Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Moppel von Fritz Schukat
Learning by Doing von Uwe Neveling
Hamburger Hochbahn von Fritz Schukat
Neunzehnhundertsiebenundsiebzig von Uwe Neveling
Die letzte Straßenbahn von Fritz Schukat
„Das kann doch wohl nicht wahr sein!“ … zwei, drei, vier! von Fritz Schukat
Mein erstes Auto von Fritz Schukat
Ein tolles Fahrrad Erzählt von Dieter Kirchner
Transport-Probleme von Heinz Münchow
Als Tanken noch interessant war von Annemarie Lemster
Der Alleebaum als Bremse von Annemarie Lemster
Glatteis – Wie die kleinen Kinder von Annemarie Lemster
Meine ersten Ausflüge von Annemarie Lemster
50 Jahre Radarfalle von Annemarie Lemster
Paternoster von Uwe Neveling
Schneeflocken von Uwe Neveling
Wärme von Uwe Neveling
Väter und Kinderwagen von Annemarie Lemster
Herbstlaub in Neukölln von Fritz Schukat
Streetview von Fritz Schukat

 

Moppel

von Fritz Schukat bearbeitet am 04.06.2014

Mein erstes Auto war ein Ford P 4, ein geräumiges, für die damalige Zeit durchaus begehrenswertes Fahrzeug, aber es gehörte mir nicht. Es wurde mir zugeteilt, weil ich als Außenbeamter einer in Berlin ansässigen Bundesbehörde mit Dienstsitz in „Westdeutschland“. Kontroll- und Prüftätigkeiten durchzuführen hatte.

Der Haken an dem Dienstwagen war jedoch, dass er für Privatfahrten eine schlechte Alternative war, denn man musste die gefahrenen Kilometer recht teuer bezahlen. Zudem konnte man ihn auch nicht unbegrenzt benutzen, weshalb ich mir kurz nach der Zuweisung des Dienstwagens einen älteren VW-Käfer zulegte.

Ich hatte damals an meiner neuen Wirkungsstätte noch keinen Freundeskreis und die Dame meines Herzens wohnte in einem kleinen Ort südlich von Hannover. Uns trennten etwa 50 km. Wenn ich die Wochenendfahrten und die zwischenzeitlichen Spritztouren mit meinem Dienstwagen zurückgelegt hätte, wär ich sehr schnell an das offizielle Limit gekommen und der Spaß wäre für mich als kleinen Oberinspektor doch zu teuer geworden. Da war die Anschaffung eines uralten VW-Käfer für 850 DM eine gute Alternative - meinte ich.

 

Moppel 1 

 

„Moppel“ stand bei meinem Tankwart, mit dem ich bereits ein nettes Verhältnis aufgebaut hatte. Es war ein schwarzer VW-Käfer mit Schiebedach, Modell 1956/57, also etwa 12 Jahre alt. Das ist sicher kein aufregendes Alter, aber mit all seinen Macken war er ein richtiges Spaßmobil. Er hatte einen Motor, der gar nicht zu ihm gehörte, hatte Haarrisse an den hinteren Kotflügeln, durch die Regenwasser eindrang und er hatte eine Hupe, die man nur innen hörte- das klang wie ein rostiges Grunzen und provozierte jedes Mal Lachstürme bei meiner Begleitung, wenn sich überhaupt jemand traute, mit mir mitzufahren.

Unsere Beziehungen begrenzten sich auf ein knappes Jahr oder rund 10.000 km, dann war der Spaß vorbei. Aber es war eine schöne Zeit, wenn wir mit oder ohne Begleitung gemütlich durch die Lande zogen und das Schiebedach weit geöffnet war. Schnell fuhr er ja nicht, aber es waren doch manchmal so um die 100 km/h.

Inzwischen hatte ich doch schon ein paar nette Leute in Celle, meinem Dienstsitz, kennengelernt. Die Tochter eines Nachbarn machte gerade ihren Führerschein und ich hatte nichts dagegen, ihr „Moppel“ mal auszuleihen. Als besonderen Dank bekam ich ihn dann nach einer Innensäuberung gewaschen wieder zurück.

Moppel bewährte sich auf den Kurzstrecken, aber ich merkte bald, dass ich meine Wochenendbesuche in Hannover bei meiner Bekannten besser mit der Vorortbahn machte. Moppel war ja dann immer in guten Händen.

Irgendwann wollte ich meinen Freund in Darmstadt besuchen. Es sollte eine besondere Urlaubsfahrt werden, denn zu diesem Zeitpunkt reifte schon der Plan, mich nach Süden versetzen zu lassen. Es gab „da unten“ einige bald freiwerdende Stellen, die ich mir landschaftlich näher ansehen wollte.

So fuhr ich an einem Sonnabend in aller Frühe mit Moppel gen Süden und kam auch gut voran. Die Kasseler Berge lagen schon hinter uns und es ging auf die Pfefferhöhe bei Alsfeld zu. Und da geschah es. Ich roch bereits verbranntes Öl, das über die Heizung in den Wagen gelangte. Der Motor wurde immer langsamer und schäpperte verdächtig. Schließlich sah ich im Rückspiegel ungewöhnlich dicke Abgaswolken und konnte gerade noch über die Ausfahrt in die nahe Stadt Alsfeld einfahren, dann „verreckte“ der Motor. Merkwürdigerweise kam ich noch bis zu der dortigen VW-Vertragswerkstatt, aber es war ja Sonnabend und der war damals auch schon fast überall arbeitsfrei. Es war eine kleine Firma, bei der der Chef noch selber mit arbeitete und der war vorhanden. Einen Austauschmotor für dieses Modell, angeblich eine 30 PS-Maschine, würde es in ganz Hessen nicht mehr geben, aber mit viel Glück würde er es wohl schaffen, einen 34 PS-Motor aufzutreiben und einzubauen. Das würde wohl 3-4 Stunden dauern und ungefähr 600 DM kosten.

Das war gerade so viel, wie ich für den Kurzurlaub mitgenommen hatte, aber „wat mut, dat mut“. Ich wartete ungeduldig in der Werkstatt, in der mein „kranker“ Moppel aufgebockt herumstand, bis der Austauschmotor schließlich von irgendwo herangekarrt wurde. Die Montage ging zügig voran und ich bekam noch einige Ratschläge, wie ich mit dem neuen Motor umzugehen hatte. Mit großer Verspätung kam ich bei meinem Freund in Darmstadt an. Natürlich gingen alle Urlaubspläne koppheister und am Montag darauf, nachdem mein Freund wieder zur Arbeit ging, setzte ich mich in den Moppel und fuhr konsterniert nach Hause.

Moppel wollte auch mit dem neuen Motor nicht mehr so recht. Nach wenigen hundert Kilometern ging das Malheur wieder los. Inzwischen hatte die Nachbarstochter für mich einen Ersatzmoppel ausgeguckt. Das war ein etwas jüngerer VW-Käfer, ebenfalls mit Faltschiebedach, aber cremefarben.

Der Abschied von Moppel 1 war irgendwie herzergreifend, aber (siehe oben): „Wat mut - dat mut“!

„Moppel zwo“ bekam irgendwann mal eine <53> auf die Fahrertür geklebt, aber viel witziger waren seine Augen. Ich hatte mir Klebefolie besorgt und sie selber ausgeschnitten, deshalb waren sie exklusiv und einmalig. Kein Käfer hatte so schöne Augen mit Augenbrauen (!) wie er. „Moppel zwo“ hat mich in den letzten Jahren meiner „Gerichtswitwerzeit“ liebevoll und diskret begleitet. Hätte er schreiben können, wären es sicher sehr schöne Geschichten geworden. Das muss ich wohl irgendwann einmal nachholen, bevor sie gänzlich in Vergessenheit geraten. ‚Moppel zwo’ gibt es schon lange nicht mehr, er ist vor etwa mehr 40 Jahren recycelt worden.

 

Moppel 2 

 

Learning by Doing

von Uwe Neveling erstellt am 16.01.2014

In der letzten Zeit finde ich an zwei Fernsehsendungen großen Gefallen. In einem vornehmlich für Autobastler eingerichteten Sender sehe ich mir regelmäßig die Sendung mit dem Checker und die Doku „Die Ludolfs“ an. Der Checker checkt Gebrauchtwagen (daher auch sein Name), die später in einer Werkstatt aufgefrischt werden, und auf dem Schrottplatz der Ludolfs sammeln sich in einer großen Halle wiederverwendbare Teile ausgeschlachteter Fahrzeuge. Fasziniert bin ich dabei von ihrem Lagerungssystem, das für Außenstehende chaotisch und unübersichtlich erscheint. Ich lerne dabei Funktionsweisen von Autoteilen kennen, die mir bisher unbekannt waren. Es ist erstaunlich, aus wie vielen Teilen so ein Auto besteht

Ich hatte eigentlich gedacht, dass meine neuen Kenntnisse mir bei der Lösung eines Problems helfen würde, mit dem mich meine Frau neulich konfrontiert hatte. Ihr Auto musste früh morgens bei Auto Walter in die Werkstatt. Die Klimaanlage war zu reparieren. Im Winter ist eine nicht funktionierende Heizung von großem Nachteil. Das sollte nun umgehend geändert werden. Wie sich später herausstellte, öffnete sich eine Luftklappe nicht, so dass die Klimaanlage nur mit eiskalter Luft versorgt wurde. Das ist im Sommer o.k., im Winter aber nicht sinnvoll. Mit der Treibstoffverbrennung war auch etwas nicht in Ordnung. Aus dem Auspuff quoll schwarzer Rauch, der außerdem muffig roch. Der Auspufftopf gab beunruhigende, knatternde Geräusche von sich. Ich wünschte mir den Checker herbei, der alle Fehler sofort findet, auch die versteckten. Das Autohaus Walter wollte die Fehlerliste sorgfältig abarbeiten. Dafür brauchten sie Zeit.

Meine Frau erhielt einen Ersatzwagen, da sie auf ein Fahrzeug angewiesen ist. Der sah zunächst erst einmal anders aus. Das hatte auch unser großer Berner Sennhund gemerkt. Die Lackierung war grün. Es war aber kein kräftiges Frühlingsgrün. Wir haben einen kleinen Garten. Das Grün im Garten hat unter dem Bewegungsdrang unseres großen Hundes stark gelitten. Grüne Flecken vermischen sich mit schwarzen, graslosen dunklen lehmigen Flecken. So sah auch der Ersatzwagen aus, als hätte ihn unser Hund bearbeitet.

Dunkle Wolken zogen sich über unseren Köpfen zusammen. Es sah nach Regen aus. Erste Tropfen mahnten uns zur Eile. Meine Frau startete den Motor, und dann kam die entscheidende Frage: Weißt Du, wie man in den Rückwärtsgang schaltet? Na klar, ich weiß das. Ich fahre schon seit über 40 Jahren Auto. Außerdem verfüge ich über eine exzellente Fernsehausbildung. Ich drückte den Steuerknüppel nach unten und hoffte, dass er in der Führung nach links oben, rechts oben oder rechts unten einrasten würde. Es tat sich nichts. Nach einer Viertelstunde gaben wir auf, und ich schob den Wagen rückwärts aus der Parkbucht.

Wir fuhren dann zum Autohaus Walter. Eine Angestellte begrüßte uns freundlich. Sie lächelte, als wir ihr unser Problem vortrugen. Hilfsbereit ging sie mit uns zum Wagen, stieg ein, zog an einem am Steuerknüppel befestigten Ring und drückte den Steuerknüppel nach links oben. Der Rückwärtsgang rastete hörbar ein. Man sah es ihr an. Sie freute sich, dass sie uns helfen konnte und verriet uns, dass der Rückwärtsgang bei diesem Fahrzeugtyp etwas Besonderes sei. Meine Frau stieg ein. Mit dem neu erworbenen Wissen fuhr sie rückwärts aus der Parklücke. Wir haben uns vorgenommen, unser Wissen für uns zu behalten und hoffen, dass spätere Fahrzeugführer damit auch ihre Schwierigkeiten haben werden. Wir wünschen ihnen eine gute Fahrt, sowohl vorwärts als auch rückwärts.

Etwas haben wir gelernt. Learning by doing setzt offensichtlich die Bereitschaft voraus, sich helfen zu lassen. Das hat sich in unseren Köpfen festgesetzt. Dadurch vergrößert sich unser Handlungsspielraum, es macht uns allerdings abhängig. Das ist aber das kleinere Übel. Wichtig ist, dass man vorankommt, notfalls mit einer rückwärts geschalteten Fahrweise.

 

Hamburger Hochbahn

aufgezeichnet von Fritz Schukat, aktualisiert im November 2013

Wir waren zum Geburtstag eingeladen und saßen gemütlich bei Kaffee und Kuchen. Mir gegenüber saß Heinz, Jahrgang 1934, wir kennen uns seit Jahren. Seit er sein Fuhrgeschäft seinem Sohn übergeben hat, fährt er mit seiner Frau durch Deutschland. Am Haken seines PKW ziehen sie mit einem riesigen Wohnwagen durch die Lande. Sie sehen sich die schönsten Gegenden an. Die Ziele sucht er jedoch immer so aus, dass es auch sonst noch was zu sehen gibt. Im Herbst waren sie in Wuppertal und haben sich die Schwebebahn angeschaut, sind natürlich auch ausgiebigst mitgefahren.

„Weißt Du, dass Hamburg auch beinahe eine Schwebebahn nach Wuppertaler Vorbild bekommen hätte?“ fragte ich ihn. Wusste er nicht! Das weiß auch kaum einer, und man kann damit sogar noch viele Hamburger verblüffen. Als in der „Klose“-Zeit, also Ende der 1970er Jahre, begonnen wurde, den Rathausmarkt umzubauen, konnte man in dem Fußgängertunnel unter dem Reesendamm, der den oberen Bahnsteig Jungfernstieg mit der Station Rathaus verband, Schautafeln sehen, auf denen die alten Baupläne für das neue Rathaus und die Stadtschnellbahn beschrieben wurden. Das war für mich höchst interessantes Anschauungsmaterial, denn als oller Berliner war ich darüber sehr beeindruckt, weil sich die Hamburger Stadtväter letztlich dann doch für die Hochbahn nach Berliner Vorbild entschieden haben.

 

Hamburger Hauptbahnhof 1957 

 

Was ich aber nicht wusste, Heinz’ Vater war Zugführer bei der „Hochbahn“. Und dann ging’s los. Ich kannte Heinz gar nicht wieder!

Die Züge der Hamburger Hochbahn hatten in meiner Jugendzeit neben dem Zugführer auch noch einen Beifahrer. Der stand während der gesamten Fahrt vorn in einer Nische. Er hatte vorn seine eigene, schmale Tür und gab dem Zugführer durch Klopf- oder Handzeichen Signal zum Abfahren des Zuges. Bei geöffneter Tür guckte er dann noch einige Sekunden rückwärts, um zu schauen, ob alles in Ordnung wäre. Heute gibt’s dafür ja diese Fernsehkameras, deren Bild der Zugführer sogar in sein Kabuff eingespielt bekommt, aber damals war der Zugbegleiter gang und gäbe!

Die Züge waren relativ kurz, jedenfalls nicht so lang wie heute. Ich meine, sie hatten höchstens vier Waggons, weil die Bahnhöfe ja auch gar nicht so lang waren. Man kann das zum Teil heute noch sehen. Wenn man z.B. bei den alten Haltepunkten der Hochbahn am Ende des Bahnsteiges steht, verjüngt der sich so, dass - falls zwei Züge gleichzeitig dort halten - die Passagiere des einen Zuges den Passagieren des anderen Zuges die Hand reichen könnten, ohne aus ihrem Zug aussteigen zu müssen! Sieh Dir mal die Station Hudtwalckerstraße an oder Ohlsdorf! Nur durch Tricksereien konnten die Bahnsteige „verlängert“ werden, jedenfalls sieht man das noch an vielen Bahnsteigen der alten Linienführungen.

Als ich 7-8 Jahre alt war, Anfang der 1940er Jahre, nahm mich Vater mehrmals mit in den Führerstand. Ich durfte dann neben ihm stehend mitfahren. Das ging nur, wenn er die Strecke nach Groß-Hansdorf fuhr. Dann wechselte Vater mit seinem Kollegen schon auf halber Strecke und der konnte vorzeitig Feierabend machen. Das war eigentlich nicht erlaubt, aber wen kümmerte das schon! Die Züge fuhren kaum schneller als 60 km/h, aber wenn der Fahrer unaufmerksam war und im Bahnhof zu spät bremste, konnte es schon mal geschehen, dass er ein Stück zu weit fuhr, also die Fahrgäste vorn nicht aussteigen konnten. Grundsätzlich fuhr der Zug nur vorwärts. Wollte er dann rückwärts fahren, musste er einen verplombten Knopf drücken. Normal durfte dieser nur bei Gefahr betätigt werden. Wenn der Zugführer aber zu weit fuhr und deshalb die Plombe beschädigen musste, um den Zug rückwärts zu bewegen, musste er schon einen plausiblen Grund angeben, sonst wurde ihm als Strafe ein bestimmter Betrag vom Lohn abgezogen! Da das meist empfindlich zu spüren war, erfanden die Fahrer schon recht abenteuerliche Entschuldigungen. Da hieß es dann „... beim 3. Wagen haben die Bremsen nicht gezogen, das hab ich gleich nach Dienstantritt gemerkt!“ Das hat mir Vater später als Rentner öfter erzählt.

Im Winter war das Fahren in dem engen Führerstand auch kein Vergnügen, denn es gab dort keine Heizung. Mutter nähte ihm deshalb im Herbst schon immer einen kleinen Leinensack, in den sie grobkörniges Salz hinein gab. Damit reinigte Vater die Frontscheibe, denn sein Atem fror bei kalten Temperaturen gern von innen an der Scheibe an. Der Scheibenwischer außen war auch nicht die reine Freude. Man musste ihn mit einem Knebel von innen per Hand bedienen.
Gegen heute war das, was die Zugführer damals leisten mussten, ein Knochenjob. Beschleunigt wurde der Zug mit einer Kurbel, mit der die Stromstärke geregelt wurde. Das Umstellen auf die einzelnen Fahrstufen klang ähnlich wie bei den alten Straßenbahnen mit einem Knacksgeräusch.

Papa fuhr meist die sehr lange Strecke von Groß-Hansdorf bis Jungfernstieg. Da war übrigens Endstation, da ging es nicht weiter. Manchmal bekam er „den Ring“, das empfand er als angenehmer, die Strecke war wohl auch interessanter.

 

Hamburg S Bahnstation Berliner Tor 70er Jahre 

 

Ja, aber dass wir beinahe auch eine Schwebebahn bekommen hätten, das wusste ich nicht – wie merkwürdig würde dann wohl die Hamburger Innenstadt heute aussehen!“

Weil Heinz das nicht aufschreiben wollte, habe ich mich hingesetzt und das Gespräch nachträglich aufgezeichnet. Ich hoffe, dass ich nichts vergessen habe!

Das Geburtstagskind schaltete sich dann auch noch ein und ich erfuhr, dass es im Nordosten von Hamburg, von Barmbeck - wurde damals noch mit „ck“ geschrieben - eine Straßenbahn gab, die zu den Walddörfern fuhr, aber nicht zur Hochbahn gehörte. Sie existiert heute nicht mehr und die Trasse ist auch teilweise verschwunden. Ein Wanderweg soll sich jetzt dort befinden. Für mich als „Zugereisten“ klang das doch ein bisschen zu abenteuerlich, was ich dort dann hörte. Deshalb fragte ich kürzlich einen Bekannten, der einmal bei der Hochbahn gearbeitet hatte. Er befragte einen ehemaligen Kollegen und von dem bekam ich nachstehende Informationen:

Die Walddörfer Bahn war eine Verbindung, die, festgelegt im Staatsvertrag zwischen Hamburg und Preußen vom 8. Mai 1912, die Hamburgischen Exklaven in Preußen (das heutige Südholstein) anschließen sollte und war damit ein höchst politisches Vorhaben. Zwar trafen in Barmbeck die von der HOCHBAHN betriebene Ringlinie und die Walddörfer Bahn zusammen. Bis März 1934 war die HOCHBAHN jedoch nur für die Betriebsführung verantwortlich. Die Stadt Hamburg betrieb die Bahn auf eigene Rechnung. Erst ab dem 1.4.1934 übernahm die HOCHBAHN den gesamten Betrieb der Strecke. Die Strecke selber und die Wagen blieben jedoch im Staatsbesitz.“

 

Hamburger Straßenbahn 70er Jahre 

 

Diese oberirdische Bahnstrecke, die von Barmbek über Volksdorf, Ohlstedt nach Woldorf führte, wurde im ersten Weltkrieg sogar mit zwei belgischen Beute-Dampflokomotiven betrieben, bevor sie dann elektrifiziert wurde. Sie hatte wohl immer Schwierigkeiten mit ihren Fahrzeugen und Triebwagen, fuhr aber noch bis Anfang 1961 und wurde dann endgültig eingestellt.

Ich bin ein Fan von alten Schienenfahrzeugen, weshalb ich mir gerne Eisenbahnmuseen anschaue. Jetzt habe ich erfahren, dass im EBM Schönberger Strand ein alter Triebwagen der Walddörfer Straßenbahn stehen soll. Im Sommer werde ich bestimmt wieder einmal dort hinfahren, um ihn mir anzusehen!

 

Neunzehnhundertsiebenundsiebzig

von Uwe Neveling 1984

Neunzehnhundertsiebenundsiebzig bin ich vierzig Jahre alt geworden. In den vergangenen vierzig Jahren hatte ich einiges erlebt: den Krieg mit all seinen Folgen, die schulische Ausbildung, Studium, Lehre und die damit verbundenen ersten beruflichen Erfahrungen. Ich war schon sehr früh mobil und bewegte mich Richtung Norden nach Hamburg. Das war für einen Menschen aus dem Ruhrgebiet außergewöhnlich. Ich hatte Heimweh und habe es auch heute noch. Ich kämpfe aber wirksam dagegen an.

Ich unternahm auch einige erwähnenswerte Reisen und Fahrten. Wenn es in die Wildnis geht, sprechen wir immer von Fahrten. Dazu zählten Aufenthalte in Skandinavien und Island. Die nördlichen Regionen hatten es mir schon damals angetan. Die Erinnerungen daran sind in den vielen Jahren frisch geblieben. Es war eine tolle Zeit.

Ich bin auch das erste Mal in den Vereinigten Staaten gewesen. Es war eine Geschäftsreise. Ich leitete damals ein großes Entwicklungsteam im EDV-Bereich. Wir hatten unsere Arbeit nach fast zweijähriger intensiver Tätigkeit erfolgreich abgeschlossen. Die USA-Reise war als Anerkennung der vollbrachten Leistung gedacht. Gute Leistungen wurden in der Vergangenheit noch belohnt.

In Hamburg fand ich eine zweite Heimat. Hier wohne und lebe ich. Meine beruflichen Erfolge und Freundschaften, die über Jahrzehnte gehalten haben und immer noch halten, haben mir das Leben in der Fremde leicht gemacht. Natürlich gab es – wie in jedem Leben – auch einige Tiefschläge. Ein Leben, das gradlinig verläuft, gibt es nicht. Man lernt durch das Auf und Ab im Lebenslauf die eigene Belastbarkeit kennen. Erst dadurch ist es möglich, zukünftige Erschwernisse besser abzuschätzen und zu bewältigen.

Ich befinde mich jetzt im Jahr neunzehnhundertsiebenundsiebzig. Das Jahr geht zu Ende und ich überlege, was es an Außergewöhnlichem gegeben hat. Ich komme zu dem Ergebnis, dass es bisher ein ausgesprochen ruhiges Jahr gewesen ist. Den runden Geburtstag hatte ich mit Freunden gefeiert. Und das war es dann auch eigentlich schon. Ich tröste mich damit, dass es auch solche Zeiten geben muss. Man kann Kraft tanken für die Zeit, die vor einem liegt. Es ist gut, dass wir nicht in die Zukunft sehen können. Planziele sind Absichtserklärungen, konkret werden sie immer dann, wenn der Termin erreicht ist. Und ob sie dann der Planung entsprechen steht auf einem anderen Blatt.

Den Jahreswechsel werde ich mit Freunden im kleinen Kreis verbringen. Ich habe auch schon Zukunftspläne. Ich will mich beruflich verändern und auch noch einmal umziehen. Ich habe gehört, dass es sich an der Peripherie von Hamburg gut leben lässt. Ein eigenes Häuschen käme mir da gerade recht. Man sieht, dass es in meinem Leben keinen Stillstand gibt. Veränderungen machen neugierig. Und ich bin nun einmal ein neugieriger Mensch.

 

Die letzte Straßenbahn

Straßenbahn der Linie 55 von 1962 

von Fritz Schukat aufgeschrieben im Oktober 2011

Die letzte Straßenbahn in Berlin fuhr geschmückt „wie ein Pfingstochse“ am Montag, dem 2. Oktober 1967 vom Bahnhof Zoo nach Spandau ins Depot. Es war die Linie 55, deren Streckenführung von Spandau-Hakenfelde über Rathaus Spandau, Siemensstadt, Ernst-Reuter-„Knie“ zum Bahnhof Zoo verlief. Die Abschiedsfahrt ging jedoch andersrum.

Mit der Linie 55 verband mich eine fast 2 ½ jährige Notgemeinschaft. Ich wohnte mit meiner Ex-Frau von Mitte 1960 bis Ende 1962 in Spandau-Hakenfelde bei Schwiegermuttern in Untermiete, und zwar in unmittelbarer Nähe der Wendeschleife der Endhaltestelle Hakenfelde. Wir arbeiteten damals beide am Fehrbelliner Platz in Wilmersdorf. Ein Auto hatten wir natürlich noch nicht und deshalb fuhren wir täglich in aller Herrgottsfrühe mit der Straßenbahn zur Arbeit. Gleitende Arbeitszeit gab es damals auch noch nicht. Dienstbeginn war 7:40 Uhr, also war immer Eile geboten. In Hakenfelde setzten die Linien 55 und 75 ein. Wir mussten mit der 75 fahren, weil die über die Heerstraße zum Reichskanzlerplatz fuhr, wo wir in den 4er-Bus umsteigen konnten, der dann zum Fehrbelliner Platz fuhr. Gab es technischen Schwierigkeiten, mussten wir auch schon mal mit der 55 fahren. Man konnte dann am Rathaus Spandau in die Parallel-Linie 76, die vom Johannesstift kam, umsteigen.

Die Linien 75 und 76 wurden mit der Zugeinheit TM 34 bedient. Das hab ich mir aus der einschlägigen Literatur angelesen. Damals interessierten mich solche Einzelheiten nicht, wichtig war nur, dass wir schnell von A nach B kamen. Dieser Straßenbahnzug bestand aus zwei aneinander gekoppelten Triebwagen, die man nur in der Mitte des Wagens über eine Doppeltür besteigen konnte - Mitteleinstieg hieß das bei den Straßenbahnern, die Beifahrertür blieb verschlossen, seitdem es keine eigentlichen Zugbegleiter mehr gab. Den Zug konnte man unschwer an den charakteristischen dicken Starkstromkabeln erkennen, die wie Hörner aussahen und an der Vorder- wie Hinterfront aufgehängt waren. Zwischen den beiden Einheiten waren sie fest zusammengekoppelt. Dadurch konnten die Motoren des jeweils hinteren Triebwagens ebenfalls angesteuert werden, was dem Zug eine hohe Anfahrgeschwindigkeit verlieh. Wir fuhren gern in diesem Zug, denn vor allem in der kalten Jahreszeit war er heimelig warm. Außerdem hatten wir die blöde Angewohnheit, uns immer auf den gleichen Platz zu setzen, den wir uns ja an der Endhaltestelle aussuchen konnten.

Die Linie 55 wurde mit einem anderen Fahrzeugtyp bedient, der nach meiner Meinung immer noch einen ganz bestimmten Wiedererkennungswert besitzt: das war die Baureihe T 24, die früh und abends immer mit einem motorlosen Anhänger fuhr. Wie gesagt, bei technischen Schwierigkeiten fuhren wir auch manchmal mit der Linie 55.

Ich brauchte mich um fahrtechnischen Dinge nicht zu kümmern, meine Ex-Frau fuhr ja schon etliche Jahre vorher von dort nach Wilmersdorf. Genaue Fahrpläne kannten wir übrigens nicht, denn die Straßenbahnen fuhren in so dichter Reihenfolge, dass man einer versäumten Bahn nicht hinterherzulaufen brauchte. Beinahe auf Sicht kam die nächste, und das, obwohl schon seit Jahren die Umstellung vom „schienengebundenen Oberflächenverkehr auf gleisunabhängige Fahrzeuge (Busse)“ im vollen Gange war. Die (West-)Berliner Verkehrspolitiker bauten schon seit 1952 darauf, den erkennbaren Anstieg des Autoverkehrs durch den Abbau der eigenen Straßenbahntrassen zu entspannen. In den Straßen, in denen die Bahn keine eigenen Trassen hatte, erwies sich der Schienenverkehr damals tatsächlich schon als Hindernis.

Mit der Verabschiedung der letzten Straßenbahn im Jahre 1967 gliederte sich Westberlin in die Reihe der Städte ein, die dies angeblich zum Vorteil des Individualverkehrs schon längst getan hatten - und heute will man aus umweltpolitischen Gründen wieder Straßenbahnen bauen, um den Individualverkehr zu beschränken. Verkehrte Welt! Ich will hier jedoch nicht auf die Gründe eingehen, die gebetsmühlenartig immer wieder zitiert werden. Das sollen die Politiker selber machen.

Leider konnte ich die letzte Straßenbahn in Berlin nicht verabschieden. Ich hatte an jenem 2. Oktober 1967 meinen Reisetag nach Hannover, wo einen Tag später meine praktische Einweisung in den Außendienst begann. Doch fast auf den Tag genau, 11 Jahre später, erfuhr ich ausgleichende Gerechtigkeit: Am Sonntag, dem 1. Oktober 1978 verabschiedeten sich die Hamburger vom schienengebundenen Oberflächenverkehr, um - wie es hieß - die Stadt autogerechter zu gestalten. Was für ein kapitaler Irrtum, wie sich allerdings erst viel später herausstellte! Ich fuhr extra in die Innenstadt, um mir das Spektakel anzusehen, denn ich konnte aus meinem Büro direkt auf den Rathausmarkt gucken. Auch hier das gleiche Bild: die letzten Straßenbahnzüge der Linie 2, die vom Rathausmarkt nach Schnelsen fuhr, waren auch hier wie seinerzeit in Berlin „wie die Pfingstochsen“ geschmückt. Über 200.000 Menschen sollen damals an der Strecke gestanden haben, um „ihre“ Straßenbahn zu verabschieden. An diesem Tage durfte man sogar ohne Fahrschein mitfahren, was viele Hamburger auskosteten.

Ich bin zwar in Hamburg nie mit der Straßenbahn gefahren, weil ich in meinem ersten Einsatz-Jahr in Ottensen zur Untermiete wohnte und die Familie erst im August 1978 nachkam. Wir sind dann jedoch nach Norderstedt gezogen. Die Linie 2 fuhr leider ganz woanders, außerdem war sie damals schon fast museumsreif.

Kurz nach diesem historischen Ereignis begann dann die Umgestaltung des Rathausmarktes zu dem heute etwas angenehmeren Erscheinungsbild. Da der Oberbürgermeister damals Ulrich Klose hieß, hatten die Hamburger sehr schnell auch passenden Umschreibungen bereit, nach dem Motto, „der baut sich hier sein Denkmal“ oder so ähnlich.

Fünfzehn Jahre lang konnte ich von meinem Büro aus den tollen Blick auf den Rathausmarkt genießen, gelegentlich kamen sogar Filmteams zu uns, um diesen einmaligen Ausblick von den Arkaden herunter aufzunehmen. Als Berliner (!) gestehe ich gern, haben mir die typischen blassgelb-roten Wagen, die z.T. mit irrwitzigen Werbungen beklebt waren, irgendwie dann doch gefehlt. Ein gutes Jahr nach meinem Dienstantritt im August 1977 war der Linie 2 noch vergönnt, über den Jungfernstieg und den Rathausmarkt zu rumpeln und zu quietschen. Dann hörte das für immer auf.

Weitere Bemerkungen
Der in dem Berliner Teil der Geschichte genannte Reichskanzlerplatz wurde 1904 als westliches Ende der damals als Prachtstraße angelegten Bismarckstraße im Verlaufe der Ostwestachse angelegt. Schon kurz nach der Machtergreifung 1933 wurde er in Adolf-Hitler-Platz umbenannt, erhielt aber nach Kriegsende seinen alten Namen zurück. Nach dem Tod des ersten Bundespräsidenten Deutschlands erhielt er am 18. Dezember 1963 seinen heutigen Namen Theodor-Heuss-Platz. Zu der Zeit wohnte der Autor schon in Reinickendorf.

Das Gegenstück zum Reichskanzlerplatz war der ebenfalls im Verlauf der Ostwestachse etwa um 1905 umgebaute Verkehrsnotenpunkt „Am Knie“ in der Nähe des Zooviertels. An dieser Stelle machte der Fahrweg zum Charlottenburger Schloss einen Knick, der dann Namensgeber für diesen Platz war. Nach dem Tod des bekanntesten Regierenden Oberbürgermeisters von Berlin erhielt dieser Platz im Oktober 1953 seinen heutigen Namen Ernst-Reuter-Platz. Da die Berliner immer für einen Scherz und für lustige Verballhornungen bekannt sind, verbanden die Eingeborenen beide Namen zum „Ernst-Reuter-Knie“.
Unter Verwendung von Textpassagen aus Wikipedia

 

Das kann doch wohl nicht wahr sein!

von Fritz Schukat Urtext aus 2005, redigiert im August 2011

Im April 1970 wurde ich von Celle nach Mainz versetzt. Ich hatte das Glück, schon bald eine etwas größere Wohnung in einem Vorort dieser Faschingshochburg zu mieten. Weil ich meinen Dienstwagen leider nur beschränkt privat benutzen durfte, hatte ich mir schon in Celle, einen kleinen VW-Käfer älterer Bauart angeschafft. Deshalb mietete ich mir auch gleich noch zwei Garagen dazu. Das sah natürlich für einen Junggesellen ziemlich protzig aus, aber damals war das alles noch einigermaßen tragbar.

Die Frühjahrstagung 1971 für die Außendienstmitarbeiter wurde wieder einmal in Berlin ausgerichtet und ich musste aus Kostengründen meinen Kollegen aus T. mitnehmen. Er kam mit seinem privaten Audi 100 und großem Gepäck angerauscht und wir mussten uns bei starkem Regen mit dem Umpacken ganz schön beeilen. Er stellte seinem Wagen in meine „Dienstgarage“ und ab ging es nach Berlin. Meinen kleinen VW-Käfer hatte ich meiner damaligen Bekannten geliehen, die in Frankfurt/M. wohnte. Sie war schon früher losgefahren.

Die Tagung dauerte incl. An- und Abreise eine knappe Woche. Rückreisetag war offiziell Freitag, der 30. April, aber wer wollte, konnte auch das Wochenende noch in Berlin bleiben. Samstag, der 1. Mai und der anschließende Sonntag luden förmlich dazu ein! Trotzdem entschieden wir uns, schon am Freitag zurückzufahren. Für die etwa 600 km musste man damals zwischen 7-8 Stunden einkalkulieren. Zeitverzögerungen wegen der Grenzkontrollen in Helmstedt waren obligatorisch, denn die meisten DDR- Grenzposten machten sich offenbar einen Spaß daraus, die „Westler“ bei den geringsten „Verstößen“ gegen die DDR- Straßenverkehrsordnung herauszuwinken und anschließend zu „filzen“. Aber wir kamen ohne Beanstandungen durch. Dann ging es über Braunschweig und Salzgitter auf die A 7 in Richtung Göttingen. An der dortigen Raststätte wollten wir kurz Pause machen und etwas essen. So der Plan, aber es kam ganz anders.

Schon etliche Kilometer vor Göttingen gab es eine Großbaustelle. Wegen des Wochenendverkehrs, der noch verstärkt wurde durch den Ausflugsverkehr anlässlich des 1. Mai, kam es zu kilometerlangen Verkehrsstaus, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Bei dem „Stop-and-go“-Verkehr im Stau merkte ich, dass mein Wagen rechts hinten irgendwie hoppelte. Ich führte das anfangs auf den schlechten Straßenbelag zurück, aber es dauerte nicht lange, da klopfte ein netter Mensch an unsere Scheibe und wies darauf hin, dass wir einen „Platten“ hätten. Auch das noch.

Also ran an die Seite, Koffer raus, Wagen aufgebockt, Reserverad ausgebuddelt und die blöden Bemerkungen der langsam Vorbeifahrenden mit ebenso blöden Bemerkungen abgeblockt. Es war mein zweiter Radwechsel überhaupt, ich schaffte es aber in relativ kurzer Zeit, wobei mir mein Kollege zwar tatkräftig, aber ziemlich böse dreinblickend half. Mit seinem teuren Audi 100 wäre das sicher nicht passiert! Aber der stand ja nun einige Hundert Kilometer entfernt bei Mainz in einer Garage und wartete auf seine Rückkehr.

Nachdem diese missliche Episode überstanden war, kehrten wir in der Raststätte Göttingen ein. Die Ehefrau meines Kollegen, die an der Reise teilnahm, fing an zu unken: „Wenn Ihnen das nun nochmals passiert, dann sind wir doch aufgeschmissen! Kaufen Sie sich doch bitte noch ein Reserverad, man kann ja nie wissen!“ Das fanden wir beide, mein Kollege und ich nun doch ziemlich lächerlich, denn zwei Mal das gleiche Malheur auf einer Fahrt, das sei doch sehr unwahrscheinlich. Ich hatte übrigens auch gar nicht mehr so viel Geld dabei, um mir diesen Luxus zu leisten.

Zu Beginn der Reise hatte ich den Reifendruck auf allen Rädern geringfügig erhöht. Vielleicht lag es daran, dass dem jetzt kaputten Reifen die Luft ausgegangen war. Also fuhr ich an die ‚Tanke’ um dort wieder ein wenig Druck abzulassen. Ich hoffte nun, dass dies ausreichen würde, um unbeschadet nach Haus zu kommen.

Bei Friedberg in Hessen hatte die Autobahn schon in den frühen 1970er Jahren drei Fahrspuren. Rasant ging es auf der Mittelspur den Berg hinunter, nicht zu schnell, aber durchaus flott. Wieder bemerkte ich ein Flattern, diesmal aber in der Lenkung und brachte es wieder mit dem vielleicht schlechten Straßenbelag in Zusammenhang. Was für ein Irrtum! Ich fuhr dann etwas langsamer, denn mein Kollege wies mich darauf hin, dass einige vorbeifahrende Wagen immer wieder auf uns deuteten und seltsame Bewegungen machten. Wieder walkte ein Rad an meinem Wagen, dem die Luft ausgegangen war, diesmal war es der rechte Vorderreifen. Ohne das genau zu wissen, fuhr ich noch ein paar Kilometer weiter, aber mit geringerer Geschwindigkeit und lenkte dann den Wagen in die damals gerade im Bau befindliche Tankstelle, die dort für die US-amerikanische Gemeinde gebaut wurde. Das ist nun schon fast Frankfurt/M. Dort besahen wir uns dann den Schaden und waren ziemlich ratlos, denn mein Reserverad war ja schon kaputt. Und was nun? Die Vorwürfe der Frau meines Kollegen, die das ja förmlich herbeigeunkt hatte, höre ich heute noch!

Es musste nun irgendwas geschehen, aber was? Also, bis zu mir nach Hause waren es vielleicht noch 50 km. Ich musste versuchen, meine Bekannte anzurufen. Sie müsste mit meinem VW-Käfer dort hinkommen, dann würden wir gemeinsam Richtung Mainz fahren, der Kollege mit seiner Frau könnte dann gleich in seinen Wagen umsteigen und nach T. weiterfahren. Ich würde zwei meiner Winterreifen einladen, zur Baustelle zurückfahren und die Reifen aufziehen! Der Rest wär dann kein Problem mehr. Aber da gab es noch einen Haken. Weit und breit keine Telefonzelle. Wie denn auch, wir waren ja auf einer Baustelle! Und Handys gab’s damals noch nicht!

Wir entdeckten einen Tunnel, der unter der Autobahn auf die andere Seite führte. Den durchliefen wir „mit aufgestelltem Gefieder“ in gebückter Haltung und fanden auf der anderen Seite tatsächlich eine Telefonzelle. Meine Bekannte war Gott sei dank zu Haus und sofort bereit, uns zu helfen. Es klappte alles, wie geplant. Sie musste zwar nur etwa 15 km fahren, kam aber trotzdem erst nach eine Stunde dort an. Sie brachte auch ihr Söhnchen mit. Alle hätten wir schon wegen des großen Gepäcks meiner Mitfahrer nicht in den Käfer gepasst und so entschloss sich meine Bekannte, mit dem Sohn in das defekte Fahrzeug umzusteigen und dort auf meine Rückkehr zu warten.

Während ich mit dem Käfer und meinen Mitfahrern Richtung Mainz düste - das war für
sie natürlich der unbequemste Teil der Reise - wurde meine Bekannte mehrmals von der Verkehrspolizei und ADAC-Leuten angesprochen. Sie sagte immer, Hilfe sei schon unterwegs, denn sie wusste ja, dass ich bald wieder zurückkommen würde.

Eine knappe Stunde später waren wir dann am Ziel. Ich parkte vor meiner zweiten Garage, in der anderen stand ja der Wagen des Kollegen. Als das Garagentor aufging und er seinen geliebten Audi sah, hörte man richtig, wie bei ihm ein Riesenstein vom Herzen fiel. Aber noch war das Abenteuer nicht abgeschlossen. Eine Überraschung hatte das Schicksal für uns noch parat!

Der Kollege war ja neulich bei strömenden Regen angekommen und hatte seinen nassen Wagen sofort in die Garage gestellt. Obwohl die sehr gut durchlüftet war, waren offenbar alle Bremsbacken fest gerostet. Der Motor startete zwar sogleich, aber mit eingelegtem Rückwärtsgang bäumte sich der Wagen nur auf und der Motor schmierte ab.

Es war ein Bild für Götter! Die Ehefrau intonierte in dem Augenblick, in dem sie das sah, einen Kreischgesang zu dem Satz: „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, den sie dann in mehreren Variationen und Tonlagen wiederholte. Sie war den Tränen nahe. Während dessen stieg der ratlose Kollege, nun völlig entnervt, aus seinem Wagen. Ich ahnte, was da geschehen war, da ich Ähnliches schon selbst erlebt hatte und ermunterte ihn, es doch noch einmal zu versuchen. Mit einem Knall befreite sich der Audi aus der Rostfalle und stand nun auf dem Platz vor der Garage. Natürlich hatte ich Angst, dass beim Runterfahren auf die Hauptstraße die Bremsen versagen könnten und empfahl, den Wagen kurz auf die kleine Höhenstraße zu lenken, um festzustellen, ob alles in Ordnung sei. Ich rannte dann nebenher und gab immer mal kurze Anweisung zu bremsen. Es schien alles okay zu sein. Als wir dann am Abend noch kurz miteinander telefonierten, erfuhr ich, dass es auf der Heimfahrt nach T. tatsächlich keine weiteren Pannen mehr gegeben hatte.

Ich packte nun zwei meiner Winterreifen in den Käfer und fuhr sofort wieder nach Frankfurt/M. Als ich an der Baustelle ankam, wo mein Dienstwagen stand, war es schon dämmerig, aber ich schaffte es, die Winterreifen noch bei Tageslicht zu montieren. Dann fuhr ich den Wagen sehr verhalten in Richtung Mainz, meine Bekannte mit dem Käfer immer hinterher. Als wir ankamen, war es total dunkel.

1969 und 1970 waren gute Weinjahrgänge. Ich hatte einige Flaschen vorrätig. Es wurde dann noch ein wunderschöner Abend!

Übrigens, die Bekannte von damals habe ich ein Jahr später geheiratet!

 

Mein erstes Auto

von Fritz Schukat aktualisiert im August 2011

Ich habe meinen Führerschein erst mit 32 Jahren gemacht, als er schon recht teuer war. Mein Vater wollte mir zwar schon zu meinem 18. Geburtstag einen Gutschein für den Führerschein schenken, aber ich wehrte mich damals mit Händen und Füßen dagegen, denn ich befürchtete, dass er mich von der Schule genommen hätte, wenn ich sitzen geblieben wäre. Diese Ahnung war leider auch nicht aus der Luft gegriffen, aber davon erfuhr er erst später. Er selbst war Berufsfahrer, war vor dem Krieg lange Jahre bei einem Gewürz-Fabrikanten Privatchauffeur und fuhr nach dem Krieg bereits seit Ende 1945 schon wieder als Kraftfahrer bei der amerikanischen Fahrbereitschaft in Berlin „Finckenstein“ durch die geteilte Stadt. Nachdem meine beiden Schwestern schon im Berufsleben standen, konnte ich mir lebhaft ausmalen, was vielleicht geschehen würde,wenn.... Aber Gott sei Dank, schaffte ich es, ihn zu überzeugen und „der Kelch ging an mir vorüber“.

Im Grunde genommen war es kein Manko, denn in Berlin war zu der Zeit, also in den 1950/60er Jahren das öffentliche Nahverkehrsnetz so dicht, dass man keine Mühe hatte, auch weite Strecken für geringe Fahrpreise zurückzulegen. Und was hätte ich damals schon mit einem Führerschein anfangen können? Einen Wagen hätte ich mir sowieso nicht leisten können. Und auch als ich dann das erste Mal 1960 heiratete, vermissten wir den „fahrbaren Untersatz“ keineswegs. Außerdem sparten wir auf unsere Möbel für die schon zugeteilte Neubauwohnung.

Die Zeit verging. In der Ehe kriselte es und im verflixten 7. Jahr stand die Scheidung vor der Tür. Ich wollte raus aus Berlin, ein neues Leben beginnen. Meine Firma hatte damals bereits ein weit verzweigtes Netz von Außenstellen in der Bundesrepublik, das zu der Zeit stark ausgebaut wurde. Aber ohne Führerschein war das für mich absolut illusorisch! Zwar würde mein Arbeitgeber einem Firmenwagen stellen, aber man musste ihn natürlich auch fahren können und nun zeigte sich, dass es besser gewesen wäre, wenn …!
Aber das konnte ich ja damals nicht ahnen, als ich mit 18 Jahren das großzügige Angebot meines Vaters ausschlug!

Was dann passierte, umschreibt man gewöhnlich mit „Dusel“! Einer der Dezernenten der Abteilungsleitung, der mich gerne im Außendienst haben wollte, fand eine Bestimmung, nach der die Behörde den Erwerb des Führerscheines sogar finanziell völlig übernehmen konnte. Das war echt super!

Während meiner Einweisung in der Außenstelle Hannover, die im Herbst 1967 begann, wohnte ich bei Verwandten in Sehnde und meldete mich dort bei einer Fahrschule an. Ich lernte auf einem VW -1500 TL, der mit dem Fließheck. Für das <TL> sagte man spöttisch „traurige Lösung“, was ich nie verstand, denn ich fand diesen Wagen klasse. Aber gut - mein Fahrlehrer jagte mich 33 Fahrstunden lang durch Hannovers Innenstadt und die Außenbezirke. Und tatsächlich, ich bekam gleich beim ersten Anlauf meine „Pappe“! Nach meiner „Inthronisation“ als Außendienstler - wir wurden damals noch Überwachungsbeamte genannt - zog ich Anfang 1968 nach Celle und durfte dort in meiner neu angemieteten Kleinwohnung in der ersten Woche mein Büro einrichten. Ich machte dann auch gleich Kontaktbesuche bei den Stellen, mit denen ich künftig zusammenarbeiten würde und lernte so schon mal meine nähere Umgebung kennen.

Auf einer Tagung im Kurhotel in Bad Nenndorf, die ein paar Tage später begann, bekam ich dann meinen ersten Dienstwagen „vor die Tür“ gestellt: es war ein weißer Ford 15m - und der hatte Lenkradschaltung! Der TL, auf dem ich gelernt hatte, hatte die Schaltung da, wo sie hingehört, auf der Mittelkonsole. Ein Fahrzeug mit Lenkradschaltung hatte ich bis dahin noch nie gefahren! Und nun stand es zu allem Unglück noch an einem popeligen Berg auf dem Kurparkgelände – also, schlimmer hätte es nicht kommen können! Aber ein lieber Kollege, der den gleichen Wagen fuhr, gab mir gute Ratschläge und ich schaffte es dann tatsächlich, die knapp 100 km in einer richtig guten Zeit zu meinem neuen Wohnsitz nach Celle zu fahren.

Für meine damalige Bekannte, die ich mit dem neuen Wagen von ihrer Tante abholte, wo sie während der Tagung wohnte, war die Rückfahrt wohl dann doch alles andere als eine Vergnügungsfahrt. Aber sie wollte es ja so und dennoch, wenn es nach ihr gegangen wär, hätte ich auf der damals schon teilweise dreispurigen Autobahn A 2 nicht überholen dürfen und wenn der Tacho über 100 km/h anzeigte, rutschte sie mit angsterfüllten Augen langsam in den Fußraum!

Der Ford P 4 war mein erstes Auto, wenngleich nicht - oder noch nicht - mein eigenes. Es war ein spartanisches Fahrzeug, ein Viersitzer mit 55 PS, Frontantrieb, Spitze 138 km/h. Es gab keine Kopfstützen, keine Sicherheitsgurte und auch nur zwei Türen. Es gab auch kein Radio, ich hätte es auf eigene Kosten einbauen lassen müssen, aber das wollte ich nicht - zu teuer! Trotzdem habe ich dieses Fahrzeug ca. 130.000 km unfallfrei gefahren. Es hat mich in den sieben Jahren, die ich es fuhr, eigentlich nie im Stich gelassen.

Einmal allerdings kam es ganz dick, aber das war meine eigene Schuld! Auf der Heimfahrt von Berlin nach Mainz, wohin ich inzwischen versetzt wurde, hatte ich bei Göttingen in einem Stau einen „Platten“ und dann noch einmal in der Nähe von Frankfurt/M. Und das ausgerechnet an einem Wochenende - aber, das ist eine andere Geschichte!

 

Ein tolles Fahrrad

Erzählt von D. Kirchner 2003

1945 war ich 13 Jahre alt und schon sehr gut in der Beschaffung von Nahrungsmitteln. Von der Kisdorfer-Mühle holte ich Saubohnen, damals hochwillkommen. In Henstedt gab es eine Schlachterei, die Frau hatte einmal erfahren, dass sie und ich am gleichen Tag Geburtstag hatten. Von dem Tag an hatte ich es immer gut bei ihr. Solche Reichtümer wie Wurstsuppe oder Grützwurst bekam ich sehr oft von dieser netten Frau geschenkt.

Diese Nahrungsbeschaffungswege musste ich immer zu Fuß zurück legen. Da kamen an manchen Tagen mal so 10 km zusammen. Damit es schneller ging und nicht mehr ganz so beschwerlich war, hatte ich mir ein altes Fahrrad organisiert. Es hatte zwar keine Bereifung, aber ein Junge ist kein richtiger Junge, wenn er nicht basteln kann. Man konnte, wenn man wollte, auf den Felgen fahren, das war aber doch recht hart. So besorgte ich mir ein Stück einzölligen Gartenschlauch, legte diesen in die Felgen und verband die beiden Enden mit zwei Krampen. Vier alte Fahrraddecken hatte ich auch, je zwei legte ich übereinander um den Schlauch. Vorher hatte ich mit einem Nagel immer in gleichen Abständen kleine Löcher in die Decken gemacht. In den Decken war ja ein Stahldraht eingearbeitet. Hinter diesem waren die Löcher angebracht. Mit Draht, den ein Junge immer zur Hand hat, flocht ich diese Decken hinter der Felge zusammen.
Jetzt hatte ich ein tolles Fahrrad.
Bei längeren Fahrten, so nach 10 km, musste ich dann oft den Draht erneuern, weil er der Belastung nicht mehr stand hielt. Aber ich hatte ein Fahrrad mit Bereifung! Nun konnte ich unsere Nahrungsbeschaffung mit dem Fahrrad erledigen. Die Weite der Strecken waren zwar geblieben, ich konnte nun aber Schuhsohlen sparen.

Mit diesem Fahrrad habe ich eines Tages meinen Vater aus dem Gefangenenlager
abgeholt. Ich weiß heute nicht mehr, wie viele Kilometer es waren, aber es waren viele. Vater durfte den Sattel benutzen, während ich auf der Lenkstange Platz nahm. So fuhren wir, glücklich uns wieder zu haben, bis 5-6 km vor unseren Heimatort, dort überließ ich Vater das gute Stück allein. Mir tat der Hintern ganz schön weh, so eine Lenkstange kann ziemlich hart sein. Die letzten Kilometer ging ich zu Fuß. Das Laufen hatte ich trotz des guten Rades ja nicht verlernt.

Damit war das Leben dieses Fahrrades noch nicht zu Ende, es lebte noch etwa anderthalb Jahre. Manchmal bekam es auch eine neue Decke.

Und welch ein Glück, mein Vater war handwerklich sehr geschickt. Er baute mir später aus etlichen alten Rädern ein wunderbares „neues“ Fahrrad. Wie viele Teile meines Gartenschlauchrades darin waren, weiß ich heute nicht mehr. Obwohl dieses Rad sehr schwergängig war, machte ich mit ihm noch eine Deutschlandtour.

Alles Leben geht einmal zu Ende und so landete dieses wunderbare Fahrrad eines Tages doch noch auf dem Schrott.

aufgeschrieben am 29.03.2003 von A. Lemster

 

Transport-Probleme

von Heinz Münchow

1946 - ein Jahr nach Kriegsende war ich bei Verwandten im Kreis Lüneburg „untergekommen". Auf dem Lande gab es noch keinen „öffentlichen Personen-Nahverkehr“, und Privatautos waren eine Seltenheit. Aber man konnte die Eisenbahn benutzen, wenn ein Bahnhof in der Nähe war. Der nächstgelegene Bahnhof war „Göhrde", aber immerhin etwa 15 km entfernt! 15 km zu Fuß bei jedem Wetter? Und Gepäck auch dabei? Cousine Grete wusste Rat! Sie hatte nämlich über die Kriegswirren ihr Fahrrad retten können.
„Wann kommt dein Zug am Sonnabend in Göhrde an?" - „Etwa um 15:00 Uhr." – „Ist gut, ich hol' dich ab!"
Ich steige am Sonnabend in Göhrde aus. Ja, Grete ist da! Und sie hat ihr Fahrrad dabei. Mein kleiner Pappkoffer hat auf dem Gepäckträger Platz. „Hier, fahr' los mit dem Rad!" „Und du?" „Fahre etwa 100 Meter, lehne das Rad an einen Baum und gehe dann zu Fuß weiter. Ich bin inzwischen auch gegangen. Ich setze mich dann aufs Rad und fahre hinter dir her, überhole dich und lasse nach 100 Metern das Fahrrad wieder stehen, damit du auch wieder fahren kannst!"
Auf diese Weise haben Grete und ich noch oft die 15 km geschafft. Es war auf jeden Fall nie langweilig.
1. Speicherdatum: 08.01.2006

 

Als Tanken noch interessant war

von Annemarie Lemster

Wenn ich heute auf eine Tankstelle fahre um zu tanken, ist für mich nur der Tagespreis für einen Liter Benzin interessant. Es gab aber Zeiten, da waren andere Dinge viel interessanter als der Preis.
Es war zwischen 1945-1949, da führte mein Schulweg an einer Tankstelle vorbei. Wie war ich hocherfreut, wenn einmal ein Auto auf dieser Tankstelle stand, um sich mit Benzin zu versorgen. Autos waren in der Zeit noch selten, es gab ja das gute alte Pferd, mit dem man auch von A nach B kam. Nun hatte ich aber kein Interesse an dem Auto, nein, mich faszinierte das Tanken. Es war ja nicht so wie heute, wo der Fahrer aussteigt und den Tankrüssel in die Tanköffnung hält. Nein, in der Zeit, als mein Schulweg mich an der Tankstelle vorbei führte, musste der Fahrer erst einmal arbeiten, um Benzin in sein Auto zu bekommen. Die Tanksäulen sahen auch ganz anders aus als heute. An einer Säule waren zwei Glasbehälter in Kopfhöhe nebeneinander angebracht, auf denen eine Strichskala im Halbliterabstand zu sehen war. Darunter befand sich eine Handpumpe, die wurde so lange hin und her bewegt, bis die gewünschte Menge Benzin von unten nach oben in den Behälter gepumpt war. Erst dann konnte man mit einem Schlauch das Benzin in den Autotank laufen lassen. Während aus dem einen Behälter das Benzin floss, pumpte man den anderen Behälter wieder voll. Dieses wiederholte man so lange, bis die gewünschte Menge im Tank war, meistens machte diese Arbeit aber ein Angestellter der Tankstelle. Nach dem Tankvorgang wurde die Handpumpe abgenommen und mit in die Werkstatt genommen. So konnten keine unbefugten Leute sich mit Benzin versorgen.
Lange Schlangen gab es damals noch nicht an den Tankstellen. Wenn es aber der Zufall wollte, dass ein zweites Auto zum Tanken vorfuhr, war meine Freude riesengroß. Ich fand es zu toll, wenn das Benzin von unten in den Behälter schoss. Da man früher noch mehr Zeit hatte, konnte es dann schon mal sein, dass die Fahrer ein kleines Schwätzchen machten. Dieses verlängerte dann meine glückliche Verweildauer an der Tankstelle, die mir dann zu Haus so manchen Rüffel einbrachte, weil ich mich auf meinem Heimweg verspätete. Dieses fand ich nicht so schlimm. Leider tankte aber auf dem Weg zur Schule schon mal jemand, und wenn ich dann Zeit und Raum vergaß, blieb es nicht bei einem Rüffel. Da gab es dann auch schon einmal einen Eintrag in das Klassenbuch wegen Verspätung, was meine Mutter nicht sehr lustig fand.
Heute fasziniert mich keine Tankstelle mehr. Das könnte nur geschehen, wenn eines Tages vor dem Komma wieder eine Null steht.
gespeichert am 22.05.2006

 

Der Alleebaum als Bremse

von Annemarie Lemster

1946-47 war das Fahrradfahren nicht solch eine Selbstverständlichkeit wie heute. Glücklich der Mensch, der ein Fahrrad besaß. Meine Mutter hatte eines, wenn auch nur ein Herrenrad, so wurde dieses gehegt und gepflegt wie heute so mancher Luxusschlitten von Auto.
In dieser Zeit hatten wir bei einem Bauern ein kleines Stück Land gepachtet zum Kartoffelanbau. Eines Tages wollte Mutti zum Kartoffelhacken mit mir dort hinfahren. Nun saß ich, 8 oder 9 Jahre alt, bei Mutti hinten auf dem Gepäckträger und die Fahrt ging los. Unterwegs wünschte ich mir nichts sehnlicher, als auch Fahrrad fahren zu können. Am Acker angekommen, hackte Mutti Reihe für Reihe Unkraut und ich spielte im Straßengraben. Immer wieder ging ein sehnsüchtiger Blick zu dem Fahrrad, das an einem Baum lehnte. Es gab in meiner Klasse Mädchen, die konnten auf einem Herrenrad fahren, das hatte ich schon gesehen. Ich schaute zu Mutti, sie beachtete mich gar nicht, sie hackte fleißig unsere Kartoffeln. Da habe ich all meinen Mut zusammengenommen, bin zum Fahrrad geschlichen und schon hatte ich den Lenker in meiner Hand. Nun auf die Straße. Es war eine Lindenallee, die nicht viel Verkehr hatte. Bei den anderen Mädchen hatte ich gesehen, wie man es machen musste. Das Rad etwas schräg legen, das rechte Bein unter der Stange hindurch auf die rechte Pedale stellen und sich mit dem linken Bein abstoßen. Ich weiß heute nicht mehr, wie oft ich mich abgestoßen habe, bis ich den Mut hatte, es auf die linke Pedale zu stellen. Es war doch schwerer als ich dachte. Ich musste so viele Sachen auf einmal machen. Bein links, Bein rechts, Lenker gerade halten und Gleichgewicht halten. Hatte ich mein zweites Bein auch auf der Pedale, vergaß ich zu treten und -schwupp- stand es wieder auf der Erde. Irgendwann klappte es dann aber doch und ich bewegte mich vorwärts. Wie freute ich mich, aber nur kurz, denn ich wusste nicht, wie ich wieder absteigen konnte. Auf gar keinen Fall durfte ich das Rad fallen lassen, es war zu kostbar, und ich selbst wollte doch auch nicht fallen. Wie viele Gedanken man doch in so kleinen Momenten haben kann: Angst vor Mutti, Angst vorm Fallen und dann die Erleuchtung! Da waren doch die Alleebäume! Ich steuerte einen an, ließ den Lenker los, um sofort den Baum zu umarmen. Es ging. Ich hatte meine Bremse gefunden.
Nun wurde ich mutiger, ich fuhr zum zweiten Baum und zu dritten. Mein Gleichgewicht hatte ich jetzt schon gut im Griff, nur zum Bremsen brauchte ich noch die Umarmung des Alleebaumes.
An den folgenden Tagen habe ich Mutti immer gern zum Kartoffelacker begleitet. Als die Arbeit dort erledigt war, hatte ich mir auch die Sache mit der Bremse beigebracht und war glücklich. Ich konnte nun auch Fahrrad fahren! Wie ich damals glaubte, hatte ich es heimlich gelernt. Ich war schon verheiratet, da hat meine Mutter mir erzählt, wie sie mich immer beobachtete und sich gefreut hat, dass ich so ausdauernd war, aber das Bild wie ich immer die Alleebäume umarmt habe, hätte sie nie vergessen.

erstellt am 31.08.2010

 

Glatteis – Wie die kleinen Kinder

von Annemarie Lemster

Von klein auf haben meine Eltern mir beigebracht, dass jeder Mensch Pflichten hat. So habe ich ein sehr starkes Pflichtbewusstsein entwickelt. In einem eisigen Winter habe ich gelernt, man kann es auch übertreiben.
Ich arbeitete in Hamburg und musste jeden Morgen 2 ½ km bis zum Bahnhof laufen. An diesem Morgen gab es Eisregen und ich ging schon etwas früher aus dem Haus. Ich kann es jetzt noch immer nicht gut beschreiben, wie mir damals zu mute war. Die Straßen und Fußwege waren ein einziger Spiegel. Zuerst versuchte ich an den Rändern zu gehen, wo etwas Schnee lag, in den ich dann aber hineinsackte. Links hatte ich freies Feld und der eisige Regen setzte sich auf meiner Kleidung fest. Neidisch schaute ich zu den wenigen an mir vorbei fahrenden Autos. Wie wünschte ich mir, eines möge anhalten und mich mitnehmen. Nun musste ich eine Straße überqueren, bis zum Bürgersteig ging es nur ein wenig hoch, aber ich schaffte es nicht, es war zu glatt. Nun kam mir, wie ich glaubte, eine rettende Idee. In meiner Handtasche hatte ich eine Plastik-Tragetasche, diese ließ ich auf den Boden fallen und -schwupps- saß ich darauf. Nun überquerte ich, mit meinen Händen paddelnd, die Straße. Dann, oh welch ein Wunder, hielt neben mir ein Auto. Wie war ich glücklich. Nun wurde mein Wunsch doch noch erfüllt, glaubte ich.
Der Fahrer ließ sein Fenster runter und rief mir zu „...wie die kleinen Kinder!“, und fuhr weiter. Nun war ich den Tränen nahe, so ein Rüpel! Auf der anderen Straßenseite angekommen, wollte ich nun wieder aufstehen. Selbst auf allen Vieren gelang mir dieses nicht. Es war falsch von mir zu glauben, an dem Laternenpfahl ziehst du dich wieder hoch. Ein solcher Pfahl ist bei Eisregen so glatt wie Schmierseife. Irgendwie habe ich den Bahnhof dann doch noch erreicht, glücklich, mich jetzt 25 Minuten in der Bahn ausruhen zu können.
In Hamburg waren die Bürgersteige gestreut und zwei Stunden nach Arbeitsbeginn war ich mit einer Entschuldigung bei meiner Chefin. Diese schaute mich ganz erstaunt an und sagte: „Mit Ihnen haben ich heute gar nicht gerechnet! Bei solch einem Wetter bleibt man doch zu Haus.“ In diesem Moment kamen mir Gedanken, für die ich bei der Ausführung sicher ein paar Jahre ins Gefängnis gekommen wäre.
Seit diesem Tag habe ich des Öfteren schon über mein Pflichtgefühl nachgedacht.
erstellt am 22.02.2007

 

Meine ersten Ausflüge

von Annemarie Lemster

Nach dem Krieg hatte nicht jeder ein Fahrrad. In unserer Familie war eins vorhanden und so wollten meine Schulfreundinnen und ich einmal „auf“ die Marienburg bei Nordstemmen fahren. Man sagte immer „auf die Burg“, weil diese ganz oben auf einem Berg steht. Es war 1948-49 und mein erster Ausflug. An einem Sonntagmorgen nach dem Gottesdienst ging es los. Die 10 km bis zum Fuß des Berges vergingen recht schnell. Wir waren vier Mädchen und hatten viel Spaß unterwegs. Ich war schon etwas aufgeregt. Das erste Mal durfte ich allein eine Fahrradtour machen und dann gleich auf eine richtige Burg. Ein kleines Stück konnten wir noch in den Berg reinfahren, aber dann hieß es: schieben. Mit dem Fahrrad war das gar nicht so leicht, aber einmal kommt man immer ans Ziel, so auch wir.
Vor dem Burgtor war eine Plattform und eine Gastwirtschaft. Wir stellten unsere Fahrräder an einen Baum und schauten uns die Burg von außen an, denn rein kam man nicht. Einmal öffnete sich das Tor und wir konnten in den Hof sehen. Mit Erstaunen sahen wir dort ein paar Mädchen spielen, sie waren etwa 10 Jahre, so alt wie wir. Wir staunten, dieses mussten die Prinzessinnen von der Burg sein. Wir fanden es irgendwie komisch, die sahen ja so aus wie wir. Ich wusste nicht, wie eine Prinzessin aussehen sollte, aber eben anders. Nun hatten wir Freundinnen viel zu erzählen, jeder hatte eine andere Vorstellung. Das Tor war wieder zu und wir setzten uns bei der Gaststätte auf eine Bank. Nach der langen Fahrt und dem Anstieg auf den Berg waren wir hungrig und Durst hatten wir auch. Es wurden die mitgebrachten Butterbrote ausgepackt und dann kam die Krönung des ganzen Ausflugs. Von unseren Eltern hatte jede 50 Pfg. mitbekommen, damals für uns ein kleines Vermögen. Davon kauften wir uns das erste Mal ohne Eltern ein großes Glas Heißgetränk, welches man auch kalt bekam, ganz nach Wunsch. Leider kann ich dieses Getränk nicht richtig beschreiben. Es gab dieses immer in grün oder rot und war ohne Kohlensäure. Heute denke ich oft, es war gefärbtes Zuckerwasser, aber für uns war es damals das Größte. Wenn der Mann hinter der Theke dann auch noch fragte: „Möchtest du einen Strohhalm dazu?“, fühlte ich mich nicht mehr wie 10 Jahre sondern ganz erwachsen, mindestens war ich dann schon 15! Wenn ich mich richtig erinnere, kostete dieses köstliche Getränk 30 Pfg., das restliche Geld sparten wir uns für eine nächste Tour auf. Wir tranken alle ganz langsam, jeder von uns wollte so lange wie möglich etwas aus den Strohhalm saugen.
Irgendwann mussten wir ja auch mal wieder nach Haus und dieses ging so. Die Mutigen setzten sich schon an der Hälfte des Berges aufs Rad und rasten herunter, ich gehörte nicht zu den Mutigen. Auf mich wartete man am Fuße des Berges, auch wenn ich der Feigling war.
Diesen Ausflug habe ich noch ein paar Mal gemacht und habe mich gefühlt wie heute nach einer Urlaubsreise.
Wenn ich ganz ehrlich bin, denke ich an sich nicht so oft an den Ausflug zurück, es wird wohl eher das Erlebnis des Heißgetränks sein.
erstellt am 10.01.2008

 

50 Jahre Radarfalle

von Annemarie Lemster

Dieses Erinnern wird so manchen Autofahrer nicht sehr glücklich machen. Vor fünfzig Jahren standen die ersten Radargeräte an den Straßen und so mancher Autofahrer wurde beim zu schnellen Fahren erwischt. Man war reingefallen. So kam ganz schnell der Ausdruck „Radarfalle“ in unseren Wortschatz. Es würde ja kein Mensch reinfallen, wenn er sich an das halten würde, was das Gesetz vorschreibt. Nur, der Mensch ist schwach und die Straßen ach so schön gerade. Wenn Flensburg auch eine schöne Stadt ist, wegen Punkte möchte keiner gerne dort hin.
Radargeräte, gute oder schlechte Erfindung?

 

Paternoster

von Uwe Neveling

Hier war ich das erste Mal. Ich betrat das Bürohaus durch eine nicht sonderlich breite Pforte. Die Pförtnerloge befand sich rechts hinter der Eingangstür. Der Pförtner blickte mich bedeutungsvoll durch das Logenfenster an, öffnete ein kleines Sprechfenster und fragte unverbindlich, aber dennoch freundlich: „Wie ist Ihr Name und wo wollen Sie hin?“ Ich war dreiundzwanzigeinhalb Jahre alt und im Umgang mit Pförtnern noch unerfahren. Er schien mir eine wichtige Persönlichkeit zu sein und er schüchterte mich auch etwas ein. Schüchtern nannte ich meinen Namen und mein Anliegen. Er griff zum Telefon, wählte eine Nummer und sprach für mich nicht hörbar in die Sprechmuschel. Das Gespräch war kurz und er legte auf. Er wandte sich wieder mir zu: „Fahren Sie oder laufen Sie in den dritten Stock, gehen Sie durch die rechte Pendeltür. Sie werden dort erwartet.“ Er schloss das kleine Sprechfenster und zeigte mit seiner rechten Hand auf eine weitere Tür, durch die ich gehen sollte. Was ich dann auch tat.

Ich betrat eine große Eingangshalle. Rechts und links waren lange Gänge zu sehen. Von den Gängen gingen Türen ab, hinter denen sich offenbar Büroräume befanden. Vor mir war ein Aufgang mit fünf Stufen. Ich stieg hinauf und fand mich auf einem breiten Podest wieder, nur eben fünf Stufen höher als zuvor im Eingangsbereich. Ich blickte nach oben. Das Treppenhaus verlor sich irgendwo im zehnten Stock. Es war rund und man konnte an der linken Seite die Treppen hinaufgehen. Die scheinbare Endlosigkeit des Treppenhauses wurde lediglich von den einzelnen Etagen unterbrochen. Die Etagen unterbrachen auch den Lauf des Treppenaufgangs. Es schien so als müssten die Treppen Kraft sammeln für das jeweils nächste Stockwerk. Die Leichtigkeit der Treppenkonstruktion wurde durch längliche, schmale Fenster unterstrichen. Bunte Glasscheiben gaben dem Raum eine erhabene Größe.

Das Treppenhaus war bis oben hin beige gekachelt. Die Etagenböden hatte man etwas dunkler gehalten. Dadurch wurde der dreidimensionale Eindruck verstärkt. Blickte man von unten nach ganz oben, so erschien das Treppenhaus dem Betrachter wie eine spitz zulaufende Spirale. Den gleichen Eindruck hatte man aber auch, wenn man von oben nach unten blickte. Davon habe ich mich erst später überzeugen können. Ich hatte ja schließlich eine Verabredung im dritten Obergeschoss.

Linker Hand befand sich ein Paternoster. Dieses Transportmittel war für mich auch neu. Damit war ich noch nie gefahren. Ich war neugierig und sprang in eine der aneinanderhängenden Kabinen. An den mit Holz verkleideten Zugängen befand sich die Stockwerkbeschriftung. Eingestiegen war ich im Erdgeschoss. Ich achtete nicht auf die Beschriftung und vergaß den Ausstieg im dritten Stockwerk. Als ich den Irrtum bemerkte, war ich bereits ganz oben. Die Kabine verschwand mit mir in einem dunklen Verlies, fuhr parallel zum Abwärtsschacht, hakte sich dort geräuschvoll ein und fuhr mit mir abwärts. Dieses Mal verpasste ich den Ausstieg im dritten Geschoss nicht. Dort wurde ich bereits ungeduldig erwartet, allerdings von unten und nicht von oben.

Paternoster und Aufzüge mag ich nicht. Das hängt wahrscheinlich mit dem damaligen Erlebnis zusammen. Ich bevorzuge Treppen. Da hat man den Weg nach oben oder nach unten selbst in der Hand und kann auch die Geschwindigkeit bestimmen. Ich bin so ein Typ, der gerne unabhängig ist und sich nicht bevormunden lässt. Eine Treppe kommt mir da gerade recht.

erstellt am 17.02.2011

 

Schneeflocken

von Uwe Neveling

Eine Hausdame versorgte meinen Großvater, bereitete ihm das Frühstück und das Mittagessen. Danach versorgte sie sich selbst und ihre Tochter. Sie war eine fleißige Frau. Bevor sie vormittags zu meinem Großvater kam, trug sie Zeitungen aus. Sie stand daher sehr früh auf, holte mit ihrem Fahrrad den Zeitungsstapel von der Sammelstelle und verteilte die Morgenzeitung in ihrem Viertel. Das Wetter spielte dabei keine Rolle. Es konnte regnen, stürmen und schneien, auf Frau S. war immer Verlass. Sie beklagte sich nie und war immer gut gelaunt.

In den vierziger und fünfziger Jahren gab es noch richtige lange Winter mit viel Schnee. Frau S. betrachtete diese Witterungsbedingungen als eine sportliche Herausforderung. Mit ihrem alten, rostigen und quietschenden Damenfahrrad durchpflügte sie die nicht vom Schnee geräumten Straßen und Wege. Sie kannte nur ein Ziel. Die Leser sollten morgens pünktlich ihre Zeitung in den Briefkästen vorfinden. Außerdem musste sie rechtzeitig fertig sein, denn sie versorgte schließlich noch einen älteren Herrn.

Mein Großvater lebte nach der Uhr. Aufstehen, ankleiden, frühstücken, spazieren gehen, zu Mittag essen, Mittagsschlaf, die nachmittägliche Korrespondenz, Besuche bei Freunden und Bekannten, Karten spielen, lesen, Radio hören fanden immer zu festen Zeiten statt. Dieser Ablauf durfte nicht durcheinander gebracht werden. Das wusste Frau S., und sie hielt sich daran. Der Herausforderung „Winter“ steuerte sie mit eisernem Willen entgegen. Sie hat meines Wissens keinen Tag gefehlt. Es hat sie auch keiner gefragt, ob es ihr gut gehe. Sie war immer da und erfüllte ihre Aufgaben. Warum dann noch fragen, wie es ihr geht? So etwas gibt es heute nicht mehr. Gewerkschaften und Behörden lassen das nicht zu.

Zur Schule fuhr ich mit dem Fahrrad. Ich musste quer durch die Stadt fahren, die Wittener Straße hinunter, über die Drehscheibe am Rathaus vorbei, die Alleestraße bis zum Ende, links in die Kohlenstraße und sodann rechts in die Pestalozzistraße abbiegen. Dann war ich da. Das waren ungefähr 10 km. Im Winter war der Weg schon mal beschwerlich. Die Radwege waren nicht vom Schnee geräumt. Wenn wir vormittags Unterricht hatten, fuhr ich bei Dunkelheit los, natürlich mit Licht. Mein Fahrraddynamo wurde mit Hebelkraft gegen den Vorderreifen gedrückt. Die Bewegung des Vorderrads übertrug sich auf das kleine Dynamorädchen. Der Dynamo erzeugte so Gleichstrom für meine Lampe und für das Rücklicht. Das funktionierte aber nur dann, wenn das Rädchen am Dynamo sich auch drehte. Schnee und Eis klebten an den Reifen, das Dynamorädchen rutschte durch und die Lampe blieb dunkel.

Aus erzieherischen Gründen gab es zumeist im Winter Verkehrssicherheitskontrollen. Auch mich erwischte es. Der Polizist machte mich auf meine nicht funktionierende Beleuchtung aufmerksam. Ich entschuldigte das fehlende Licht mit den Schnee- und Eisverhältnissen. Außerdem gäbe es bereits schon morgendliches Dämmerlicht. Warum dann noch Licht? Das ließ er alles nicht gelten. Auch die Autos führen mit eingeschalteter Beleuchtung, meinte er. Ich hatte Glück. Fuhr doch gerade ein nicht beleuchtetes Fahrzeug an mir vorbei. Ich machte meinen Gesprächspartner darauf aufmerksam. Es gäbe leider immer wieder schlechte Vorbilder, äußerte er sich. Dann verwarnte er mich, ließ mich Schnee und Eis vom Vorderreifen kratzen, und ich fuhr mit funktionierender Beleuchtung zur Schule.

Sechzig Jahre später schlägt der Winter in Norddeutschland zu. Seit über zwei Monaten liegen die Temperaturen weit unter Null und es schneit heftig. Mit Schneeschaufel und Spaten halten wir einen begehbaren Bereich vor unserem Haus schneefrei. Wir streuen auch Granulat. Unser Zeitungsbote ignoriert unsere Anstrengungen. Es sei zu glatt, sagt er. Wir erhalten 6 Wochen lang keine Zeitung.

Bei Frau S. wäre das nicht passiert. Die heutige Arbeitseinstellung ist mit der früheren nicht vergleichbar. Früher war doch einiges besser.

erstellt am 25.02.2011

 

Wärme

von Uwe Neveling

Es war an einem Dienstag im Februar. Da brach über uns wieder der Winter herein. Nach einer bitter kalten Nacht gab es in den frühen Morgenstunden Eisregen. Danach schneite es heftig. Der Schnee legte sich wie Zuckerguss über Häuser, Straßen und Felder. Was für das Auge gefällig aussah, war für die Autofahrer mehr als hinderlich. Wie hinderlich konnte man am nächsten Tag in der Zeitung lesen. Die Unfälle häuften sich. Einige Autofahrer waren so vernünftig, erst gar nicht los zu fahren. Andere machten nach wenigen Kilometern kehrt und fuhren wieder nach Hause zurück.

Mein Fahrzeug stand geschützt im Carport. Geschützt war etwas übertrieben. In unserem Fahrzeugunterstand parken zwei Fahrzeuge, meines und der Wagen meiner Frau. Da sie morgens immer als erste los fährt, stellt sie ihren PKW hinter meinem ab. Dadurch steht mein AUDI zur Hälfte im Freien. Am späten Nachmittag befreite ich meinen Wagen von der Schneelast und versuchte, die sich am Tag gebildete Eiskruste von der Windschutzscheibe zu kratzen. Das ging aber nicht. Das Eis bildete mit der Frontscheibe eine unzerstörbare Einheit. Auch der Einsatz von Enteiserflüssigkeit war nicht hilfreich. Da hatte meine Frau die rettende Idee. Ich ärgerte mich, dass ich nicht selbst darauf gekommen war. Mir war nur eingefallen, heißes Wasser von außen gegen die Scheiben zu gießen. Jedermann weiß, dass ich eine exzellente Fernsehausbildung besitze. Mein Verfahren wurde in der Ausbildung als nicht empfehlenswert eingestuft.

Mir fiel keine Problemlösung ein. Um meine Unwissenheit zu übertünchen, erläuterte ich meiner Frau, wie Wärme zustande kommt. Wärme entsteht durch in Bewegung geratene Moleküle. Je schneller diese ist, umso höher wird die Temperatur. Dazu bedarf es der Zuführung von Energie. Die Wärmeeinheit wird in Kalorien gemessen. Mit Kalorien kann meine Frau umgehen. Dass sie etwas mit bewegten Molekülen zu tun haben, interessiert sie nicht. Damit konnte ich meine Frau nicht beeindrucken.

Meine Frau führte den Wassermolekülen Energie zu, in dem sie Wasser auf dem Herd kochte. Das heiße Wasser goss sie in Wärmflaschen, die sie sorgfältig verschloss. Sie wies mich nun an, die so aufbereiteten Gummibeutel auf die Fahrzeugkonsole zu legen. Die Konsole wurde vorher sorgfältig mit einem Handtuch abgedeckt. Ich tat, was mir aufgetragen wurde und schloss die Fahrzeugtüren. Nichts von der kostbaren Wärme sollte nach draußen dringen. In einem Abstand von fünf Minuten schaute ich nach, wie es der Eisschicht erging. Und siehe da, sie schmolz nach einer halben Stunde dahin. Auf der Windschutzscheibe bildeten sich Eisschollen, die ich leicht mit den Fingern beiseiteschieben konnte. Schon bald konnte ich ungehindert in den Fahrzeuginnenraum sehen.

Im Stillen bewundere ich meine Frau ob ihres Einfallsreichtums. Aber nur im Stillen. Welcher Mann gibt schon offen zu, dass er die Klugheit einer Frau anerkennt. Schließlich ist es wichtiger, sich in den Naturgesetzen auszukennen. Wie man sie praktisch anwendet, ist Frauensache und weiter nicht erwähnenswert. Alles, was nach dem Urknall passiert ist und passiert, ist das Forschungsgebiet des Mannes. So geht es auch mir. Für andere Dinge habe ich einfach keine Zeit.

 

Väter und Kinderwagen

von Annemarie Lemster

Im Sommer 2010 saß ich in Hamburg in einem Straßencafé. Wer einmal dort gesessen hat, wird wie ich sehr viel beobachten können. An diesem Tag fielen mir recht viele Väter (ich hoffte doch, es waren die Väter) auf. Manche schoben eilig einen Kinderwagen, andere hatten sich Tücher um den Körper gebunden, und dort waren die kleinen Kinder eingewickelt. Kinder brauchen die Körperwärme der Eltern, hatte ich einmal gelesen. Dann spazierten Paare mit einem Kinderwagen durch die Anlagen, auch hier waren es sehr oft die Männer, die den Wagen schoben. Da fiel mir eine Begebenheit von 1959 ein.
Wir waren jungverheiratet, ein Kind lag auch schon im Kinderwagen und wenn mein Mann am Samstag auf Wochenendurlaub kam, war es für ihn eine große Freude, mit seinem Sohn mit dem Kinderwagen spazieren zu fahren. Mein Vater hat dann mal zu meinem Mann gesagt: „Hat deine Frau keine Zeit, dass du mit dem Kinderwagen fahren musst?“ Erstaunt meinte er, ich will es doch, es ist doch mein Sohn.
Ein anderes Mal hatten wir Besuch von Schwager und Schwägerin mit Tochter, die noch im Kinderwagen lag. Am Sonntagmorgen meinte mein Mann: „Zieht doch mal die Lütten an, dann fahren wir ein wenig spazieren und ihr könnt dann hier das Essen vorbereiten.“ Mein Schwager ganz entsetzt: „Wir sollen doch wohl nicht mit dem Kinderwagen draußen fahren?“ „Warum denn nicht?“, war meine Frage. „Ich schiebe doch draußen keinen Kinderwagen!“ Es wurde diskutiert ohne Ende. Zum Schluss erklärte mein Schwager sich bereit mitzukommen, aber nur wenn auf Seitenstraßen gegangen würde.
Es gab zu der Zeit schon einige Männer, die es nicht unter ihrer Würde fanden, einen Kinderwagen zu schieben, der größere Teil fand, dieses sei allein Frauensache. Was würden diese Herren wohl sagen, wenn sie heute bei mir am Tisch sitzen und sehen könnten, wie toll die Väter von heute mit ihren Kindern spazieren gehen.
Da gibt es noch viel mehr, was Männer heute im Haushalt alles machen. Ich kann mich nicht erinnern, einen Mann beim Wäscheaufhängen gesehen zu haben. Der Abwasch war auch Frauensache, oder gar bei der Hauswoche die Treppen wischen, das könnten ja alle sehen! Es gab wohl den Begriff „Haushaltsvorstand“, der auch von vielen Männern sehr ernst genommen wurde, aber gab es früher auch schon den Hausmann im Sinne von heute?
Ich finde, auch Männer haben sich emanzipiert.
erstellt am 02.11.2010

 

Herbstlaub in Neukölln

von Fritz Schukat

Jetzt ist es wieder soweit. Die Bäume werfen ihr Laub ab und bereiten sich so auf den Winter vor. Der Wind bläst die Blätter über die Straßen, Wiesen und Felder und irgendwo im Park türmen sie sich zu kleinen Bergen, in die wir früher liebend gern hinein gesprungen sind, so wie es die Kinder heute noch gern tun.
Fast so war es auch im Herbst 1952 in der Neuköllner Pannierstraße, wo ich meine Jugend verbrachte. Die Straßenbäume warfen ihr Laub ab, es fiel auf die nassen Pflastersteine und verwandelte die Straßendecken in Schlidderbahnen. Blätterhaufen gab es nicht und wenn, wären wir sicher nicht mehr hinein gesprungen. Wir waren bereits in der 10. Klasse, deren Abschluss damals wie heute „Mittlere Reife“ genannt wurde. Für meinen Freund Manfred war diese Klasse das Ende seiner schulischen Laufbahn. Er sollte das Fleischerhandwerk lernen und später das Geschäft seines Vaters übernehmen. Zum Schulabschluss wünschte er sich einen Führerschein. Auch zu der Zeit bekam man „die Pappe“ erst mit 18, aber als Sohn eines Geschäftsinhabers hätte er den Schein schon mit 17 bekommen können.
Die meisten jungen Leute lernten damals das Autofahren in den Fahrzeugen der Väter, Verwandten oder Freunde. Der Verkehr auf den Straßen war ja noch übersichtlich und kein Mensch kümmerte sich darum, ob der Fahrzeuglenker auch tatsächlich einen Führerschein hatte, es sei denn, dass es zu einem Unfall gekommen wäre. Auch fragte niemand, wo man fahren gelernt hatte. Es reichten in der Regel drei Fahrstunden. Dann meldete der Fahrlehrer den Kandidaten an und der Rest war Formsache.
In unserer Klasse gab es noch einen Jungen mit Namen Manfred, von dem wir wussten, dass er bereits einen Führerschein besaß. Er war älter als wir, wollte aber auch nach der 10. Klasse aufhören und dann nach Kanada auswandern. Er wurde unversehens persona grata!
Weil auch der Vater meines Freundes, Fleischermeister R., keinen Führerschein besaß, mietete er mit Manfred N. für einen herbstlichen Sonntagvormittag einen VW Käfer. Mein Freund sollte mit ihm die ersten Fahrversuche starten. Das Fahrzeug wurde geliefert und vor die Haustür gestellt. Manfred N. wollte eine Ehrenrunde allein fahren, um sich mit dem Fahrzeug anzufreunden. Seine Solotour führte ihn über die Sonnenallee, dann wahrscheinlich über die Weichselstraße - Weserstraße wieder zurück zur Pannierstraße. Wir sahen ihn auch nach kurzer Zeit ankommen. Und dann passierte das, was heute noch in meinem Kopf wie ein Zeitlupenfilm abläuft, wenn ich daran denke: der Wagen kam mit Normaltempo um die Ecke, wedelte dann aber auf dem nassen Laub, das die ganze Straßendecke überzog, schoss mit erhöhter Geschwindigkeit auf den großen Baum vor der Weser-Drogerie zu und landete dort frontal. Die Haube sprang auf und das Vorderteil des Wagens bog sich um den dicken Baumstamm.
Zum Glück war dem Fahrer nichts Ernsthaftes passiert, er hatte angeblich Bremse mit Gaspedal verwechselt. Kann man ja glauben. Nach anfänglicher Ratlosigkeit rief Vater R. den Autovermieter an, der den kaputten Wagen abholen lassen wollte. Das dauerte noch eine ganze Weile und während der Zeit standen wir mit vielen Nachbarn um den beschädigten Wagen herum und parlierten. Polizei war aber nicht zu sehen.
Die Schadenssumme war gepfeffert, weil die Sache unter der Hand geregelt wurde. Aber Manfred N. versprach hoch und heilig, diese Summe zurückzuzahlen. Wie lange er dafür brauchte, weiß ich nicht. Eines aber weiß ich noch genau: mein Freund hat seinen Führerschein erst nach der Lehre gemacht - auf einem regulären Fahrschulwagen mit Fahrlehrer an seiner Seite.
aufgeschrieben am 17.11.2010

 

Streetview

von Fritz Schukat

Ich bin in Berlin-Neukölln geboren und aufgewachsen. Verwandte und Freunde wohnten dort. Neukölln war mein Lebensmittelpunkt, bis ich Mitte 1960 das erste Mal geheiratet habe und weggezogen bin. Die Pannierstraße und die Gegend um den Hermannplatz war und bleibt natürlich meine nähere Heimat.
Im verflixten 7. Jahr wurde ich geschieden, kurz darauf ging ich in den Außendienst. Die Karriereleiter ging über Celle und Mainz nach Hamburg. 27 Jahre wohnten wir in Norderstedt. „Nach Berlin kriegen mich keene 10 Pferde mehr“, hab ich immer getönt, und nach so langer Zeit ist das auch keine Floskel mehr. Aber im Innern bleibt man seiner Heimat doch irgendwie verbunden.
Vor Jahren hatte ich mir einen Camcorder gekauft. Damit war das „Filmen“ ein Kinderspiel geworden. Irgendwann, so um 1992 herum, habe ich bei einem Dienstbesuch in Berlin mal die Gelegenheit gehabt, mit diesem Ding durch Neukölln zu wandern und habe das Miniband dann auf VHS überspielt. Oft habe ich es mir zwar nicht angesehen, aber wenn, dann war es immer so, als wenn man nach Hause gekommen wär.
Ich war vor ein paar Tagen wieder in Neukölln, sogar ganz lange in der Pannierstraße. Ich hatte diesmal aber viel mehr Zeit und konnte mich in aller Ruhe dort umsehen, denn - ich wandelte auf den Spuren von „Google Streetview“ durch die Straße! Das ist schon ein ganz merkwürdiges Gefühl. Man kann sich aus diversen Kamera-Positionen genau in das Panorama hineinversetzen, als wenn man dort steht, und man kann sich nach Belieben umsehen. An fast allen Häusern sind bauliche Veränderungen vorgenommen worden, Eingangstüren wurde verkleinert und die Fassaden umgestaltet. Nicht ein einziges Geschäft von damals ist übrig geblieben! Selbst die alten Straßenbäume gibt es nicht mehr, dafür stehen dort junge, auch schon wieder recht hoch gewachsene Bäume in Reih' und Glied. Alles zu sehen. Leider kann man nicht in die Höfe gucken, eigentlich schade.
Ich kann meine Emotionen heute aber nicht mehr wie anno 1992 mit anderen teilen. Mehr als 50 Jahre nachdem ich von dort weggezogen bin, lebt von den Verwandten und Freunden von damals keiner mehr.
aufgeschrieben am 15.03.2011