Unsere Erlebnisse

Erlebnisse auf dieser Seite

Die Autoanmeldung von Klaus Trautmann
Mein Führerschein von Klaus Trautmann
Erinnerungen an Besuche bei der Oma in Berlin von Burkhard Ehlers
Doppelte Republikflucht - oder auch nicht von Jürgen Hühnke
Frühstück in Neubrandenburg von Fritz Schukat
DDR - Begegnungen von Heinz Münchow
Transit von Hans Meier
Ein Teddy mit Vergangenheit von Dr. Hildegard Kahlert
Prager Schrei von Annemarie Lemster
Der erste Eindruck ist nicht immer der richtige von Annemarie Lemster
Von Deutschland durch Deutschland nach Berlin von Annemarie Lemster
Volksaufstand 1953 von Sigrid Gehrken
Konsumparadies Intershop von Jürgen Hühnke
FEINDBILD OSSI von Jürgen Hühnke
Die Ossis der Ossis von Jürgen Hühnke
Real existierende Funktionäre, Polen und Semmeln von Jürgen Hühnke
Erinnerungen von Uwe Neveling
Grenzland von Uwe Neveling
Ich fliege über die Mauer von Uwe Neveling
Vor 20 Jahren - Wiedervereinigung von Annemarie Lemster
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten! von Fritz Schukat
Alte Pioniere in der DDR von Fritz Schukat
Blumenkohlsuppe mit Fleischeinlage von Fritz Schukat Die Autoanmeldung

 

Die Autoanmeldung

von Klaus Trautmann erstellt im Juli 2014

In der DDR strebten eine Vielzahl von Bürgern mit dem Besitz des Führerscheines den Erwerb eines fabrikneuen Pkw an. Um eines dieser begehrten Objekte sein Eigen zu nennen, war es erforderlich, dieses mit einem Bestellschein anzumelden. Auch ich hatte diese Bedürfnis entwickelt, um meine Freizeit, den Urlaub und anderes mehr individueller gestalten zu können.

Da sich in unserer Kreisstadt ein Geschäft für den Verkauf von Kfz-Ersatzteilen und freien Verkauf von Motorrädern befand, das als einzige Institution im Territorium Anmeldungen für Pkw vergab, nutzte ich mit Vollendung des 16. Lebensjahres diese Möglichkeit, mit dem Ausfüllen einer solchen dem entfernten Ziel entgegenzusehen.

So waren Lieferzeiten von anfänglich sieben bis zehn Jahren für die verschiedenen Fahrzeugtypen wie Trabant, Wartburg, Lada, Polski Fiat, Skoda, Moskowitsch und Dacia die Regel, jedoch verlängerten sich diese immer weiter, wobei eine ständige Verfügbarkeit des Wunschwagens nicht unbedingt gegeben war.

Um möglichst schnell zu meinem Glück zu gelangen, orientierte ich mich gleichermaßen auf den Trabant und Wartburg Tourist, welche mir einerseits durch unterschiedliche Wartezeiten das Ansparen der Kaufsumme erleichterte und andererseits zeitlich versetzt, erstmalig die Wahl des Erwerbs zwischen zwei Produkten eröffnete.

Leider wurden die Fahrzeuge nicht in ausreichender Menge produziert, was bedingt durch fehlende Materialien und anderes mehr, weitgehend unterstützt wurde.

So konnte das wichtigste Wirkprinzip des Sozialismus, die Planwirtschaft, diesbezüglich seinen eigenen Anspruch, die stetig bessere Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen zu gewährleisten, zumindest auf diesem Gebiet nicht gerecht werden. Folglich entwickelte sich neben der Produktion von neuen Pkw ein Gebrauchtwagensektor, welcher in freier Verantwortung der Bürger nach dem Grundsatz von Angebot und Nachfrage funktionierte.

Neuere und alte, auch reparaturbedürftige Pkw sowie Ersatzteile hatten, abgesehen von den wenigen Fachgeschäften für Ersatzteile, keinen stabilen Preis mehr, sondern regulierten sich über den dem Sozialismus unüblichen Marktpreis.
Da für mich die Aussicht auf eine zeitnahen Erwerb eines neuen Pkw nicht gegeben war,
überraschte es mich, dass ich einen der angemeldeten Pkw erhalten sollte, was auch geschah. Ein zwischenzeitlich angeschaffter Gebrauchtwagen in gutem technischen Zustand tat es nun auch, und ich verkaufte diesen neuen Pkw ab Autohaus meistbietend an einen Interessenten. Mit diesem Geld beabsichtigte ich, für mich folgerichtig, den auszuliefernden Pkw der Zweitanmeldung zu finanzieren. Leider wurde mir diese nicht ausgeliefert bzw. versagt. Daraufhin legte ich Beschwerde bei der Arbeiter- und Bauerninspektion/* ein. Von dieser erhielt ich die Mitteilung, dass mir nur alle drei Jahre ein neuer Pkw zustehen würde.

Da diese Aussage sich im Widerspruch zu den üblichen Wartezeiten von nun 10 - 14 Jahren befand, die Auslieferung zu dieser Pkw Anmeldung schon drei ]ahne überfällig war, führte ich eine nochmalige Rücksprache, mit dem Ergebnis, dass ein dringender volkswirtschaftlicher Bedarf bestehe, der Vorrang gegenüber meinen persönlichen Angelegenheiten hat.

Im Fazit meiner privaten Handelsbemühungen konnte ich dann nur feststellen, dass die Hoffnung, über die Realisierung meiner Zweitanmeldung die “Alu-Mark” in eine „Goldmark“ zu verwandeln, damit endgültig gescheitert war.


/* „Arbeiter- und Bauerninspektion" kurz "ABI"
war ein demokratisches Kontrollorgan in der DDR, das gemeinsam mit der Öffentlichkeit selbständig u. unabhängig ohne Ansehen der Person, getrennt von Partei-, Staats und Wirtschaftsorganen Hemmnisse u. Missstände in der Wirtschaft aufzeigen und beseitigen sollte.

 

Mein Führerschein

Jetzt Ungültige Fahrerlaubnis 

In dieser Geschichte unseres Autors, der bis zur Wende in der DDR lebte und erst später nach Quickborn zog, erfahren wir authentisch, wie dort Fahrerlaubisberechtigungen ausgestellt wurden und welche Unterschiede zu dem westdeutschen System bestanden. Trotzdem gibt es keinen Zweifel, in puncto Bürokratie gab es zwischen der DDR und der Bundesrepublik nicht den geringsten Unterschied!

Mein Führerschein
von Klaus Trautmann erstellt im Oktober 2011

Im Jahr 1967 begann ich meine zweijährige Lehre in der Sozialistischen Landwirtschaft, welche mit der Übergabe des Facharbeiterzeugnisses in einer Spezialisierungsrichtung wie Pflanzen- und Tierproduktion endete. Für diese umfassende Tätigkeit war natürlich der Erwerb einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Traktors, mit für das spezielle Berufsbild weiterführenden Berechtigungsscheinen z.B. Stallarbeitsmaschinen, Hubladern und verschiedenen Ackergeräten erforderlich.

Mancher von uns Lehrlingen hatte allerdings schon als Schüler die Möglichkeit, in der 8. bis 10.Klasse die Fahrerlaubnis für Moped (50 cm⊃3; ) oder auch ab der 10.Klasse zum Führen der Klasse 1 (Motorrad) bis 125 cm⊃3; genutzt und somit zumindest diesbezüglich auch praktische Grundfähigkeiten für das Bedienen von Kraftfahrzeugen erlangt.

Voraussetzungen für den Erwerb jeder Klasse waren in der Lehre, neben den obligatorischen Gesundheitszeugnissen zur Überprüfung der Grundvoraussetzungen für die Berufstauglichkeit, ein im Fahrerlaubnisantrag ausgewiesener Untersuchungsbefund. Auf diesem wurde generell die Tauglichkeit zum Führen eines Kfz mit und ohne Bedingungen, wie zeitliche und völlige Untauglichkeit bescheinigt. Bei vorhandenen Beeinträchtigungen hielt man dort weitere hinweisende Bemerkungen zum Tauglichkeitsstatus fest.

Das Führen der verschiedenartigen Kraftfahrzeuge, vom Moped bis zum Lkw, verlangte dabei die Zuordnung von differenzierten Tauglichkeitsgruppen zu den entsprechenden Fahrzeugklassen, was auch der heutigen Praxis entspricht.

So war die Mindesttauglichkeit C die Voraussetzung für die Klasse III Traktor/ Moped, B die Klasse IV Pkw, und A für Klasse V Lkw - alle ohne besondere Tauglichkeitsstufe und Berechtigung für spezielle Kfz.

In der Folge wurde die theoretische Prüfung durch meinen unmittelbaren Fahrlehrer, die abschließende praktische Prüfung durch einen prüfungsberechtigten zweiten Fahrlehrer abgenommen und festgehalten. Neben der beantragten Fahrerlaubnisklasse 1 bis V, war die obligatorisch vergebene Fahrerlaubnisnummer, hier D 494 020 auf der VK 30 (Nachweiskarte über die Ablegung der theoretischen u. praktischen Prüfung), vermerkt. Parallel dazu erschien diese Nummer ebenfalls auf der unmittelbaren Fahrerlaubnis und einem zugehörigen Berechtigungsschein. Diese Eintragungen wurden durch die Abteilung Verkehr beim Volkspolizeikreisamt vorgenommen und dort registriert.

Mit der endlichen Aushändigung der eigentlichen Fahrerlaubnis erfolgte die Übergabe des schon erwähnten Berechtigungsscheines. Mit seinen fünf Stempelfeldern, ähnlich wie das Flensburger Punktesystem, konnte damit die Verkehrspolizei, je nach Verstoß gegen die Straßenverkehrs- und Straßenverkehrszulassungsordnung, sofort am Ort des Vergehens die Möglichkeit einer Erziehungsmaßnahme einleiten.

Ein bis zwei Stempel waren neben Geldstrafen eine übliche Maßnahme die Kfz-Führer für ihr ordnungswidriges Verhalten zu „belohnen“. Mit dem fünften Stempel erfolgte der Entzug der Fahrerlaubnis mit der Rücknahme des Dokumentes und dem Bescheid über die Zurücknahme der Fahrerlaubnis mit entsprechender Begründung des VPKA (Volkspolizeikreisamt). Die Möglichkeit der Wiedererteilung wurde dabei mit einer kurzen Begründung nicht ausgeschlossen.

So wurde ein polizeiliches Führungszeugnis bei erheblichen Verstößen und nachweislich bestehender rechtskräftiger, gerichtlicher Maßnahmen dem Arbeitgeber vorgelegt, der seinerseits positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung der Persönlichkeit nehmen sollte.

In meinem Fall beantragte ich, nach der Wende und vergangenen 29 Jahren freiwilliger Rückgabe der Fahrerlaubnis, diese erneut. Nachdem selbige in den Archiven der zuständigen Behörde schon lange verschwunden war, ergab der Zufall, dass sie das Tageslicht wieder sah. Auf dem Postweg erhielt ich einige Zeit später einen schriftlichen Bescheid, der mich in dieser Angelegenheit an das Verkehrsamt verwies.

Da ich trotz eines ungeklärten Verkehrsunfalles ohne fremde Beteiligung vorsorglich diese Fahrerlaubnis von der Polizei zurücknehmen lies, verlangte die jetzige Führerscheinstelle eine Bescheinigung über meine gesundheitliche Eignung zum Führen von Kfz, ein polizeiliches Führungszeugnis, die Absolvierung einer theoretischen und praktischen Prüfung mit inklusiven Tag- und Nachtfahrten. Das alles lehnte ich ab. Daraufhin wurde meine Akte mit dem Vermerk 'Fahrerlaubnis- Rückgabe' endgültig geschlossen.

Zuvor lies ich mir, wie schon erwähnt, das betreffende Dokument aushändigen. Um sicher zu gehen, dass ich meine altgeliebte Fahrerlaubnis nicht mehr verwenden konnte, wurde vom Amt jede Seite mit dem Wort "Ungültig" abgestempelt und zur Sicherheit nochmals die untere, rechte Ecke abgeschnitten.

Damit hatten die Bürokraten aus ihrer Sicht wieder einmal einen Verwaltungsakt erfolgreich abgeschlossen. Ihre innere Zufriedenheit war voll und ganz wieder hergestellt.

Jetzt Ungültige Fahrerlaubnis

 

Erinnerungen an Besuche bei der Oma in Berlin

In meiner Landkartengeschichte, die ich vor einiger Zeit aufgeschrieben habe, bemerkte ich im letzten Absatz:

Mein absolutes Highlight ist aber ein Stadtplan von Berlin aus dem Jahre 1915. Er ist etwa anderthalb Quadratmeter groß, vierfarbig, leider zusammengefaltet und an mehreren Knickstellen gerissen. Ich muss ihn irgendwann einmal auf einer entsprechend großen Leinwand sorgfältig aufkleben, muss mir dafür aber noch von einem Buchbinder Ratschläge holen, denn einfach mit UHU aufkleben, wäre fatal. Der Kleb muss säurefrei sein, und so etwas kostet schon ein paar Pfennige mehr. Dazu braucht man auch Zeit, Muße und Platz wie für ein Riesenpuzzle! Das will ich in den nächsten Monaten in Angriff nehmen.

Ich lernte kürzlich eine Dame kennen, die sich in ihrer Freizeit mit dem Buchbinden beschäftigt, sie restauriert auch alte Folianten. Das interessierte mich ungemein, hauptsächlich aber wegen der Frage, wo gibt es säurefreien Kleb und wie könnte man meine alte, zerschlissene Karte wieder ordentlich zusammenflicken. In netter Runde fragte ich drauf los und bekam überraschende Antworten. Einer der Zuhörer war nun seinerseits so begeistert, dass er mich bat, ihm - falls überhaupt möglich - eine Kopie des Teils der Karte anzufertigen, auf dem die Naugarder Straße im Bezirk Prenzlauer Berg dargestellt wird. Dort wohnte seine Oma, die er Mitte der 1950er Jahre mehrmals besucht hat. Viele Erinnerungen an die damalige Zeit seien noch gegenwärtig und er würde sich freuen, die alte Karte anzuschauen.
Ich habe sofort einen Teil dieser Karte kopiert und ihm per e-Mail geschickt.

Fritz Schukat, August 2011

Lesen Sie, was das ausgelöst hat:

Erinnerungen an Besuche bei der Oma in Berlin
von Burkhard Ehlers

...du hast mir mit den e-Mails 'ne große Freude bereitet, und dann noch so schnell.
Hoffentlich bekommst du die Karte wieder zusammen !

Wenn ich so die Wege als kleiner Butsche bei der Oma in Berlin aus heutiger Sicht auf dem Plan "ablaufe", habe ich den Eindruck, die sind heute wieder genauso lang und weit wie damals vor 55 Jahren. ...tja, Berlin ist schon groß.

Es hat sich von damals viel in meinen Kopf eingespeichert. Die Wege leben alle wieder auf und schöne Erinnerungen schwemmen an die Oberfläche des Erinnerns. Obwohl sich das meiste im ehemaligen Ostsektor Berlins abspielte, war mir der Unterschied Ost/West damals nicht so wichtig.

Erst nur schwach, wird es langsam immer mehr und mehr, an das ich mich erinnere, springen die Gedanken hin und her. Die Oma - Naugarder Straße „3. Etage Vorderhaus“ im Bezirk Prenzlauer Berg (Osten) - als kleiner Junge selber für mich alleine am Ende der Straße in der verräucherten Kneipe kaufen. Die Tante - Kiautschoustraße, 3. Etage Vorderhaus (Westen) - wir waren immer nur in der Küche. Der Onkel - Bezirksschornsteinfegermeister in Wilhelmsruh, Hauptstraße Ecke Lessingstraße (Osten) - auf dem Motorrad mitfahren und Hühner selber schlachten dürfen, der Tante die ganze Torte allein aufessen. Wenn dem Onkel das Essen nicht passte, ging es mal schnell zur Imbissbude am Rathaus, 'ne Bockwurst essen. Den Bezirk zur Brandschau mit dem Onkel auf dem Krad abfahren, an der Tankstelle die Benzindüfte des Zweitaktgemisches genüsslich zu inhalieren. Wertstoffe sammeln.

Im Milchladen der Naugarder Straße im 2. Hinterhof standen die Milchkühe in einer zum Stall umgebauten Wohnung hinter dem Verkaufsstand. Es roch unangenehm nach den Fäkalien der Tiere.
Die Milch im großen, offenen Kübel - ohne Kühlung - war von den Fliegen stark umschwärmt und wurde mit drei unterschiedlich großen Messbechern "abgewogen", in die eigenen, mitgebrachten Gefäße geschenkt.

Dort Kartoffelschalen abgeben - dafür Anmachholz erhalten. Der - damals für mich - „arme alte“ Mann saß in der Kälte draußen und hackte den ganzen Tag vor sich hin. In der Drogerie neben an mit dem Geheimwort „Kultura“ nach selten geliefertem Klopapier, (das wurde nur unter dem Ladentisch verkauft) zu fragen, dort Petroleum-, Seife-, Waschmittel-Gerüche wahrnehmen.
In der Greifswalder Straße, im Fischgeschäft loses Sauerkraut aus dem Fass und Butter vom großen Block kaufen. Nebenan von der öffentlichen, offenen Telefonzelle ein Ferngespräch mit der Mutter in Hamburg haben, kurz "mir geht es gut" hauchen, denn die Gebühr war hoch, oder ein schnelles Telegramm: „...gut angekommen-stop-malzbier schmeckt-stop...“ nach Hamburg senden.

Im Sommer wird von einem Pferdegespannwagen Eis zum Kühlen verkauft, von großen langen Blöcken werden kleine Brocken abgeschlagen. Briketts werden in Rückenkiepen mühsam in die dritte Etage getragen, im Badezimmer gestapelt! Einmal in der Woche wurde der Badeofen angeheizt, der Ofen im Wohnzimmer in der kalten Zeit täglich. Ein Raum der Zwei-Zimmerwohnung war einer Studentin abvermietet. Die junge angehende Ärztin aus Gera hatte ein Skelett im Zimmer, wie gruselig! Ich habe sie abgehört, wenn sie vor den Prüfungen mir ihr Wissen preisgab. Nerven, Muskeln, Blutbahnen, Knochen, lateinisch - gefärbt mit dem Sprachklang Thüringens! Und ich konnte schon lesen, alles im Lehrbuch verfolgen. Wenn sie zur Uni war, schnappte ich mir ihr Akkordeon und brachte mir - vor dem Spiegel stehend - das Musizieren von Kinderliedern bei.

Es gäbe noch so viele Dinge zu berichten, die unsere heutige Jugend sich nicht vorstellen kann.

Die Distanz Hamburg - Berlin 8 Stunden lang allein im Zug verbringen, „abgegeben“ beim Zugpersonal zum Aufpassen. Fahrkartenkontrolle mitmachen und die Pappdeckel knipsen oder hinten im Triebfahrzeugkopf sitzen dürfen. Hui, wie rasten da die Schwellen unter uns nach hinten weg! Dort ist es heiß. Extrem laut sind die mangelhaft schallgedämmten Dieselmotoren. Bedenklich schlingernd in den Weichenbereichen - auf den abgefahrenen Schienen - der hintere Zugkopf beängstigend hin und her. Nicht immer durfte ich im „Fliegenden Hamburger“ - Nachfolger mitfahren, meistens waren es nur die normalen Züge mit der Dampflokomotive.

Büchen - Schwanheide, die Grenze zwischen West- und Mitteldeutschland passieren, schwere Zugkontrolle durch die Grenztruppen erleben. Bahnhof Schwanheide mit allem Gepäck „aus dem Zug“ hinter den anderen Fahrgästen hinterher stolpern. Es ist dunkel und windig, ungemütlich. Müde Milchglaskugellampen erleuchten spärlich die Räumlichkeiten. Parolen gegen den Westaggressor kleben an den Wänden. Alle Taschen öffnen. Fremde, uniformierte Menschen wühlen darin herum. Papiere aus dem Brustbeutel holen, vorzeigen. Ein-/Ausreise-Stempel knallen auf das Dokument.

Die Reisenden reden flüsternd, kommentieren das Geschehen. Scharfe Befehle sind die Reaktion, sie verschüchtern mich: „Wo sind deine Eltern?“ werde ich barsch angefahren. „Ich fahre allein zur Oma“, berichte ich stolz, werde aber dafür nicht gelobt, sondern erneut kontrolliert.
Sie finden nichts, weil ich nichts Verbotenes habe. Was sie suchen sind Bücher, doch die schwache Abteilbeleuchtung lässt ein Lesen im Zug nicht zu.

Nochmals hinter den anderen hinterhertrotteln, das Abteil wieder aufsuchen suchen, wieder mit keinem Mitreisenden reden, nicht auf Fragen antworten. Das war mir von der Mutter und der Oma so eingeschärft worden, es könnte ein Spitzel sein! Als es weiter geht, entspannt sich die Situation etwas.

Der Teddy gibt mir mein Vertrauen langsam wieder zurück. Den einschläfernden Schienenstößen zuhören, durch die schlecht schließenden Fenster den Fahrtwind spüren. Bei Regen die Wasserfahnen an der Innenseite der Abteilscheibe umlenken. >Nicht hinauslehnen!< ist in vier Sprachen zu lesen. Den Ruß der verbrannten Kohle auf der Zunge spüren. Vor sich hin duseln. Träumen nacheilen. In der Nacht die schwach beleuchteten Bahnhofschilder versuchen zu lesen. Den Funkturm, liebevoll langer Lulatsch genannt, erspähen. Bahnhof Zoo: Noch nicht aussteigen, weiter mitfahren bis Friedrichstraße.
Aus! Wir haben einen Streckenposten überfahren. Zwei Stunden Zwangsaufenthalt auf freier Strecke (ich nun schon 8 Jahre). Eine unendlich lange Zeit will nicht vergehen, wir dürfen den Zug nicht verlassen. Grenzsoldaten mit laut bellenden, scharfgemachten Schäferhunden bestimmen in kurzer Zeit das Szenario. Angst - beflügelt von Müdigkeit - stellt sich urplötzlich ein. Der Lokführer wird abgeführt, irgendwann kommt eine Ablösung für ihn.
Endlich! Um 1 Uhr 30 der Oma auf dem Bahnsteig übermüdet in die Arme fallen – dann rotzfrech ihr die erste Frage stellen: ...hast du Bier zu Hause ??

Ach, das sind nur einige Gedankensplitter der Bahnreisen. Was fällt mir nicht alles noch zu den späteren Flugreisen Fuhlsbüttel - Tempelhof ein. Oder zu den Reisen durch die Mitfahrerzentrale mit dem Auto von Moabit bis Hamburg ZOB - mal über die Autobahn Berlin - Braunschweig - Hannover – Hamburg, mal über Bundesstraße 5 (im Osten Fernstraße) - Lauenburg - Ludwigslust - Karstädt - Perleberg – Nauen – Dallgow/Döberitz. Hier waren die russischen Soldaten, Kasernen und Panzer ganz aus der Nähe zu sehen. Aber auch bei diesen Fahrten waren Grenzanlagen zu durchfahren.

Als Schlusssatz schrieb er dann:

Lieber Fritz, ich wollte dich nicht zumüllen, habe einfach nur meine Gedanken fließen lassen und nicht Korrektur gelesen. Entschuldigung dafür! Darf dir gar nicht sagen, wie langsam ich schreibe, wie viel Zeit ich für die paar Zeilen benötigt habe. Das war mir aber wohl wichtig!
Jetzt breche ich ab, werde mich noch vom TV entspannen.
LG Burkhard

Ein paar Punkte und Komma habe ich eingesetzt und ganz wenig gedreht, das macht man so beim Redigieren – aber sonst ist alles „pur“ - wie es aus seiner Feder sprudelte.
Es war eigentlich nur ein sehr persönlicher Brief, ich fand ihn aber so toll, dass ich auch andere daran teilnehmen lassen wollte.

Ich habe die Auflassung bekommen!

 

Doppelte Republikflucht - oder auch nicht

von Jürgen Hühnke erstellt im August 2011

Bis zum Verbot der KPD 1956 war meine Mutter Mitglied und Funktionsträgerin dieser Partei, führte die Tätigkeit dann in der DKP fort - in der Deutschen Kommunistischen Partei selbstverständlich, gab es doch unter diesem Kürzel auch einmal eine Deutsche Konservative Partei.

Mindestens einmal im Jahr fuhr meine gläubige Mutter hinüber in das „Vaterland der Werktätigen", in den „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden", schwelgte in dessen glorreichen Errungenschaften. Noch 1990, in ihrer Todesanzeige, nannte sie ihr Lebensgefährte eine „aufrechte Kommunistin".

In den frühen 1950er Jahren, wenigstens bis zu Stalins Tod 1953, war ich gleichgeschaltet und lief - im Westen mit dem Blauhemd der DDR-Jugendfreunde herum. In der Phase postpubertärer Abnabelung besann ich mich aber und wandte mich zwecks lebenswieriger Beziehung einer holden Pastorentochter zu.

Meine Schwester, etwas jünger als ich, lief um 1958, als Polizistenmörder Erich Mielke just die Stasi übernommen hatte, Spitzbart Ulbricht West-Berlin als Teil des DDR-Territoriums reklamierte und die Sowjetunion den Viermächtestatus für obsolet erklärte, noch ein wenig spurtreu weiter. Als sie die Mittlere Reife in der Tasche hatte, setzte sie sich in die Eisenbahn und fuhr ost- und elbaufwärts nach Pirna, wo ihr ein Platz in der Fachschule für Erzieherinnen reserviert war.

Der Unterricht dort wurde ihr bald vergällt, da er noch viel mehr Spurtreue erheischte, zog sich die Indoktrination doch durch alle Lernfächer hin. Im breitgefächerten Deutschunterricht wurde sogar Goethes „Faust" für die Ideologie vereinnahmt. Getreu einer Tendenz, die sich schon im Goethebuch der Leningrader Germanistin Marietta Schaginjan von 1950 abzeichnete, sah der Protagonist Seiner Exzellenz des Weimaraner Geheimrats bereits den Sozialismus voraus, wenn er den teufelsbündle-rischen Gelehrten dem Meer durch Deichbau Neuland abgewinnen lässt, so wie Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin das Sowjetland elektrifizierte und der verehrte Genosse Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili alias Stalin dasselbe großindustrialisierte.

(Hier möchte ein Kritiker wohl einhaken und fragen, ob denn mit dem listigen Erwerb der dem Kolonisationswerk im Wege stehenden Hütte, von den Senioren Philemon und Baucis auf eine Düne gesetzt, und mit dem Ruin der beiden Greise wohl die Zwangskollektivierung symbolisiert werde. Ein anderer könnte zu wissen begehren, ob auch Benito Mussolini wegen der Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe „faustisch" zu nennen sei. Oder Eva Herrmann könnte es belieben, ihren „Autobahnbauer' Adolf Hitler dem Doktor Johann Georg Faust, der bei Goethe Heinrich heißt, gleichrangig an die Seite zu stellen.)

So wurden also die Pirnaer KiGa-Schülerinnen intensiv politisch bearbeitet, insbesondere auch durch die FDJ-Funktionäre, die keine Gelegenheit ausließen, zum Eintritt in die GST, die paramilitärische „Gesellschaft für Sport und Technik", zu werben. Doris hatte für beide Bereiche wenig Neigung. Die Bemühungen der „Jugendfreunde" hatten eher den Effekt, dass für meine Schwester „der rote Lack" ab war. „Sabogentin" war sie dadurch noch nicht sogleich, wie ihre Mitschülerinnen gesagt haben könnten. Allenthalben sprach ja die Staatspropaganda von westlichen Agenten und Saboteuren, die hinter allen Rückschlägen beim „Aufbau des Sozialismus" die Finger im Spiel hatten. Wann und wo immer ein unerklärliches Phänomen auftrat, wussten die Mädchen, es müsse entweder eine „Hallunkination" sein oder aber das Ergebnis von „Sabogenten"-Tätigkeit.

Der Allgegenwart dieser Sabogenten begegnete die DDR durch die Omnipräsenz der Kader. Diese Bezeichnung geht auf das Quadrat zurück, in dem Kompanien Aufstellung nehmen, heißt im russischen Militärvokabular „Kadr" und ist von dort ins Deutsche übernommen worden. In den romanischen Sprachen entspricht ihm, auch auf die Truppe bezogen, die Esquadron oder Schwadron. So ist es nur folgerichtig, dass DDR-Kader sehr ausgiebig schwadronieren, wie etwa in Betreff der GST-Anwerbung. Wer noch viel plapperte, das waren die Gören im Kindergarten, die mit bereitwillig ausgeplauderten Details über die Männerbesuche bei ihren Muttis ergötzten. Das delektierte die Kindergärtnerinnen in spe stets aufs Neue: Wäre hier nicht ein Arbeitsfeld für Detektive oder Aufklärer zwecks Abschöpfung?

Doch nicht dort wurde abgeschöpft, stattdessen im Erzieherkollektiv, in der Gruppe der Mitschüler. Eines Tages wurde den Mädchen ein Deutschaufsatz abverlangt, getarnt als „Charakteristik", eine Darstellung über eine der Zimmergenossinnen, deren gefestigten oder schwankenden Klassenstandpunkt, samt einer Beurteilung, ob die Jugendfreundin das Zeug zu einer umfassend sozialistischen Persönlichkeit habe. Doris gab ein jungfräuliches Blatt Papier ab.

In der DDR gaben damals, im Frühjahr 1960, die Bezirke, zuerst Rostock, zuletzt Karl-Marx-Stadt, die Vollendung der Kollektivierung bekannt. Das waren gewissermaßen sozialistische Frühlingsgefühle, die bei vielen Fluchtbegehren auslösten (weshalb dann bald der „antifaschistische Schutzwall" gegen sie errichtet wurde). Irgendwie schloss sich Doris dem Trend an.

Frühlingsgefühle bestimmten sie jedoch nicht. Was die Freundinnen an Kollektiven für erstrebenswert hielten, das „Zweierkollektiv", hätte wohl auch eher behindert ...

Nachdem der eingangs erwähnte Polizistenmörder Mielke gerade so aufmunternd gegrüßt hatte und sie den Gruß nicht hatte erwidern mögen, setzte sie sich in die Eisenbahn und fuhr west- und elbab-wärts Richtung Heimat. Immerhin galt sie gemäß Pass als Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland. So wie ihre Reise von 1958 keine Flucht war, fehlte es jetzt an einer Republik.

Für unsere Mutter, die das völlig anders sah, bedeutete die Rückkehr ihrer bis dato so gehätschelten Tochter einen argen Schicksalsschlag. Der nächste und wahrlich nicht gelinde Schrecken folgte mit kleiner Verzögerung, da Doris, nachdem sie eine neue Ausbildung zur Steuerfachgehilfin absolviert hatte, noch die Begründung eines Zweierkollektivs in Angriff nahm und sich dazu einen Kunst- und Sportlehrer in der Behindertenpädagogik erkor, der allerdings zum Zeitpunkt der ersten Dates der bösen NATO, als Maat der Bundesmarine nämlich, angehörte.

Nun ja, bei solchen Kindern wie uns war wohl, auch damals schon, mit dem glorreichen Sieg des Sozialismus schwerlich zu rechnen.

 

Frühstück in Neubrandenburg

von Fritz Schukat erstellt am 03.10.2008 (Auskopplung)

Wir waren im Mai 1990 mit vier Mann in einem Info-Bus in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Damals konnte man in der DDR eigentlich nur in Interhotels übernachten, und die schlugen auch heftig zu! Eine Übernachtung kostete meist 150 DM (West!). Manchmal jedoch konnte man an dem Preis doch „drehen.“

Dass Interhotel eben doch nicht gleich Interhotel war, haben wir dann verdutzt in Neubrandenburg festgestellt. Gab es im "Warnow" in Rostock ein fantastisches Frühstücksbüffet bei freier Auswahl, im Übernachtungspreis einbegriffen, so musste man im Hotel "Vier Tore" in Neubrandenburg am Büffet anstehen und an einer Kasse vorbeilaufen. Dort standen Inspektoren mit scharfem Blick, die im Nu alles, was man auf dem Teller hatte, taxierten und einen entsprechenden Bon ausstellten, der später auf der Gesamtrechnung erschien. Das kam uns irgendwie zu dumm vor und so beschlossen wir, am nächsten Tag im Hotel nur kurz eine Tasse Kaffee zu trinken, um dann ganz feudal auf dem Bus zu frühstücken. Wurst, Käse und Butter hatten wir bereits am Vortag eingekauft und ich holte am nächsten Morgen beim Bäcker schräg gegenüber 15 Brötchen, diese kleinen, hochgelobten Backwerke, denen die Ossis heute noch nachtrauern. Die wurden - noch halbwegs warm - in eine größere Spitztüte aus Packpapier eingewickelt. Die Verkäuferin verlangte von mir 75 Pfennige - Ostwährung, versteht sich! Ich frage verdaddert: „…ein Brötchen?“ „Nein, alle zusammen!“ Ich bekam wahrscheinlich rote Ohren und muss ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt haben. Stotternd verlangte ich dann noch schnell eine Packung "Vollkornbrot", ein eingeführtes West-Produkt, das wahrscheinlich für Ostler unerschwinglich war, die Packung zu 3,50 MDN. Ich war dann schließlich froh, dass ich wenigstens ein bisschen mehr Geld ausgegeben hatte, ich hätte sonst das Gefühl gehabt, etwas Unanständiges gemacht zu haben.

So kam ich dann bepackt mit den besagten 15 Brötchen und dem "West-Brot" zum Bus und fühlte mich einigermaßen versöhnt. Zu der Zeit kostete im Großraum Hamburg ein Brötchen bereits 35 Pfennige - West -, und wir zahlten das ohne Murren!

Das Frühstück auf dem Bus hat uns trotz, oder sogar wegen der unglaublich billigen Brötchen vorzüglich gemundet!

 

DDR - Begegnungen

von Heinz Münchow 1. Speicherung am 04.06.2008

Zweimal im Jahr fuhren meine Frau und ich nach West-Berlin, um unseren alten Onkel zu besuchen. Wir fuhren mit dem Auto auf der Bundesstraße über Lauenburg zum ersten Kontrollpunkt auf dem Gebiet der DDR. Da wir wussten, dass dort nicht nur die Ausweiskontrolle stattfand, sondern das mitgeführte Bargeld kontrolliert wurde, musste der Beifahrer die Zeit zum Sortieren und Zählen des Inhaltes unserer mitgeführten 7 Geldbörsen nutzen. Die Summe ergab 270.- DM.
Guten Mutes hielten wir am Kontrollpunkt und wurden mit „Geldkontrolle“ zum Aussteigen aufgefordert. Noch immer guten Mutes legten wir unsere 7 Geldbörsen auf einen Tisch und zählten: 10-20-20-10-5-5 = 70,- DM. Es sollten aber 80,-- DM sein. Der Fehler muss beim Zusammenzählen entstanden sein. Jetzt brachte auch mehrmaliges Geldzählen keine Hilfe.
Da ergriff meine Frau die Initiative: Sie leerte alle 7 Geldbörsen auf einen Tisch und zählte: „20-10-10-10-10-5-5-5-5“ = 80,-- DM! Dank des Tricks meiner Frau konnten wir aufatmen und der DDR-Soldat ebenfalls.
Wir bereiteten die folgenden DDR-Transitreisen besser vor!

Namensänderung Eine andere Episode spielte sich im Dienstzimmer desselben Kontrollpunktes ab. Wir fuhren wieder über Lauenburg zum Kontrollpunkt. Wir hatten Ausweise und Geld bereit.
Inzwischen hatten wir neue Personalausweise erhalten, die Bürger der DDR ebenfalls. Bei der Schreibweise von Namen und Orten soll es Unterschiede gegeben haben, den Buchstaben Ü als UE in die Datenverarbeitung übernommen zu haben. – Daran dachte ich, als ich beim Ausfüllen der DDR-Durchreise-Formblätter bei dem Namen Münchow aufmerksam wurde. Schreibe ich jetzt mit Rücksicht auf DDR-Computer lieber MUENCHOW ? Ja, ich tat es ! Und die Folgen ? „Wollen Sie einem DDR-Bürger mit Hilfe einer Namensänderung zum Hochverrat verhelfen ? Nur mit Mühe nahm man meine Erklärung zur Kenntnis. („Oder glauben Sie, dass unsere Computer schlechter sind als Ihre ?“) – Die lange Zeit meines Verhöres saß meine Frau voller Ungewissheit im Auto und befürchtete, dass ich verhaftet würde.
Schließlich durfte ich doch gehen.

....auf der Autobahn
Bei Besuchen in West-Berlin musste man Straßen und Autobahnen im Gebiet der DDR benutzen. Wesentliche Unterschiede im Benutzen der Straßen gab es nicht... oder doch ?
Autobahn der Bundesländer:
Einfahrtsregel: Fahrbahnbenutzer hat Vorfahrt, hinzukommendes Fahrzeug muss warten. In den Bundesländern hat sich eingebürgert, durch Benutzen der linken Spur (wenn sie frei ist) dem „Neuen“ die Einfahrt zu erleichtern. Und so fuhren wir auf der rechten Spur und näherten uns einer Einfahrt. Wir sahen einen Wagen in der Einfahrt und machten ihm „selbstverständlich“ Platz, indem wir auf die linke Fahrbahn wechselten.
Wenige Kilometer weiter wurden wir von der Besatzung eines Vopo-Streifenwagens angehalten und wegen dieses Verstoßes gebührenpflichtig verwarnt.
Man hatte uns offenbar mit Ferngläsern beobachtet.

 

Transit

von Hans Meier erstellt am 15.05.2008

Nach einem Wochenendbesuch bei meinem nach Berlin verzogenen Freund, fuhr ich 1987 von Berlin wieder zurück in die BRD über die Transitstrecke durch die DDR.

Da ich diese Strecke schon mehrmals befuhr, wusste ich, worauf ich zu achten hatte. Nach jeder Brücke oder einem der Fahrbahn nahegelegenen Hügel musste ich aufpassen, dass ich die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 100 km/h nicht überschritt. Die Kontrolle ging soweit, dass sich hinter einer nur wenige Meter von der Fahrbahn entfernten kleinen Tanne oder Kiefer ein Blitzgerät befinden konnte, um Temposünder zur Kasse zu bitten, und ich sah bei jeder Fahrt, dass mehrere Geräte auf dieser Transitstrecke aufgestellt waren.

Die Fahrt ging in eintöniger Weise geradeaus bei langsamen 100 km/h. Bis man auf eine Querautobahn stieß, wo ein Wachposten auf einem Turm seinen Dienst tat, hier musste man auf die neue Autobahn wechseln. Aber bis dahin hatte ich ja noch Zeit, denn kurz bevor man abbog, waren auf der rechten Seite einige Seen zu sehen, da wusste man - gleich kommt die Abfahrt.

Ich fuhr so vor mich hin, bis mir mein Zeitgefühl sagte, „die Seen müssten doch eigentlich schon längst zu sehen sein!“ Weitere 5 Minuten vergingen und ich wurde ganz nervös. Kein See zu sehen! Habe ich geträumt und war schon längst vorbeigefahren? Dann müsste doch schon längst der Turm vom Wachposten zu sehen gewesen sein.

Endlich kam ein Rastplatz, ich hielt hinter einem dort parkenden Trabbi an, die Motorhaube war auf und ein Mann schaut neugierig zu mir rüber. Ich fragte höflich: „Wenn ich da weiterfahre, wo komme ich dann hin?“ „Nach Rostock“, entgegnete der Mann. Ich glaube, ich wurde kreidebleich, ich war in der tiefsten DDR! Die nehmen mich doch hopp, dachte ich entsetzt.

„Sie haben wohl die Abzweigung verpasst?“ fragte er mich, ich nickte und machte schleunigst, dass ich in mein Auto kam und fuhr weiter. Ich war in Panik, ich fuhr in Richtung Rostock und konnte nicht wenden. Beim Transitbeginn hatte ich einen Zettel bekommen, der wurde am Ende kontrolliert, ob ich die 2 Stunden eingehalten habe, denn länger durfte die Fahrt nicht sein. Die nehmen mich auseinander, wenn ich in dieser Zeit nicht da wäre, dachte ich noch. Plötzlich war die Mittelleitplanke unterbrochen, so etwas kannte ich gar nicht aus der BRD. Die Fläche zwischen den beiden Richtungsfahrbahnen war ausgebaut und geteert, ich konnte also durchfahren und umdrehen und nicht erst nach Rostock fahren. Es war kein anderes Fahrzeug zu sehen und ich drehte um.

Mit Freude fuhr ich auf der entgegengesetzten Fahrbahn an dem Trabbi vorbei und gab Gas. Mit 140 km/h raste ich mit meinem Talbot durch die Landschaft. Ich musste Zeit einholen, aber wenn ich zu schnell bin, blitzen sie mich hier. Ach was, hier blitzen die nicht, dachte ich, hier ist doch kein Transit. Wenn die dich hier erwischen, nehmen die dich auseinander und den Wagen gleich mit, wie viele Tage würden die mich hier festhalten? Wenn sie hier nicht blitzen, dann falle ich wahrscheinlich wegen meiner hohen Geschwindigkeit auf.

Nach gefühlter unendlicher Zeit kam ich schließlich zur Autobahnabzweigung. Unbehelligt, und der Wächter schien sich nicht für mich zu interessieren, obwohl ich aus anderer Richtung kam.

Quälende 100 km/h durfte ich nur fahren, und die Zeit die lief und lief. Endlich tauchte die Grenze auf. In der Aufregung vergaß ich, um wie viel Uhr ich in Berlin abgefahren war, als ich meine Papiere und den Zeitzettel abgab. Jeder, der diese Strecke kennt, weiß wie lange so eine Überprüfung damals dauerte. Man gab seine Papiere ab, die wurden geprüft, kamen dann auf ein 100 Meter langes Band zum nächsten Häuschen, wo man schon mit seinem Wagen vorgefahren ist, in der Warteschlange versteht sich, und hoffte alles anstandslos wiederzubekommen. Nach langer Ungewissheit gaben sie mir endlich die Papiere wieder, und wünschten eine gute Fahrt.

Hochkonzentriert, um ja nicht noch einen Fehler zu machen, fuhr ich weiter, vorbei an den Grenzpfeilern der DDR, bis endlich die BRD Grenze auftauchte. Man kann sich vorstellen, dass ich vor Begeisterung im Auto gejubelt habe, so, als hätte gerade meine Fußballmannschaft ein Tor geschossen.

 

Ein Teddy mit Vergangenheit

von Dr. Hildegard Kahlert

Bein Teddy war meine erste Liebe! Obwohl ihm später eine Käthe-Kruse-Puppe den Rang streitig machte, saß er weiterhin auf einem Ehrenplatz im Kinderzimmer: Rundlich, blond, mit blauen Augen und einem silbernen Knopf im Ohr.

1945 - ich war 10 Jahre alt - war vom Kinderzimmer nichts übrig geblieben. Teddy und Puppe aber hatten die Luftangriffe überlebt, weil ich sie treu und brav mit in den Keller genommen hatte.

Meine Heimatstadt in der Nähe von Leipzig, gerade von den Amerikanern erobert, wurde kurze Zeit später von den Russen besetzt. Um meinen Vater zu besuchen, der sich aus amerikanischer Gefangenschaft zu Verwandten in den Westen hatte entlassen lassen, mussten meine Mutter und ich „schwarz über die grüne Grenze“ gehen.

Vor der Abreise gab es Krach. Ich wollte meine Puppe mitnehmen, aber meine Mutter bestand darauf, dass der Teddy mit auf Reisen ging. Kein Protest half. Als wir uns in den überfüllten Zug drängten, hatte ich meinen Teddy an einer Schnur um den Hals hängen, damit ich beide Hände für das schwere Gepäck frei hatte.

Von nun an reisten wir zu allen Ferien- und Feiertagen über die Grenze. Wir stapften durch Bäche im Harz, durchquerten dunkle Tunnel oder robbten durch wogende Kornfelder, um von Ost nach West oder umgekehrt zu gelangen. Und jedes Mal war mein Teddy dabei.

Sehr oft wurden wird bei unseren Grenzgängen geschnappt. Die Russen durchsuchten mitten im Wald oder im Keller der Kommandantur unsere Taschen und Rucksäcke. Ihr Blick wurde immer freundlich, wenn sie meinen kuscheligen Reisegefährten entdeckten. „Teddy!“ verständigten wir uns international.

Inzwischen war ich 11 und dann 12 Jahre alt geworden, und meine Mutter bestand immer noch darauf, dass ich mir bei jeder Reise den Teddy um den Hals hing. Als wir wieder einmal mit Sack und Pack glücklich bei meinem Vater gelandet waren, protestierte ich heftig. „Ich bin kein Kleinkind mehr! Den Teddy nehme ich nie wieder mit!“ Ohne darauf zu hören, dass meine Mutter mir erklärte, es sei unsere letzte Reise gewesen, und wir blieben jetzt für immer im Westen, ergriff ich den Teddy und warf ihn an die Wand.
Welch ein Schreck! Sein Bauch platzte auf, aber nicht Stroh oder Sägemehl quollen heraus, sondern Geld, Papiere, Ringe und Ketten...

Wenn ich heute diesen Schmuck trage, dann muss ich oft an meinen alten Teddy denken, in dem ich, ohne es zu wissen, bei jeder Reise wichtige Papiere und den Familienschmuck aus dem Osten in den Westen und wertvolle Tauschobjekte, wie Nähgarn oder Zigaretten, vom Westen in den Osten transportiert habe.

 

Prager Schrei

von Annemarie Lemster 04.11.2009

1989 war die Unzufriedenheit der Menschen in der damaligen DDR sehr groß. Aus der Ferne, am Fernsehapparat, verfolgte ich jeden Tag die Nachrichten, die über die Montagsdemonstrationen berichteten. Dann war ich erschüttert, als ich sah, wie sich ostdeutsche Bürger in ihrem Urlaub in die Botschaft der Bundesrepublik in der CSSR flüchteten. Von Tag zu Tag wurden es mehr. Ich war so erschüttert, dass ich keine Nachrichtensendung verpassen wollte. Da wurde der Botschaftsgarten gezeigt, der voll von Menschen war, die dort schon Tage auf eine Lösung ihres Problems warteten. Sie wollten doch nur in die Bundesrepublik, in unser aller Deutschland, ausreisen. Ich, die immer in einem geordneten Staat gelebt habe, konnte nicht begreifen, was ich dort sah. Da hielten Menschen ihre Kinder vor dem Zaun hoch, damit die Menschen, die schon hinter dem Zaun waren, sie entgegennahmen, um dann selbst den hohen Zaun zu überwinden. Wie viele Menschen schon hinter diesem Zaun der Botschaft waren, wussten sie nicht und alle glaubten, der Botschafter könne ihnen helfen. Immer habe ich im Leben versucht, in den Gesichtern der Menschen zu lesen, in diesen Gesichtern stand alles: Angst, Hoffnung, Glück und auch eine große Leere. Es waren schon zu viele Menschen in der Botschaft, ein normales Leben konnte es hinter dem Zaun nicht mehr geben. In den Nachrichten habe ich zwar gehört, Herr Genscher, unser damaliger Außenminister, steht in Verhandlungen. Mit welchen Regierungen und wie eine Lösung aussehen sollte, konnte ich mir nicht vorstellen.
Am 30. September 1989, es war ein Abend und schon dunkel, alle Fernsehkameras waren auf den Balkon des Botschaftshauses gerichtet, da trat Herr Genscher auf den Balkon. Nur schemenhaft konnte man ihn sehen. Die Menschen redeten alle durcheinander, jemand rief „Ruhe“. Es wurde ein wenig ruhiger. Herr Genscher sprach zu den Menschen im Garten: „Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...“ weiter verstand man ihn nicht mehr. Aus Tausenden Kehlen kam ein jubelnder Aufschrei, den ich in meinem Leben nie mehr vergessen werde.
Sie hatten es geschafft. In den folgenden Tagen sah ich, wieder im Fernsehen, die Züge mit winkenden Menschen an den Fenstern. Sie fuhren endlich in das Deutschland, das sie in all den Jahren nicht besuchen durften.

 

Der erste Eindruck ist nicht immer der richtige

von Annemarie Lemster

1. Januar 1990. Lange hatten wir auf diesen Tag gewartet. Ein Tag, an dem wir endlich auch das andere Deutschland kennen lernen durften. Die Grenzen zwischen West- und Ostdeutschland waren wieder für jedermann frei zu durchfahren.
Wir machten uns schon am frühen Neujahrsmorgen auf den Weg nach Schwerin. In Gudow an der Grenze beschlich mich wieder so ein merkwürdiges Herzklopfen. Mein Verstand sagte mir, die Grenze ist jetzt für uns auf, aber Gefühle kann man nicht immer steuern. Nach einer kurzen Sichtkontrolle wurden wir freundlich durchgewunken.
Was war denn dieses? Ein freundlicher Grenzbeamter? Man hatte es schon anders erlebt. Wir freuten uns! Hier erlebten wir das erste Positive des Tages.
Auf der Autobahn in Richtung Schwerin trauten wir unseren Augen nicht, Leitplanken gab es hier nicht und in einiger Entfernung fuhr ein Trecker, dieser überfuhr den Mittelstreifen und setzte seine Reise in der entgegengesetzten Richtung fort. Man lernt ja nie aus, aber zur Nachahmung sicher nicht geeignet!
Wir verließen die Autobahn und fuhren nun durch die Dörfer. Das einheitliche Grau der Häuser wirkte auf mich irgendwie bedrückend. Von meinem Mann hörte ich immer wieder ein Stöhnen: „Oh, diese Straßen“. Die Menschen auf den Straßen rückten das Negative aber schnell in den Hintergrund. Uns wurde freudig zugewunken! Aus vielen Fenstern hingen Bettlaken mit Aufschriften wie „Wir grüßen unsere Brüder aus Westdeutschland“ oder nur kurz „Herzlich Willkommen“. Ein schönes Gefühl, willkommen zu sein. Bei einem kurzen Stopp, mein Mann wollte nur etwas zu Trinken und zu Essen aus dem Kofferraum holen, standen gleich drei oder vier Jungen bei uns und schielten in den Kofferraum. „Haben Sie auch Coca Cola?“ Wir hatten. Leider nur zwei, aber das machte den Jungen nichts und ich konnte auch von unserer Selter trinken. „Danke, haben Sie auch Bananen?“ Hatten wir nicht, leider.
Endlich in Schwerin. Wir hatten keinen Stadtplan und fuhren dem Wegweiser Innenstadt nach. Da standen wir nun auf einem großen freien Platz 100 m vor dem Schloss. Schön und bedrückend zu gleich. Schön, weil es ein herrliches Schloss war und bedrückend, weil überall ein Gerüst dran stand, welches schon lange so da stand, dass es auch schon wieder gestützt werden musste. Wir konnten ganz schlecht mit dem umgehen, was wir hier sahen. Auf der Rückseite entdeckten wir die Überreste eines Gebäudeteils, das bald zusammenfallen musste. Das war sicher einmal die Orangerie des Schlosses gewesen.
Nun waren wir in der Stadt, eine uralte Straßenbahn rollte quietschend dicht am Bürgersteig an uns vorbei. Die Straße war schmutzig und auf dem Fußweg war es lebensgefährlich zu gehen, weil immer wieder tiefe Löcher darin waren. Da ging mein Blick an der Hausfassade entlang, ich war entsetzt. Dass kaum noch Kitt die Scheiben hielten, hätte ich ja noch verstanden, aber mussten die Scheiben denn so schmutzig sein? Der Schmutz begleitete uns durch die ganze Stadt. Selbst die großen Scheiben eines Hotels waren blind vor Schmutz.
Irgendwie verstand ich die Leute nicht, man konnte ja arm sein, aber es gab doch Wasser und Besen. Warum benutzte man dieses nicht?
Wie habe ich mich später (auch heute noch) geschämt für diese meine damaligen Gedanken. Wir sind im Jahr 1990 noch sehr oft nach Schwerin und auch nach Güstrow gefahren und nach jedem Besuch habe ich viel gelernt. Die Menschen waren mit Sicherheit nicht arm - materiell gesehen, wohl aber in ihrer Bewegungsfreiheit. Nachdem wir einmal miterlebt hatten, wie mitten in der Stadt aus einem ein großen Anhänger Braunkohle einfach auf den Bürgersteig gekippt wurde und wir nicht mehr die andere Straßenseite sehen konnten - diese Kohlen wurden nun mit Schaufeln in ein Kellerloch geschoben, was noch einmal ordentlich staubte - da wurde mir klar, „so ist das mit dem Dreck!“
Erst durch die vielen Reisen in die neuen Bundesländer in der ersten Zeit der Wiedervereinigung und durch eine Freundin, die aus Leipzig stammt, habe ich in den folgenden Jahren noch vieles gelernt. Ich weiß heut auch, nur Gespräche mit beiden Seiten können zu einem besseren Verständnis führen.
erstellt vor dem 14.10.2008 (erstes Speicherdatum)

 

Von Deutschland durch Deutschland nach Berlin

Freude, Angst, Pech und große Enttäuschung.
von Annemarie Lemster

Jahrelang hatten mein Mann und ich den Wunsch, einmal das andere Deutschland zu besuchen. Das Land, wo man Eintritt zahlen musste, wenn man es betreten wollte. Da wir aber weder Verwandte noch Bekannte dort hatten, sagte mein Mann immer: „Ich zahle doch keinen Eintritt, wenn ich mein Vaterland besuchen möchte, schließlich bin ich doch ein Deutscher.“ Für jeden Tag, den man in der DDR verbringen wollte, musste man damals 25,- DM eintauschen.
Der Wunsch, einmal dieses nahe und für uns doch so ferne Land wenigstens nur zu durchfahren, wurde immer größer. So entschlossen wir uns, über die Transitstrecke nach Berlin zu fahren. Mit vielen guten Ratschlägen und Wünschen unserer Freunde und Bekannten fuhren wir 1981 über Lauenburg nach Berlin. Immer wieder war uns gesagt worden, haltet immer die Geschwindigkeitsbegrenzung ein und seht ihr ein Ortseingangsschild, runter vom Gas, denn an diesem Schild müsst ihr schon 50 km/h auf dem Tacho haben, sonst seid ihr dran.
An einem sonnigen Tag ging es morgens um 5:00 Uhr in Richtung Lauenburg. Wie würde dieser Tag werden? Etwas Magengrummeln hatten wir schon, es war ja etwas ganz Neues. Im Urlaub hatten wir bei Tagesausflügen ohne Formalitäten die Grenze nach Österreich, der Schweiz oder Frankreich überschritten. Dieses war die natürlichste Sache der Welt gewesen, aber heute, von Deutschland durch Deutschland? Was würde uns erwarten?
Wir sollten es in Lauenburg erfahren. Ohne Schwierigkeiten überfuhren wir die BRD-Grenze noch mit allen guten Wünschen von einem Zollbeamten. Durch bestimmte Markierungen wurden wir zum ersten DDR-Wachposten geleitet. Ich weiß bis heute noch nicht, warum mein Herz schneller schlug. Es war eine angespannte Stimmung in unserem Auto. Mein Mann händigte einem DDR-Grenzbeamten die verlangten Papiere aus. Mit einer Handbewegung gab er uns zu verstehen, wir sollten weiterfahren.
Nun war ich am Boden zerstört, warum hatte dieser Mensch unsere Papiere behalten? Mein Mann beruhigte mich und erklärte, dort hinten müssen wir warten und dort bekommen wir auch unsere Papiere wieder. Nun sah ich auch an der rechten Seite einen langen verschlossenen Kasten, in dem vermutete ich ein Laufband. Hier waren sicher unsere Papiere auf die Reise zum nächsten Posten geschickt worden. Nach einer für mich unendlich langen Zeit kam ein Posten, schaute uns noch einmal genau an und gab uns unsere Papiere zurück. Wir durften weiterfahren. Endlich geschafft. Wir waren das erste Mal in diesem anderen Deutschland. Die Straße machte noch einige Windungen, dann glaubten wir, nun sind wir durch die Sperren durch. Dann sahen wir vor uns rechts und links weit in das Land hinein, eine Erhebung. Als Norddeutscher glaubte ich an einen Deich, doch welch kindlicher Glaube. Wir waren jetzt fast an der Durchfahrt dieses „vermeintlichen Deiches“, da sah ich oben drauf einen Soldaten mit einer Maschinenpistole im Anschlag, und diese war auf uns gerichtet! Was hatte ich verbrochen, warum zielte er auf uns? „Das ist völlig normal, der zielt auf jeden, der hier durchfährt“, meinte mein Mann. Kein Trost für mich, ich hatte jetzt schon kein Verlangen nach Berlin.
Den Soldaten hatten wir schon lange hinter uns gelassen, da stellten wir fest, unsere Unterhaltung wurde im Auto im Flüsterton geführt. Ja, wir haben im Auto geflüstert und keiner von uns beiden wusste warum. Auf halber Strecke gab es einen Parkplatz, und nur auf diesem durften Transitreisende halten. Mein Mann wollte dort halten und mal schauen. Ich nicht, ich wollte nur weg von hier. Nach kurzer Zeit kam mein Mann zurück mit einer Tafel Schokolade, die er dort im Intershop gekauft hatte.
Wir näherten uns nun Berlin. Die Bebauung nahm zu, und dann fuhren wir an Kasernen entlang. Wieder war es erdrückend für mich. Auf der rechten Seite standen unendlich viele Kasernen. Hinter hohen Mauern sah man unansehnliche Bauten. Die Tore, mit einem Sowjetstern versehen, waren aus Eisen, so dass man keinen Blick auf das Innere werfen konnte. Immer wieder marschierten sowjetische Soldaten am Straßengraben entlang. Kein schöner Anblick für mich. Meine Neugierde auf Berlin wurde von Stunde zu Stunde immer kleiner. In Berlin-Staaken, wieder Kontrollen. Dann waren wir endlich in Westberlin. In der Nähe vom Ku-Damm stellten wir unser Auto in einem Parkhaus ab und wollten nun Berlin zu Fuß erkunden. Leider hatte uns die Fahrt so sehr deprimiert, dass wir keine Freude und auch kein richtiges Auge für die Stadt hatten. In einem Straßencafé stärkten wir uns und stellten fest, Berlin ist auch nur eine Großstadt wie Hamburg. Unsere Stimmung war mies, wir wollten nur ganz schnell wieder nach Haus. Nun wusste ich ja, was mich an der Grenze erwartete, und wieder baute sich dieses beklemmende Gefühl in meinem Inneren auf. Die Fahrt an den Kasernen entlang ignorierte ich jetzt, indem mein Blick immer auf die andere Straßenseite ging.
Von dem schlechten Straßenzustand in dem Deutschland, das ich so gern einmal gesehen hätte, habe ich noch nicht berichtet. Das Schicksal wollte es aber, dass ich diesen nicht so schnell vergessen werde. Wir fuhren durch Karstädt, da gab es an unserem Auto einen lauten Rums. „Das war mal unser Auspuff“, meinte mein Mann und so war es dann auch. Wir hatten unseren Auspuff verloren und mussten den noch weiten Weg bis nach Haus mit einem fürchterlich knatternden Auto zurücklegen. Meine Sorge war nun, hoffentlich werden wir nicht noch angehalten wegen der zu hohen Phonzahl. In Lauenburg angekommen, konnte ich wieder normal denken und atmen. Immer wieder habe ich mich gefragt, warum hatte ich Angst und warum haben wir im Auto mit einem Mal geflüstert?
Nach Berlin bin ich später noch einmal gefahren, als es keine Grenze in Deutschland mehr gab. Berlin ist eine tolle Stadt und nicht, wie ich damals dachte, eine Großstadt wie jede andere.
erstellt am 01.07.2008

Recherche zu den russischen Kasernen in Dallgow-Döberitz.
Die Transitstraßenverbindung zwischen Hamburg und Berlin wurde am 20.11.1982 über die neu gebaute Autobahn - A24 mit der Grenzübergangsstelle Gudow/Zarrenthin eröffnet. Gleichzeitig wurde die bisherige Transitstrecke (Fernstraße 5) über Lauenburg-Karstädt-Nauen geschlossen. Da jedoch noch noch nicht die gesamte Streckenführung über Autobahnen führte, musste man auch noch nach diesem Zeitpunkt über die F 5 (jetzige B 5) bis Staaken fahren und kam an den Russischen Kasernen in Dallgow-Döberitz vorbei, in denen noch etliche Jahre nach der Wende die Sowjetischen Resttruppen kaserniert waren. Das Kasernengelände war 1936 als Olympische Dorf errichtet worden. Die abrückenden Einheiten der Roten Armee haben die Gebäude in einem desolaten Zustand zurückgelassen.
F. Schukat, 29.05.2011

 

Volksaufstand 1953

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von Sigrid Gehrken, 08.05.2003

Als ich am Morgen des 17. Juni 1953 erwachte, deutete nichts darauf hin, dass es ein Tag werden würde, den ich wohl bis zum Ende meines Lebens nicht mehr vergessen würde. Ich hatte Urlaub, brauchte also nicht ins Geschäft. Bei einem Blick aus dem Fenster konnte ich zunächst nicht erkennen, was da geschah. Viele Menschen bewegten sich in einem Zug durch die Straßen. Mich hielt es natürlich nicht mehr im Haus, und nachdem ich merkte, um was es ging, schloss ich mich der Demonstration an. Das Volk demonstrierte gegen die immer schlechter werdenden Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es kamen immer mehr Menschen dazu und die Stimmung wurde immer erregter. Fahnen wurden von den Masten heruntergerissen und wir stürmten das Untersuchungs-gefängnis. Dort vermuteten wir politische Häftlinge.
Vor dem Gericht hatte sich eine Kette von Volkspolizisten postiert. Ich löste mich aus der Menge, stellte mich vor die Polizisten und schrie mir den ganzen Zorn von der Seele, den ich auf dieses Regime hatte. Die DDR bezeichnete sich als Arbeiter- und Bauernstaat. Ich wollte Säuglings-schwester werden, konnte den Beruf aber nicht ergreifen, da mir der Staat das Stipendium für das Studium verweigerte mit der Begründung, ich sei kein Arbeiter- und Bauernkind sondern das Kind von Kapitalisten! Meine Eltern waren selbständig und konnten mir zur damaligen Zeit das Studium nicht finanzieren. Wir waren im Februar 1945 in Dresden ausgebombt und hatten alles verloren. Ich hatte noch drei Geschwister und wir mussten ganz von vorn anfangen.
Wir zogen weiter durch die Straßen. Es war später Nachmittag geworden. Das Polizeiaufgebot war inzwischen so stark geworden, dass es ihm gelang, die Demonstration zu sprengen. Gegen Abend besetzten Russen mit Panzern die Stadt. Es durften sich nicht mehr als zwei Personen zusammen aufhalten und für die Nacht wurde ein Ausgehverbot verhängt. Noch Wochen und Monate später wurden Menschen verhaftet, die sich an diesem Aufstand beteiligt hatten. Ich habe das Kleid, das ich an dem Tag an hatte, aus Angst, erkannt zu werden, nie wieder getragen. Ich hatte großes Glück, dass ich mit heiler Haut davongekommen war.

 

Konsumparadies Intershop

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von Jürgen Hühnke

Als ich 1986 hoch oben über Leipzig im Café der KMU meine Rechnung beglich und mangels anderen Kleingeldes ein Zwei DM-Stück auf den Tisch legte, wurde die Genossin vom Bedienservice grantig, weil sie diese Unverschämtheit eines Westlers eigentlich dem nächsten ABV hätte melden müssen, also dem Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei, oder vielleicht gleich der Stasi. Offenbar wusste die junge Frau nicht, wie sich eine Dienstleisterin-Ost in solchen Fällen zweckmäßigerweise verhalten sollte.
Das war unserer Reisegruppe - zwanzig Oberstufenschülern, einer Kollegin und mir - nämlich schon bekannt. Wir waren am späten Abend des Vortages in ein schmuckes Speiselokal gegangen, das in bunter Leuchtschrift für sich warb. Wir stellten uns in eine kurze Schlange von Leuten, die auf eine Platzzuweisung warteten, und wurden sofort hereingebeten und an einen Tisch dirigiert, nachdem ich als Kopf unseres Haufens mir einen Zwanzig-DM-Schein sichtbar vorn in die Brusttasche gesteckt hatte. Wir speisten vortrefflich und zahlten in Westmark, und zwar 1:1, nicht zum offiziellen Kurs. Selbstverständlich rechneten die Kellner an der Kasse in Ostmark ab und behielten die kostbaren Devisen, wahrscheinlich um sie im Intershop in gute Westwaren einzutauschen.
Gila, unsere Reisebegleiterin ... Ich nenne sie hier einfach einmal so. In der DDR liefen ja Stadtführerinnen als so genannte Stadtbilderklärerinnen herum. Insofern könnte die von Intourist oder der FDJ uns zur Seite gestellte Gila ebenfalls einen so zurecht geputzten Berufstitel tragen. Also noch einmal von vorn: Gila, unsere Reisebegleiterin durch die DDR-Kulturlandschaft (Weimar, Wartburg, Kyffhäuser, Dresden, Leipzig), war nämlich wild vor Freude, ihrem Verlobten Gillette- oder Wilkinson-Klingen und sich Tosca, Chanel oder 4711 im Intershop zu kaufen, als wir sie mit diesem Dankeschön für ihre geleisteten Dienste verabschiedeten. Nun gehörte Gila zu einer besonderen Klasse, die in der DDR die Bezeichnung Kader trug, also zum Parteinachwuchs mit speziellen Privilegien wie der Berechtigung zum Ferienurlaub am Balaton, in Warna oder in Sotschi. Die wohl eigentlich kaderwürdige, weil hochprozentig linientreue Serviererin im Uni-Café hielt offenbar wenig vom Intershoppen. Wenn doch, so hätte sie ja vielleicht jemanden gekannt, der jemanden kannte, der wiederum jemanden kannte, der wegen seines Kaderstatus die Zugangsberechtigung zu dieser famosen Einrichtung hatte.
Sie bediente aber leider in der KMU, in der Karl-Marx-Universität.
erstellt am 18.01.2008



 

FEINDBILD OSSI

von Jürgen Hühnke

Als Funktionärin der DKP war meine Mutter mehrfach bei den von ihr so verehrten Towarischtschi des SED-Zentralkomitees in Ostberlin. Aus diesem erlauchten Kreis brachte sie einmal folgenden chauvinistischen Scherz mit: „Warum ist der Alexanderplatz gepflastert? - Damit die Polen, wenn sie hier das HO-Kaufhaus leerräumen, dort nicht auch noch ihre Kühe anpflocken!"
Im Wortlaut hieß es zwar „Polen", doch wurde im Hintergrund die schon seit dem Dreißigjährigen Krieg gebräuchliche Schimpfform „Polacken" erkennbar. Wie ich schon einmal erzählt habe (Heft 26), wurden meinen Gymnasiasten auf DDR-Kulturreise in der Jugendherberge zu Thale morgens knackige Brötchen serviert und deren pappig gewordenen Überreste vom Büfett abends an eine dort ebenfalls einlogierte Gruppe junger Polen verfüttert.
Mit viel Bombast pflegte die DDR die Ideologie der „sozialistischen Brudervölker", pries die Demarkationslinie an Oder und Neiße als „Friedensgrenze" und suchte beides im Volksbewusstsein zu verankern, doch lebten uralte Vorurteile wieder auf. Man hatte also im „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat" seine eigenen Ossis, auf die man herabzublicken pflegte - und nicht allein, uralten Erzfeindschaften folgend, auf die Polen. Ähnlich wenig wie sie galten die Touristen aus der Sowjetunion, insbesondere die Angehörigen turktatarischer Völkerschaften. Ebenfalls bei einer Schülerreise hinter den Eisernen Vorhang erlebte ich im „Hotel Sofia" - es kann auch „Hotel Budapest" geheißen haben, jedenfalls nicht „Hotel Warschau" -, unserer Logierstätte auf der Karl-Marx-Allee, der entstalinisierten Stalinallee, dass das Bedienungspersonal übel über ein dort außerdem nächtigendes Folklore-Ensemble aus der Usbekischen-, Tadshikischen- oder Turkmenischen Sowjetrepublik herzog. Das seien doch Barbaren, Wilde, Kulturlose.
Diese Überheblichkeit gründete in einem Stolz darüber, dass die DDR trotz fehlender Ressourcen - abgesehen von Wolfram, Wismut und Uran - im RGW (dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, im Westen COMECON genannt) der führende Industriestaat war und im globalen Ranking Platz 11 einnahm. Man tat sich etwas zugute darauf, dass man Firmen und Produkte mit Weltgeltung hatte, wie Zeiss-Jena oder den VEB Bubima (Buchbindemaschinen).
Dagegen waren die „Brudervölker" unterzivilisiert, mochte sich die „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ noch so sehr um ein gegenteiliges Bild bemühen oder mochte auch bei den Jugendfestivals allenthalben „Drushba i Mir" gerufen werden - „Freundschaft und Frieden" wurden nur parteiamtlich verordnet. Daher konnten die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda eigentlich kaum erstaunen, sofern man von der exzessiven Vernichtungswut absieht. Die Opfer in den neuen Bundesländern waren vornehmlich die - nennen wir sie einmal so - „Fern-Ossis" aus der VR Vietnam oder aber zum Beispiel Angolaner, mit deren ehemaliger Volksbefreiungsarmee MPLA - nunmehr Regierungspartei des Staatschefs Dos Santos - man sich eigentlich solidarisch hätte zeigen sollen.
erstellt am 07.05.2011

 

Die Ossis der Ossis

von Jürgen Hühnke

Lange genug dauerte die Spaltung der Deutschen in Ossis und Wessis an. Dann haben wir brav unsern Soli dem Finanzamt überlassen, damit im Osten, blühende Landschaften aufgebaut würden, was auf der andern Seite eine Welle von Ostalgie hervorrief.
Nun ist ja die Erde keine Scheibe, sondern, kopernikanisch gesehen, eine um die Sonne herumeiernde Kugel. Nach Georg Mercator müsste man jenseits der Ossis immer noch weitere Ossis finden, gewissermaßen von Nahost bis Fernost vordringend.
Tatsächlich hatten die Ossis, bei denen kaum ein Vietnamese oder Kenianer seines Lebens sicher sein konnte, gegenüber den so genannten sozialistischen Bruderländern und namentlich gegenüber der Großen Sowjetunion am Biertisch so ihre speziellen Feindbilder. In ihrem Selbstverständnis war die DDR das technisch höchst-entwickelte Land des Ostblock und Grund zum Nationalstolz.
Da geht man - es muss etwa 1976 gewesen sein - mit jungen Leuten aus der Bundesrepublik auf der Stalin-Allee ins Hotel Sofia, (oder hieß, es Budapest oder Warschau und so weiter?) frühstücken. Gleichzeitig hält sich dort ein Volksmusikensemble aus Tadschikistan auf, korrekt: aus der Tadschikischen SSR. Das Hotelpersonal macht einem deutlich, dass es sich bei diesem Brudervolk sowjetischen Typs um Kulturbanausen handelt, die kein Verständnis für die sachgerechte Benutzung von modernen sanitären Einrichtungen hätten.
Der Geschichtslehrer weiß, dass der Staatsgründer Wladimir Iljitsch Uljanow gen. Lenin die Formel prägte: „Bolschewismus ist Sozialismus plus Elektrifizierung.“ Er weiß auch, mit welcher Rigorosität Stalin die Industrie auf Kosten der „Kulaken“ und der gesamten Agrarwirtschaft forcierte. Und jetzt erfährt er, dass Tadschiken oder andere Nationalitäten, als Kulturbotschafter wie als Touristen, angeblich Probleme mit dem Wasserspülklosett haben!
Das unerfreuliche Ergebnis von 1945, die Oder-Neiße-Grenze, war von der Propaganda zu „Friedensgrenze“ aufgemotzt worden. Und was war wirklich mit der deutsch-polnischen Freundschaft los? Meine Mutter, eine hochrangige DKP-Funktionärin in Niedersachsen, brachte einmal von ihren Freunden aus dem Politbüro der SED folgenden „Witz“ mit:
Warum ist der Alexanderplatz befestigt? - Damit de Polen, wenn se in´n HO eingaufen gommen, hier nicht ihre Gühe anbinden und alles zerdrampeln
lassen!
Wer's gemerkt hat: Da war noch ein Witz im Witz. Die nächsten Ossis für den DDR-Bürger waren nicht die Polen, sondern die Angehörigen jenes Landes, aus dem der Staatsführer mit dem Spitzbart stammte: Sachsen.
Also blechen wir weiterhin brav unsern „Soli“, damit blühende Landschaften entstehen. Hoffentlich aber kommt kein Ugander und setzt sich dort auf eine Parkbank! Mit liebem Gruß an den Leser aus Ossi-Land:
Druschba i Mir, Towarischtsch!
erstellt am 18.01.2008

 

Real existierende Funktionäre, Polen und Semmeln

von Jürgen Hühnke

Wer wenige Jahre vor der Wende Schülerreisen in den real existierenden Sozialismus unternehmen wollte, musste ein Programm buchen, das neben Stadt- und Museumsführungen vor allem auch eine Begegnung westlicher mit östlichen Jugendlichen vorsah, sprich mit einer darauf gedrillten Funktionärsgruppe der FDJ. Selbstbewusst, wie meine Oberstufenschülerinnen und -schüler waren, hatten sie da keine Berührungsängste.
Das Treffen fiel sogar teilweise recht lustig aus oder reizte doch manche zum Lachen. Denn da wurde die Frage aufgeworfen, wie sich das Verhältnis zum östlichen Nachbarn gestalte, und schon erfolgte ein Sermon über sozialistische Bruderländer und über die Oder-Neiße-Friedensgrenze. Immerhin erfuhren die West-Jugendlichen bei dieser Gelegenheit auch etwas über die „Friedensfahrten“ der Radsportler und über das Idol der DDR, Adolf-Gustav („Täve“) Schur.
Weshalb das Lachen über diese Belehrung? Wir waren zu der Zeit in der Jugendherberge in Thale, malerisch am tiefen Taleinschnitt der Bode gelegen, untergebracht. Dort gab es morgens wunderbar krosse Brötchen für uns am Büfett. Was wir übrig ließen, wurde am Abend vom Herbergsvater, der einen durch die DDR-typische Sättigungsbeilage Kartoffeln gepolsterten Bauch vor sich hertrug, in nur noch pappiger Konsistenz einer ebenfalls dort logierenden polnischen Jugendgruppe vorgesetzt.
Nach der Funktionärssuada nannten wir die Dinger nur noch Friedenssemmeln.
erstellt 22.10.2008

 

Erinnerungen

von Uwe Neveling

Ich erinnere mich. Ich bin mit Freunden in Lauenstein und stehe direkt an der Grenze zur DDR. Auf der anderen Seite liegt Probstzella. Die Grenze verläuft quer durch ein Schwimmbad und zerteilt eine Brauerei in zwei Teile. Beides wird natürlich nicht mehr genutzt. Ich sehe, wie mein Freund Horst sich an den Kopf fast. „Es ist nicht zu glauben“ sagt er, „wer hat sich so was nur ausgedacht?“. Wir besteigen einen Aussichtsturm und sehen hinüber auf ein Land, das wir nicht betreten können. Die grünen Hügel von Thüringen blicken zu uns herüber. Sie sehen so friedlich und einladend aus.
Ein Jahr später sind wir wieder in Lauenstein. Die Grenze ist offen. Wir fahren nach Saalfeld. Die Häuser sind grau und farblos. Wir fahren an einer in die Jahre gekommenen Schokoladenfabrik vorbei. Auf einem Schild steht VEB – Volkseigener Betrieb. Wir besichtigen die Tropfsteinhöhle. Auf dem Rückweg speisen wir in einer volkseigenen Gaststätte. Das Essen ist preiswert und schmeckt uns überraschend gut. Ein Objektleiter ist für den Betrieb verantwortlich. Er kommt an unseren Tisch und fragt, ob es uns geschmeckt hat. Wir können ihn beruhigen.
Ich erinnere mich an meine erste Fahrt durch die DDR.
Ich fahre mit meinem Freund Heinz über Lauenburg auf die Autobahn nach Berlin. An der Grenze werden wir kurz und freundlich abgefertigt. Das war schon mal anders. Wir erreichen den Berliner Ring und biegen Richtung Süden ab. In der DDR sind die Auffahrten zur Autobahn rechtwinklig zur Fahrbahn angelegt. Das Reißverschluss-verfahren ist unbekannt. Ich muss anhalten und auf eine große Lücke im vorbeifließenden Verkehr warten. Leitplanken gibt es nicht, auf den Grünstreifen stehen ungeschützt Bäume. Ich halte mich an die Geschwindigkeitsbeschränkung. Wir überholen einige Trabis. Man winkt uns zu. Offenbar sind wir willkommen. Wir verlassen die Autobahn und fahren über Landstraßen. In den Dörfern und Kleinstädten sehen wir keine Menschen auf den Straßen. Wo sind sie bloß? Vor Torgau werden wir angehalten. Hier, an der Elbe, haben sich die Amerikaner und die Russen kurz vor Kriegsende in den Armen gelegen. „Unser russisches Brudervolk feiert dieses Ereignis jedes Jahr“ sagt uns spöttisch ein Anwohner. Erst nach einer Stunde können wir weiter fahren. In Magdeburg wird der Verkehr lebhafter. Vor mir zieht ein Trecker einen mit Zuckerrüben beladenen Hänger. Bei einer scharfen Anfahrt fällt eine Rübe auf mein Auto, zuerst gegen die Windschutzscheibe und dann rollt sie über die Motorhaube auf die Straße. Der Aufprall ist heftig. Ich fahre rechts ran und untersuche den Wagen nach Schäden. Es ist alles in Ordnung. Ich fahre auf der linken Spur. Plötzlich wird der Wagen durchgeschüttelt. Ich bin über ein tiefes Schlagloch gefahren. Die Stoßdämpfer werden bis zum Anschlag durchgedrückt. Es ist aber nichts passiert. Bahnübergänge stellen sich als Sprungschanzen heraus. Auch hier heißt es, langsam fahren und aufpassen. Wir erreichen die Grenze zur BRD. Der Grenzer sieht sich meinen Ausweis genau an. Er kennt meinen augenblicklichen Wohnort Quickborn und fragt, ob ich Mike Krüger kenne. Ich sage ihm, dass mir der Blödelbarde bekannt sei, ich ihn aber nicht persönlich kenne. Er gibt mir meinen Ausweis zurück, und wir dürfen passieren. Im Rückspiegel sehe ich, wie er in seinen Wohnwagen, der als Unterkunft für den Grenzer dient, zurückkehrt. Er öffnet ein Fenster und winkt uns zum Abschied.

Ich erinnere mich, dass wir unterwegs Thüringer Bratwürste essen. An jeder nur möglichen Parkbucht gibt es einen Würstchenstand. Ich weiß nicht, woraus die Wurst besteht. Sie ist kross gebraten und schmeckt ausgezeichnet. Es sieht fast so aus, als wäre jeder DDR-Bürger Mitglied der Fleischerinnung.
Ich erinnere mich an Schmalkalden.
Die Unterbringung und Verpflegung in einem ehemaligen Gewerkschaftsheim ist gut. Wir fahren von hier aus nach Weimar. Hier hat also der Geheimrat gewohnt und gearbeitet. Vor dem Theater steht ein Denkmal. Goethe und Schiller reichen sich die Hand. Das entspricht nicht ganz den Tatsachen. Goethe betrachtete Schiller durchaus als Konkurrenten. Ich hätte von ihm mehr Größe erwartet. Aber das ist nun schon lange her. Wir fahren weiter nach Jena. Die Stadt ist mit Trabis zugeparkt. Im Zentrum sehen wir freie Parkplätze, die für irgendwelche westdeutsche Firmen reserviert sind. Wir fragen um Parkerlaubnis, die man uns großzügig gewährt. Wir wollen Kaffee trinken. In einem volkseigenem Café bietet man uns abgeteilte freie Plätze an. Wir verzichten, weil im besetzten Teil die Jenaer dicht gedrängt sitzen müssen.
Ich erinnere mich an den Besuch der Wartburg.
Die Wartburg beeindruckt mich sehr. Wir lassen uns durch die Burg führen. Hier soll der Sage nach der Sängerwettstreit stattgefunden haben. Wir sehen auch den Tintenfleck. Luther soll angeblich ein Tintenfass nach dem Teufel geworfen haben. Die Besucher nehmen gerne ein Stück vom Fleck mit; er muss daher regelmäßig erneuert werden. Die Burg ist gut besucht. Eisenach hat sich in den Jahren nach der Wiedervereinigung gut erholt. Die Stadt sieht ansprechend aus. Mein Solidaritätsbeitrag ist offenbar gut angelegt. Auf der Fahrt hierher ist mir das gut ausgebaute Straßennetz aufgefallen, ganz im Gegensatz zu den Eindrücken kurz nach der Grenzöffnung. Man hat sogar für Baumanpflanzungen an den Straßenrändern gesorgt. Und die Autobahnen haben jetzt auch Leitplanken und die Zufahrten haben Beschleunigungsspuren. Das Eckige ist dem Runden gewichen.
Ich erinnere mich an die zugeparkte Hamburger Innenstadt.
Unser heutiger Gegner ist das Postamt am Rödingsmarkt. Wir müssen unsere Fahrzeuge weit weg vom Veranstaltungsort abstellen. Jeder Besucher aus der DDR erhält ein Begrüßungsgeld von 100 DM. Das Geld wird sofort ausgegeben. Die Geschäfte sind übervoll. Zu Fuß kommt uns der Weg zum Rödingsmarkt endlos vor. Und dann verlieren wir auch noch gegen die Gegner vom Postamt. Es ist kein guter Tag für uns.
Es hat sich in den Jahren nach der Grenzöffnung und Wiedervereinigung viel getan. „Wir sind das Volk“ hat man damals gerufen. „Wir sind ein Volk“ sollte der Ruf jetzt lauten. Das wird noch dauern. Wir sind aber auf einem guten Weg.
erstellt am 21.09.2008

 

Grenzland

von Uwe Neveling

Es geht um die jüngere Geschichte der Bundesrepublik. Mit drei Bussen erreichten wir Schnackenburg. In jeden Bus war ein ehemaliger Zollbeamter zugestiegen. Die Herren berichteten über ihre Erlebnisse, als die Grenze zur DDR in der Mitte der Elbe verlief. Thematisch und inhaltlich hatten sich die Zugestiegenen zuvor abgestimmt, so dass ich mich auf die Ausführungen von Günther S. beschränken kann.
DDR-seitig wurde die Grenze von der Volksmarine streng bewacht. Mit ihren Booten - es waren Boote mit der Typenbezeichnung S202 - versuchten sie die Grenzgänger abzufangen. Dennoch gelang einem Maat der Volksmarine die Flucht. Weniger Glück hatten drei andere Flüchtlinge. Einer wurde, nachdem er schon BRD-Boden betreten hatte, erschossen. Ein anderer ertrank und ein weiterer wurde in der Elbe vom DDR-Boot mehrfach solange unter Wasser gedrückt bis er keine Lebenszeichen mehr von sich gab.
Günther S. schilderte sodann die verschiedenen Phasen der Grenzsicherung. Es gab zunächst einen Doppelzaun. Der wurde dann später vermint. Danach wurden Selbstschussanlagen installiert. Tiere, die sich in den Zaunbereich verirrten, kamen regelmäßig zu Tode oder verletzten sich schwer. Die damit verbundenen Detonationsgeräusche schreckten die Zollbeamten jedes Mal auf. Es hätte ja ein Flüchtling sein können.
Von 1961 bis zum Ende der DDR hat es über 1000 Tote gegeben. Den immer wieder abgestrittenen Schießbefehl gab es also doch. Die so gesicherte Grenze war 1320 km lang und verlief von der Ostsee bis zum heutigen Tschechien. Jede Kontaktaufnahme mit den DDR-Grenzern musste von diesen gemeldet werden. Die BRD-Beamten wurden fotografiert und in Alben verewigt.
Einige Überläufer sind den umgekehrten Weg gegangen, von der BRD in die DDR. Sie sind zumeist nach wenigen Tagen wieder zurückgeschickt worden. Man wollte sie nicht haben; aus Feindesland konnte schließlich nichts Gutes kommen. Auch für unsere Zollbeamten gab es einige festgelegte Sprachreglungen. So wurde z.B. „BRD“ immer vollständig ausgesprochen, also Bundesrepublik Deutschland. Die Kommunikation mit den benachbarten Grenzern verbesserte sich dann schlagartig mit der Grenzöffnung. Man war nun plötzlich freundschaftlich verbunden.

Günther S., unser pensionierter Zollbeamte, durchlebte seine aktive Grenzzeit bei seiner Schilderung im Bus noch einmal. Es war ihm anzumerken, dass er diese Zeit gefühlsmäßig noch nicht überwunden hatte. Erst nachdem wir Schnackenburg erreicht hatten, löste sich die Anspannung der Teilnehmer.
Wir hielten direkt vor dem Grenzlandmuseum, in dem Ausstellungsstücke den Bericht von Günther S. untermauerten.
erstellt am 22.07.2010

 

Ich fliege über die Mauer

von Uwe Neveling

Meinen ersten bewusst erlebten Flug machte ich in den frühen sechziger Jahren. Ich besuchte Freunde in Berlin. Ich flog von Hamburg mit einer Douglas nach Tempelhof. Es war eine Propellermaschine. Die genaue Typenbezeichnung ist mir nicht mehr geläufig; es war irgendetwas mit DC.

Als die Motoren angelassen wurden, knallte es gewaltig und eine Stichflamme schoss aus dem hinteren Teil des Motorblocks. Während des ganzen Fluges sah ich die glühenden Zylinderköpfe. Ich saß ungünstig gleich hinter dem Flügel und konnte von hinten in den Motor hinein sehen. Ich musste ängstlich geblickt haben. Neben mir saß ein Mädchenhändler, vielleicht war es auch ein Drogenkurier. Er war gutgekleidet, hatte ein rundes Gesicht und trug einen feinen Schnurrbart. Der redete mit mir und beruhigte mich dadurch. Er rief dann auch noch nach der Stewardess und bestellte zwei Whisky. Der Herr neben mir war wohl doch nur ein smarter Geschäftsmann, der es gut mit mir meinte.

Der Flug war zu kurz, um Freundschaft zu schließen. Jetzt, wo ich an diesen Flug denke, verspüre ich wieder den angenehmen rauchigen Geschmack des Whiskys auf meiner Zunge. Kurz vor der Landung flogen wir über die Mauer, die seit dem 13. August 1961 aus Westberlin eine Insel gemacht hatte.

Später in den achtziger Jahren flog ich mit einem Airbus nach Berlin. Der Zielflughafen war dieses Mal Tegel. Wir landeten, nachdem wir kurz zuvor die Mauer überflogen hatten. Berlin kam mir nicht sonderlich groß vor. Von oben sah man von Mauer zu Mauer. Damals wollte ich wissen, wie es hinter der Mauer aussah. Ich unternahm eine Stadtrundfahrt und fuhr über Checkpoint Charly in den Osten. Kaum waren wir drüben, wurden die Personalausweise eingesammelt und eine von uns so genannte „Friedenstaube“ übernahm die offizielle Führung. Die DDR wurde in den höchsten Tönen angepriesen. Unser östlich orientierter Stadtführer verkaufte Postkarten und Dias, natürlich nur die mit den schönsten Motiven. Ich erwarb eine Dia-Serie, die ich heute noch besitze. Die Mauer kommt darin nicht vor.

Wir fuhren nach Treptow und bewunderten ein Sowjetdenkmal. Es bestand aus einem überlebensgroßen Soldaten, der sich mit der rechten Hand auf ein Schwert stützte, ein kleines Mädchen umklammerte ihn auf seinem linken Arm. Wir machten vor einem Restaurant und einem Intershop-Laden Pause. Beim Restaurant gab es getrennte Eingänge für DDR-Bürger und für Besucher wie wir. Während sich am DDR-Eingang eine große Schlange gebildet hatte, hätten wir den Betrieb ohne Wartezeit direkt betreten können. Wir waren uns alle einig: Da gehen wir nicht rein.
Ich unterhielt mich etwas eingehender mit unserem DDR-Stadtführer und erfuhr, dass er in einem Plattenbau wohnte. Der Bau war mit der neusten Technik ausgestattet: Es gab einen Aufzug und einen Müllschlucker. Außerdem hatte mein Gesprächspartner auch einen Telefonanschluss. Er war zufrieden, und ich gönnte ihm sein Glück. Wir fuhren ohne Aufenthalt zurück nach Westberlin. Wir wären gerne am Alexanderplatz ausgestiegen und hätten uns dort umgesehen. Das war aber bei der Stadtrundfahrt nicht vorgesehen.

Am Checkpoint Charly verabschiedete sich die Friedenstaube und wir erhielten unsere Personalausweise wieder zurück.

Ich bin einige Male in Berlin gewesen und fand die Mauer erdrückend. Berlin ohne Mauer ist dagegen eine weltoffene sehenswerte Stadt. Das gefällt mir und so soll es auch bleiben.

erstellt am 21.10.2010

Zusätzliche Bemerkungen.
Die Douglas DC 3 war der Rosinenbomber, den die Amerikaner 1948/49 während der Luftbrücke eingesetzt haben. Die DC 3 wurde von 1936 – 1952 gebaut. Mit Lizenzbauten waren es ca. 16.000 Stück. Einige Exemplare wurden teilweise mit Turboprop-Triebwerken nachgerüstet.
Die Turboprop-Versionen wurden hauptsächlich in der zivilen Luftfahrt eingesetzt und flogen sicherlich auch aus wirtschaftlichen Gründen im innerdeutschen Luftverkehr, hauptsächlich im Berlin-Verkehr.
Die späteren Versionen mit der Buchstabenfolge DC (also DC 8 und DC 10) sind vier- bzw. dreistrahlige Langstreckenflugzeuge, die erst ab 1971 gebaut wurden.

Das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Plänterwald wurde am 8. Mai 1949 eingeweiht. Es ist gleichzeitig auch ein Kriegsgräberfriedhof für 7.000 der rund 80.000 Rotarmisten, die beim Kampf um Berlin gefallen sind. Die Anlage ist ca. 70 ha groß. Die Bundesrepublik hat sich in den so genannten 2 plus 4-Verträgen zur Deutschen Wiedervereinigung verpflichtet, den Bestand der Kriegerdenkmäler zu garantieren. Die 12 m hohe und 70 Tonnen schwere Skulptur stellt einen Rotarmisten dar, der mit einem Schwert ein Hakenkreuz zerschmettert. Das habe eigentlich nur symbolischen Charakter, die Sache mit dem kleinen Mädchen soll aber einen realen Hintergrund haben. Es gibt jedoch mehrere Versionen darüber.

Der Checkpoint Charly war der offizielle Kontrollpunkt der US-Streitkräfte in der Berliner Friedrichstraße an der Grenze zwischen den Bezirken Kreuzberg (Amerikanischer Sektor) und Berlin-Mitte (Sowjetischer Sektor – kurz:Ostsektor)
aus Wikipedia, 05-2011

 

Vor 20 Jahren - Wiedervereinigung

von Annemarie Lemster erstellt am 2. Oktober 2010

Es war der 2. Oktober 1990, als wir uns mit Freunden auf den Weg nach Hamburg machten. Wir wollten die feierliche Wiedervereinigung von Deutschland mit vielen anderen Menschen an der Binnenalster erleben. Unsere Autos stellten wir an einer U-Bahnhaltestelle ab und fuhren bis zum Jungfernstieg. Mit uns hatten dieses noch sehr viel andere Menschen beschlossen. Sie drängten sich auf den Straßen, wo eine andere Stimmung zu spüren war, als an gewöhnlichen Tagen. So gegen 23:00 Uhr suchten wir uns einen Platz in Höhe des Hotels Vier-Jahreszeiten aus. Es sollte eine große Laserschau an den Häusern am Ballindamm stattfinden. Aus Lautsprechern ertönte schöne, getragene Musik.
Kurz vor Mitternacht standen die Menschen in Vierer- und Fünferreihen auf den Uferstraßen rund um die Binnenalster.

 

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!

von Fritz Schukat erstellt am 04.06.2008 / red. 2011

Noch am 15. Juni 1961 kolportierte der damalige Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz in Berlin (Ost) die Frage eines Pressevertreters abschließend mit diesem Satz! Keine zwei Monate vor dem Beginn der Arbeiten am Mauerbau in Berlin. Tausendmal wiederholt, immer wieder dem verlogenen Regime und seinen Grenzbewachern mit riesigen Lautsprechersäulen vorgeprärrt, aber es half nichts, die DDR mauerte sich nach dem 13. August 1961 ein und schottete sich so von der westlichen, der „monopolkapitalistischen“ Welt ab.

Ein perfektes System von Grenzanlagen mit Wachhunden, Stacheldraht und Selbstschussanlagen, Tag und Nacht von Grenzern bewacht, die selbstverständlich Schießbefehl hatten und ihn auch ausübten. Die spektakulären Fälle wie der des ersten Mauertoten Peter Fechter bleiben wohl immer in Erinnerung. Es waren schließlich über 1000 meist junge Menschen, die sinnlos erschossen wurden und ohne Hilfe in den so genannten Schutzanlagen verbluteten.

Ich bin Berliner, wurde dort geboren. Ich war fast 26 Jahre alt, als die Mauer gebaut wurde. Familie, Freunde und Bekannte lebten alle in Berlin. Es gab auch ein paar Verwandte in Westdeutschland und in der DDR, aber Berlin war mein Mittelpunkt. Seit es die politischen Streitereien und Querelen um West-Berlin gab - das fing ja schon mit der Blockade 1948 an - wurden die Berliner immer wieder daran erinnert, wie wichtig es wäre, dort durchzuhalten. Sie stünden für die Freiheit der westlichen Welt und so weiter, denn die DDR und auch die Russen provozierten immer wieder und immer heftiger, man denke nur an den schlimmen Auftritt Chrustschews bei den Vereinigten Nationen 1958. Aber schließlich stumpft man ab, und es wird alltäglich.

Wir verharrten dort doch nicht auf verlorenem Posten, wir verteidigten aber auch nicht die Freiheit, wir wohnten und lebten zufälligerweise dort und fühlten uns trotz dieser angespannten Lage sicher nicht anders als der Rest der westdeutschen Bevölkerung! Daher glaube ich auch heute noch nicht daran, dass sich die Westberliner sehr viel aus ihrer immer wieder bedauerten und schlimm geredeten Lage machten. Der kleine Mann von der Straße hätte sowieso nichts daran ändern können! Man lebte, und zwar gar nicht so schlecht. Es gab alles, was eine Großstadt hervorbringen und bieten kann, zum Teil sogar besser als in „Westdeutschland“ - damit war die Bundesrepublik von Flensburg bis Konstanz gemeint. Auch auf einem Vulkan wächst Gras, wieso sollte das Leben in Berlin auf Sparflamme laufen?

Als dann die Mauer doch gebaut wurde, gab es keinen Exodus, auch wenn man gelegentlich mitbekommt, dass Hobbyhistoriker dies gern behaupten. Dass einige ältere Berliner, die man als vermögend kannte, sich abgesetzt haben, sprach sich zwar auch herum, aber kein Mensch betrachtete das ernsthaft als Flucht vor der nahen Einvernahme Berlins durch den Osten.

Nach dem Mauerbau gab es steuerliche Entlastungen für die Berliner und die erfanden sogleich den Ausdruck „Mauerprämie“. Es gab grundsätzlich drei Tage mehr Urlaub für alle Beschäftigten, weil man ja einen „viel weiteren Anfahrweg“ zu den Urlaubsorten hatte! Das war zwar in den 1960er Jahren noch halbwegs nachzuempfinden, aber als in den 1980er Jahren die Motorisierungswelle auch Berlin „überschwemmte“ und selbst in den traditionellen Arbeiterbezirken wie Kreuzberg, Neukölln und Wedding an den Laternengaragen fast nur noch große Reiselimousinen Marke Mercedes oder BMW parkten (man hatte ja das Geld!), zu der Zeit war der „Mehr-Urlaub“ schon nicht mehr so unbedingt gerechtfertigt.

Ich habe das alles hautnah miterlebt, ich war mittendrin! Die Preise waren subventioniert, auf viele Dinge wurde nur die Hälfte des Steuersatzes gezahlt - „Berlin-Hilfe“ nannte sich das und wir profitierten davon. Noch 1982, als ich ein paar Monate in Berlin arbeitete, fand ich auf meiner Gehaltsabrechnung den Posten „aktive Berlinzulage“, daneben stand ein Betrag, bei dem ich anfangs rote Ohren bekam.

Wir brauchten nicht zum „Bund“, die Wehrpflicht galt für die jungen Berliner nicht. Auch die Briefpost war billiger, Stadtporto hieß das, die Briefe mussten halt nur in den anderen Briefkasten - nebenan - eingeworfen werden. Es gab auch eigene Berlin-Briefmarken, ein beliebtes Sammelgebiet! Die Dauerserien sahen genauso aus wie die normalen Briefmarken, erkennen konnte man sie nur, weil auf ihnen noch der Zusatz „Berlin“ stand. Philatelisten bekommen heute noch feuchte Augen, wenn sie den Freiheitsglockensatz mit Klöppel rechts, mittig und links komplett haben!

Wenn man alles andere weglässt, lebten die West-Berliner durchaus nicht unangenehm. Da fragt man sich, wie kommt ein Berliner Ende der 1960er Jahre dazu, sich nach Westdeutschland versetzen zu lassen, Gehaltseinbußen riskiert und weniger Urlaub hat? Wenn er höhere Lebensmittelpreise zahlen muss und in den Ballungsgebieten (z.B. Hamburg) auch weit höhere Mieten?

Ich riskierte das. Ich war frisch geschieden, wollte noch einmal neu anfangen, bekam innerbetrieblich eine höherwertige Stelle im Außendienst angeboten und hatte durch Reisekosten, Trennungsentschädigung und Anfangshilfen wenigstens keine Nettolohneinbußen. Außerdem bekam ich einen Dienstwagen gestellt, mit dem ich im bescheidenen Maße auch privat fahren konnte - musste aber minutiös und kilometergenau abrechnen!

Ich arbeitete zuerst in Celle, dann in Mainz, zwischendurch fast ein Jahr in Saarbrücken und schließlich bis Ende 2000 in Hamburg. Da jeder Außendienst zum Stammsitz immer enge Bande hat, kannte ich die Haupt-Transitstrecken über Helmstedt/Marienborn, und B-5 Lauenburg/Karstädt und letztlich die Autobahn A 24 mit dem Kontrollpunkt Gudow auswendig.

Keine Mätzchen machen, ruhig Blut, ernstes Gesicht am Kontrollpunkt, immer auf kleinste Fingerzeige der Grenzer achten und vor allem nie schneller als 100 km/h fahren, eher weniger! Das waren die Vorsichtsmaßnahmen, die wir uns einbläuten, und doch gab es immer wieder Ärger: „Wo hasten Du Deene Fahrerlaubnis jemocht?“, war noch das Höflichste, was man sich anhören musste, aber wenn man nicht antwortete, ging es meist ohne Blessuren ab. So bin ich bis 1990 über 20 Jahre lang mehrmals jährlich über die Transitstrecken nach Berlin gefahren, ohne dass ich geblitzt oder sonst wie angemacht wurde.

Aber immer mit aufgestellten Nackenhaaren!

 

Alte Pioniere in der DDR

von Fritz Schukat aufgeschrieben im August 2007- red. 2011

Während meiner aktiven Dienstzeit arbeitete ich für einen Versicherungsträger mit Sitz in Berlin, der schon seit Anfang der 1970er Jahre in den alten Bundesländern Informationsbusse einsetzte, um ortsnahe Aufklärungs- und Informationsarbeit zu leisten. Diese 18 m langen und fast 4 m hohen, tomatenroten Busse hatten 4 separate Beratungsbüros und verfügten über einen zu dieser Zeit jedenfalls hohen technischen Standard. Wir konnten schon ab 1977 über tischgroße Rechner mit der Zentrale kommunizieren, persönliche Daten anfordern und sogar künftige Leistungsansprüche errechnen. Dazu war allerdings eine feste Telefonverbindung erforderlich. Das Funktelefon (C- und D-Netz) reichte damals noch nicht für Datenfernübertragung. Von der ersten Busflotte waren kurz vor der Wende zwei bereits aussortiert, einer lief noch. Zu der Zeit waren schon drei modernere Doppeldecker bestellt, aber noch nicht ausgeliefert.

Wir bekamen Anfang 1990 den Auftrag, mit dem letzten Informationsbus die damals noch real existierende DDR zu bereisen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Allerdings wussten wir kaum, was wir den DDR-Bürgern sagen sollten, denn Ende April / Anfang Mai vermochte niemand vorauszusagen, was kommen würde. Einige wenige ahnten aber, wie das ablaufen könnte. Das Grundgesetz der Bundesrepublik enthielt nämlich noch immer den Artikel 23. Dort hatten die Väter unserer Verfassung bereits 1949 eine listige Gültigkeitsklausel hineingeschrieben und bestimmt, dass es "… in anderen Teilen Deutschlands nach deren Beitritt in Kraft zu setzen" sei! Das Saarland war am 01.01.1957 nach entsprechenden Abstimmungsergebnissen auf Grund dieser Klausel im Rahmen der so genannten "Kleinen Wiedervereinigung" 10. Bundesland geworden. Die Überleitungsgesetze waren einigen älteren Mitarbeitern noch gegenwärtig. Doch damals war vom Beitritt der DDR zur Bundesrepublik noch nicht die Rede. Auch eine enge Zusammenarbeit, ein Staatenbündnis oder Ähnliches war vorstellbar.

"Macht mal", war die Devise, die man uns mit auf den Weg gab, als wir den Auftrag bekamen, die DDR von Norden bis Süden zu bereisen. Aber zuerst wurde der Bus auf den Ostberliner Alexanderplatz gestellt. Dann organisierte mein Kollege aus Niedersachsen die Einsätze von Potsdam bis Schwerin und ich war für Rostock, Stralsund, Neubrandenburg und Frankfurt/Oder zuständig. Die Einsätze dauerten jeweils zwei Tage, mittwochs und samstags waren die Reisetage. Wir waren also zwei Wochen unterwegs.

Wir kannten dieses Land nur aus dem Fernsehen und aus der Propaganda, also die Schokoladenseite. Doch die Kehrseite, die Mauertoten, die Mangelwirtschaft, die staatlichen Bevormundungen, die Bespitzelungen durch die Stasi - auch das war nicht die DDR schlechthin. 40 Jahre getrennte Wege, da entwickeln sich andere Gepflogenheiten, andere Vorstellungen und sogar gebietstypische Sprachgewohnheiten, die wir nicht kannten. Aber wir wurden erkannt! Anderes Outfit, anderes Auftreten, andere Autos. Sehr schnell wurden da die Ausdrücke "Ossis und Wessi" erfunden und manchmal auch diffamierend angewendet. Dass wir nicht mit offenen Armen empfangen würden, war uns klar, aber feindlich gesonnen war uns letztlich niemand. Wir waren mit die ersten, leisten Pionierarbeit und hatten das Terrain vorzubereiten. Doch nicht der offizielle Teil unserer Arbeit, sondern die kleinen Episoden am Rande des Einsatzes waren das Spannende, was letztlich nachblieb, obwohl wir viele interessante Gespräche führten.

In Rostock standen wir mit dem Bus vor dem Rathaus und parkten unsere PKW schräg gegenüber auf dem Parkplatz, auf dem wie bei uns die Stellplätze mit weißen Strichen markiert waren. Die waren aber viel enger als unsere - offenbar für die kleineren DDR-Fahrzeuge berechnet! Wenn wir nicht nebeneinander gestanden hätten, hätten wir sicher Probleme beim Wegfahren gehabt!

Der Anreisetag war ein Sonntag. Wir trafen uns nachmittags im Bus und besprachen erst einmal, was Sache war. Da der Mai 1990 ein sehr warmer Monat war, schmeckte das Bier, das wir im bordeigenen Kühlschrank angenehm gekühlt hatten, jedenfalls den Kollegen vorzüglich, denn ich hatte die Aufgabe übernommen, alle Mann später zum Hotel zu fahren, also musste ich abstinent bleiben. Dafür fand ich dann in meinem Zimmer in der Minibar ein köstlich-kühles "Radeberger", ein Bier, das auch bei uns schon einen guten Ruf hatte. Auf dem Etikett stand links unten: "EVP 0,3 = 0,84 M und rechts "EVP 0,5 = 1,59 M" - offenbar ein Universaletikett, das auf die kleinen, wie auch die Halbliterflaschen geklebt werden konnte. Das war ein guter Preis, auch wenn ich ihn hätte in West bezahlen müssen. Aber - oben auf der Minibar lag der Entnahmebeleg, der auszufüllen war, wenn man etwas aus der Bar entnahm. Ich las: "Radeberger Pils: ½ L = 5,-- DM/West!!" Mein lieber Scholli! Für 13,99 DM bekam ich damals in Hamburg einen ganzen Kasten "Astra"! Am nächsten Tag kaufte ich mir ein paar Flaschen Radeberger Pils für den fairen EVP von "einsneununfuffzich" beim Getränkehändler unten am Hermann-Duncker-Platz und stellte ein nicht gekühltes Bier in die Minibar, als ich das kalte Hotelbier ausgetrunken hatte. So machten es übrigens auch meine Mitarbeiter!

Beim nächsten Einsatz in Stralsund wurde meinem Kollegen und mir eine Privatunterkunft vom Touristbüro nachgewiesen, denn das Inter-Hotel Europa war ausgebucht. Die private Übernachtung sollte 10,-- DM West kosten. Was wir aber nicht ahnten, wir hätten in einem Ehebett nebeneinander schlafen müssen. Das war natürlich nicht zumutbar. Glücklicherweise verfügte die Einliegerwohnung noch über ein Kinderzimmer mit einem Etagenbett. Türen gab es dort übrigens nicht, dafür waren an den Türpfosten geraffte Tüllgardinen angetackert, die sich jedoch aufknüpfen ließen, so dass wenigstens ein Sichtschutz bestand.

Es gibt noch eine nette Geschichte, die sich aber schon am Tag zuvor ereignete, als ich mit dem Busfahrer zur Vorbesichtigung in Stralsund auf dem Neuen Markt war. Von irgendwoher kam herrlicher Bratenduft in unsere Nasen und wir entdeckten eine eigenartige, silberglänzende mobile Grillmaschine, auf deren Rost große knackige Würstchen brieten. Als wir dann bedient wurden, bemerkte mein Fahrer, dass es nicht "Rostbratwürste" sondern "Rossbratwürste" waren, sie waren also aus Pferdefleisch! Weil er seine Wurst schon bestellt und bezahlt hatte (in Ostwährung), aß er sie auch, ich konnte gerade noch einen Bogen machen - Pferdefleisch hatte ich noch nie gegessen und hatte keine Lust, in Stralsund eine Premiere zu feiern!

In Neubrandenburg übernachteten wir im Interhotel "Vier Tore". Es gab dort zwar ein Frühstücksbüfett, aber man musste an einem "Inspektor" vorbei, der alle Sachen, die man auf dem Teller hatte, mit Argusaugen beguckte und einen Preis auf einen Block kritzelte, den man ausgehändigt bekam. Wer also viel aß, bezahlte viel. Konsequenz für uns: wir besorgten uns für den nächsten Tag Butter, Wurst und Käse und wollten unser Frühstück im Bus einnehmen. Schräg gegenüber befand sich ein Bäckerladen. Am nächsten Morgen lief ich also dort hin und kaufte 15 Brötchen von der kleinen, schmackhaften Sorte, die sich die "Ossis" lieber heute als morgen zurückwünschen! Als ich zahlen sollte, hörte ich die Verkäuferin sagen: "Fümwunsiebzich Fennje!" Verdaddert fragte ich kurz: "Eins?" - "Nein, alle zusammen!" Ich bekam rote Ohren! Für die Tüte voller Brötchen sollte ich nur 75 Pfennig berappen und das in Ostwährung! Vorher hatte ich aber gesehen, dass dort auch abgepacktes Vollkornbrot einer Westfirma angeboten wurde - zum stolzen Preis von 3,50 M - Ost versteht sich. Ich stotterte dann noch rasch, dass ich eine Packung dieses Brotes haben wollte und war froh, dass ich wenigstens ein bisschen mehr Geld ausgegeben hatte, ich hätte sonst das Gefühl gehabt, etwas Unanständiges gemacht zu haben.

Auf der Fahrt von Neubrandenburg nach Frankfurt/Oder knickte bei unserem Bus die Verbindungsmuffe zwischen dem Triebwagen und dem Nachläufer (dem fest verbundenem Anhänger) nach oben ab. Ein Druckluftschlauch war gebrochen, so dass der Nachläufer nicht mehr bremste und die Hydraulikfederung inaktiv wurde. Mit 50 km/h schlichen wir noch 20-30 km auf der F 96 bei Oranienburg in Richtung Berliner Ring und entschlossen uns, nach Westberlin zu fahren, um dort den Bus reparieren zu lassen. Das ging nicht ohne Schwierigkeiten, aber wir konnten abends noch nach Frankfurt/Oder weiterfahren. Der Stellplatz war glücklicherweise abgesperrt. An diesem aufregenden Tag waren wir von 8:00 Uhr bis 22:00 Uhr unterwegs. Vom Bus bis zum Hotel konnten wir laufen, es lag nur 50 m von unserem Stellplatz entfernt! Nach einem kleinen Abendbrot-Snack und kurzer Lagebesprechung sackten wir todmüde in unsere Hotelbetten.

Für mich hätte Frankfurt/Oder eigentlich der interessanteste Ort dieser Reise sein können. Hier wurde meine Mutter geboren, und hochtrabend hätte ich behaupten können, Frankfurt/Oder ist die Stadt meiner Vorväter, meiner Ahnen oder sowas. Quatsch, ich hatte auch damals keinerlei Beziehungen mehr zu dieser Stadt. Sie war mir so fremd wie jeder andere Ort in der DDR, und Verwandte wohnten schon lange nicht mehr dort. Ich hätte auch keinen Friedhof gefunden, wenn ich auf diese Idee gekommen wäre, kam ich aber nicht. Das einzige, was mich interessierte, war, ob ich die "Alte Post" noch finden würde, wo ich - ich glaube, es war 1952 - als Halbwüchsiger am Zeitungsstand meiner Tante als "Ersatzverkäufer" betätigen durfte! Das Gebäude gab es wirklich noch, und zwar nur ein paar Meter von unserem Busstandplatz entfernt. Was sich in diesem Gebäude befand, als wir 1990 dort waren, konnte ich nicht feststellen, denn die Haupteingangstür war verschlossen.

Ein paar Minuten stand ich auf der anderen Straßenseite, filmte mit meinem Camcorder die quirlige Ecke und kramte meine Erinnerungen zusammen: Langsam kamen ein paar Fetzen wieder hoch. In einer anderen Geschichte habe ich das so beschrieben:

"Ich betätigte mich [damals] als Ersatzverkäufer. Das machte mir sogar Spaß, und wenn mehrere Kunden warteten, vertröstete ich die schon mal mit dem Spruch, "Komme sofort, gnä' Frau" oder ähnliche Varianten. Das war natürlich im Arbeiter- und Bauernstaat verpönt, und bald wurde meine Tante auch darauf angesprochen, die sich dann entschuldigte und erklärte, "… der Bengel kommt aus'n Westen, den dürfense dett nich übel nehm'." "Achso - na ja!"
Die DDR gab es damals, als ich 1952 meine Großen Ferien in Frankfurt/Oder verbrachte, bereits 3 Jahre.
Ein knappes halbes Jahr nach unserem Buseinsatz im Jahre 1990 hörte dieser Staat auf zu existieren.

 

Blumenkohlsuppe mit Fleischeinlage

von Fritz Schukat aufgeschrieben im November 2006

Unsere Familie hat - wie das bei den meisten Berlinern der Fall war - ihre Wurzeln im Osten, also in Schlesien, Pommern, Ostpreußen, um nur einige der alten deutschen Provinzen aufzuzählen. In den sog. Gründerjahren (das ist allgemein die Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, also etwa 1871-1914) kamen viele junge Leute aus diesen ländlichen Gebieten und gründeten dort Familien. Die Hauptstadt wirkte wie ein Magnet und zog noch bis hoch in die 1920er Jahre Menschen aus dem Osten an.

Mein Großvater kam aus Ostpreußen, die Omma aus dem Posenschen. Sie heiraten im Dezember 1905. Ihre Kinder wurden alle in Berlin geboren, waren also "echte Berliner", na gut, Schlorrndorf, Schöneberg und Rixdorf wurden erst später eingemeindet, aber das weiß ja heute keiner mehr so genau.

Meine Mutter kam Ende der 1920er Jahre aus Frankfurt/Oder, "… von da konnte man ja nach Berlin soja loofen". Die Eltern heirateten 1934. Dann kamen die Kinder und dann kam der Krieg.

Aber die Familie meiner Mutter war und blieb in Frankfurt/Oder und einige Verwandte wohnten noch dort, als es schon die DDR gab. Anfang der 1950er Jahre konnte man noch fast ohne Einschränkungen von Berlin in die DDR fahren. Natürlich sagten wir damals noch respektlos "in die Zone" oder "in die so genannte „DDR", wobei darauf geachtet wurde, dass im Schriftdeutschen DDR immer in Tüddelchen stand!

Als ich Anfang der 1950er Jahre in den Großen Ferien einmal für ein paar Tage zu Onkel und Tante nach Frankfurt/O. fuhr, mussten die mich wohl als "Besuch aus dem Westen" beim Hausobmann melden, an weitere Schwierigkeiten kann ich mich jedoch nicht erinnern. Onkel und Tante waren beide berufstätig, er war Bäcker, Koch und Konditor und Tantchen verkaufte Zeitungen in der Passage bei der Alten Post. An meinen Tagesverlauf kann ich mich nicht mehr so sehr erinnern, aber der Onkel stand schon sehr früh auf, ging als Bäcker irgendwo arbeiten und Tantchen musste auch recht früh los, baute dann ihren Stand auf, legte die Zeitungen aus und wartete auf Kunden, die auch reichlich kamen. Meistens ging ich mit ihr mit und wenn sie mal plauschen wollte, sprang ich ein und betätigte mich als Ersatzverkäufer. Das machte mir sogar Spaß und wenn mehrere Kunden warteten, vertröstete ich die schon mal mit dem Spruch, "Komme sofort, gnä' Frau" oder ähnlichen Varianten. Das war natürlich im Arbeiter- und Bauernstaat verpönt und bald wurde meine Tante auch darauf angesprochen, die sich dann entschuldigte und erklärte, "… der Bengel kommt aus'n Westen, den dürfense dett nich übel nehm'." "Achso - na ja!"

Auf dem Weg nach Hause ging Onkel immer in die Kleingartenkolonie zum Schrebergarten, den bereits der Opa besessen hatte. Um diese Zeit konnte man schon etliche feine Sachen dort ernten.

Onkel war sehr stolz auf seinen Blumenkohl. Eines Tages kam er mit einem prächtigen Kopf nach Hause und kochte eine herrlich duftende Suppe mit allem drum und dran. Als wir uns an den Tisch setzten und er voller Stolz seine Suppe kredenzte, entdeckte ich seltsame kleine gelbe Dingerchen mit vorne und hinten schwarzen Pünktchen dran. Hätte ja sein können, dass dies Gewürz war, das ich nicht kannte und fragte ganz ohne Arg, was das denn wohl sei? Natürlich hatte er sofort erkannt, dass das Kohlraupen waren, die mitgekocht wurden und nun als unfreiwillige Fleischbeilage auf der Suppe schwammen. Das war ihm unheimlich peinlich, er schnappte sich den Teller und goss die ganze Suppe ins Klobecken. Er erklärte mir das dann auch und versprach, am nächsten Tag eine noch bessere Suppe "garantiert ohne Würmer" zu kochen.

Ich freute mich auf den nächsten Tag! Und wieder gab es eine herrlich duftende Suppe, vielleicht noch einen Tick deftiger. Und wieder tauchten zwei-drei so kleine Dingerchen beim Umrühren der Suppe keck an der Oberfläche auf! Bevor Onkel mit seinem Teller an den Tisch kam, löffelte ich die Würmer mit etwas Gemüse aus den Teller, schlürfte den Löffel schnell aus und erklärte tapfer, dass sie "sehr gut" schmecke. Tatsächlich habe ich aber nicht gemerkt, dass ich da etwas „Ekliges“ runtergeschluckt hatte. Ich schüttelte mich zwar ein bisschen, aber dann war alles in Ordnung.

Einen Nachschlag wollte ich allerdings trotz guten Zuredens nicht mehr haben.