Unsere Erlebnisse

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Geisterstunde von Jürgen Hühnke
Immer Ärger mit der Größe von Annemarie Lemster
Der Geldbörsenstreich von Hans Meier
Der Bahndamm von Jürgen Hühnke

 

Geisterstunde

von Jürgen Hühnke aufgeschrieben im August 2014

Den ganzen Tag hatte es geregnet, sodass wir uns im Schullandheim in der Nordheide entsetzlich langweilten. Wir, das waren ein Klassenlehrer d.h. ich, und seine Quartaner oder Siebtklässler; Schuljahr 1970/71. Alles, was die lieben Kleinen und ich aus Jungschar oder Jugendgruppe, wenn nicht gar aus dem Kindergarten an Spielchen kannten, von der Reise nach Jerusalem gar bis „Laurentia, liebste Laurentia mein", hatten wir bis zur Erschöpfung durchgezogen.
Am Spätnachmittag klarte es überraschend auf, also musste ein Programm her, etwas Neues zur Abwechslung. Und da die Abende zwei fast verflossene Wochen hindurch so allerlei unternommen worden war, soweit man in einer Heimeinrichtung Abwechselndes unternehmen konnte, verfiel ich auf die alberne Idee einer mitternächtlichen Wanderung über einen dörflichen Friedhof, dessen Pforten, wie ich erkundet hatte, nachts nicht versperrt waren.

Da man weiß, dass solch ein Vorhaben mit Pubertierenden und Vorkonfirmanden gewisse Risiken birgt, nämlich die Totenruhe störende Faxen, stand am Anfang eine väterliche Instruktion desbezüglich. Und alles ging gut. Die Gören benahmen sich ausgezeichnet und gar nicht unziemlich, als wäre so eine Geisterstunde zwischen Gräbern ihr Alltag - oder sollte ich sagen: ihre Allnacht.
Kaum aber hatten wir gegen ein Uhr den Gottesacker verlassen, erschallte ein Entsetzensschrei von unserer Klassensprecherin Britta, die sich in den Arm ihres Stellvertreters Thomas verkrallte: Im fahlen Mondschein und im diffusen Licht entfernt stehender Straßenlaternen zeichneten sich die Schatten dahinhuschender Gestalten auf der Friedhofsmauer ab.
Darauf hörten wir einen etwa so lautenden Dialog von zweien der vermutlichen Geister, die wir auch im Schein von Taschenlampen sowie dem aufgeblendeten Licht eines Panzerspähwagens zu sehen bekamen: „Was ist da Ios, Hauptfeldwebel?" schnarrte die eine Stimme, der geantwortet wurde: „Zu Befehl, Herr Major, Zivilisten im Planquadrat E 8, offensichtlich Pennäler." Wieder Kasernenhofschnarren: „Vermerken, aber keine veralbernden Kommentare ins Regimentstagebuch!" - „Ironie unterbleibt, Herr Major!" Der Schnarrer trat auf Britta zu, tröstete sie und entfernte sich wieder: „Gestatte mich zu empfehlen, die Herrschaften."
Mit ihm machte sich seine Geistertruppe davon, wohl eine Kompanie Panzergrenadiere mit einer Nachtübung ähnlich der unseren. Alle hatten rußgeschwärzte Gesichter und hatten die Stahlhelme mit Birken- und Hainbuchenzweigen drapiert, ganz so, wie sich auch ein Karnevalsverein als „Bundeswehrkompanie im Manöver" verkleidet hätte. Wie ich auf Panzergrenadiere komme? Eigentlich war ich nämlich „Weißer Jahrgang" und wurde nie gezogen. Aber man bekommt in der Referendarsausbildung Einblicke in jederlei pädagogisches und sonderpädagogisches Tun, etwa in den Chemieunterricht an der Sonderschule, in den Jugendstrafvollzug auf Hahnöfer Sand oder erlebt eine Musterstunde zur Offiziersausbildung beim Bund. Eben aus dieser Vorführstunde hat sich mir noch heute der denkwürdige Satz des instruierenden Majors im Gedächtnis erhalten, als Nachklapp zu einer Frage: „Das müssten nun die Panzergrenadiere unter Ihnen wissen, dumm und faul, wie sie sind!" Die in diesem Fall Angesprochenen hatten normmodisch dieselbe Variante der Uniformgewandung getragen wie unser Geisterbataillon.
Als die Siebtklässler diese nächtliche Begegnung überschlafen hatten, brach schon der letzte Tag unseres Aufenthaltes hier an. Für diesen Abend stand ein kleines Tanzfest zu Plattenmusik an. Ich würde also in etwa den Ablauf und das Wesen einer Teenie-Disco kennenlernen.
Es war ein rundum erfreuliches Bild, das die Kleinen boten, wie sie sich in der Imitation des Erwachsenseins abmühten. Die Mädchen in ihren kurzen Röcken - der Minirock wurde gerade erst erfunden - zeigten ihre langen Beinchen, was aber weniger fraulich als mehr schlaksig wirkte; allenthalben war das Vorbild Twiggy unverkennbar. Auf dem Höhepunkt des Abends verlangten die Gören lauthals, dass der DJ nun doch Platten auflegen solle für einen „Schmusetanz". Offenbar war er dieses Begehr durch seine Tätigkeit in einem Discoschuppen gewohnt und spielte prompt Slowfox, English Waltz und den seit den „Caprifischern" üblichen relativ langsamen mediterranschmalzigen Tango ab, also nicht den stakkato ablaufenden Tango argentino. Wange an Wange schoben die Bürschchen ihre Mägdelein über das Parkett, einige mit anhimmelndem Blick, die meisten träumerisch-geschlossenen Auges, alle aber im Zustand fast nicht mehr irdischer Seligkeit. So viel Turtelei kann wohl nur ein Schmusetanz bringen, aber die Pubertät ist - man denke an die eigene Jugendzeit - eben immer ein permanenter Ausnahmezustand.
Aus der eigenen Vergangenheit ist jedoch auch erinnerlich, wie man selber als Schülerin und Schüler (so muss ich jetzt ja politically correct sagen) die lehrerliche Aufsicht umging. Insofern konnte ich nicht hundertprozentig sicher sein, ob nicht irgendwo, backstage sozusagen, eines der Teenies Dope rauchte oder zwischengeschlechtlich über die Stränge schlug, schließlich schrieben wir das Hippiejahr 1970, das Jahr nach Woodstock. Immerhin hätten die beseligten Augenaufschläge als ein Indiz für psychedelisches Angeschickertsein gedeutet werden können.
Will man als Klassen- und Aufsichtslehrer nicht päpstlicher sein als der Papst, lief der Schmusetanz ebenso gesittet ab wie die Nachtwanderung.

Britta und Thomas, deren Intimleben ich bis dahin nicht als parallellaufend vermutet hatte, blieben den ganzen Abend in aller Züchtigkeit unzertrennlich; vielleicht hatte ja die Friedhofs-Geisterstunde den erotischen Funken tatsächlich erst entzündet. Etwa ein Jahrzehnt später - ohnehin wurde ich zu weiteren Klassenfesten und nach dem Abitur zu den Klassentreffen eingeladen - erreichte mich brieflich die Ankündigung vom bevorstehenden Einlauf der beiden im Hafen der Ehe. Folglich mag ein nächtlicher Geisterschreck beziehungsweise der Anteil der Deutschen Bundeswehr daran doch zu etwas nütze gewesen sein.

 

Immer Ärger mit der Größe

von Annemarie Lemster 27.03.2012

In meiner Schulzeit fühlte ich mich immer benachteiligt durch meine Körpergröße. Von der ersten bis zur letzten Klasse war ich immer die Größte in der Klasse. Ich hätte so gern einmal in der ersten oder zweiten Bank gesessen, doch immer hieß es “Laube, Du setzt Dich nach hinten, sonst können sich Deine Mitschüler hinter Deinen Rücken verstecken“. Ich fühlte mich immer ungerecht behandelt. Was sich auch oft bei meinen Leistungen bemerkbar machte, denn wenn man immer hinten sitzt, kann man viel mehr Blödsinn machen als vorn.In der vierten Klasse war wieder einmal so ein Satz gefallen und in meinem kindlichen Kopf sann ich auf Rache. Man saß 1948 noch mit vier Schülern in einer Bank und die Bänke hatten vorn eine Rille in der Schreibfläche zum Ablegen der Federhalter. In ein noch etwas tieferes Loch kam das Tintenfass. Meine „Rache“ bestand nun darin, dass ich die Tinte in die Rille für die Federhalter goss. Meine Banknachbarin konnte immer so wunderbar kleine Schiffchen aus Papier falten und diese ließen wir dann, von der Lehrerin unbemerkt, während der Stunde auf der Tinte herumfahren. Leider kann ich noch so tief in meinen Erinnerungen kramen, ich weiß nicht mehr, ob wir damals aufgeflogen sind.
Die Lehrerin hatte doch selber Schuld, wenn ich nicht bei der Sache war. Warum setzte sie mich immer in die letzte Bank.

 

Der Geldbörsenstreich

von Hans Meier November 2011

Dass Kinder ohne Streiche auskommen, das gibt es wohl nirgends. Schauplatz: Quickborn, Kampmoorstraße, gegen Ende der 60er Jahre. Das Grundstück Ecke Kampmoor-/Rudolf Kinau Straße war noch nicht bebaut und bot auch ein gutes Versteck. Denn an der Straße hatten wir eine Geldbörse hingelegt, etwas Sand vertuschte das Band, das wir an der Börse angebunden hatten.
Doch es kam keiner, und wir warteten und warteten. Wir hockten im Gebüsch, und einer hatte das Seil in der Hand, um rechtzeitig zu ziehen - aber es kam keiner.
Doch endlich wurden wir belohnt. Ein sehr alter Herr sah nun die Geldbörse. Er bückte sich mit einem erwartungsvollen Lächeln, um nach der Börse zu greifen. Erst nach mehrmaligem Anstoßen reagierte der wohl schon müde gewordene Junge und zog gerade noch rechtzeitig am Band.

Die Freude des Opas erstarb jäh, als sein vermeintlicher Glücksfall ihm knapp vor dem Zugreifen entschwand, er war sehr, sehr wütend und schimpfte uns lachende Kinder aus.
Wir haben das nie wieder gemacht, diese lange Warterei hatte nun wirklich kein Spaß gemacht.

 

Der Bahndamm

von Jürgen Hühnke erstellt am 23.04.2004

Mein täglicher Schulweg führte etwa drei Kilometer an einem recht hohen Bahndamm der Strecke Hamburg-Cuxhaven entlang. Das im Sommer dürre, lange Gras fing gelegentlich Feuer durch Funkenflug, oder aber es wurde von uns Jungen mutwillig angezündet. Das Püstern auf den großen Dammflächen, bei taktischer Beachtung der Windrichtung, brachte einfach Spaß, ohne dass ich mich für einen Pyromanen halten möchte. Einmal entflammte der heftige Brand hohen Grases sogar die Bahnschwellen, die in einem Kreis um ein Vorsignal in den Boden eingesenkt waren.
Als der Krieg zu Ende ging, stellte die Deutsche Reichsbahn auf einem der beiden Gleise kilometerweit einen großen Teil ihres nationalen Fuhrparks ab, vornehmlich Güterwaggons, sowohl Viehwagen als auch Langwagen, von denen einige mit Geschützen bestückt waren. „Alle Räder müssen rollen für den Sieg", hatte lange auf allen Lokomotivkesseln gestanden, doch jetzt ruhte der Verkehr. Dass die Bewegung so ganz fehlte, ließ uns Lümmel einen neuen Streich aushecken. Wir stiegen auf die Außenplattformen der Langwagen und lösten die Bremsen. Die Zugeinheiten standen jeweils über hundert Meter auseinander, auf einer Strecke, die zum Stader Bahnhof hin ganz leicht abschüssig verlief, so dass die Wagen, der Schwerkraft folgend, sich in Bewegung setzten. Den Versuch, sie vor dem Aufprall wieder abzubremsen, unternahmen wir nicht. Vielmehr genossen wir den großen Rumps beim Auftreffen auf die Puffer der etwas weiter abwärts stehenden Wageneinheit. So schufen wir Platz für neue Züge, doch die kamen nicht.