Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Kannst Du grüßen – darfst Du raus von Annemarie Lemster
Kalter Krieg im Manöver-Sandkasten von Jürgen Hühnke

 

Kannst Du grüßen – darfst Du raus

von Annemarie Lemster m März 2003

1958 musste mein Verlobter zur der damals noch sehr jungen Bundeswehr. Nun war es so, dass Soldaten das erste Vierteljahr, also die Zeit der Grundausbildung, die Kaserne nicht verlassen durften. In dieser Zeit lernten sie auch das richtige Grüßen. In den ersten Jahren der Bundeswehr durfte jeder Soldat, der die Kaserne verlassen wollte, diese nur in Uniform verlassen. Sicherlich sollte die Bevölkerung durch dieses neue Erscheinungsbild sich langsam wieder an eine Armee gewöhnen. Zu diesem Erscheinungsbild gehörte auch das tadellose Grüßen.
Da wir es mit unserer Hochzeit etwas eilig hatten, sollte diese nun in dem beschriebene Vierteljahr stattfinden. Nur auf Bitten und der Tatsache, dass es eilig war, bekam mein Verlobter die Erlaubnis, sich für drei volle Tage, zum Heiraten von der Truppe zu entfernen. So hatten wir eine Polter- und Hochzeitsnacht für uns.
Wir heirateten dann in Uniform, mir war es egal ob mein Mann schon richtig grüßen konnte. Für mich waren verständlicherweise andere Dinge wichtig. Von nun an lebten wir eine Wochenend-Ehe.
Meinem Mann gefiel das Soldatenleben. Nach einem Jahr Wehrdienst verpflichtete er sich weiter und wurde Zeitsoldat. 1961 wurde Northeim wieder zur Garnisonsstadt. Nach dort wurde das Bataillon meines Mannes von Hannover verlegt. Der Bund sorgte damals recht gut für seine Soldaten. Soldaten mit Familien bekamen am Standort eine Wohnung gestellt. In Northeim waren die Bediensteten-Wohnungen eher fertig, als die Neuinstandsetzung der Kasernen. Wieder war es nichts mit einer richtigen Familien-Ehe. Ich saß nun in Northeim und mein Mann hatte immer noch Dienst in Hannover!
Nach einem halben Jahr war es dann so weit. Wir führten jetzt erst, drei Jahre nach unserer Hochzeit, eine richtige Ehe. Nun ist so eine Soldaten-Ehe auch nicht das gelbe vom Ei, dieses sollte ich recht schnell erkennen. Die Wohnblöcke der Soldaten lagen immer am Rande der Stadt und da es alle sehr junge Familien waren, gab es auch viele Kinder dort. Es waren nicht immer die nettesten Worte, die über uns gesprochen wurden. Am kulturellen Leben konnte keiner von uns teilnehmen. Ein Soldat hat kein geregeltes Leben. Da gibt es Manöver, da gibt es Nachtübungen und, und, und. Die Frauen waren durch die kleinen Kinder an das Haus gefesselt.
Da gab es noch ein Problem für uns Frauen, das Problem der Manöver. Die Bevölkerung wurde immer in der Presse von solchen Ereignissen unterrichtet. Ich weiß bis heute nicht, was in den Köpfen mancher Männer vor ging. Eine ganze Siedlung ohne Männer. Wir wohnten Parterre und so gab es Zeiten, in denen abends drei bis vier Frauen, bei mir in der Wohnung, hinter der Terrassentür saßen. Wir hatten dicke Hölzer oder Messer in der Hand. Wir wollten die „Schweine“ kriegen, die immer um die Häuser schlichen. So sah es bei vielen Frauen abends in der Wohnung aus. Heute frage ich mich so oft, was hättest du bloß mit deinem Messer gemacht? Einen Mann hat man dann auch in den hinteren Blocks erwischt, ich glaube, die Polizei hat ihn aufgespürt.
Auch sonst war das Leben nicht so einfach, überhaupt für meinen Mann. In unserem Eingang wohnte auch der damalige Kommandeur der Kaserne, ein Oberstleutnant von und zu, und noch was, und noch was. Ein Soldat hat einen Vorgesetzten immer ordnungsgemäß zu grüßen, auch in Zivil. Man traf sich ja mal im Haus, mein Gruß war immer nur sehr kurz „Guten Tag Herr von... , und schon war ich fertig. Da hörte es sich bei meinem Mann immer ganz anders an. Mir war das Dienstgradgetue immer egal, für mich zählte nur der Mensch. Gerade in der ersten Zeit der Bundeswehr gab es schon recht merkwürdige Typen unter den Offizieren. Woher sollten so kurz nach dem Krieg auch welche herkommen? Die guten waren im Krieg gefallen und nur wenige, die es überlebt hatten, wollten wieder in eine Armee. Dann gab es noch die Söhne von verdienten Vätern, die beim Widerstand gegen Hitler, oder im Krieg fürs Vaterland „gefallen“ oder erschossen wurden. Wie so oft im Leben, heißt Herkunft nicht gleich Kompetenz. Dann waren da noch die Offiziere, die nach dem Krieg in die Fremdenlegion gegangen waren. Diese Herren waren mir viel lieber, ihnen konnte man immer in die Augen sehen, während ich bei den Herren Adelssöhnen immer nur die Nasenlöcher sah, weil sie den Kopf so hoch trugen!
Da ich ja nun kein Untergebener unseres Flurnachbarn, des Herrn von und zu war, bin ich des Öfteren mit ihm zusammengerasselt. Es waren so alltägliche Dinge, wie Hausordnung, Straße fegen, nach 23:00 Uhr nicht mehr das große Halali auf dem Jagdhorn in der Wohnung üben, sich aber über Kinderlärm bei uns beschweren, wenn er mit seiner damaligen Gespielin am Tag mal Ruhe brauchte. Nach solch kleineren oder auch schon mal größeren Auftritten, konnte es sein, dass mein Mann, der damals Küchenchef war, ein oder zwei Tage später eine Küchenkontrolle hatte, oder eine anstehende Beförderung schon mal verzögert wurde. Mir taten immer die Ordonanzen leid, wenn sie da im Hausflur saßen und für den Kommandeur Schuhe putzen oder Koppel wienern mussten.
So ganz allmählich veränderte sich dann das Verhalten der Bürger. Die Soldaten gehörten zum städtischen Erscheinungsbild. 1964 hieß es dann schon „unsere Soldaten“. Die Vereidigungen wurden im großen Rahmen gefeiert. Northeim hat eine große Freilichtbühne, dort wurde solchen Ereignissen ein würdiger Rahmen gegeben und ganz vereinzelt hörte man schon mal, dass jemand die Nationalhymne mitsang, wenn auch nur leise.
Zum Schluss möchte ich noch sagen, es hatte sich auch innerhalb des Kasernenlebens einiges verändert. Ein Rekrut durfte schon in den ersten Wochen die Kaserne verlassen und wenn er wollte, dieses auch in Zivil. Die Soldaten müssen irgendwie intelligenter geworden sein, denn in Uniform durften sie auch schon vom Kasernengelände.
Grüßen kann man doch schneller lernen!

 

Kalter Krieg im Manöver-Sandkasten

von Jürgen Hühnke Erstellt am 28.01.2011

Kalter Krieg im Manöver-Sandkasten
Von Jürgen Hühnke

Wenn alle Hände verdorrt wären, die kurz nach der Hitlerzeit die Finger zum geheiligten Schwur „Nie wieder Krieg!“ gehoben hatten, so wären die orthopädischen Hersteller toter Lederfäuste wohl Millionäre geworden. Gar nicht lange hatte es gedauert, und die Eidesleister hatten erst klammheimlich die Wiederaufrüstung betrieben und schließlich laut die Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden gefordert. Die Vokabel „Krieg“ blieb freilich verpönt. Zwar sprach der Grundgesetzartikel 4 noch vom „Kriegsdienst mit der Waffe“, doch hießen die zuständigen Ressortchefs nunmehr „Verteidigungsminister“.
Die Wehrgesetze führten, auch wenn der Bundeswehrsoldat ein „Staatsbürger in Uniform“ heißen sollte, im Hinblick auf den eben genannten GG-Artikel den Zivildienst ein. Selbstverständlich mussten junge Männer, die auf „Zivi“ reflektierten, die Ernsthaftigkeit ihrer Gewissensgründe nachweisen. Dieses geschah in den „Prüfungsausschüssen für Kriegsdienstverweigerer“ und in den Prüfungskammern, die als Berufungsinstanz angerufen werden konnten. Eine solche Kammer bestand aus zwei ehrenamtlichen Schöffen und einem von der Bundeswehr gestellten Berufsjuristen als Vorsitzendem. 1972 durfte ich als Schöffe in einer solchen Kammer lernen, mit weichen Verfahrensweisen man das Gewissen von Leuten ergründen kann, denen keine göttliche Erleuchtung durch einen brennenden Dornbusch u.ä. zuteil geworden war. Eine solche Kammer konnte ich nur als Beisitzer kennenlernen, weil ich als Angehöriger eines „weißen Jahrgangs“ ohnehin von der Wehrpflicht ausgenommen war. Wer um ein berühmtes geflügeltes Wort umzuwandeln - dank der „Gnade der frühen Geburt“ noch einiges von den Kriegsereignissen in seiner Kindheit mitbekommen hatte, wurde von den sensiblen Politikern nicht „gezogen“.
Die jungen Männer, die von der Kammer zu bewerten waren, erwiesen sich häufig als einfache Kerlchen mit etwas Idealismus. Einige von ihnen erfanden durchaus recht hübsche Geschichtchen, die ihrem Gewissen angeblich auf die Sprünge geholfen hatten. Die intelligenten Verweigerer hatten sich von berufsmäßigen Friedensfreunden helfen lassen und waren auf typische Argumente trainiert worden. Unter anderem hatten sie gelernt, dass man niemals zugeben sollte, seinem Liebchen auf dem Jahrmarkt einmal eine Blume geschossen zu haben.
Manche Prüfungsgespräche verliefen wie Sandkastenmanöver des Kalten Krieges, obwohl die Politik längst dabei war, dieses Gespenst durch die Ostverträge zu bannen. Lieblingsszenario einiger Schöffen war die Vorstellung folgender Situation: Stellen Sie sich vor, es ist Krieg, die Sowjets dringen in Ihr Elternhaus ein. Einer der Rotarmisten will Ihre Mutter vergewaltigen, bedrängt sie mit vorgehaltener Kalaschnikow. Für die Iwans nicht einsehbar, liegt hinter Ihnen - Ihr Vater ist Polizist - eine entsicherte Pistole im Regal. Sie könnten mit blitzschnellem Griff die Waffe an sich nehmen. Was also tun Sie?
Ein naiv gestrickter Anwärter auf den Friedensnobelpreis beharrt in diesem Schreckmoment darauf, auch unter solchen Umständen keinesfalls ein Mordgerät in die Hand zu nehmen. Ganz anders der Aspirant mit Argumentationstraining, denn der weiß, dass es außer der Notwehr auch eine Nothilfe gibt, zu der er sogar ethisch verpflichtet ist und sich sogar strafbar machten kann, wenn er sie nicht anwendet.
Statt dieses durch Nachhilfe wohlvorbereiteten Verweigerers stelle man sich einen naiven Gärtnergehilfen vom Dorf vor, der fast mit Tränen in den Augen darlegen möchte, seinem Gewissen sei dadurch auf die Sprünge geholfen worden, dass er nachts auf einsamer Landstraße ein Häschen überfahren habe. Noch lange hätten ihm schwere Albträume zu schaffen gemacht.
Wie er seine Gewissenserfahrung so in epischer Breite schildert, bullert ein Schöffe ohne jede Empfindsamkeit los: Jedermann wisse doch, dass Kraftwagen nichts als Mordinstrumente seien. Wie habe sich der Befragte da in ein Auto setzen können?! Der Effekt dieser Schockbehandlung. Der arme Junge bricht zusammen - durchgefallen! Damals habe ich mir vorgenommen, ich würde einem Zivi, sollte ich im Alter seiner bedürftig sein, mit Achtung begegnen, denn ein anerkannter Zivildienstleister wäre einer, der durch eine harte Schule gegangen sein müsste. Aber nun, da ich die nötigen Jahre erreicht habe, wird es den Zivi alten Schlages bald nicht mehr geben.