Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Eintopf-Sonntag von Ingeborg Eva Witt
In der Mangelwirtschaft überleben? von Heinz Münchow
Midlum von Ingeborg Eva Witt
PELLKARTOFFELN im Arbeitsdienst von Heinz Münchow
Heut gibt es Schwarzsauer ohne Marken von Werner Berg
1945 - 1947 war der Hunger und der Erfindergeist groß von Annemarie Lemster
Tante „Kaffee“ von Annemarie Lemster
Eine unverdauliche Unehrlichkeit von Annemarie Lemster
Hafersuppe, Schokolade und Erdnüsse von Annemarie Lemster
Meine erste Tüte Pommes frites von Annemarie Lemster
60 Jahre Currywurst von Annemarie Lemster
Eisbein mit Sauerkrautund Erbspüree von Fritz Schukat
Ich ess so gerne Eis von Fritz Schukat
Leibgericht von Uwe Neveling
Schweinebraten, Klöße und Gurkensalat von Fritz Schukat

 

Eintopf-Sonntag

von Ingeborg Eva Witt

Dieser Begriff ist mir aus meinen Kindertagen noch sehr gut in Erinnerung. Als Hitler 1933 an die Macht kam, war ich 14 Jahre alt, und eines Tages kam der Befehl, an einem Sonntag im Monat nur ein Eintopf-Essen auf den Tisch zu stellen.
Es gab sogar Spitzel, die unangemeldet plötzlich vor der Tür standen, um die Einhaltung des Befehls zu kontrollieren. Das war der Blockwart, so hießen die Aufpasser in einem bestimmten Bereich.
Sie mussten dafür sorgen, dass an Feiertagen die Hakenkreuzfahne herausgehängt wurde, dass im Krieg jedes Fenster ordnungsgemäß verdunkelt war und nicht der kleinste Lichtschein aus einer Ritze hinaus drang, sie mussten aufpassen, dass während eines Angriffs niemand in der Wohnung blieb, statt in den Luftschutzkeller zu gehen. Und sie horchten und schnüffelten herum, ob vielleicht eine Bemerkung über die Partei oder Hitler gemacht würde. Die Blockwarte waren gefürchtet. Und an den Eintopf-Sonntagen kamen sie in die Wohnung mit fadenscheinigen Gründen, nur um zu sehen, ob es Eintopf-Essen gab.

 

 

Meine kleine Schwester war damals 6 Jahre alt und sehr naiv. Wenn sie also in der Schule gefragt wurde, ob es ein Eintopf-Essen gegeben habe, konnte sie ganz arglos sagen: Ja, bei uns stand ein Topf mit Essen auf dem Tisch - das hatten meine Eltern so arrangiert: es stand ein Topf auf dem Tisch. Das allein war wichtig; welches Essen wir tatsächlich bekamen, hat meine Schwester gar nicht bemerkt. So vorsichtig mussten wir damals sein. Eine Einschränkung musste meine Schwester allerdings hinnehmen. An dem befohlenen Eintopf-Sonntag gab es nie Nachtisch. Wir durften an diesem Sonntag nur einen Topf gebrauchen, und für ein Essen mit Nachtisch brauchte man doch zwei Töpfe!
Heute lachen wir über diesen Eintopf-Sonntag, damals war uns aber nicht zum Lachen zumute.

 

In der Mangelwirtschaft überleben?

von Heinz Münchow

Während des letzten Weltkrieges (1939 bis 1945) und hauptsächlich danach war es schwierig, die Familie täglich satt zu machen.
Da musste die Hausfrau schon „die Augen offen“ haben, um auch „etwas Besonderes“ auf den Tisch zu bringen.
Es war in den letzten Kriegsjahren. Meine Mutter war täglich unterwegs, um Lebensmittel einzukaufen.
Ein gern gesehenes Essen waren z.B. Bratkartoffeln, aber wegen des Mangels an Fett waren sie beinah schon „unbekannt“.
Jedoch - wie ein Wunder - bot die in der Nähe befindliche Apotheke Öl zum Braten an! Meine Mutter griff natürlich sofort zu und verkündete, es gäbe eine Überraschung aus der Küche. Die Mahlzeit wurde genossen und man schwelgte in Erinnerung an frühere Genüsse.

Die Nacht darauf war sehr unruhig: Man traf sich mehrmals an der Tür zum stillen Örtchen!

Ich suchte am nächsten Tag die Flasche aus dem Abfall, in der das Öl transportiert worden war.
Was entdeckte ich auf dem Etikett?
NUJOLA – Abführ-Öl.
erstellt am 13.02.2006
gespeichert am 06.03.2006

Anmerkung:
Die Markenbezeichnung NUJOLA ist bei Wikipedia und anderen Nachschlagewerken nicht bekannt. Ich fand jedoch einen Hinweis in Englisch auf NUJOL. Dies sei ein dickflüssiges transparentes Öl, dass auch bei technischen Vorgängen benutzt wird.
Fritz Schukat, 18.05.2011

 

Midlum

von Ingeborg Eva Witt

Midlum, den 10.10.1944

Nun bin ich zur Köchin avanciert. Koche für 520 Hitlerjungen, die zum Schanzen in der Nähe von Cuxhaven eingesetzt sind. Sie sollen Panzergräben ausheben, um die feindlichen Panzer aufzuhalten.

Es ist erstaunlich, wie man mit den Aufgaben wächst. Ich habe höchstens mal für 10 Personen gekocht, und nun für 520 Jungen! Morgens Kaffee, mittags "Bunkersuppe" und abends ein richtiges Essen. Die "Gulaschkanone", ein großer Kessel, steht auf dem Feld und eine Scheune wurde zur Küche. Im Dorf Midlum habe ich bei einer Bauersfamilie ein Zimmer – hundekalt. Eisblumen am Fenster, Bett feucht und klamm. Ich sitze mit Mantel im Bett und studiere Kochbücher für Massenverpflegung: wie viel Salz braucht man zum Kochen der Kartoffeln im Kessel? Zur Hilfe habe ich Bauersfrauen, die dienstverpflichtet wurden: Gemüse putzen, Kartoffeln schälen usw.. Mich halten sie für eine "Gau-Köchin". Sie sollten man wissen, dass ich gar keine Köchin bin, aber Not macht erfinderisch.

Morgens um 5 Uhr wird der Kessel angeheizt, Wasser kocht, Malzkaffee dazu, abfüllen - fertig. Dann: Kessel saubermachen (ist schwierig, weil noch sehr heiß), Bunkersuppe ansetzen: Wasser erhitzen, Suppenpulver rein - fertig. Das Essen wird mittags von Fahrern abgeholt, die es in die einzelnen Stellungen bringen. Kessel wieder säubern, dann das Essen für abends. Das Säubern des Kessels war gar nicht so einfach. Ich bin sehr klein – 1,55m! Der Kessel tief und groß, eben eine richtige Gulaschkanone. Ich bekam einen Schemel und konnte mich dann über den Rand des Kessels herunter beugen und den Innenraum schrubben.

Damit das Essen für die Jungen nicht immer so eintönig und nur ein fader Eintopf wurde - nämlich alle Zutaten zusammen in den Topf geschüttet und gar gekocht - kamen den Bauersfrauen und mir die grandiose Idee, so zu kochen wie zu Hause.

Aus Ziegelsteinen wurden auf dem Feld Feuerstellen gebaut. Holz dafür war reichlich vorhanden. Wir sammelten die leeren Marmeladeneimer. Darin wurde das wenige zur Verfügung stehende Fleisch in kleine Stückchen geschnitten und angebraten. Das gab Bratensaft und knusperbraune Bratenstückchen! Alles in den „faden“ Eintopf getan und dann die extra gekochten Kartoffeln dazu - das gab dem Essen ein ganz anderes Aussehen, und vor allem einen besonderen Geschmack. Es machte zwar mehr Arbeit, aber die Bauernfrauen halfen gern mit. Die Belohnung für „unsere besondere Küche“ bekamen wir dadurch, dass die Fahrer, die das Essen zu den einzelnen „Bunkerjungen“ brachten, für sich selber immer nur unser Essen haben wollten, deshalb waren wir auch bei den Küchen in den anderen Orten verhasst. Man kann sich als Laie kaum vorstellen, wie man ein Essen in der Gulaschkanone schmackhafter machen kann, aber Hausfrauen oder Hobbyköche sind da erfinderisch.

Genauso machten wir es dann am Sonntag mit dem Nachtisch. Die Bunkersuppe fiel natürlich aus, weil die Jungen ihren freien Tag hatten. Wir kochten in den Marmeladeneimern Fruchtsoße für den Pudding, der im Kessel gekocht wurde. Das war aber sehr schwierig, denn der Kesselboden war ja siedend heiß und die Puddingmasse durfte nicht anbrennen. Die meisten Hausfrauen kennen diese Situation aus der eigenen Küche: wenn man einen normalen Topf nimmt und darin den Pudding aufkochen muss, muss man sehr aufpassen. Teflonbeschichtete Töpfe, wie wir sie heute kennen, gab es 1945 noch nicht.

Die Arbeit war befriedigend. Ich hatte eine Aufgabe, die Zusammenarbeit mit den Bauersfrauen war gut. Es überraschte mich nur, dass die Frauen mich junges Ding als "Köchin" anerkannten und alles taten, was ich anordnete. Aber dafür saß ich auch abends einsam und dick angezogen auf der Bettkante in meinem Zimmer, das nicht beheizt war (obwohl es schon November war) und studierte "Massenverpflegung".

Ich musste natürlich auch um die Zutaten kämpfen. Die wurden von einer "Stammführerin“ der HJ (ich weiß nicht mehr, ob das die richtige Bezeichnung war) verwaltet und nach eigenem Gutdünken ausgegeben. Je sparsamer sie etwas herausgab, umso mehr blieb wohl für sie übrig. Aber ich konnte rechnen. Was ich für die Verpflegung von 520 Jungen brauchte, konnte ich ihr exakt vortragen und bekam es dann auch.

Schlimm war für mich die Angst vor den Tieffliegern, die sehr niedrig über das Feld flogen und die Bombenalarme. Wir hatten keine Luftschutzkeller und die Bauernhäuser waren weit entfernt. Es war die Zeit, wo die Fronten immer näher rückten. Kurz vor Weihnachten 1944 wurden die Stellungen rund um Cuxhaven, Midlum usw. geräumt.

Die Jungen wurden zur Wehrmacht einberufen und meine Tätigkeit war zu Ende...

 

PELLKARTOFFELN im Arbeitsdienst

von Heinz Münchow erstellt und gespeichert am 22.04.2004

Es war im Jahr 1943. Ich war gerade mit der Schulausbildung fertig. Ich sollte Soldat werden, es war Krieg. Ich war ein Großstadtbewohner. Ich war Einzelkind. Meine Eltern hatten es bis dahin geschafft, auch in den schwierigen Kriegsjahren immer genug zu Essen und zu Trinken auf den Tisch zu bringen. Da streckte der „R A D" seine Fühler nach mir aus.
Im Reichsarbeitsdienstlager Strasburg in Westpreußen fand ich mich wieder. Zu 20 Mann in Baracken untergebracht, ging es zum Arbeiten mit Spaten und Schubkarre an die Weichsel.
Mitten im Lager stand die Wirtschafts-Baracke. Dort traf man sich zu den Mahlzeiten. "Wir“, 20 Mann, saßen an e i n e m Tisch. Der Küchendienst brachte das Essen: Pellkartoffeln, Gemüse und Fleisch. Die Kartoffeln musste sich jeder selbst pellen. Ich langte in die Kartoffelschüssel und nahm mir eine Kartoffel. Das 'Pellen' hatte ich schon zu Hause gelernt. Auf Geschwindigkeit kam es zuhause jedoch nie an, wohl aber auf die Qualität. Als ich nun meine erste Kartoffel gepellt hatte, griff ich in die Schüssel... oh Schreck, sie war leer! Die anderen waren wohl schneller!

Und die Moral von der Geschicht' ? Ich habe sehr schnell gelernt: Man kann Pellkartoffeln auch 'ungepellt' essen!

 

Heut gibt es Schwarzsauer ohne Marken

von Werner Berg, 11.04.2010

Es muss so um 1945-1946 gewesen sein, also zu einer Zeit, da alles, was zum Leben gehörte, nur gegen Abgabe von Lebensmittelkarten oder Bezugsscheinen erhältlich war, da gab es ein Mal in der Woche bei einer Schlachterei in Quickborn das so genannte Schwarzsauer ohne Marken. Nun war dieses Schwarzsauer beileibe nicht das Produkt, wie es heute im Jahre 2010, erhältlich ist. Das war eine dünnflüssige Brühe, leicht rot gefärbt und mit Grütze versehen. Aber das Produkt war ohne Abgabe von Marken erhältlich, und es war eine Basis, aus der man etwas Essbares herstellen konnte.

Schon früh am Vormittag stand auf dem Hof der Schlachterei eine lange Menschenschlange und wartete darauf, dass die Verteilung begann. Jeder hatte ein Gefäß in der Hand z.B. eine Milchkanne oder einen Topf oder ein nur in den Nachkriegsjahren gebräuchliches Gefäß: das war eine leere 1-kg-Dose aus Beständen der britischen Besatzungstruppen. Diese Dosen waren von innen sauber verzinnt und für den Lebensmitteltransport gut geeignet. Mit einem Henkel aus Draht versehen, war das der ideale kleine Eimer.

Die Wartezeit vertrieb man sich mit Gesprächen, und immer bei den Schwarzsauertagen anwesend „die Heidekrampe“ mit Geige. Die „Heidekrampe“ war ein älterer Herr. Er soll in den 1920er Jahren Alleinunterhalter in Hamburg gewesen sein. Er lebte in jenen Tagen in einfachen Wohnverhältnissen in der Quickborner Heide und war jeden Tag mit seinem kleinen Handwagen in Quickborn zu sehen. Den Handwagen benötigte er, um eingesammelte „Pferdeäpfel“ zu transportieren. Die Pferdehinterlassenschaften waren im Wagen sauber abgedeckt und darauf lagen die Dinge, welche Herr Krampe eingekauft hatte, natürlich auch seine Geige. Zu Beginn seiner Unterhaltungsmusik sang er immer seine Erkennungsmelodie, leider habe ich nur die ersten Zeilen behalten, sie lauteten:

„Ich bin die Heidekrampe,
bin überall begehrt,
tret' ich mal auf die Rampe ...“

Dann spielte er bekannte Melodien.

Irgendwann kam Bewegung in die Menge, die Verteilung begann. Vor dem Schlachthaus stand ein Tisch mit der Kasse und eine Bank mit den gefüllten Schwarzsauergefäßen. Jeder bekam eine Kelle voll - ca. 1 Liter - in sein Gefäß. Wenn die Menschenschlange gar nicht weniger wurde, lugte der Schlachter einmal um die Ecke und sofort rief die Menge: „...nicht soviel Wasser“! Aber eines war an diesen Schwarzsauertag sicher: egal, wie lang die Schlange auch war, jeder bekam seine Portion.

 

1945 - 1947 war der Hunger und der Erfindergeist

von Annemarie Lemster

Jedes Fleckchen Erde wurde damals als Garten genutzt, und wer nur irgend eine Möglichkeit sah, hielt sich auch Vieh. Dieses brauchte aber Ställe. Wer in die nächste Stadt fahren konnte, klopfte dort Steine in den Trümmerbergen. Meine Eltern konnten dieses nicht und so machten sie sich ihre Steine selber.
Lehm gab es bei uns genug. In einer Form aus Holz wurde dieser mit ein wenig Stroh zu viereckigen Steinen gestampft. Nach dem Austrocknen „mauerten" meine Eltern einen kleinen Stall. Hier fanden 15 Hühner, ein Hahn, 10 Gänse, 10-15 Kaninchen und - man höre und staune - ein Schwein ihr Zuhause. Durch ein Loch in der hinteren Wand konnte das Federvieh zum Scharren in einen Auslauf, der mit Draht oben und an den Seiten geschlossen war. Der Draht war durch den Tausch der ersten Kaninchen erstanden worden. Das Futter für die Tiere wurde im Sommer auf den Feldern gestoppelt.
Nach einer heftigen Regenperiode kam das große Unglück über diesen Stall.
Meine Eltern fanden beim morgendlichen Füttern keinen Stall mehr vor. Die mit großer Mühe selbstgebauten Steine hatten sich schlicht und einfach aufgelöst. Es sah wie ein großer Matschhaufen aus.
Diese Tatsache war aber nicht so schlimm. Schlimmer war, die Hühner und Gänse hatten das Weite gesucht. Die Kaninchen hoppelten im Graben herum und das Schwein grunzte in Bauer Webers Kornfeld. Unter einem Hohlraum saß seelenruhig die Henne auf ihrem Nest und brütete weiter. Während die Familie und Nachbarn Jagd auf die verstreuten Tiere machten, fing meine Mutter schon wieder an, Steine zu stampfen. Wieder aus Lehm und Stroh. Man muss eben kräftiger stampfen, meinte sie. Unterkriegen ließen sich die Menschen um 1946 doch nicht von Regen und Sturm!
Ärgerlich war nur, dass die Tiere beim Einfangen auf der Jagd etwas Fett verloren hatten. Fett war damals ein hochgeschätztes Lebensmittel.
erstellt am 21.04.2004

 

Tante „Kaffee“

von Annemarie Lemster gespeichert am 21.04.2004

Tante Lene trank leidenschaftlich gern Kaffee. Kaffee war nach dem Krieg nur sehr schwer zu bekommen. Tante Lene tauschte so manches gute Stück aus ihrem Wäscheschrank gegen eine kleine Tüte Kaffee ein.
Es glich einem Ritual, wenn sie ihren Kaffee aufbrühte. Immer wieder roch sie kurz einmal in die Tüte. Sie glich in dem Moment einem Raucher beim Inhalieren der lang ersehnten Zigarette. Vorsichtig nahm sie dann eine ganze Bohne in den Mund und zerkaute sie ganz langsam. Dann holte sie die hölzerne Kaffeemühle aus dem Regal und schüttete nur so viel Kaffee hinein, dass es für zwei Tassen ausreichte.
Noch immer auf der Bohne kauend, klemmte sie die Mühle, auf einem Stuhl sitzend, zwischen ihre Beine und fing langsam an zu mahlen.
Während dieser Zeit summte auf dem Herd schon der Wasserkessel. Das Kaffeemehl kam nun in eine kleine Kanne. Aus der Mühle wurde mit einem Pinsel jedes verborgene Stäubchen herausgeholt.
Das sprudelnd kochende Wasser goss Tante Lene über den gemahlenen Kaffee. Der Duft, der dann durch den Raum zog, machte sie fast (heute würde man sagen) high. Sie legte eine schöne Tischdecke auf und holte eine Sammeltasse aus ihren Schrank. Der Kaffee wurde durch ein Sieb in die Tasse gegossen. Nun hatte sie Genuss pur.
Den Kaffeesatz brühte sie am Tag darauf noch einmal auf. Ein drittes und ein viertes Mal setzte sie ihn in einem kleinen Topf auf. Dann kam aber keine Tischdecke mehr auf den Tisch. Das nun nur noch etwas gefärbte Wasser wurde aus einer einfachen Tasse getrunken.
Für mich ist Tante Lene immer meine Tante „Kaffee“ geblieben.

 

Eine unverdauliche Unehrlichkeit

von Annemarie Lemster

In der Zeit, als Knochen für eine Suppe nur für gute Worte unter dem Ladentisch gehandelt wurden, gab es in den Schlachte-reien den Markkloß. Dieser war, wie ich heute weiß, zum größten Teil aus Rindertalg und gekörnter Maggibrühe gemacht.
Wenn meine Mutter eine Gemüsesuppe kochen wollte, erstand sie im Schlachterladen einen, wenn die Suppe gut werden sollte und das Geld reichte, zwei dieser Markklöße.

Lagen diese gelblich, weißen Klöße dann auf dem Tisch und es war ein kleines Krümelchen davon abgefallen, so naschte ich dieses schnell. Waren sie erst in der Suppe gekocht, fand sich darin kaum mal ein Krümel wieder. Talg schwimmt ja oben, aber dieses wusste ich damals noch nicht.

In meiner Fantasie bekamen immer nur mein Vater oder meine großen Geschwister diese für mich so köstlichen Klöße. Eines Tages schickte mich meine Mutter zum Einkaufen. Da beschloss ich, dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten. Ich nahm mir vom Wechselgeld 10 Pfennige und kaufte mir so einen köstlichen Markkloß. „Einen schönen Gruß an deine Mutter", sagte die Schlachtersfrau und schon fing das schlechte Gewissen an zu schlagen. Ich dachte, hoffentlich fragt sie Mutti nicht, ob die Suppe gut geschmeckt hat. Es war jetzt egal, ich hatte den Kloß gekauft, und ich wollte endlich auch einmal einen ganzen Kloß essen. Auf einem Seitenweg an der Innerste packte ich meinen Markkloß aus.

Speichel sammelte sich schon eine ganze Weile in meinem Mund. Nun war es so weit. Ich schaute mich vorsichtig um, ob mich auch niemand sah, denn ich hatte ja gestohlen. Die ersten Krümel wanderten in meinen Mund. Oh, schmeckte das gut!

Dann kamen die nächsten winzigen Bisse, ich wollte ja möglichst lange von dem Markkloß essen. Dieser war nicht einmal so groß wie meine kleine Kinderfaust. Nach dem zweiten oder dritten Biss merkte ich, in meinem Mund klebte es so merkwürdig. Am Gaumen pappte es so, und der Geschmack war auch nicht mehr der gleiche, den ich immer bei dem genaschten Krümel von Muttis Kloß hatte. Langsam merk-te ich, so ein Kloß schmeckt gar nicht so gut.

Tapfer aß ich weiter, denn schließlich war dieser Kloß ja von ge-stohlenen 10 Pfg. gekauft. Gut die Hälfte von dieser, jetzt nicht mehr so großen Köstlichkeit, war in meinem Bauch. Da merkte ich, mir wird schlecht. Das war die Strafe. Ich schaute mich um, ich war immer noch allein auf dem Weg und – schwups - flog der „köstliche" Kloß in die Innerste. Nun hatte ich ein doppelt schlechtes Gewissen. Nicht nur meine Mutter hatte ich bestohlen, nein ich hatte auch Essen fortgeschmissen.

Zu Haus stimmte natürlich das Wechselgeld nicht. Mutti schimpfte, „Du musst besser aufpassen.“ Sie glaubte, ich hätte das Geld verloren, oder wollte ich, dass sie dieses glaubte, denn mir war fürchterlich schlecht, nicht nur von dem Kloß. Sie musste doch merken, hier stimmte etwas nicht. Aber kluge Mütter schweigen manchmal.

Dieses Erlebnis hat mich geprägt. In meinem ganzen Leben hat die Ehrlichkeit einen ganz hohen Stellenwert. Ehrlichkeit ist ganz leicht, wenn man immer an das schlechte Gewissen nach einer Tat denkt.

 

Hafersuppe, Schokolade und Erdnüsse

von Annemarie Lemster erstellt am 06.01.2008

Bei solch einer Überschrift wird jeder denken, wie passt dieses zusammen. Es passt, denn hier geht es um die Schulspeisung in den Hungerjahren nach dem Krieg.
Es war zwischen 1945-46, in den Schulen gab es eine Schulspeisung. Die Kinder waren nach dem Krieg oft unterernährt und so wurde in vielen Ländern für Deutsche Kinder Lebensmittel gesammelt. In den noch vorhandenen Großküchen wurden hiervon Suppen für uns Kinder gekocht. Wir mussten ein Behältnis und einen Löffel mit in die Schule bringen, woraus wir dann unsere Suppe löffeln konnten. In meiner Schule in Sarstedt gab es sehr oft Hafersuppe. Gegessen haben wir sie alle, ob sie uns allen geschmeckt hat, war eine andere Sache. Mein Behältnis war ein altes Kochgeschirr aus dem Krieg, ebenso wie mein Löffel. Es gab auch Kinder, die hatten eine einfache Konservendose mit. Es war uns doch allen egal, wo hinein die Suppe kam, Hauptsache es gab welche. Manchmal gab es auch Griessuppe, die mochte ich lieber. Die Hafersuppe hieß bei uns immer Spucksuppe, weil die Spelzen vom Hafer noch darin waren und wir sie immer ausgespuckt haben.
Wunderbare Tage waren für uns immer, wenn es mal Keks, Schokolade oder Erdnüsse gab. Nun war es aber nicht so, dass jedes Kind eine Tafel Schokolade oder eine Packung Keks bekam. Nein, wenn es pro Klasse 8 oder 10 Stück einer Sorte gab, so wurde durch die Anzahl der Schüler geteilt und diese teilten sich dann wiederum dieses eine Teil. Bei uns wurde immer auf der Fensterbank geteilt. Nun standen überall kleine Gruppen z.B. um einen Riegel Schokolade herum. Die Schokolade war ein dicker, etwa 5-6 cm breiter und 15 cm langer Riegel, ähnlich der heutigen Blockschokolade. Ein Kind wurde nun bestimmt, die Schokolade zu teilen. Es ging immer gerecht zu. Wenn mal etwas abgebrochen war, wurden die Krümelchen dem Kind zugeordnet, das dran war. Es schmeckte köstlich. Heute gelingt es mir nicht mehr, so lange an einem Stück Schokolade zu lutschen wie damals. Kekse konnte man leichter teilen. Wenn es einmal Erdnüsse gab, gingen wir wieder zu der Fensterbank. Die Dose wurde ausgeschüttet und dann, wie schon beschrieben, durch die Anzahl der Kinder geteilt. Wir passten alle auf! Wenn es halbe Nüsse gab, musste derjenige zwei davon bekommen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mal Streit gab.
Gut erinnere ich mich noch an etwas, wofür ich mich noch lange geschämt habe. Es gab mal wieder Erdnüsse und da dieses etwas war was, ich vorher nicht gekannt hatte, glaubte ich, meine Mutter kennt es auch nicht und wollte ihr nun auch einmal Erdnüsse zu essen geben. Auf dem Nachhauseweg lagen zwei dieser Köstlichkeiten gut verwahrt in meinem Taschentuch in meiner Hand. Meine Gedanken auf dem Heimweg waren immer bei den beiden Nüssen. Sie haben leider Mutti nicht kennengelernt. Ich habe sie gegessen. Obwohl meine Mutter gar nichts von den Nüssen wusste, hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Ich habe es ihr bis zu ihrem Tod nicht gesagt, obwohl ich doch genau wusste, sie hätte darüber nur gelacht.

 

Meine erste Tüte Pommes frites





von Annemarie Lemster erstellt am 27.02.2007

Es muss 1965 gewesen sein, als ich meine ersten Pommes gegessen habe. In Northeim hatte an der Hauptstraße ein kleiner Imbiss aufgemacht. Nicht größer als eine Wohnküche, vielleicht war es auch davor eine gewesen. Gleich hinter der Tür standen drei Stehtische und dann gab es noch einen kleinen Tresen, hinter dem Herr Delfs stand und Bratwurst briet. An der Rückwand war der kleine Kessel mit Fett, in dem die Kartoffelstäbchen schwammen bis sie goldbraun waren.
„Ihr müsst mal zu „Delfs“ gehen, da gibt es tolle Bratwurst und Pommes frites in der Tüte“, hörten wir von einigen Kameraden meines Mannes. Viel Geld hatten wir damals nicht, aber einmal wollten wir uns dieses Neue doch auch mal gönnen. An einem Abend, die Kinder schliefen schon lange im Bett, machten wir uns auf den Weg. Es war ein langer Weg, denn wir wohnten am Rande der Stadt. Erwartungsvoll betraten wir den kleinen Laden. Ein Schwall von vielen Gerüchen begrüßte uns. An den Tischen standen Menschen, die eine Wurst aßen, Bier tranken und auch rauchten. Hinten am Tresen brutzelten die Würste und dahinter lagen dann die goldenen Pommes. „Eine Tüte Pommes, bitte“, sagte mein Mann. Wir bekamen eine kleine spitze Pergamenttüte, vollgefüllt mit den duftenden Kartoffelstäbchen. Mein Mann zahlte 50 Pfg., nahm noch zwei Holzspieße mit und wir verließen den Laden. Auf dem Weg nach Haus holten wir uns abwechselnd mit den Holzstäbchen immer eine Pommes aus der Tüte. Ganz langsam und mit Genuss kauend, erreichten wir unser Haus.
Etwas später gab es auch schon mal Ketchup oder Majonäse zu den Pommes. Das Geschäft lief gut und so dauerte es nicht lange, da konnte man auch Frikadellen oder gebratene Koteletts dort kaufen. Wir haben uns noch lange eine Portion Pommes aus der Tüte geteilt, bis wir so verschwenderisch waren und uns jeder eine Tüte voll kauften.

 

60 Jahre Currywurst

von Annemarie Lemster aufgeschrieben am 29.12.2009

Auch dieses kleine leckere Ende hat in diesem Jahr Geburtstag. Seien wir doch mal ehrlich, haben wir nicht alle schon mal unseren kleinen Hunger an dieser scharfen Wurst gestillt? Ob die Wurst nun längs oder quer durchgeschnitten wurde, sie war für viele doch ein großes Erlebnis.

 

Eisbein mit Sauerkraut und Erbspüree

von Fritz Schukat erstellt im September 2010

Mein Großvater, Jahrgang 1882, kam als junger Ostpreuße kurz nach der Jahrhundertwende nach Berlin. Er hatte Schuhmacher gelernt, aber diesen Beruf wollte er sicher dort nicht mehr ausüben. Er wollte mehr. Berlin war zu dieser Zeit eine aufstrebende Stadt. Die Elektrifizierung war im vollen Gange, die Gaslaternen wurden langsam durch elektrische Kandelaber ergänzt, die Pferdebahnen wurden nun mit Elektromotoren betrieben, auch die Pferdekutschen wurden bald durch selbstfahrende Automobile mit dem von Benz erfundenen Verbrennungsmotor ersetzt, kurzum, es begann eine „Mobilmachung der besonderen Art“. Die Gemütlichkeit des gerade vergangenen 19. Jahrhunderts war damit endgültig vorbei.
Der junge Mann aus Ostpreußen ging zu den städtischen Betrieben, machte eine Eignungsprüfung und wurde als Straßenbahnfahrer angestellt. Er bekam eine stattliche Lederbekleidung, Lederkappe und Schutzbrille und stand bei Wind und Wetter auf dem offenen Perron an der Kubel. Doch bald wechselte er seinen Beruf und verdingte sich als Taxichauffeur. Aber auch dort saß er anfangs ungeschützt „auf dem Bock“, nur die Beförderungskabine war geschlossen. Das war schon eine Stufe besser, denn ein Taxi musste selbst gelenkt werden, und es gab keinen festen Fahrplan. Zwischen den einzelnen Touren gab es immer noch viel Zeit, sich auszuruhen und mit den Kollegen ein Schwätzchen abzuhalten. Inzwischen hatte der junge Mann „seinen Deckel“ gefunden, war seit einiger Zeit verheiratet und zog mit der Familie von Schöneberg nach Rixdorf - so hieß Neukölln um diese Zeit noch - um dort eine größere, für die damalige Zeit sehr komfortable Wohnung „trocken zu wohnen“. Er hatte seinen Traumberuf gefunden und das Drum und Dran gefiel ihm.
Opa war nicht sehr gesprächig, aber wenn wir Kinder mal um ihn herum saßen und er Geschichten aus seiner Jugendzeit erzählte, glänzten seine Augen spitzbübisch. Die Autos fuhren damals natürlich noch nicht so schnell, sagte er, und Karambolagen gab es auch. Aber die Fahrzeuge waren robust, es wurde noch viel Holz verarbeitet und wenn es einen Schaden gab, wurde der schnell beim Schmied oder Tischler behoben. Die wichtigste Verkehrsregel, die es gab, war wohl das Rechtsfahren, ansonsten „regelte sich alles von selbst“. „Promille“ war ein Fremdwort, mit dem man damals noch nichts anfangen konnte, deshalb war es auch üblich, dass die Taxifahrer in den Pausen durchaus ihr Bierchen tranken, vielleicht auch mal zwei oder drei. Dazu aßen sie natürlich auch gut, und zwar das „Nationalgericht der Taxifahrer“: Eisbein mit Sauerkraut! Dazu gabes Erbspüree und knusprig-kross gebratene Schinkenspeckwürfel. Dass man darauf einen Verdauungsschnaps trinken musste, war doch selbstverständlich!
Rund um den Hermannplatz in Neukölln gab es auch noch in den 1950er Jahren Taxi-Haltestellen entweder unmittelbar neben den Großdestillen oder ganz in Nähe, wo man auch damals noch ein gepflegtes Eisbein essen konnte. Ich erinnere mich an so spektakuläre Namen wie „Rollkrug“, „Zum Hammer“ oder den „Blauen Affen“ am Kottbusser Damm bzw. in der Hobrechtstraße. Vor dem ersten Weltkrieg hätte man dort sogar noch selber Bier gebraut, so erinnere ich mich an Opas Erzählungen. Aber das wurde offenbar bald eingestellt. Das Bier kam dann von den großen Brauereien wie „Berliner Kindl“ in der Neuköllner Hermannstraße oder „Schultheiß“ in Kreuzberg.
Ich bin bei den Großeltern aufgewachsen, und wenn ich jetzt sage, „bei uns“ gab es nie Eisbein, dann meine ich den Haushalt der Großeltern, die sich nach dem frühen Tod unserer Mutter seit 1947 rührend um uns drei Geschwister bemühten. Wieso aber Großmutter, die meinen Schwestern Wirtschaftsführung und Kochen beibrachte - sie hatte das in ihrer Jugend, als sie „in Stellung“ war, von der Pieke auf gelernt - wieso sie nie Eisbein kochte, kann ich nicht mehr sagen. Ich hätte es auch gar nicht essen wollen, es hatte für mich den Anschein eines Arme-Leute-Essens. Ich übersah das zarte Beinfleisch, sah nur die dicke Fettschicht, und die mochte ich einfach nicht. Ähnlich dachte ich auch über Hering in allen Variationen – mit Ausnahme des Rollmops.
Die Jahre vergingen, ohne dass ich je in die Verlegenheit gekommen wär, mal zum Eisbeinessen eingeladen worden zu sein. Erst nach der Wende, und zwar an einem Ort, wo ich nie vermutet hätte, dass man dort diese gute alte Tradition noch weiter pflegte, nämlich in Rostock. Da habe ich dann mein erstes Eisbein gegessen.
Wir hatten unsere Außenstelle zuerst im Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen eingerichtet, das war aber so dezentral, dass wir uns um einen der ersten Neubauten in Rostocks City am Doberaner Platz bemühten. Wir hatten Erfolg. Der Umzug ging schnell über die Bühne und wurde durch meine Mitarbeiter hervorragend gemanagt. Ich pendelte damals zwischen Hamburg, Rostock und Bernau, weil wir dort in dem ehemaligen FDGB-Ausbildungszentrum unsere Mitarbeiter ausbildeten. Es blieb also für mich kaum Zeit, mich mal in Rostock umzusehen. Ein kurzer Imbiss im Gemeinschaftsraum war das höchste der Gefühle. Die ständigen Mitarbeiter der Dienststelle waren da doch anspruchsvoller und tatsächlich gab es eine Geheimadresse ganz in der Nähe: der „Stralsunder“. Eine alteingesessene Gaststätte, die angeblich schon seit Ende des 19. Jahrhunderts dort existiert, ein schmales Handtuch, im Hochparterre des damals noch unansehnlichen Hauses, erreichbar durch dessen Hauseingang über ein paar Außenstufen. Viel Platz war dort nicht und man musste sich beeilen, einen Tisch zu bekommen. Reservierung oder telefonische Platzbestellung gab es damals noch nicht.
Der kommissarische Dienststellenleiter, Ende 40 und sportlich und durchtrainiert - zumindest sah es so aus - machte eigentlich nicht den Eindruck, als wenn er sich für deftiges Essen begeistern könnte. Wenn er mir gesagt hätte, dass er Vegetarier sei, hätte ich es ihm abgenommen. Und dieser Typ schwärmte mir von den einzigartigen Eisbeinen vor, die man im „Stralsunder“ bekomme, natürlich nur, wenn man unter den ersten 12 Besuchern ist! Ich war nicht allzu begeistert, ausgerechnet fern der Heimat erstmals ein Eisbein zu verspeisen, aber es führte kein Weg mehr daran vorbei. Ich wusste, in der DDR konnte man in den vielen Speiselokalen deftiges, wohlschmeckendes Essen nach altdeutscher Art bekommen. Zutaten: kräftiges, fettes Fleisch, Pfeffer und Salz, Sahne und Pilze, Gurken, Sauerkraut, auch mal Rote Bete, natürlich Kartoffeln. Nudeln höchstens in der Vorsuppe! So kochte auch meine Großmutter und so kochten meine Schwestern – wenn ich sie mal besuchte. Ich freute ich mich, wieder einmal „wie bei Großmuttern“ zu essen! Mit dieser Erwartungshaltung ging ich einfach mit, weil ich dachte, sicher wird es dort auch Sauerbraten, Schnitzel oder so etwas geben!
Die Küche des Restaurants befand sich im Souterrain des Hauses und das Essen wurde mit einem kleinen Fahrstuhl per Seilzug nach oben befördert. Wie der Chef in den Schankraum kam, weiß ich nicht, es wird aber etwas komplizierter gewesen sein. Trotzdem kam er pünktlich um 11:30 Uhr hinauf, nahm sich die Schüssel mit den Eisbeinen und trug sie zur Ansicht durch den Raum, man sah ihm an, dass er stolz war, diese Prachtexemplare herumzuzeigen. Minuten später standen dann die Portionen auf unserem Tisch. Nach kurzem Bewundern der überquellenden Teller ging es los. Ich habe aber erst einmal zugeguckt, was meine Kollegen machten. Der Fettmantel wurde an einer Stelle durchschnitten und fiel von selbst vom Fleisch. Das Muskelfleisch war zart, es zerging auf der Zunge und - es schmeckte hervorragend! Die kleine Portion Sauerkraut und das Erbspüree - die Sättigungsbeilage! - reichten auch aus. Ich konnte kaum noch, und auch meine Mitstreiter waren wohl schon satt. Auf den Tellern war nur noch die rosane Schwarte mit dem Schwabbelfett zu sehen. Ich dachte mir, das geht nun dann zurück, gut so. Das Mahl war aber noch nicht fertig, denn alle begannen sich größere Stücke dieses fettigen Zeugs mit Mostrich mit viel „ooch und hmm“ einzuverleiben. Ich konnte kaum hinsehen, wagte dann aber auch ein paar Bissen - und wieder erging es mir wie schon oben beschrieben: es schmeckte! Na ja, alles aß ich nicht auf, aber die Kollegen ließen eigentlich nur noch kleine Stücke der Schwarte zurückgehen. Ein unvergessliches Erlebnis. Ich habe es oft erzählt und manchmal auch verzückte Blicke beobachten können.

Es war mein einziges Eisbein - ever!

 

Ich ess so gerne Eis

von Fritz Schukat erstellt am 20.10.2010

Natürlich ist ein gepflegter Eisbecher beim Italiener etwas Feines und in Gesellschaft schmeckt er immer noch am besten. Zum Abschluss noch ein Cappuccino und dann ist die Welt wieder in Ordnung. Mögen wir heute noch!
Wieso gerade die Italiener so tolle Eiskreationen hervorzaubern, will ich gar nicht erst versuchen zu ergründen. Ein farbenfroher Früchtebecher mit Papierschirmchen ist ja auch ein Augenschmaus! Da haben die Südländer eben ein Händchen für.
Meine Liebe zum Eisschlecken ist schon so alt wie meine Schultüte. Damals während des Krieges gab es nur billiges Wassereis, aber wir haben das gerne geschleckt. Einen Unterschied zu heute hab ich nicht in Erinnerung.
Nach dem Krieg bin ich öfter mit meinem Vater Eisessen gegangen. Er hat dann den Rest in seinem Glas immer sämig gerührt, was ich gar nicht verstand. Jeder so wie er will, dachte ich damals! Heute mach ich es genauso!
Am Neuköllner Hermannplatz gab es nach dem Krieg eine Eiskonditorei, die ihr bestes Geschäft mit Straßenverkauf machte. In einen viereckigen Speziallöffel wurde unten ein passendes Waffelstück gelegt, dann nach Ansage mit einer Holzkelle Eis aus den verschiedenen Kühlbehältern hinein geschmiert und schließlich obendrauf wieder eine Waffel gepresst. Die Eiswaffel - etwa 4x4x8 cm - konnte man aus dem Löffel herausziehen und bekam sie gleich in die Hand gedrückt. Sie wurde im Laufen oder einfach beim Herumstehen ausgeschleckt - ein Kindertraum!
Einige Jahre später gab es dann die Waffeltüten. Die erste Kugel wurde tief hinein gequetscht und war Basis für weitere Kugeln. Könner konnten bis 4 Kugeln schlecken, ohne dass es tropfte. Gegen Ende der Schleckerei wurde die untere Spitze, die schon aufgeweicht war, zusammengepetzt und abgebissen. Durch die Öffnung wurde dann der schon flüssige Rest wohlig ausgesaugt. Dass es Leute gab, die die Tüte dann einfach wegschmissen, konnte ich nicht verstehen. Was kümmerte uns damals schon Hygiene!
Eiswaffeln gibt es nicht mehr, allenfalls mal eine Tüte. Softeis wird allerdings noch so „gezapft“. Die Eishersteller verkaufen heute ihr Eis verpackt. Eis am Stiel mit Krokant und so, auch schon mal in Pappbechern, an denen ein kleiner Plastiklöffel klebt, mit dem man dieses steinharte Zeugs kaum herauspolken kann.
Wir haben uns jetzt darauf eingeschossen, beim Discounter Eis in Plastikbehältern zu 2-2 ½ l zu kaufen. Das kann man im Tiefkühlschrank aufbewahren und nach Lust und Laune selber portionieren und dekorieren. Ich hab mir angewöhnt, etwas Eierlikör rüberzuträufeln! – Köstlich kann ich nur sagen!

 

Leibgericht

von Uwe Neveling erstellt am 25.06.2009

„Was willst Du heute Mittag essen?“ fragt mich meine Frau. Das fragt sie fast jeden Tag. „...mir fällt nichts mehr ein“, fügt sie noch hinzu. „Ich zerbreche mir den Kopf und Du sagst nichts!“ Sie sieht mich verzweifelt an. Ich denke nach.

Wir haben eine Wohnung im vierten Stock eines fünfstöckigen Hauses. Das Haus liegt inmitten des Industriegebiets. Durch das Küchenfenster blickt man auf das Betriebsgelände der Stadtwerke. Davor verläuft der Ruhrschnellweg. Der Autoverkehr ist kurz nach dem Krieg unbedeutend. Hinter den Stadtwerken liegt die Bergarbeitersiedlung. Die Kohle für die Hochöfen des Stahlwerks wird mit Kipploren über eine Drahtseilbahn direkt von der Zeche zum Werk befördert. Die Kipploren hängen am Drahtseil wie auf einer Perlenschnur. Vor unserem Haus verläuft die Wohnstraße. Auch auf ihr gibt es kaum Verkehr. Auf der Straße können wir Fußball spielen. Wir spielen aber auch sehr gerne in der gegenüber liegenden Ruine der im Krieg zerstörten evangelischen Kirche. Heute ist Sonntag. Im Haus und auf der Straße ist es noch ruhiger als sonst.

Die Küche ist ungefähr 20 qm groß und bevorzugter Aufenthaltsraum. An der Türwand steht links in der Ecke ein alter Küppersbusch-Herd. Er ist unsere Wärmequelle und unsere Kochstelle. An der kurzen Wand zur Fensterwand hin steht der Küchenschrank, auch ein Vorkriegsmodell. Ein Waschbecken befindet sich an der gegenüberliegenden Seite, links daneben die Tür zu einem kleinen Vorratsraum. In der Küchenmitte steht ein rechteckiger Tisch, an dem vier Personen bequem Platz haben. Die sitzen auch am Tisch und warten auf das sonntägliche Festessen.

Auf dem Herd steht ein großer Topf mit kochendem Wasser. Auf dem Topfboden ruhen Kartoffelklöße, die darauf warten, nach oben getrieben zu werden. Dann sind sie nämlich gar. Neben dem Kochtopf wird Hackfleisch angebraten. Das soll heute unser Sonntagsessen sein, Klöße mit gebratenem Hack. Zuvor hat unsere Mutter zwölf große, gekochte und geschälte Kartoffeln mit dem Reibeisen fein gerieben, Eier, Salz und etwas Muskatnuss dazu getan und alles leicht untereinander gerührt. Aus dieser Masse hat sie runde Klöße geformt und diese dann in das kochende Salzwasser gelegt. Die Kochzeit beträgt eine gute Viertelstunde. So lange müssen wir uns gedulden. In der Zwischenzeit wird das Hack in der Pfanne kross gebraten, mit Zwiebeln, Salz und Pfeffer gewürzt. Mit Jubelrufen wird der erste nach oben gesprudelte Kloß begrüßt. Jetzt tauchen nach und nach die anderen Klöße an der Oberfläche auf. Sie landen schnell auf unseren Tellern. Jeder erhält aus der Pfanne mit dem Hack eine große gehäufte Kelle zugeteilt. Die Dämpfe und der Geruch dieses Mahls steigen mir in die Nase. Der Magen knurrt und freut sich auf das, was kommt. Ich teile meinen Kloß in kleine mundgerechte Stücke, stippe damit in den Hackhaufen und führe den so präparierten Gabelbissen zum Mund. Ich kaue genussvoll und schmecke, bevor ich den Bissen herunter schlucke. Die Klöße sind apfelgroß. Ich esse zwei und bin dann satt. Ich habe das Essen genossen und es macht mir nichts aus, dass man mich zum Abwaschdienst eingeteilt hat. …..

Das alles erzähle ich meiner Frau. Heute gibt es bei uns Klöße mit Hack. Ich bin neugierig, wie es mir schmecken wird. Allein die Vorfreude lässt die Bilder der Vergangenheit in mir aufsteigen. Ich bin wieder zu Hause in meinem Arbeiterviertel und freue mich auf zukünftige Köstlichkeiten wie Reibekuchen, Pellkartoffeln mit Quark sowie Kuchenteig, den ich aus der Schüssel schlecken darf.

Diese Zeit möchte ich nicht missen. Sie hat mich zu dem gemacht, der ich bin.

 

Schweinebraten, Klöße und Gurkensalat

von Fritz Schukat erstellt am 20. April 2010

Ich esse eigentlich gern und kann mich manchmal abends nicht so richtig vom Kühlschrank verabschieden. Irgendetwas Essbares finde ich da immer und wenn es nur ein Stückchen Hartwurst ist. Dabei war ich als Kind doch ziemlich muksch. Wenn es z.B. Kartoffelklöße gab, wurden für mich in einem kleinen Töpfchen immer ein paar Kartoffeln gekocht, weil ich Klöße nicht mag. Das hat sich bis heute nicht geändert. Grüne Bohnen – auch die wollte ich nicht. Der intensive Geschmack, die harte Lederhaut und vor allem die Fäden! Ich weiß nicht, vielleicht hat man inzwischen bessere Sorten gezüchtet, Prinzess-Bohnen krieg ich heute schon mal runter. Früher, als die Hausfrauen die Bohnen noch selbst gesäubert haben, blieb schon mal der eine oder andere dieser schrecklichen Fäden an der Schote und gerade diese eine muss ich dann wohl in den Schlund bekommen haben. Ich habe mich beim Husten fast übergeben, seitdem meine Antipathie. Kann man sicher verstehen.

Bei grünen Gurken ist es ähnlich. Gurkensalat „esse“ ich noch Stunden später bis in den Abend, das ist unangenehm. Vielleicht waren die Gemüsegurken früher auch urtümlicher und hatten einen intensiveren Geschmack – heute ess ich Gurkensalat auch schon mal, wenn er serviert wird. Das sei sehr gesund, sagt meine Frau, „Du musst viel mehr Grünzeug essen!“ Aber wie gesagt, manchmal schmecke ich ihn noch nach Stunden!

Seit meiner Jugendzeit habe ich schon viel Kompromisse gemacht, was das Essen nicht so geliebter Speisen anbelangt. Auch bei den Meeresfrüchten gibt es vieles, was ich einfach nicht über die Lippen bekomme. Zum Beispiel Aal – also, wenn er ganz frisch geräuchert ist, kann sich meine Frau hineinsteigern! Begreife ich nicht! Kochfisch ist auch nicht mein Dung und Muscheln, gar Austern - igitt! Um mal von hinten anzufangen, also Rollmops und Bismarck-Heringe, Rotbarschfilet und Fischstäbchen, das geht noch, aber alles andere – damit kann man mich jagen.
Meine Frau hat sich darauf eingestellt, und wenn sie Appetit auf Aal oder Lachs hat, bleibe ich immer außen vor.

Neulich sprachen wir wieder einmal im Familienkreis über meine Macken. Da erinnerte sich meine Frau an ein Essen, das meine damalige 'Schwiegermutter in spe' Anfang der 1970er Jahre extra für ihren angehenden Schwiegersohn zusammenstellte: Es gab Schweinebraten, Kartoffelklöße und als Beilage Prinzess-Bohnen, dazu Gurkensalat! Wie ich dieses Mahl ohne anzuecken konsumiert habe, erinnere ich nicht mehr, aber die Gastgeberin hat jedenfalls an diesem Tage nicht erfahren, wie ich mich dabei fühlte!