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Ausgebombt oder evakuiert von Ellen Probst
Das Ende einer Tanzstunde von Ellen Probst

 

Ausgebombt oder evakuiert

von Ellen Probst erstellt am 01.09.2003

Auf dem Bauernhof meiner Großeltern lebten gegen Ende des Krieges schon 4 Familien aus den Städten Hamburg und Kiel. Alle flohen vor den Bomben oder hatten schon kein Zuhause mehr. Heute würde man sagen, die Zimmer waren hoffnungslos überbelegt. Aber damals ging alles. Man half einander, so gut man konnte. Meinen Großeltern wurde nichts zuviel. Opa schlachtete heimlich.

Der Bauernhof lag außerhalb des Dorfes, so dass man den Beobachtungen nicht so ausgesetzt war. Es war natürlich strengstens verboten. Wer dabei ertappt wurde, musste mit einer harten Strafe rechnen. Das Vieh war gezählt. Man wurde kontrolliert und hatte ein bestimmtes "Soll" abzuliefern. Aber offensichtlich gab es bei der Erfassung des Tierbestandes "Schwierigkeiten". Auch ging er heimlich zur Jagd. (Das Gewehr steckte hinter der Räucherkammer). So hatten alle stets zu essen. Daran mangelte es also nicht. Jeder, der an die Tür kam, wurde versorgt. Immer in dem Gedanken: "Vielleicht wird meinen Söhnen von anderen auch einmal geholfen".

Der Krieg kam immer näher und mit ihm ein Strom von Flüchtlingen. Riesengroß war die Überraschung, als sich eine junge Frau meinen Großeltern als Schwiegertochter vorstellte. Einer der Söhne hatte sie auf dem Rückzug aus Ostpreußen geheiratet. Die Trauung vollzog der Kompaniechef. Dann durfte er seine Frau auf dem Panzer mitnehmen und konnte sie dadurch in Sicherheit bringen.

Tag und Nacht zogen die Einheiten der Wehrmacht an dem Hof vorbei. Sie waren alle auf dem Rückzug und wollten mit der Fähre über den Nord-Ostsee-Kanal immer nur weg, Richtung Norden. Oftmals konnten die Soldaten ihr Gepäck nicht mehr tragen. und so mancher Koffer Tasche oder Pappkarton, sogar ein Grammophon, was auch immer es war, landete auf dem Boden. Es sollte später, wenn alles endlich vorbei war, wieder abgeholt werden. Dann, wir schrieben den 5. Mai, waren die deutschen Soldaten verschwunden, und auf der Straße passierte so gut wie gar nichts mehr.





Nach einer ganzen Zeit bot sich uns ein völlig anderes Bild. Wieder kamen Militärfahrzeuge vorbei, aber fremdartige. Ganz besonders fielen mir die großen weißen Sterne auf. Es war die Vorhut der Engländer. Sie standen auf offenen Lastwagen. Wir befanden uns alle hinter der Verandatür und guckten ängstlich raus.

Das waren sie also: die Engländer, vor denen wir und insbesondere ich, solche Angst hatten. Sie sahen ja aus wie unsere Soldaten!? Natürlich andere Uniformen. Aber die Gesichter erinnerten mich an meine Onkel, den ich so liebte. Ich konnte es nicht fassen und habe bitterlich geweint. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Die Erwachsenen waren ungeheuer erleichtert, dass weder geschossen wurde, noch sonst etwas Schlimmes passierte.

 

Das Ende einer Tanzstunde

von Ellen Probst erstellt am 20.10.2004

Es gab Tanzkurse für Kinder - sogar während des Krieges. Für ein zehnjähriges Mädchen, wie mich, war es eine tolle Sache. Vergnügt ging es mit mehreren Freundinnen aus unserem Dorf einmal in der Woche in den Nachbarort zum Tanzunterricht. Es brachte viel Spaß, und wir waren mit großem Eifer dabei, die Schritte der Standardtänze zu erlernen. Wie es so üblich war, standen die Jungen zunächst auf der einen Seite des Saales, die Mädchen auf der anderen, und auf Zuruf ging das Gerenne um die Auserwählte los. Die Musik setzte ein und 1, 2, 3 - 1, 2, 3 tummelten wir uns nach den Klängen des Akkordeons auf der Tanzfläche.
Auf einmal - keiner ahnte wieso - waren wir von Staub eingehüllt. Fenster und Türen kamen uns entgegen, alles mögliche flog durch die Luft und ich fand mich hinter dem Tresen der Gaststätte wieder. Wie ich dort hingekommen war, weiß ich bis heute nicht. Ganz langsam ließ der merkwürdige Druck nach, es wurde wieder etwas heller, und der Staub legte sich allmählich, so dass ich wieder sehen konnte.

Was war nur passiert? Gehört hatte ich gar nichts! Mit Schrecken sah ich durch die leeren Fensterhöhlen, dass bei dem Nachbarhaus das Dach sozusagen auf dem Fußboden lag. Der Gastwirt kam auf einmal von irgendwo her, und ich hörte unsere Tanzlehrerin nach "ihren" Schülern rufen. Jetzt tauchte ein Persönchen nach dem anderen auf. Alle waren wir völlig verstört, verängstigt und viele weinten. Wir starrten uns an und erkannten uns kaum wieder. Gesicht, Haare, Kleidung, alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Mit grenzenloser Erleichterung und großer Freude stellte die Kursleiterin fest, dass alle Kinder da waren, keines fehlte oder war gar verletzt.

Die Erwachsenen erfassten die Situation sehr schnell. Hier waren Bomben eines Notabwurfs detoniert, denn das Brummen der feindlichen Flugzeuge beim Anflug auf Kiel war schon länger zu hören gewesen.

Meine Mutter, die etwa 6 km Luftlinie entfernt war, hatte natürlich das Pfeifen der Bomben gehört. Der Hof meiner Großeltern lag außerhalb des Dorfes und sie konnte über die Felder hinweg erkennen, dass dort, wo sich die große Staubwolke gebildet hatte, die Tanzstunde stattfinden müsste. Von großer Angst beflügelt, kam sie per Fahrrad angesaust. Plötzlich waren Mütter, Geschwister und Großeltern da, und alle konnten ihre Lieben gesund in die Arme schließen. In ganz Wacken, wo 9 Fliegerbomben niedergegangen waren, ist niemand verletzt worden. Selbst in dem Nachbarhaus, wo das Dach unten lag, übrigens auch eine Gaststätte, befand sich zufällig keine Person. Ich denke, das war schon ein Wunder.

Ob es jemals einen Abtanzball gab, kann ich nicht mehr erinnern - ich glaube fast, nein!