gefunden. Im Internet wird sogar eine Anfahrtsskizze angeboten. Es gibt auch Reisen zu den Kriegsgräbern. Ich werde sein Grab besuchen. Aber nicht um Abschied zu nehmen, sondern um ihn kennen zu lernen.

Da bist Du endlich, wird er sagen, ich habe lange auf Dich warten müssen. Du bist alt geworden, aber es scheint Dir gut gegangen zu sein. Bist Du mit mir zufrieden, habe ich Deine Erwartungen erfüllt, werde ich ihn fragen. Nicht immer, aber im Großen und Ganzen schon, wird er vielleicht antworten. Du hast mir gefehlt, sage ich zu ihm, mit Dir wäre alles anders, besser geworden. Wir hätten viel unternehmen können. Mit Deinen Freunden aus Gelsenkirchen, dem Ehepaar S., hätte ich mich gut verstanden, sagt er. Eure Kajakfahrten in Finnland haben mich begeistert. Ich wäre gerne dabei gewesen. Ich werde ihn bitten, auf seinen Enkel Oliver aufzupassen. Ich werde ihn bitten, auf mich zu warten. Es sind ja nur noch wenige Jahre, bis wir uns wiedersehen, in Frieden ohne Kampf. Wenn ich dann gehe, verspreche ich ihm, wiederzukommen. Jetzt, wo wir uns gefunden haben, sollten wir uns so schnell nicht wieder aus den Augen verlieren. Das werde ich ihm sagen und beruhigt und froh die Heimreise antreten. Und ich werde mein Versprechen halten. Ich werde wiederkommen.

erstellt am 08.03.2010

 

Erinnerungen an einen 1. Mai

von José O. Probst

Die Landhaussiedlung, in der ich aufgewachsen bin, ragte mit ihrem südlichen Teil weit in ein Waldgebiet hinein, das vornehmlich aus Buchen jeden Alters bestand. Im Frühjahr boten sie mit dem frischen hellen Grün der ungeteilten ganzrandigen oder feingezähnten Blätter einen wunderschönen Anblick. „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus“, wurde gesungen und meistens hielt sich die Natur an die Vorgaben des Kalenders. Besonders am letzten Apriltag gingen viele Bewohner der Siedlung, aber auch anderer Stadtteile, in den Wald, um einen Strauß Maigrün zu holen. Denn auf diese Weise wurde am und im Haus der Mai begrüßt. Häufig gab es dazu noch die Maibowle, oder aber man machte sich „fein“ und tanzte in den Mai. Gleichzeitig liefen die umfangreichen Vorbereitungen für die Aufmärsche und Umzüge zum 1. Mai. Nach der Auflösung der Gewerkschaften war das alles Aufgabe der Deutschen Arbeitsfront. Ob dazu auch die allgemeine Beflaggung öffentlicher Gebäude und Plätze sowie der Privathäuser gehörte, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls wehte am nächsten Morgen von jedem Fahnenmast und jeder Fahnenstange in unserer Siedlung die Flagge mit dem Hakenkreuz. Wenn weder Mast noch Stange vorhanden waren, hing sie, über eine Leine gespannt, am Fenster. In dem „Meer von Flaggen“ war auch nur schwer auszumachen, wer sich dabei als „Volksgenosse“ seiner Pflicht entzog. Ganz bestimmt haben einige wenige den Mut dazu aufgebracht. Eine andere Gruppe von Regimegegnern blieb lieber in „Deckung“. Vermutlich war ihre Zahl aber ebenfalls nicht sehr groß. Nach dem Krieg wurden viele Fahnen in Ermangelung anderer Textilien zu Kleidungsstücken umgearbeitet.
Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Maifeiertag, den ich 20 Jahre später in Hamburg erlebte, wohin ich mich beruflich verändert hatte. Von der hochgelegenen Wohnung in der Jarrestadt konnte man damals noch weite Strecken der Barmbeker Straße einsehen, denn auf vielen Grundstücken waren nach dem Krieg zunächst nur niedrige Gebäude entstanden. Als Haupt- und Durchgangsstraße bot sie dem Betrachter schon in der Zeit das geschäftige Treiben und den zunehmenden Verkehr einer Stadt im Wiederaufbau. In Verlängerung durch den Borgweg ging es von der Barmbeker Straße aus weiter in den Stadtpark. Eine Route, die für die Aufmärsche zu den glanzvollen Mai-Kundgebungen der Gewerkschaften bzw. des DGB in den 1950er Jahren und auch noch später von großer Bedeutung war. Sie gehörte damit zu den so genannten „Sternstraßen“. Bereits in den frühen Morgenstunden des 1. Mai zog ein schier endloser Strom von kleinen und großen Betriebsgruppen, teilweise komplette Belegschaften, an uns vorbei. Sie trugen Schilder, Spruchbänder, natürlich auch Fahnen und skandierten oftmals zusätzlich die Forderungen der Gewerkschaften. Der riesige Demonstrationszug wurde begleitet von Spielmannszügen und gemischten Musikgruppen, auch Schalmeien gehörten dazu. Berittene Polizei sorgte bei uns für die Sicherheit.
erstellt am 07.06.2006

 

Zeitungspapier

von Fritz Schukat

Die erste Tageszeitung der Welt kam 1650 in Leipzig heraus. Sie erschien an sechs Tagen in der Woche. Es entzieht sich meiner Kenntnis und ich konnte es auch nirgendwo nachlesen, wie und worauf diese Zeitung gedruckt wurde. Ich habe mir mal vor Jahren in Schleswig eine Großdruckerei angesehen, in der die meisten Tageszeitungen gedruckt werden, die in unserem Bundesland erscheinen. Das Papier, das dort verwendet wird, läuft von riesigen Rollen ab und wird mit einer Geschwindigkeit bedruckt, die man kaum noch nachverfolgen kann.

Papier wurde früher nur aus Holz gemacht. Ich will jetzt keine Lehrstunde über das Papiermachen abhalten, denn ich weiß nur ansatzweise, wie das geht. Aber heute wird auch recyceltes Altpapier zugesetzt und es sollen auch Lumpen verwendet werden. Und die Farben, die zum Drucken benutzt werden, stecken voller Chemie. Man kann sich damit sicher nicht vergiften, aber ehrlich, ich würde heute mein Frühstück nicht mehr in Zeitungspapier einwickeln. Haben wir aber früher gemacht!

In meiner Jugend wurde Zeitungspapier für viele Zwecke verwendet – ja, natürlich auch für hinterlistige, auf dem WC, klein geschnitten und an einer Schnuröhse dort aufgehängt. Aber auch Bratpfannen wurden mit Papier ausgewischt. Die Pfannen waren damals noch nicht beschichtet. Meistens waren es gusseiserne, die so ähnlich wie die heutigen aussahen - na gut, ich glaube eher, die heutigen, beschichteten Pfannen imitieren das frühere Aussehen. Wenn man den Fettfilm ausgewaschen hätte, würde das Bratgut hängen bleiben, sagte meine Großmutter. Wenn Fenster geputzt wurden, ist anschließend mit Zeitungspapier nachgewienert worden – damit erzielten unsere Mütter dann strahlenden Glanz. Heute erzielt man den mit konzentrierten Fensterputzmitteln, die irgendwelche chemische Zusätzen haben. Die ziehen nach einigen Tagen den Feinstaub und die Rußpartikel der Ölheizungen regelrecht an. Da vergeht einem der Spaß dann wirklich.

Zeitungspapier kann man heute nur noch bedingt für andere Zwecke verwenden. Durch all die Zusätze saugt dieses Papier nicht mehr die Feuchtigkeit so auf, wie wir das von früher her kennen. Und die Druckerschwärze ist so labil auf dem Papier – schauen Sie sich doch mal Ihre Hände an, wenn Sie sich ganz früh eine Zeitung besorgt haben! Schwarz! Als wenn man Kohlen geschippt hätte! Kenn' ich von früher nicht. Und weil Zeitungen so schön die Feuchtigkeit aufsaugten, wurden sie im Winter zerknüllt in unsere nassen Schuhe gesteckt. Macht heute auch keiner mehr.

Das beste Beispiel hab ich mir für den Schluss aufgehoben: früher haben die nicht so reichen Raucher ihre Zigaretten selbst gedreht und haben Zeitungspapier verwendet! Ja, das konnte man damals auch noch, denn dieses Papier war geschmacksneutral. Gesehen habe ich das nach dem Kriegende, als sich bei uns die Russen einquartierten. Die einfachen Soldaten haben ihren Machorka so geschickt in Zeitungspapier gewickelt, dass keine Krume daneben ging. „Zugeklebt“ wurde diese Rakete mit Spucke und vorne gezwirbelt. Das Mundstück musste frei bleiben, damit der Rauch durchging. Ein bisschen wurde natürlich immer gespuckt, weil kleine Tabakreste in den Mund fielen. Aber das gehörte einfach dazu. Heute können Sie solche Sperenzien nicht mehr machen, eine Zigarette aus Zeitungspapier – man würde sich kaputt husten.

erstellt am 16.04.2011