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Lehrjahre sind keine Herrenjahre, oder der Kugelblitz von Dieter Kirchner
Ich wäre gern . . . von Uwe Neveling
Meine Lehre als Linkshänderin von Sigrid Gehrken
Eine Lehre fürs Leben von Annemarie Lemster
Lehrjahre sind keine Herrenjahre von Annemarie Lemster
Den Marschallstab im Tornister... von Fritz Schukat
Die Goldene 50 – oder von Fritz Schukat

 

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, oder Kugelblitz

Der Kugelblitz löst sich auf 

von Dieter Kirchner aufgeschrieben November 2011

Von der Veddel, einem Stadtteil Hamburgs, fuhr ich im Frühjahr 1951 wie immer mit dem Fahrrad nach Harburg zu meiner Lehrstelle beim Fernmeldeamt. Es war noch dunkel am Morgen, es gewitterte heftig und es goss auch noch wie aus Eimern.

Anfang der Harburger Chaussee waren Strommasten mit Freileitungen auf dem Deich, wie es damals so üblich war. Vom Weiten sah ich, wie auf der Freileitung eine leuchtende Kugel von Strommast zu Strommast in meine Richtung rollte.

Ich konnte meine Fotokamera, die ich überall dabei hatte, gar nicht so schnell heraus kramen, da war die Kugel auf der Leitung bereits knapp an mir vorbei. Als ich dann endlich den Auslöser drückte, hörte ich ein Geräusch wie ein Zischen, und der Kugelblitz löste sich in einem Funkenregen, oben auf der Strommastspitze vor mir auf. Das Bild, das ich bis heute aufbewahrt habe, zeigt gerade diese Auflösung.

Dann fuhr ich weiter zur Lehrwerkstatt. Dort triefend nass angekommen, bemerkten die Ausbilder eine rote Flüssigkeit aus meiner Hose kommen. Meine Erzählung von dem Kugelblitz in Verbindung mit der roten Flüssigkeit veranlassten die Ausbilder anzunehmen, ich sei verletzt, was ich verneinte. Man wollte mir das aber nicht glauben und beharrte nun darauf, dass ich mich ausziehen sollte.

Es wurde jedoch keine Verletzung festgestellt, die Lösung wurde aber schnell gefunden. Die Farbe meines roten, selbst gestrickten Pullovers war nicht wasserfest, der Regen löste die Farbe aus der Wolle! Nun war meine Kleidung voller roter Farbe, sogar die Unterwäsche war rot. Man stellte mich kurzerhand unter die Dusche, aber in voller Bekleidung, nur die Schuhe durfte ich ausziehen. Das Wasser lief solange aus der Brause, bis sich kein roter Farbstoff mehr löste. Wie peinlich für mich, alle standen um die Dusche herum, um fachmännisch an dem Gelingen mitzuwirken. Danach zog ich die Arbeitskleidung an, allerdings ohne Unterwäsche. Den ganzen Tag kratze es fürchterlich, während meine nassen Sachen trockneten.

Aber es dauerte nicht lange, bis ein weiterer Vorfall mich erneut zwang, einen Teil meiner Kleidung abzulegen.

Auf dem Innenhof wurde in einer länglichen Wanne Wachs verflüssigt, um damit Kabel mit Papierisolierung zu ummanteln. Als ich dort vorbeiging, stieß ein Kollege aus Versehen diese Wanne um und das heiße Wachs ergoss sich über mein Hosenbein. Blitzschnell zog ich die Hose aus, um Verbrennungen zu vermeiden*.

Da ich ja keine Unterwäsche trug, stand ich nun da, wie Gott mich geschaffen hatte. Das Gejohle von den Mitarbeitern vergesse ich bis heute nicht. Zum Glück waren am Fenster der angrenzenden Bäckerei keine Personen zu sehen, glaube ich jedenfalls immer noch, weil dort ja auch noch weibliche Mitarbeiter tätig waren.

Schützend hatte ich meine mit Wachs überschüttete Hose vorne vorgehalten. Allerdings hinten war ich blank, für alle zu sehen! So rannte ich dann in die Lehrwerkstatt, um dort unter dem „Beifall der Kollegen“ eine neue Hose zu bekommen.

Spät am Nachmittag fuhr ich auf dem Nachhauseweg in trockener Kleidung wieder an dem besagten Strommast vorbei und bemerkte, dass an der Stelle, wo sich der Kugelblitz aufgelöst hatte, ein Blitzableiter über den Holzmast ragte.

Was für ein unvergessener Tag in meinem Leben!

Bemerkungen
Wachs ist oft schon ab 20 °C knetbar, meistens ist er jedoch fest bis brüchig hart, hat eine grobe bis feinkristalline Struktur und soll farblich durchscheinend, aber nicht glasartig sein. Über 40 °C schmilzt Wachs ohne Zersetzung, wenig oberhalb des Schmelzpunktes wird er leicht flüssig.
Zu Schädigungen der Haut kommt es bereits, wenn sie diesen Temperaturen längere Zeit ausgesetzt ist. Kurzfristige Belastungen, wie sie der Autor beschrieben hat, kann man in der Tat schmerzlos überstehen.
(unter Verwendung von Texten u.a. aus der Wikipedia)

 

Ich wäre gern . . .

von Uwe Neveling erstellt im Juli 2011

Die Helden meiner Kindheit und Jugend waren Winnetou, Old Shatterhand, Old Surehand, Old Firehand, um nur die wichtigsten zu nennen. Später kamen Billy Jenkins und Tom Prox dazu. Das wurde von den Erziehungsberechtigten nicht so gern gesehen. Sie waren Figuren aus Groschenheften. Heute würde man sie als harmlos einstufen. Damals gab es hitzige Debatten, die damit endeten, dass ich die Hefte heimlich unter der Bettdecke las. Die Romane von Jack London hatte man als jugendfreundlich eingestuft. Das waren sie aber nicht immer. Und deshalb las ich sie gerne. Ich zählte mich dann zu den Erwachsenen. Die Erzählung Abenteurer des Schienenstrangs habe ich mehrfach gelesen. Das wollte ich auch mal sein, ein Tramp, der quer durch Amerika illegal auf Güterzügen mitfährt. Ich wollte auch in Alaska Gold suchen oder den Romanfiguren von Traven in Mexiko nacheifern. Auch hatte es mir Graf Luckner angetan. Seinen Seeteufel habe ich regelrecht verschlungen. Ich hatte mit mir große Pläne.

Als ich älter wurde, interessierte ich mich für Firmengründer. Sie kamen zumeist aus ärmlichen Verhältnissen und hatten sich dann hochgearbeitet. So Jacob Mayer, der ein großes Stahlwerk gründete, das ich oft besichtigt habe. Krupp und Siemens gehörten auch dazu. Die Erfinder des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts hatten Ideen. Aus dem Nichts heraus entwickelten sie Maschinen. Das wollte ich auch, denn ich hatte mit mir große Pläne.

Diese Entwicklungen mussten finanziert werden. Auch bei den Banken und Versicherungen gab es Menschen mit Weitblick. Ihre Biographien studierte ich eingehend. So wollte ich auch sein, hatte ich mit mir doch große Pläne.

Mein Patenonkel war Verwaltungschef eines großen Forschungsinstituts. Durch ihn lernte ich die Werdegänge vieler Physiker kennen. Er schenkte mir auch meine erste Eisenbahn. Ich wollte daher Physiker und gleichzeitig Lokführer werden. Das passte in meine Vorstellungswelt. Man begegnete mir mit Hochachtung, schließlich war ich berühmt, und die Menschheit verdankte mir viel. Ich schmiedete täglich neue Pläne.

Meine Umgebung bekam meine Vorlieben mit. Man fand es nur merkwürdig, dass ich keinem Sportler nacheifern wollte. Ich war ein leidlich guter Tennisspieler und Fußballer, aber ein schlechter Schwimmer und Leichtathlet. Das passte nicht zusammen und daher hatte ich mich für die wissenschaftliche Laufbahn entschieden. Ich erfand im Geiste Raumschiffe mit Überlichtgeschwindigkeit, luftangetriebene Fahrzeuge und große Städte im Meer. Das brauchte die Menschheit und ich gab es ihr.

Aus diesen Träumen wurde aber nichts. Ich entwickelte mich zu einem mathematisch orientierten Versicherungstechniker, der als Systemanalytiker einige Erfolge aufweisen konnte. Und wenn ich es genau betrachte: Ich wollte eigentlich nichts anderes sein als ein Systemanalytiker, der komplexe Vorgänge in einzelne Schritte zerlegt. Etwas anderes haben die Erfinder und Entwickler in den vergangenen Jahrhunderten auch nicht getan. Sie haben sich die Arbeit erleichtert und Hilfsmittel erfunden.

Ich wäre daher gern was ich bin. Und ich bin zu dem geworden, der ich gerne sein wollte.

 

Meine Lehre als Linkshänderin

von Sigrid Gehrken, März 2004

Frühjahr 1950.
Der Tag, an dem meine Lehre beginnen sollte, war herangekommen. Ich sah ihm aus mehreren Gründen mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Zum einem - mein Traumberuf war Säuglingsschwester. Ich musste jedoch eine Lehre als Fleischerei-fachverkäuferin absolvieren, und zum anderen - ich bin Linkshänderin, und darauf nahm man zu dieser Zeit überhaupt keine Rücksicht.

Mein Vater brachte mich in die Firma und informierte meinen Lehrherrn über mein „Handicap“. Darauf sagte mein Chef zu mir: „Ich möchte nicht einmal sehen, dass Du das Messer oder das Beil in die linke Hand nimmst.“ Das war nicht gerade sehr motivierend für mich, doch ich tröstete mich immer wieder, indem ich mir sagte, wenn ich ausgelernt habe, lasse ich mir von niemandem vorschreiben, in welcher Hand ich das Werkzeug halte. Abgesehen von diesem Handicap hatte ich aber eine schöne Lehrzeit. Ich bin sogar jeden Sonntag bis Mittag in der Firma gewesen und habe der Köchin - Anna hieß sie - im Haushalt geholfen. Im Anschluss an meine Lehre blieb ich auf Wunsch von Chef und Chefin dann sogar noch acht Jahre dort. Ich war wie die Tochter des Hauses und habe meine Chefin sehr verehrt. Auch mein Chef war schwer in Ordnung.

Letztendlich habe ich aber dem Drängen meiner Mutter nachgegeben, die zu der Zeit eine Verkaufsstelle der HO (Handelsorganisation) mit Schlachterei geleitet hat und mich gern als Verkäuferin haben wollte. Und obwohl dieses nicht der Beruf war, den ich gern erlernt hätte, hat er mir viel Spaß gemacht, zumal ich immer sehr guten Kontakt zur Kundschaft hatte.

 

Eine Lehre fürs Leben

von Annemarie Lemster erstellt am 13.11.2007

Wäsche waschen gehört heute sicher nicht zur Ausbildung einer Fleischereifachverkäuferin. In meiner Lehre 1953 war dieses anders. Wenn alle drei Wochen Waschtag war, mussten auch die Lehrlinge, auch die männlichen, mithelfen. „Das braucht ihr auch im Leben“, so die Meinung unserer Lehrmeisterin „und im Übrigen wird ja auch eure Wäsche mitgewaschen“. Es wäre ja nicht so schlimm gewesen, wenn nicht diese Waschtage immer auf einem Sonntag waren. Meine Meisterin, eine gläubige Katholiken, fand nichts dabei, obwohl ihr der Sonntag eigentlich heilig sein sollte. Ein aufbegehren von meiner Seite war nicht möglich. Man tat, was verlangt wurde. An schönen Tagen hatten wir auch unseren Spaß, das Hausmädchen, der Lehrjunge und ich. Da wurde die meiste Arbeit auf dem Hof erledigt. Die Meisterin stand in der Waschküche am Kessel und wir hatten auf dem Hof für das Wasser zum Spülen zu sorgen. Drei Wannen standen bereit. In die erste kam die Wäsche aus dem Kessel oder vom Waschbrett. Dort stand Margret, das Hausmädchen, und spülte das erste Mal. Von dort schmiss sie die Wäsche in die zweite Wanne zu mir und von mir kam sie zu Werner, dem Lehrjungen, in die letzte Wanne. Wie oft wurde dieses „in die andere Wanne schmeißen“ etwas heftiger gemacht! Dann war unser Spaß immer sehr groß, wenn das Wasser mal dorthin spritze, wo wir es mit Sicherheit nicht so gern hatten. Dann wurde gelacht und auch mal Rache geschworen. Wenn wir es zu doll trieben, kam von drinnen schon mal: „Ihr sollt arbeiten und nicht rumspielen, das könnt ihr in eurer Freizeit machen!“ Schnell spülten wir weiter und grinsten uns an. Manchmal fragten wir uns auch, was ist das, „Freizeit“?
Wie konnte ich damals wissen, dass ich zu der Zeit wirklich etwas fürs Leben gelernt hatte. Als ich 1958 heiratete, hatten wir nur ein Zimmer und dieses war ohne Wasser.
Unsere Wäsche habe ich auf dem Hof gewaschen, und das über zwei Jahre!

 

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

von Annemarie Lemster aufgeschrieben im Jahre 2003

1953, dem Jahr meiner Schulentlassung, sah es auf dem Arbeitsmarkt mehr als dürftig mit Lehrstellen aus. Wir waren 45 Mädchen, die wie unsere Lehrerin immer sagte, ins Leben entlassen wurden. Es wurde nicht groß gefragt, was sind deine Neigungen, es ging so: dort ist eine Lehrstelle frei, man bewarb sich und hoffte, man würde genommen. Auf diese Weise bekamen ganze 8 Mädchen aus meiner Klasse eine Ausbildung. Zwei besuchten eine Handelsschule und die restlichen gingen in den Haushalt, was damals immer noch von vielen begrüßt wurde, da Mädchen ja heirateten und dann Haushalt und Kinder zu versorgen hatten.
Meine Mutter war sehr rührig gewesen und hatte für mich eine Lehrstelle als Schneiderin aufgetrieben - zu meinem großen Entsetzen. Ich und immer still sitzen und dann auch noch mit einer Nadel in der Hand! Eine schreckliche Vorstellung für mich. Zwei Wochen herrschte bei uns zu Haus ein mittlerer Kleinkrieg. Es ging vom „undankbaren Geschöpf“ bis „...dann kommst du eben zum Bauern aufs Land“. In diesen Tagen habe ich meiner Mutter bestimmt nicht nur einmal weh getan. Ich blieb Sieger und die Schneiderlehre wurde zurückgegeben. Ich hatte erfahren, in einer Schlachterei im Ort soll noch eine Lehrstelle als Fleischereifachverkäuferin frei sein. Was da auf mich zu kommen sollte, wusste ich nicht, aber alles schien mir damals besser, als eine Nadel in der Hand.
Am 01.04.1953 morgens um sieben fing meine Lehre an. Mein Arbeitstag in der folgenden Zeit war montags bis freitags von 6:30 Uhr bis 19:30 Uhr, am Samstag musste ich schon zwischen 2:00 - 4:00 Uhr, je nach Vorbestellungen, anfangen und der Arbeitstag war für mich um 17:00 beendet. Samstagnachmittag gingen meine ehemaligen Klassenkameradinnen schon zum Tanzkurs bei mir am Laden vorbei, während ich noch den Laden wischte. Manchmal habe ich sie beneidet. Ich lernte zwar, aber Hausmädchen hatten damals schon samstags nach dem Mittagabwasch frei.
Die Lehrlingsbeihilfe, so hieß damals das Lehrlingsgehalt, betrug 20,- DM. Von diesem Geld musste ich noch die wöchentliche Fahrt zur Berufsschule bezahlen, meinen Eltern zu Haus 5,- DM abgeben und sollte auch noch etwas sparen für meine Aussteuer.
Mein Arbeitstag sah folgendermaßen aus: Da es noch keine Kühltresen gab, musste über Nacht und in der warmen Jahreszeit auch in der Mittagspause die gesamte Ware ins Kühlhaus gebracht werden. Ich hatte morgens bis zur Öffnung des Geschäftes alles Fleisch und die Wurst in den Laden zu bringen, um sie dann um 13:00 Uhr wieder ins Kühlhaus zu schaffen. Um 15:00 Uhr kam wieder alles raus und um 18:30 Uhr wieder alles rein.
Am Mittag mussten nur die Waagen und das Schneidbrett gesäubert werden, aber am Abend wurde alles mit kochend heißem Wasser abgescheuert. Der Hauklotz wurde mit einer Stahlbürste so lange gebürstet, bis keine Blutflecken mehr zu sehen waren und das Holz silbern glänzte. Wenn ich danach den Laden zur Zufriedenheit meiner Meisterin gescheuert hatte, konnte ich mich mit an den Abendbrottisch setzen.
Meine Mutter hatte sich von diesem Beruf überzeugen lassen, weil es Schlachter immer geben würde und ich dort auch immer satt zu essen hätte. 1953 war „satt zu Essen haben“ noch etwas sehr Wertvolles.
Zurück zu meinem Lehrlingsalltag: „Mittagspause“ konnte ich zwar schreiben, aber was sie bedeutete, habe ich in meiner Lehre nie erfahren. Nach dem Mittagessen musste ich der Meisterin oder dem Hausmädchen im Haushalt helfen. Alle 14 Tage sonntags, musste ich auch im Haushalt helfen. Zur Begründung hieß es: „Du musst schließlich doch lernen, wie ein bestimmtes Stück Fleisch zubereitet wird! Wie willst Du sonst einen Kunden beraten?" Dieses habe ich ja eingesehen, nur kochen durfte ich nie. Später ist mir aufgegangen, alle zwei Wochen hatte das Hausmädchen frei und merkwürdigerweise immer dann, wenn ich Dienst hatte. Es wurde auch immer an Sonntagen große Wäsche gewaschen. Hier musste auch der männliche Lehrling dran teilnehmen, schließlich wurde auch die Wäsche der Gesellen und der Lehrlinge mitgewaschen. Nur meine Wäsche musste meine Mutter waschen.
Wer nun glaubt, ein Mädchen lernt nur, wie im Laden verkauft wird, der irrt. In dieser Zeit musste auch ein Mädchen hinten im Schlachthaus mithelfen, wenn Not am Mann war. Zu meinem großen Ärger war sehr oft Not am Mann! Am Ende meiner Lehrzeit konnte ich außer beim Schweinebrühen und Abkratzen bei allem, was hinten gemacht werden musste, mithelfen. Ich trug ein halbes Schwein oder ein Viertel Rind genau so wie der männliche Lehrling. Wenn der Rauch bestückt wurde, hatte ich auch schon mal mitzuhelfen. Zu meinen Arbeiten gehörte im Winter auch das Schneefegen. Wir hatten ein sehr großes Grundstück. Wenn ich hinten fertig war, fing ich vorn wieder an. Überhaupt der Winter. Ich sprach die Kühlung schon einmal an. Wenn die ersten Frostgrade da waren, brauchte ich die Wurst nicht mehr aus den Laden tragen, dafür wurde die Ladentür zu den Geschäftszeiten immer sperrangelweit offen gelassen. Es war mir immer schrecklich kalt. Was hatte ich mir nicht alles angezogen. Da ich damals schon - na sagen wir - etwas vollschlank war, sah ich bestimmt wie eine russische Matroschka aus. Nun wird in einer Schlachterei immer mit viel Wasser gearbeitet, auch bei den Temperaturen in dem eisigen Laden, meine Hände waren am Abend immer feuerrot. Zu Haus habe ich sie mir mit flüssigen Glyzerin eingerieben, sonst hätte ich am nächsten Morgen alles voller Risse gehabt.
Jetzt, beim Aufschreiben, hört es sich alles so schlimm an, damals hab ich es nicht immer so empfunden. Es machte mir großen Spaß, mit Menschen zu arbeiten. Sollte ich mich einmal zu Haus bei meinen Eltern beschweren, kam der wohl allen bekannte Satz: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre". Wie habe ich diesen Satz gehasst, ich wollte doch nur ein wenig Mitgefühl. Ich musste erst sehr viel älter werden, um zu begreifen, dieser Satz hat auch heute noch seine Gültigkeit.
Schon nach zwei Jahren meldete mich mein Lehrmeister zur Gesellenprüfung an. Er war der Meinung, ich hätte bei ihm so viel gelernt, da würde ich die Prüfung auch schon nach zwei Jahren schaffen. Ich schaffte sie. Nun war ich gelernte Fleischereifachverkäuferin. Ein Jahr blieb ich noch in dem Betrieb, jetzt bekam ich einen Gesellenlohn von 60.- DM und freie Kost. In der Mittagspause durfte ich jetzt nach Haus gehen und am Sonntag brauchte ich auch nicht mehr zu arbeiten.
Es war eine schwere Lehre, aber eine sehr gute. Leider sind meine Lehrmeisterin und mein Lehrmeister sehr früh verstorben. Ich bedauere so oft, mich nicht genügend bei ihnen bedankt zu haben. Bis zum Ausscheiden aus meinem Beruf, mit 58 Jahren, habe ich immer von dieser guten Ausbildung profitiert.

 

Den Marschallstab im Tornister...

von Fritz Schukat aufgeschrieben am 20.03.2011

Als wir am Osterdienstag 1956 mit ca. 150 Mitstreitern nach meist sogar recht gut bestandenem Abitur unsere berufliche Karriere bei einer großen Berliner Behörde begannen, hatten einige von uns wirklich den Marschallstab schon im Tornister. Sie wussten es nur noch nicht.

Drei Jahre lagen vor uns. Es waren echte Lehrjahre - nicht zu vergleichen mit dem Studiengang an einer Fachhochschule, die unsere Nachfolgegenerationen heutzutage frequentieren dürfen. Sie studieren also. Ich glaube allerdings nicht, dass wir eine schlechtere Ausbildung genossen haben, nur – wir waren echte Lehrpiepse. Darüber täuschte sich niemand hinweg, schon gar nicht die für die praktische Einweisung zuständigen Arbeitsgruppenleiter.

Wir saßen im „ersten Lehrjahr“ zu zweit an einem Tisch, der keinen Container oder Schubladen hatte - normalerweise war das ein Ablagetisch. Dass dies dennoch keine unangenehme Situation war, lag wohl auch daran, dass meine kleine Nachbarin Sonja eine Frohnatur war. Sie konnte selbst über Kleinigkeiten herzlich und ansteckend lachen.

Mit der Zeit lernten wir uns alle kennen, selbst die Anwärter aus dem Lehrgang vor uns und später teilweise auch aus dem Jahrgang nach uns. Dafür sorgten nicht nur die privaten Connections – die wie ein Schneeballsystem wirkten sondern auch selbst organisierte „Baby-Bälle“, bei denen uns eine der im Hause vertretenen Gewerkschaften gerne unterstützte.

Unser Lehrgang wurde in 4 Gruppen aufgeteilt. Untereinander kannten wir uns aber trotzdem auch schon im zweiten Ausbildungsjahr, weil die Einteilung und der Verteilungsschlüssel vom zuständigen Personalreferat kaum nachvollziehbar war und wir quasi durcheinander geschüttelt wurden. Das war sicher nicht beabsichtigt, hatte aber, nachträglich gesehen, den Erfolg, dass die dadurch geknüpften Schicksalsbande immer fester wurden. Zu unserem „Goldenen Anwärtertreffen“, das wir 50 Jahre später im Jahre 2006 feierten, kamen immer-hin noch über 50 Ehemalige zusammen und alle duzten sich wie ehedem!

Das ist nun auch schon einige Jahre her, aber ich erinnere mich gerne, denn für mich war das deshalb so bewegend, weil ich einige Kolleginnen und Kollegen tatsächlich fast 40 Jahre nicht mehr gesehen hatte, denn ich hatte mich ja dem Außendienst verschrieben. Trotzdem wusste fast jeder, was aus dem anderen geworden war, weil ab und an mal ein dienstlich erforderliches Telefonat ein wenig „ausgedehnt“ wurde.

Wer hatte denn nun den Marschallstab wirklich im Tornister, nachdem alle im dritten Ausbildungsjahr die Prüfung bestanden hatten?

Da gab es bei den zuletzt „nur noch“ etwa 130 Probanden sechs, die mit „gut“ bestanden hatten. Um die rissen sich die Referatsbüroleiter natürlich. In den 4 Abteilungen unseres Hauses gab es mindestens 50 Referate, die von Amtmännern geleitet wurden, damals hochangesehene Verwaltungsbeamte. Wir durften noch von solchen Karrieren träumen, aber kaum einer glaubte, dass man große Chancen hatte, diese Stufe vor dem 50. Lebensjahr zu erreichen.

Von mehreren Mitstreitern wusste ich, dass sie kurz nach der Prüfung abgingen, um zu studieren - meistens Jura. Mein Nachbar, mit dem ich bei den Schulungen während der Ausbildung zusammensaß, bewarb sich beim Auswärtigen Amt. Er besuchte uns nach einer weiteren Einweisungszeit in Bonn und erzählte über die für uns unglaublichen Aufstiegsmöglichkeiten im Auswärtigen Dienst, so dass ich nach zwei Jahren, in denen ich es schon zum Arbeitsgruppenleiter geschafft hatte, ernsthaft überlegte, ob ich nicht seinem Beispiel folgen sollte – ich tat es nicht und heiratete kurz darauf – selbst gewählter Hemmschuh für Karrieren außerhalb des Betriebes bzw. außerhalb Berlins.
Dass es auch innerhalb der Behörde dann bald gute Aufstiegsmöglichkeiten nicht nur in der eigenen Laufbahngruppe gab, machten uns einige altgediente, vor allem altbekannte Mitarbeiter vor. Das wurde dann „Ochsentour“ genannt. Es dauerte aber auch noch einmal 2-3 Jahre, bis diese Herrschaften vor einem hochrangigen Prüfungsausschuss einen Eignungstest ablegen durften. Danach „hüpften“ sie in die höhere Laufbahn und begannen wie Assessoren, also junge Juristen, die das erste Staatsexamen abgeschlossen hatten, ihre Karriere. Nach oben gab es nun theoretisch kaum eine Begrenzung, auch wenn für das gute Dutzend, die die Ochsentour geschafft hatten, der Oberrat oder Direktor die Endstation war. Immerhin schafften es drei Mann, bekannte Größen zu werden. Dazu gehörte der spätere Pressereferent und der Grundsatzreferent der Personalabteilung, beide erreichten die höchste Stufe der aufsteigenden Besoldungsgruppen (A 16). Mein späterer Chef, wurde sogar Abteilungsleiter, ein Posten, der bereits in der festbesoldeten B-Gruppe eingestuft wurde.

Das Gros der Kollegen, die wir zum Goldenen Anwärtertreffen noch zusammentrommeln konnten, hatte die Verzahnungsgruppe A13 erreicht, im Amtsdeutsch: Oberamtsrat - Verzahnung deshalb, weil A13 gleichzeitig auch die Eingangsgruppe für den höheren Dienst war. Dabei waren Grundsatzsachbearbeiter, Büroleiter und wie man als Berliner sagt, „olle icke“ als Prüfbezirksleiter (einer von zweien). Nur eine einzige Kollegin, eigentlich meine Lieblingskollegin, blieb beim Amtmann stehen. Sie war und blieb in der Hamburger Dienststelle, die mir 15 Jahre nachgeordnet war, zweiter „Mann“ - sie wollte, selbst als der Leiterposten frei wurde, diesen nicht übernehmen. Sie wäre auf diesem Posten Amtsrätin bzw. sogar Oberamtsrätin geworden, aber sie hatte gute Gründe, diesen verantwortungsvollen Posten nicht anzutreten. Die Gründe verriet sie mir später – ich sage sie aber nicht weiter!

Wenn ich nun noch über den Tellerrand schaue, sehe ich bei den Abgängern sogar einen Präsidenten einer Berliner Oberbehörde und einen Rechtsanwalt, Fachanwalt für Entschädigungsrecht. Aber auch 10 liebe Kollegen, die bereits verstorben sind.

Wir hatten alle den Marschallstab im Tornister. Die meisten haben durchaus respektable Karrieren im Hause gemacht, von denen wir im Jahre 1955 bei der Bewerbung nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Damals, als ich einen Schulfreund traf, der schon bei meinen späteren Brötchengeber „lernte“, fragte ich beiläufig, welche Aufstiegschancen man denn dort hätte. Seine Antwort habe ich im Laufe meiner Dienstzeit oftmals schmunzelnd wiederholt: „Also, wenn de fümwundreißich bist, könnteste schon Obainschpetor sein. Amtmann – ja villeicht, wennde so um die fümunfufftzich bist!“ Wolfgang hieß er.
Wolfgang, ick könnt dir knuddeln!

 

Die Goldene 50 – oder?

von Fritz Schukat

Vor einigen Jahren feierte ich mit Klassenkameraden das Goldene Abitur und kurz darauf hörte ich von Freunden und Bekannten, die auch irgendwas 50-Jähriges gefeiert hatten. Kurz nach unserer Goldenen Abi-Feier gab es dann die goldene Feier aus Anlass unseres 50-jährigen Berufseintritts. Das ist, wie gesagt, schon ein paar Jahre her. Kürzlich hörte ich im Bekanntenkreis von der ersten Goldenen Hochzeit und dass die ältesten Kinder nun auch schon das 50. Lebensjahr erreicht hätten.

Schon merkwürdig, die Sache mit der „Goldenen 50“. Mein 50. Geburtstag? Mein Gott, das ist ja schon gar nicht mehr wahr. Mit 50 steht man doch noch voll im Saft! Das ist kein Alter, über das wir heute sprechen würden. Da ist man noch jung! Meine Generation, die so genannte Kriegskindergeneration ist schon weit über 70. Da ist es wirklich interessant, die vergangenen 50 Jahre nach der Schule, nach dem Berufsanfang Revue passieren zu lassen. Nach der Schule die Ausbildung, das Studium und nach dem Examen oder der Prüfung und dann die Karrierehatz! In den verbleibenden gut 40 Berufsjahren spielten sich Erfolgsgeschichten ab, aber auch ganz gewöhnliche Karrieren.*

Steht man vor dieser zunächst unglaublich langen Zeitspanne - kann man sie sich gar nicht vorstellen. Hat man sie hinter sich, dann weiß man, es war eben doch keine Ewigkeit, es war nur ein Abschnitt in unserem Leben.

Liebe, Heirat, Kinder, Enkel. Manchmal Scheidung - oft in jungen Jahren, Wiederheirat und doch schon vor etlichen Jahren Silberne Hochzeit gefeiert. Krankheiten, die die Laufbahn vorzeitig beendeten, und doch gab es einige, die so voller Energie steckten, dass das 65. Lebensjahr, die Pensionierung viel zu früh kam.

Alles in den letzten 50 Jahren passiert! - Was sind schon 50 Jahre?
So gesehen, nur ein kurzer Abschnitt in unserem Leben!

Fritz Schukat, Sept. 2009

*siehe hierzu meine Geschichte „Marschallstab im Tornister“