Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Vollbad von Uwe Neveling
Mein Sturmflut-Erlebnis 1962 von Walter Bosniakowski
Badefreuden von Uwe Neveling
Wasser aus dem Brunnen von Annemarie Lemster
Meine Wasserparabel oder: Warum lernt man das alles von Jürgen Hühnke

 

Vollbad

von Uwe Neveling

Ein Vollbad ist gemeinhin ein erholsamer Vorgang. Man räkelt sich in der Badewanne, das Wasser ist warm und man genießt ein angenehm duftendes Schaumbad. Das Wasser weicht den Körper ein und nach einer geraumen Zeit wird die Haut schrumpelig und faltig. Sollte das Wasser abkühlen, lässt man heißes Wasser nachlaufen. Das Motto lautet: Nur nicht frieren. Der Genuss ist vollkommen, wenn man während des Badens an Eisberge und Polargebiete denkt. Die kalten Schauder, die dann über den Rücken laufen, werden sofort von dem wohltemperierten Badewasser eliminiert. Es ist ein tolles Gefühl.

Ende März genoss ich ein Vollbad besonderer Art. Ich bin stolzer Besitzer eines Aquariums. In einem 200-Literbecken tummeln sich Guppys und Schmerlen. Für den Pflanzenwuchs sorgt eine Lichtanlage, das Wasser wird mit einem Filter sauber gehalten und auf fünfundzwanzig Grad erwärmt. Der Filter besteht aus einem großen Topf und einer Pumpanlage. In dem Filter befinden sich in mehreren Schichten Saugmaterialien, die das Wasser reinigen. Die Pumpanlage saugt das Wasser in den Filter und leitet das gereinigte Wasser wieder in das Aquarium. Natürlich muss der Filter regelmäßig gesäubert werden. Ich hatte das ein Jahr nicht mehr getan. Es wurde also mal wieder Zeit.

Ich schloß die Wasserzufuhr, koppelte den Filter von der Stromversorgung ab und hob den Filtertopf aus seinem Behältnis. Auf der Terrasse hatte ich bereits den Gartenschlauch ausgerollt und den Wasserhahn aufgedreht. Ich öffnete den Filtertopf und säuberte die Filterschichten mit reinem Wasser. Die Filtermasse wird mit einem dünnen Plastikdeckel abgeschlossen, der das weiche Material von der Pumpe trennt. Diesen Deckel hatte ich während des Säuberungvorgangs auf die Steineinfassung unseres kleinen Gartenteichs gelegt. Ich sagte noch zum mir: Pass auf, dass Dir der Deckel nicht in den Teich fällt. Das ging auch eine ganze Weile gut. Als ich den Filter wieder zusammenbauen wollte, stieß ich mit dem Gartenschlauch an den Deckel, der sich sofort im Teichwasser von mir verabschiedete. Ohne Deckel kein Filter. Es musste also etwas geschehen.

Ich zog mein Hemd aus und versuchte mit den Händen das gute Stück zu ertasten. Unser Teich ist an einigen Stellen einmeterfünfzig tief. Das eiskalte Wasser umspülte bereits meine Schultern, und ich konnte den Grund immer noch nicht ertasten. So ging es also nicht. Auch der Versuch mit einem Laubfeger und einer Gartenharke schlug fehl. Unser Garten ist von den Nachbarn nicht gut einzusehen. Eine immergrüne Hecke verhindert neugierige Blicke. Von den Nachbarhäusern kann man lediglich aus den oberen Stockwerken auf unser Grundstück blicken. Da könnte jemand stehen und sich über meine vergeblichen Bemühungen amüsieren. Meinen nackten Körper wollte ich dem möglichen Beobachter nicht zumuten. Ich entledigte mich daher nur meiner Hose und meiner Strümpfe. Meine imposante Erscheinung war jetzt nur noch mit der Unterwäsche bekleidet. Ich setzte mich auf die Teicheinfassung, drehte meinen Körper zur Wasserfläche hin und ließ meine Füße und Beine langsam ins Wasser gleiten. Mensch, war das Wasser kalt! Ich rutschte dann vor Kälte zitternd von meinem Mauersitz und hoffte recht bald Boden unter den Füßen zu spüren. Der Teichboden ließ endlos lange auf sich warten. Als ich den Teichgrund mit meinen Füßen erreichte, war mein Körper bis zur Brust im Wasser eingetaucht. Aber das war noch nicht alles. Ich holte tief Luft und tauchte vollständig in den Teichpool ein. Mit meinen Händen tastete ich den Boden ab und fand tatsächlich den Deckel. Als ich wieder das Tageslicht erblickte, waren Unterhemd und Unterhose grün gefärbt. Algen hatten für diesen Farbtupfer gesorgt. Egal, es war sowieso alles nass. Ich ging tropfend ins Haus, zog mich aus, wusch mich und trocknete mich ab. Dann kleidete ich mich wieder frisch an. Die grüne Unterwäsche hing ich im Keller über einen Trockner. Sie ist mittlerweile wieder weiß. Meine Frau hat das Grün rausgewaschen. Eigentlich schade, Grün stand mir gut. Der Filter läuft auch wieder und die Fische haben sauberes Wasser. Sie haben von den dramatischen Ereignissen nichts mitgekriegt. Oder vielleicht doch? Die Schmerlen, die sonst immer nur Nachts aktiv waren, liegen seit meinem Vollbad vorne an der Aquariumscheibe und blicken mich ständig an. Manchmal verzieht sich ihr Maul zu einem breiten Grinsen. Das kann nicht sein. Ich glaube, dass ich mir das nur einbilde.

 

Mein Sturmflut-Erlebnis 1962

An die Sturmflutkatastrophe in Hamburg, die so verheerend die elbnahen Stadtteile Hamburgs traf, haben die Medien heuer besonders intensiv erinnert, denn sie geschah vor genau 50 Jahren. Es gibt noch immer viele Zeitzeugen, die diese Flut miterlebten, aber nur wenig hat man aus den etwas weiter entfernten Überschwemmungsgebieten gehört, in denen es ebenfalls viel Leid zu beklagen gab. Unser Autor erlebte die Nacht, in der das Wasser kam, bei den Schwiegereltern in Achterdeich, in der Nähe der Gemeinde Stelle. Sie liegt im Kreis Winsen/Luhe (der politisch korrekt allerdings „Kreis Harburg“ heißt).

Mein Sturmflut-Erlebnis 1962
von Walter Bosniakowski aufgeschrieben im Februar 2012

Am 16. Februar 1962 fuhr ich mit meiner Frau von Appen (Kreis Pinneberg) nach Achterdeich, Gemeinde Stelle (bei Winsen/Luhe) zum Schlachtfest zu den Schwiegereltern, die dort eine kleine Landwirtschaft betrieben. Wir blieben auch zur Nacht dort, legten uns aber noch vor Mitternacht schlafen. Gegen zwei Uhr kam eine Sturmflutwarnung mit der Aufforderung, sofort die Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen, weil das Hochwasser kurzfristig eintreten könnte.

 

Die Sturmflut Glück im Unglück nur die Hausecke wurde mitgerissen. Das rote Kreuz zeigt, wo das Bett gestanden hat.

 

Alle Anwohner, natürlich auch meine Schwiegereltern, befolgten diese Anweisung und gingen sofort los. Meine Frau ebenfalls, sie war hochschwanger - nur ich nicht! Als unerfahrener Neuling in Sachen Sturmflut wollte ich erst einmal sehen, ob überhaupt Hochwasser kommt und deshalb Gefahr bestehen würde. So machte ich mich auf den Weg unterhalb des Deiches in Richtung Wasser. Nach einigen Minuten stieg ich auf den Deich und sah die Wiesen schon überschwemmt, aber noch kein Anzeichen für Hochwasser. So ging ich wieder herunter auf den Weg unterhalb des Deiches weiter in Richtung Wasser. Nach kurzer Zeit stieg ich erneut auf den Deich und sah jetzt zu meinem Entsetzen das Wasser schon kurz vor der Deichkrone! In Panik rannte ich zurück zum Hof meiner Schwiegereltern, denn es ging jetzt um mein Leben und sprang in unser Auto (es war ein neuer VW-Käfer, Exportmodell), das ich dort abgestellt hatte. Da der normale Weg zum Dorf nicht mehr passierbar war, benutzte ich die Deichkrone als Fahrbahn. Das Wasser klatschte schon gegen die Scheiben, als ich endlich die B 4 erreichte, wo der Deich hinter Stelle auslief. Ich war in Sicherheit!

Kurze Zeit später ist der Deich gebrochen und die Wassermassen haben ein neues Haus mit samt seinen Bewohnern, die trotz der Warnung auch zurückgeblieben sind, einfach weggespült. Von dem Gebäude war nichts mehr übrig. Die Bewohner hat man nach Tagen tot in den Gräben und Wiesen gefunden.

 

Nach der Sturmflut Der Wiederaufbau beginnt

 

Auf ihrer Internetseite erinnerte die Gemeinde Stelle am 17. Februar 2012 an die Sturmflut 1962
„50 Jahre nach der Katastrophe
Am 16. Februar 2012, dem 50. Jahrestag der Sturmflut von 1962, hat die Gemeinde Stelle um 19.00 Uhr eine öffentliche Gedenkveranstaltung im Schützenhaus Stelle ausgerichtet. Wegen des großen Interesses wird die Ausstellung auch noch am Montag, dem 20. und am Dienstag, dem 21. Februar 2012 jeweils ab 19.00 Uhr zu sehen sein.“

 

Badefreuden

von Uwe Neveling aufgeschrieben am 13.09.2007, red. 2011

„Hast Du die Schwimmpflanzen auf die Terrasse geworfen?“ Meine Frau sah mich strafend an. Auf unserem kleinen Gartenteich hatten wir vor einiger Zeit kleine Schwimmpflanzen angesiedelt. Sie vermehren sich wie die Pest und heißen auch so. Es ist die Wasserpest. Trotz des bösartig klingenden Namens ist sie bei Teichbesitzern sehr beliebt. An sonnigen Tagen schützt sie die Fische vor zu starker Sonneneinstrahlung. Auch für das Auge ist sie ein Ruhepool. „ Nein“ antwortete ich empört.

Die Pflanzen hatte irgendjemand übermütig auf unserer Terrasse verteilt. Wir hoben die Pflanzen auf und warfen sie wieder in den Teich. Dabei ist es gleich, ob sie mit den Blättern oder mit den Wurzeln auf die Wasseroberfläche treffen. Die Wurzeln tauchen jedes Mal tief ins Wasser ein und das Blattwerk schwimmt immer oben. Damit war der Fall für uns zunächst einmal erledigt.

Am nächsten Morgen wollte ich die Fische füttern. Da hatte doch schon wieder jemand den Teich von den Pflanzen befreit. Sie lagen unordentlich auf unserer Terrasse. Meine Frau konnte es nicht gewesen sein. Sie stand noch unter der Dusche und ließ sich von warmen Wasserstrahlen erfrischen. Ich eilte zum Bad und berichtete ihr von unserem geheimnisvollen Besucher. Meine Frau beendete ihre Tätigkeit im Nassbereich und zog sich an. Wenn wir es nicht waren, wer dann? Wir legten uns auf die Lauer. Zunächst tat sich erst einmal nichts. Die Pflanzen trieben auf der Wasseroberfläche. Wahrscheinlich knabberten die Fische an ihren Wurzeln oder sie wurden vom Wasserstrahl der Pumpe bewegt. Nach einiger Zeit gaben wir auf. Schließlich hatten wir noch etwas anderes zu tun.

Es war zwischenzeitlich später Nachmittag geworden. Wir saßen im Wohnzimmer und unser Blick fiel auf unseren Teich. Vom Wohnzimmer aus konnten wir lediglich einen kleinen Teil der Wasseroberfläche sehen. Das Wasser schimmerte hell und klar zu uns herüber. Von Wasserpflanzen sahen wir keine Spur. Wir sprangen auf, öffneten die Tür zur Terrasse und stürzten zum Teich. Die Pflanzen lagen – wir hatten es schon erwartet – neben der Teichumrandung auf den hellen Fliesen unserer Terrasse. Ihre Wurzeln sonderten eine grünlich schimmernde Flüssigkeit ab. Auf den Bodenplatten gab es hässliche Flecken. Die nachfolgende Prozedur kannten wir schon. Wir warfen die Pflanzen in den Teich und reinigten die Fliesen. Und wir legten uns wieder auf die Lauer. Jedoch es war umsonst. Es war wohl schon zu spät. Am Abend gab es – das hatten wir mittlerweile heraus bekommen – keinen Angriff. Vermehrt und sehr intensiv waren dagegen die Teichüberfälle am Vormittag.

Und an einem Vormittag erblickten wir den Übeltäter. Es war eine Elster. Ihr Gefieder schimmerte schwarz-weiß. Auffallend war der lange Schwanz. Mit ihrem Schnabel pickte sie die Schwimmpflanzen aus dem Wasser und warf sie schwungvoll neben die Umrandung. Bei der Gelegenheit spritzte sie sich Wasser auf das Federkleid. Sie schien mit Vergnügen zu duschen. Als sie uns sah, ergriff sie die Flucht und flog eilig davon. Wir sammelten zum wiederholten Mal unsere Pflanzen ein und säuberten den Steinboden.

An eine Vertreibung des Vogels ist nicht zu denken. Er kommt fast jeden Tag und ordnet die Teichoberfläche in seinem Sinne. Er genießt die damit verbundenen Badefreuden. Wir haben uns an ihn gewöhnt. Als er neulich an zwei Tagen hintereinander nicht erschien, haben wir uns Sorgen um ihn gemacht. „Es wird ihm doch wohl nichts passiert sein?“ Ich sah meine Frau fragend an. Am dritten Tag war er wieder da. Er brachte sogar noch einen Kumpel mit. Zu Zweit lässt sich die Wasseroberfläche doch viel schneller bearbeiten. Und in Gesellschaft bereiten Arbeit und das gemeinsame anschließende Baden doppeltes Vergnügen.

 

Wasser aus dem Brunnen

von Annemarie Lemster

1946-47 hatte meine Mutter eine schwere Krankheit und lag im Krankenhaus. In dieser Zeit lebte ich bei meiner Tante auf dem Land. Mit meiner gleichaltrigen Cousine besuchte ich dort auch die Schule. Meine Tante wohnte in einem sehr alten Fachwerkhaus ohne jeglichen Komfort. Ich, ein Stadtkind, musste nun wieder lernen, dass Wasser nicht aus dem Hahn kam und die Toilette nicht im Haus sondern auf dem Hof war, in einem Häuschen mit Herztür. Dank meiner Cousine Irmgard machte mir das Leben auf dem Lande doch großen Spaß. Nur eines habe ich gehasst, „das Wasser holen“ aus der Dorfmitte. Wenn wir aus der Schule kamen und Mittag gegessen hatten, mussten wir sehr oft Wasser holen. Draußen an der Hauswand hing das Joch für uns Kinder, der Holzkragen war nicht so groß wie bei den Erwachsenen und die Ketten waren bei uns auch kürzer. Heute sieht man so ein Joch nur noch auf Bildern mit Hummel dem Wasserträger. Wir Kinder bekamen dann an jeder Seite einen Eimer an die Ketten gehängt und dann ging es zur Dorfmitte zum Brunnen. Hier hängten wir einen Eimer an die Schwengelpumpe und dann hieß es kräftig pumpen. Waren alle vier Eimer voll, stellten wir uns immer zwischen zwei Eimer, gingen etwas in die Hocke, hakten die Henkel der Eimer in die Ketten und dann musste man sich sehr gleichmäßig aufrichten.
Am Anfang hatte ich so meine Schwierigkeiten mit der Gleichmäßigkeit. Das Wasser wollte oft nicht im Eimer bleiben und dann hatte ich es meist in den Schuhen. Nachdem ich die Pumpe so an die zehn Mal besucht hatte, klappte es auch bei mir und der schwere Gang nach Haus ging los. In meiner Erinnerung war dieser Weg unendlich lang und wollte oft gar kein Ende nehmen. Vor einigen Jahren war ich wieder einmal in dem kleinen Dorf und habe mir auch den ach so weiten Weg zum Brunnen angesehen. Er war etwa 400-500 Meter lang. In meiner Erinnerung hätte ich ihn auf mindestens 2 km geschätzt.
Das Wasser wurde nur zum Trinken und Essenzubereiten genommen. In der Küche gab es eine Wasserbank, dort standen die Eimer drauf und in einem hing eine Suppenkelle, aus dieser trank jeder, der Durst hatte und hängte sie wieder in den Eimer.
Ich möchte diese Zeit nicht missen, sie war viel härter als in der Stadt, aber gelernt habe ich dort sehr viel.
erstellt am 09.02.2007

 

Meine Wasserparabel oder: Warum lernt man das alle

von Jürgen Hühnke

Mein Nachbar - nicht der, von dem ich im weiteren erzählen will - meinte, als er für seinen Fritz die Entscheidung über die zweite Fremdsprache treffen sollte: „Was soll er damit? Selbst Englisch ist doch fast überflüssig. Wenn ich nach Ägypten reise und auf dem Basar etwas einkaufen will - da kann doch jeder genug Deutsch!“
Gegenfrage: Wozu soll ein armes Fellachenkind Deutsch lernen? Ach ja, es könnte einmal ein ignoranter Tourist aus Alemannia bei ihm kaufen wollen! - Na ja, was den Fritz angeht - aus dem ist nichts geworden, jedenfalls nichts Rechtes.
Mit dem Gejammer der stets frustrierten Null-Bock-Generation sieht sich jeder Lehrer und Ausbilder alle Naselang konfrontiert: Wozu soll das alles gut sein? Gut mag der Pythagoras für einen Zimmermann sein oder einen anderen Bauhandwerker, wenn er einen rechten Winkel herstellen kann, indem er Leisten oder gespannte Bindfäden von genau 3,4 und 5 Meter Länge zusammenpasst. Gut kann man ein Lot zur Bestimmung der Senkrechten anwenden oder einen transparenten Schlauch mit Wasser zur Bestimmung der Waagerechten, wie Maurer es tun. Was aber ist mit all dem Unnützen, das man lernen soll?
Gemach, Leute! Ob etwas wirklich unnütz ist oder nicht - das lehrt erst das Leben, der ewige Zufall. Für das, was einem da unversehens widerfahren kann, habe ich gern meine Wasserparabel benutzt, eine Gleichnisgeschichte, die den Vorzug hat, tatsächlich passiert zu sein, also eine Geschichte mitten aus dem Leben:

Meine Frau und ich waren in unserer noch nicht erschlossenen Straße die ersten Hausbauer in den Boomjahren der Sechziger. Nicht erschlossen - das heißt vor allem, zunächst einmal einen Brunnenbauer anheuern, der einem das Grundwasser anzapft.
Einige Parzellen weiter entstand bald ein anderer Bau, ausgefertigt durch einen Stukkateur, der sich als Bauunternehmer versuchte. Was er errichtete, waren eher Potemkinsche Dörfer, nämlich Häuschen aus diversen, von anderen Baustellen verbliebenen oder gestohlenen Materialien, aus Beton-, Gasbeton- und Kalksteinen und roten und gelben Ziegeln. Am Ende war von diesen chaotischen Zutaten nichts zu sehen, da die Gebäude einheitlich umklinkert wurden. Später verschwand dieser Unternehmer, der sich eher übernommen hatte, nach Südamerika, wo Interpol ihn aufgreifen ließ.
Die Villa Potemkin in unserer Straße bezog ein Zollamtmann, der mich eines Tages höchst erschrocken zu sich kommen ließ. Er entnahm der Leitung sprudelndes und, wie es sich gehört, farbloses Wasser, wusch die Hände mit Seife, und schon entstand im Waschbecken eine etwa kobaltblaue Lauge. „Was kann das sein?“ wollte der Nachbar wissen.
Nun, ich war in Chemie kein großes Licht. Meine Zweien im Zeugnis basierten darauf, dass ich zu den aufmerksamen Schülern gehörte; denn Piccolo, mein Chemielehrer, gab seinen Helfern Einsen, den Aufmerksamen oder doch Stillen Zweien und dem Rest Dreien.
Eigentlich beschränkt sich mein Chemiewissen auf die Unterscheidung von Schwefelsäure H2 S04 und Schwefliger Säure H2 S03, die Übersetzung von Kochsalz in Natriumchlorid und von Vitamin C in Ascorbinsäure sowie, in Verbindung mit Latein, auf die für das Rätsellösen so unentbehrlichen Zeichen für die Elemente: Eisen = Fe (ferrum), Silber = Ag (argentum), Blei = Pb (plumbum) oder Kupfer = Cu (cuprum). Mehr war es eigentlich nicht, abgesehen vom H2O, dem Wasser, von dem die Gleichnisgeschichte handelt.

Und jetzt dies: Warum war das Wasser so blau? Das kann nur durch Kupfer verursacht sein, dachte und sagte ich, durch eine Säure aufgelöstes Kupfer. Offensichtlich wurden die kupfernen Leitungsrohre durch irgend einen Stoff verätzt und zersetzt.
„Also sollte ich mein Wasser wohl abkochen“? fragte der Zöllner. „Um Himmels willen, Herr Nachbar“! rief ich, „das mag ja bei eisenhaltigem Grundwasser helfen und ihm die Bräune austreiben. Aber nicht bei einer Säure, Mann! Holen Sie sich Wasser bei mir!"
Was ich noch nicht bedenken konnte, weil es mir nicht bekannt geworden war: Der findige und windige Erbauer von Villa Potemkin hatte einen Kellerboden in B 4 oder allenfalls B 5 gegossen - B 20 heißt normal gemischter Beton, weil er 20% Zement enthält: auf eine Schaufel Zement vier Schaufeln Kies. Dieser Norm entsprach der Kellerboden absolut nicht und ließ sich mit dem Finger aufbohren. Seine mangelnde Qualität erwies sich darin, dass namentlich bei starkem Regen und hohem Grundwasserspiegel munter die Nässe einsickerte. Deshalb hatte der Käufer dieser famosen Immobilie inzwischen eine Firma kommen lassen, die mit einer Anilinverbindung die Kellersohle hatte härten wollen. Bei der Herstellung von Anilin wird unter anderem Salzsäure gebraucht - und die war die Ursache des Problems: Das nachbarliche Grundwasser bestand gemäß einer bald unternommenen Analyse zu einem bis zwei Promille aus solchem HCl, war also deutlich stärker konzentriert als Magensäure.
Da die dreiköpfige Familie meinem Rat nicht gefolgt war und ihr Wasser weiterhin zu Nahrungszwecken verwendet hatte, erkrankte sie an einem hässlichen Hautausschlag und lag eine Woche im Universitätskrankenhaus, die Körper über und über mit einer Salbe beschmiert und in enge Gummianzüge gepackt, die nur die Körperöffnungen frei ließen.
Die Moral von der Geschicht in Bezug auf Lernen und Zufall ... Wie schlossen doch unsere guten alten Mathe-Pauker ihre Beweisketten? q.e.d. (Quod erat demonstrandum) - was zu beweisen war!
erstellt 21.12.2006
abgedruckt in Heft 17 (2007)